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Auf dem Seil

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.09.2019
Ist das Leben ein ewiger Balanceakt? Darius Kopp drohte an seinem Unglück zu zerbrechen. Drei Jahre sind vergangen, seit seine Frau Flora, seine große Liebe, gestorben ist. Der IT-Experte ist mit Floras Asche durch Europa gereist und schließlich auf Sizilien gelandet. Dort taucht eines Tages unverhofft seine 17-jährige Nichte auf. Das Mädchen ist allein unterwegs und weicht ihm nicht mehr von der Seite. Lorelei braucht Darius' Hilfe - und er die ihre. Mit ihr geht er zurück nach Berlin. Und lernt, sein Glück daran zu messen, was man durch eigenen Willen verändern kann - und was nicht.

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextIst das Leben ein ewiger Balanceakt? Darius Kopp drohte an seinem Unglück zu zerbrechen. Drei Jahre sind vergangen, seit seine Frau Flora, seine große Liebe, gestorben ist. Der IT-Experte ist mit Floras Asche durch Europa gereist und schließlich auf Sizilien gelandet. Dort taucht eines Tages unverhofft seine 17-jährige Nichte auf. Das Mädchen ist allein unterwegs und weicht ihm nicht mehr von der Seite. Lorelei braucht Darius' Hilfe - und er die ihre. Mit ihr geht er zurück nach Berlin. Und lernt, sein Glück daran zu messen, was man durch eigenen Willen verändern kann - und was nicht.

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641172466
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum09.09.2019
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1591 Kbytes
Artikel-Nr.4279751
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

Etwas mehr als ein Jahr später, an einem Tag Mitte Juli, erwachte Darius Kopp mit dem Gesicht zur Wand gedreht auf einer Matratze in der fensterlosen Ecke des Wohnzimmers. Der Wand entströmte Kälte und Modergeruch, er drehte sich weg. So sah er das Sofa vor sich. Das hölzerne Bein des Sofas und Teppichfransen. Staub war nicht zu sehen, aber er war natürlich da. Jenseits des Sofas ein Couchtisch aus Rauchglas, daneben ein Ohrensessel, daneben ein Beistelltischchen, dahinter, an der Wand entlang, Regale und ein metallener Blumenständer mit abblätternder, buttergelber Farbe. Auf dem Boden diverse Teppiche und Läufer, teilweise überlappend, vor dem Fenster in einem schmaler Streifen Bodenplatten aus Kokosfasern. Die Fenster standen offen, die Spaletten waren zu.

Kopp kurvte - vorsichtig, nicht den Zeh stoßen - zwischen den Möbeln zum Fenster. Spaletten auf. Das gibt ein Geräusch, das im ganzen Hof zu hören ist. Dritter Stock, hinterer Teil des Gebäudes. Im Innenhof stehen Oleander und Opuntien in Kübeln, daneben Näpfe für die Katzen und der Wäscheständer der Nachbarin im Erdgeschoss. Steif getrocknete Küchentücher.

Kopp fand die Sandalen mit den abgetretenen Fersen, die er im Haus trägt, schlüpfte im Laufen nach und nach hinein, ging in die Küche, stellte die Waschmaschine an, ging ins Bad, kam wieder zurück in die Küche. Die Tür zum Schlafzimmer war zu. Schlafzimmer, Küche und Bad haben Fenster zu der Straße hinter dem Haus, wo die Mülltonnen stehen. Sie werden jeden Tag gegen Mitternacht geleert, alles andere wäre bei dem Klima mörderisch.

Kopps mit Ruhe ausgeführte morgendliche Routinen dauern genau so lange, wie die Waschmaschine für einen Durchlauf braucht. Er füllte die Wäsche in einen weißen Plastikeimer und verließ die Wohnung. Am vierten Stock vorbei, dann noch eine halbe Etage bis zur Dachterrasse. Das Meer ist nur vier Querstraßen entfernt, man kann es nicht sehen, aber manchmal riechen. Kopp atmete tief ein. (Nein, heute nicht. Ein wenig Aschegeruch. Als wär´s vom Berg. Aber das ist unwahrscheinlich.) Er ging um den Schornstein herum, dort sind die Trockenseile gespannt. Er nahm die Bettwäsche ab, die dort hing, und hängte stattdessen zwei weiße Hosen und zwei weiße Poloshirts auf. Die getrocknete Wäsche roch nach Marsala-Seife, Salz- und Stadtluft. Er legte sie in den Liegestuhl, den normalerweise er benutzte. Zwei Segeltuchliegestühle, ergrautes Weiß mit ausgeblichenen blauen Streifen, mit dem Rücken zum Schornstein. Je nach Tageszeit im Schatten oder nicht. Neben dem, den normalerweise nicht Kopp benutzt, zerdrückte Stummel von selbstgedrehten Zigaretten, dort riecht das Segeltuch dezent nach Tabak- und Marihuanarauch.

Kopps Mitbewohner, der diese Woche das Schlafzimmer für sich haben darf, hat von seinen Eltern den Namen Metin bekommen, aber hier nennt man ihn Matteo, wie man auch Kopp Dario nennt, das ist nur natürlich. Unmittelbar nachdem seine Schwester bei ihm aufgetaucht war, wandte sich Kopp an seinen Freund und Helfer Francesco und sagte: Francesco, ich danke dir, dass du mich zu Gabriella gebracht hast, als ich weder Geld noch ein Obdach hatte, aber jetzt wäre ich dir dankbar, wenn du mich wieder von ihr wegbringen könntest. Er hoffte auf eine Anstellung bei den Ätna-Touren, aber es wurde ein Job an einer Pizzatheke in Catania daraus, das ist auch gut. An die Wohnung kam er ebenfalls durch Beziehungen, namentlich über den alten Mann, den er an einem denkwürdigen Tag am Meer kennenlernte und den er seitdem auch Aug in Auge bei dessen Beinamen Itzehoe nennt. Itzehoe wohnt die meiste Zeit in seiner Hütte (er sagt: Landhaus) am Meer, derweil Kopp seine Stadtwohnung mit dem gesammelten Trödel (er nennt sie Antiquitäten) hütet. Vier winzige Zimmer, davon zwei bis auf den letzten Quadratzentimeter mit altem Kram vollgestellt. Diese Lagerräume mit dem Staub und den Schimmelpilzsporen sind nicht gut für Kopps Asthma, er betritt sie so gut wie nie, dafür ist das Dach am frühen Morgen wie am späten Abend unbezahlbar.

Matteo arbeitet in der Pizzeria wie Kopp, aber nicht vorne am Ofen, sondern hinten in der Küche, wo man ihn nicht sieht. Erst hatte er in irgendeiner sündhaft teuren Massenunterkunft gewohnt, bis er sich Kopp anschloss, der nichts für das Mitwohnen verlangte, was sollte ich dafür auch verlangen. Anfangs dachte Kopp, wenn Itzehoe zu Besuch in seiner eigenen Wohnung kommen würde, würde Matteo ohnehin wieder ausziehen. Er zog auch aus, aber sobald Itzehoe zurück ans Meer gefahren war, kam Matteo einfach wieder und so läuft es seitdem. Zum Glück hat Itzehoe immer etwas zu schleppen und ruft an, bevor er kommt, um sicher zu gehen, dass Kopp da sein würde, um ihm zu helfen, so kann Matteo rechtzeitig von der Bildfläche verschwinden. Unsportlich heißt nicht schwach, Darius Kopp hat Muskelkraft, er nimmt Itzehoe massive Türen aus der Hand, die dieser irgendwo auf dem Sperrmüll findet - es ist besser, wenn der alte Mann nicht auch noch daran herumzerrt - und trägt sie, wohin sie getragen werden müssen, bezieht das Bett im Schlafzimmer für den Hausherrn neu, legt sich selbst auf die Matratze im Wohnzimmer, steht am nächsten Morgen früh auf, geht zur nächsten Bar und holt Itzehoe sein Puddingteilchen zum Frühstück. All das kostet mich doch nur ein Lächeln.

Kopp hat, dank der Ofenhitze und viel eisgekühlten Wassers, im Laufe des letzten Jahres fast 20 Kilo abgenommen, während die jungen Burschen von der ewigen Pizza, aber vor allen Dingen von der Cola, die sie dazu trinken, allesamt teigiger werden. Darius Kopp liebt Cola ebenso und auch Alkohol, aber in den letzten zwei Jahren hatte er fast nur Wasser getrunken und nur wenig Wein, ich weiß auch nicht, wie es dazu gekommen ist. Anfangs, bei Gabriella, wollte er Trunkenheit möglichst vermeiden, und später? Ich weiß auch nicht. Es ist etwas Mönchisches in mein Leben gekommen, das ich nie vermutet hätte. Ich habe sogar gelernt, sauber und ordentlich zu sein. Im Gegensatz zu Matteo, dem man hinterherräumen muss. Als wäre er mein Sohn.

Auf dem Dach ertönte Musik. Genauer gesagt, etwas darunter. In der zweiten Etage des Hauses gegenüber wohnt ein alter Mann, der Akkordeon spielt. Öffnet das Fenster und beschallt die ganze Straße hinter dem Haus. Die Straße ist eng, es ist ausgeschlossen, dass er nicht weiß, wie laut das widerhallt. Es ist ihm egal oder er will es so, der Widerhall gehört zu seiner Freude an der Musik dazu. Wenn Itzehoe da ist, schimpft er darüber unflätig. Im Haus neben dem Akkordeonisten wohnt eine Ungarin mit zwei Katzen. Itzehoe hat was bei ihr versucht, seitdem hasst er auch sie.

Wenn der alte Mann Akkordeon spielt, heißt das, es ist 8 Uhr, aber mittlerweile wüsste das Kopp auch anhand des Lichts zu sagen. Wenn es so hell ist, dass einen ohne Sonnenbrille die trocknende Wäsche blendet, dann ist es 8 Uhr und Zeit, das Dach zu verlassen.

Der Fußweg zur Pizzeria dauert 20 Minuten. Der Besitzer heißt Salvatore, er ist etwas kleiner als Kopp und dicker, als er es je war. Er leidet physisch darunter, er schnauft. Er ist ständig genervt, sein Umgangston bewegt sich auf einer Skala zwischen ruppig und grob. Die Donna, mit Namen Luisa, eine Verwandte von Francesco oder dessen Frau Dora, ist die meiste Zeit freundlich. Zumindest Kopp gegenüber. Weil ich in ihrem Alter, und weiß, und, wer hätte das je erwartet, attraktiver als ihr Mann bin? Mit meinen großen, blauen Augen. O, partigiano, sang Luisa eines Morgens, als er sich ein rotes Tuch um den Kopf band, damit ihm der Schweiß nicht in die Augen lief. (Aber statt des »portami via«, des »nimm mich mit« summte sie nur noch.) Un partigiano tedesco? Nun ja. Das rote Kopftuch ist zu unserem Markenzeichen geworden. Ein einfaches Baumwolltuch, zu einem Dreieck gefaltet, die Spitze hinten unter den Knoten gesteckt. Wenn die Haare dort zu lang werden, ziept es. Blond mit Grau. Ich muss mal wieder zum Frisör. Und mich Dottore nennen lassen. Ob es nur wegen der Brille ist? Necken sie mich, weil sie mich als dazugehörig empfinden oder im Gegenteil? Kopps Italienisch ist nicht gut genug, um das herauszuhören und auch was Gesten und Mimik anbelangt, kommt er woanders her. Mit den Einheimischen und Matteo spricht er fehlerhaftes, mit Englisch gemischtes Italienisch, mit Itzehoe Deutsch, mit den Jungs in der Küche simple English.

Die Jungs in der Küche sind, neben den Köchen, einem Neapolitaner und einem Sizilianer, Matteo und ein weiterer Küchenhelfer aus Mali im Wechsel mit den Zwillingen aus Äthiopien, die keine Zwillinge sind, nur Brüder. Halbbrüder. Gemeinsamer Vater, wie Matteo nach kurzer Zeit herausgefunden hat. Der eine ist nur ein halbes Jahr älter als der andere.

Ich kenne auch so jemanden, sagte Kopp. Oder kannte. Zu Hause. Einen Freund von mir. Da sind nur 3 Monate dazwischen.

Matteo nickte weise. So etwas kommt vor.

Apropos Zuhause. Matteo war schon einmal in Frankfurt am Main, aber wie ist Berlin? Ist es gut in Berlin?

Ich mochte es, sagte Kopp und zuckte mit den Achseln.

Und dann mochtest du es nicht mehr?

So würde ich es nicht sagen. Es spielten andere Dinge eine Rolle.

Matteo weiß, das Kopp Witwer ist, er behandelt ihn deswegen noch mit ein wenig mehr Respekt. Er hat gelernt, wofür einem Respekt (also: Schonung) gebührt: für das Alter (wenn es höher ist, wenn es sehr viel niedriger ist), fürs Geschlecht (wenn es weiblich ist), für Weisheit (sofern das feststellbar ist), für Erlebtes, für Taten. Auch für Status. Aber darüber brauchen wir uns in unserer Situation keine Gedanken machen. Du bist für mich wie ein großer Bruder - das sagt er nicht, denn er hat vier...

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Autor

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.