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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am04.11.2019
15 der beeindruckendsten und talentiertesten Schriftsteller der Gegenwart erzählen in diesem Buch ihre ganz persönliche Geschichte über den Körper: Naomi Alderman etwa entschlüsselt die Antwort des Darms auf moderne Essgewohnheiten, A. L. Kennedy erforscht die erstaunliche Merkfähigkeit der Nase und Thomas Lynch feiert die Gebärmutter als Wunder der Natur, während Philip Kerr die bemerkenswerte Geschichte der Gehirnchirurgie ergründet. Wie verhält man sich bei Schilddrüsensturm, und welches Ohr brachte es in der Literatur zu besonderer Berühmtheit? »Unter der Haut« lädt ein zu einer literarischen Reise durch die geheimnisvolle Landschaft unseres Körpers: berührend, witzig, informativ und überraschend.

Naomi Alderman ist in London aufgewachsen und studierte in Oxford und an der University of East Anglia. Für ihren Roman »Die Gabe« wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet. »Die Gabe«, für Amazon Prime spektakulär verfilmt, wurde außerdem von der »New York Times«, der »Washington Post« und der »Los Angeles Times« zum Roman des Jahres gekürt, sowie von Barack Obama und Bill Gates persönlich empfohlen. Naomi Alderman ist Mitglied der Royal Society of Literature, ihre Werke wurden in über fünfunddreißig Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in London.
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Produkt

Klappentext15 der beeindruckendsten und talentiertesten Schriftsteller der Gegenwart erzählen in diesem Buch ihre ganz persönliche Geschichte über den Körper: Naomi Alderman etwa entschlüsselt die Antwort des Darms auf moderne Essgewohnheiten, A. L. Kennedy erforscht die erstaunliche Merkfähigkeit der Nase und Thomas Lynch feiert die Gebärmutter als Wunder der Natur, während Philip Kerr die bemerkenswerte Geschichte der Gehirnchirurgie ergründet. Wie verhält man sich bei Schilddrüsensturm, und welches Ohr brachte es in der Literatur zu besonderer Berühmtheit? »Unter der Haut« lädt ein zu einer literarischen Reise durch die geheimnisvolle Landschaft unseres Körpers: berührend, witzig, informativ und überraschend.

Naomi Alderman ist in London aufgewachsen und studierte in Oxford und an der University of East Anglia. Für ihren Roman »Die Gabe« wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet. »Die Gabe«, für Amazon Prime spektakulär verfilmt, wurde außerdem von der »New York Times«, der »Washington Post« und der »Los Angeles Times« zum Roman des Jahres gekürt, sowie von Barack Obama und Bill Gates persönlich empfohlen. Naomi Alderman ist Mitglied der Royal Society of Literature, ihre Werke wurden in über fünfunddreißig Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641241001
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum04.11.2019
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3914 Kbytes
Illustrationenmit s/w-Abbildungen
Artikel-Nr.4279794
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


In der räumlichen Nähe von Anus und Genitalien liegt Freud zufolge der Ursprung vieler, wenn nicht gar aller menschlichen Neurosen. Heutzutage ist es modern, sich von Freud zu distanzieren. »So weit würde ich nicht gehen«, heißt es dann und »Natürlich war Freud von Sex besessen«. Aber ich würde so weit gehen, und die meisten Menschen sind von Sex besessen.

Ehrlich gesagt, der Verdauungstrakt ist ein Problem. Was dort geschieht, ist nicht nur rätselhaft und verwirrend - wie größtenteils alles, was unsere inneren Organe tun -, sondern für uns auch schwer zu ertragen. Und wenn wir erst einmal anfangen, uns mit der Symbolik des Darms zu beschäftigen, könnten wir eine Ahnung davon bekommen, was Freud gemeint hat.

Am oberen Ende des Verdauungstrakts befindet sich der Mund - ein herrlicher Ort vielfältiger Freuden. Und am unteren der Anus. Hier werden Fürze produziert, die den Gestank von Verwesung, Fäulnis und Gift verbreiten. Genauso eklig riecht der Kot, den er absondert, ein klebriger, stinkender brauner Schadstoff voller Krankheitserreger. Der aus uns herauskommt! Und zwar nicht irgendwo aus unserem Körper, sondern aus einer Öffnung unmittelbar neben jenen Körperteilen, die uns so großes Vergnügen bereiten, deren Entwicklung Erwachsensein bedeutet, die fähig sind, neues Leben zu erschaffen. Es erscheint wie ein grausamer Witz der menschlichen Biologie, uns von den Höhen in die Tiefen hinabzustürzen und uns in Erinnerung zu rufen, dass wir, ganz gleich, welche Ekstase wir auch erleben mögen, im Wesentlichen und zu jeder Zeit voller Scheiße sind. Deswegen ist Kot auch so lustig. Deswegen müssen wir darüber lachen. Wenn wir nicht lachten, würden wir weinen.

Für Ernest Becker, Autor des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Werks Dynamik des Todes, sind der Anus und der Kot, den er hervorbringt, mehr als nur ein Witz - sie sind Auslöser von Furcht und Schrecken. Ein Sinnbild für die Zersetzung des Fleisches, jenes Schicksal, das uns allen bevorsteht. »Was bin ich?«, könnte ein Kind sich fragen. »Ich bin etwas, was schöne, glänzende, gesunde, köstliche, farbenfrohe, herrliche Lebensmittel zu sich nimmt. Und was passiert dann? Ich verwandle sie in Scheiße.« Das ist die Unausweichlichkeit des Zerfalls im Kleinen, Alltäglichen. Es ist die Unausweichlichkeit des Todes. »Der Anus und sein unbegreifliches, ekelhaftes Produkt illustrieren nicht nur den physischen Determinismus und das Gefesseltsein, sondern das Schicksal alles Leiblichen: Es muss verfallen und sterben.«

Die dreijährige Tochter einer Freundin fragte einmal ihre Mutter, was mit der Nahrung geschehe, die sie zu sich nimmt. »Dein Körper gewinnt daraus Energie, und dann verwandelst du sie in Kacka«, antwortete ihre Mutter. Die Tochter brach in Tränen aus und ließ sich nicht mehr beruhigen. »Nein, Mami, nein, nein«, wiederholte sie unentwegt. »Nein, nein, nein.« Derselbe Aufschrei wie in Julian Barnes´ Nichts, was man fürchten müsste, wo der Autor seine Thanatophobie - seine Angst vor dem Tod - schildert, als er nachts aufwacht, »allein, mutterseelenallein, drosch ich mit der Faust auf das Kissen ein und schrie ein endlos jammerndes O nein o nein O NEIN «. Scheiße ist Tod. Der Tod ist eine ernsthafte Sache. Wir müssen über Scheiße lachen. Wir dürfen sie nicht ernst nehmen, weil sie so ungeheuer ernst ist.

Mund, Anus und dazwischen die Gedärme, die Schönheit in Fäulnis und Genuss in Abscheu verwandeln. Hier kommt es hart auf hart in unserer Beziehung zu unserem Körper - hier werden wir jeden Tag aufs Neue mit jenem Zerfall, jener Verwesung konfrontiert, die unsere letzte Bestimmung sind. Körper sind geheimnisvoll, wir sind uns selbst ein Rätsel. Aber hier im Darm tritt das augenfällige Mysterium am offensichtlichsten zutage. Wenn ich fähig bin, Lebensmitteln so etwas anzutun, was um Himmels willen bin ich dann?

Als ich Anfang zwanzig war, wurde meine Mutter, damals Mitte fünfzig, mit einer Darmruptur ins Krankenhaus gebracht. Der Grund für den Riss in ihrer Darmwand konnte nie ganz geklärt werden. Vielleicht lag es an einer infizierten Darmfissur. Vielleicht an einer Schwachstelle, hervorgerufen durch den Kaiserschnitt, mit dem ich Jahre zuvor auf die Welt geholt worden war. Vielleicht aber auch an etwas ganz anderem. Achtzehn Monate lang musste sie einen Kolostomiebeutel tragen, während ihr Darm heilte. Eine solche Erfahrung führt einer Familie die Funktionsweise des Darms unmittelbar vor Augen. Die Mutter meiner Mutter erlitt ebenfalls mit Mitte fünfzig eine Form von Darmruptur. Und so blicke ich auf meinen Bauch und frage mich, was er wohl für mich bereithält.

Aber damit nicht genug. Hätte ein Romancier die Geschichte meiner Familie geschrieben, könnte man bemängeln, dass die Symbolik rund um Magen, Darm und den Verdauungsprozess ein klein wenig übertrieben, eine Spur zu plump geraten wäre. Ein naher Verwandter von mir wurde mit einer Pylorusstenose geboren - einer der Schließmuskel seines Magens öffnete sich nicht -, und seine ersten Lebenstage waren eine endlose Abfolge langer, dramatischer schwallartiger Brechanfälle, während seine Mutter den Arzt davon zu überzeugen versuchte, dass mit ihm wirklich etwas nicht in Ordnung war. Er musste operiert werden, als er kaum ein paar Tage alt war, ein winziges Baby mit einer langen, breiten Narbe quer über dem Unterleib.

Und dieser widerspenstige Magen ist nur die eine Seite der Medaille. Es gibt auch die anderen Mägen, die nur allzu aufnahmefreudigen, allzu effizienten, die bereitwillig jedes Nahrungsmittel willkommen heißen. Ich bin dick. Mein Vater ist dick. Meine Großmutter war dick. Meine Tante war dick, bevor sie ein Weight-Watchers-Coach wurde. Die Erzählungen unserer Familie kreisen alle in einem dichten Geflecht um Essen und Nicht-Essen, um Verdauen und Nicht-Verdauen, um die Frage, wie Nahrungsmittel dazu gebracht werden können, den Körper zu passieren oder darin zu verbleiben.

Aber das, scheint mir, ist nicht allein auf meine Familie beschränkt. Unsere Kultur ist besessen von Ernährung und Diäten. Wir erschaffen immer üppigere Machwerke aus Fett und Zucker - hat vielleicht jemand Appetit auf einen Cronut, ein Gebilde aus buttrigem Croissantteig, der ausgebacken wird wie ein Donut? Und gleichzeitig ersinnen wir immer strengere Ernährungsvorschriften, von zwei Fastentagen pro Woche bis hin zum Aufschneiden gesunder Bäuche, weil Fettleibigkeit heutzutage als vollkommen inakzeptabel gilt. Wir sehen Promiköchen dabei zu, wie sie im Fernsehen Schokoladensoße, Honig oder Butter auf ihre Speisen träufeln, und dank Jamie Olivers keckem Naked Chef, Nigella Lawsons verführerischem Auftreten oder Gordon Ramsay, der sich im Intro seiner Show The F Word die Kleider vom Leib reißt, assoziieren wir Nahrung mit Sex. Zugleich verzeichnen wir immer mehr Essstörungen, und das gesellschaftliche Schönheitsideal wird dünner und dünner, befeuert durch Photoshop, das einspringt, wenn echte Körper nicht mehr dünn genug aussehen. Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl junger Menschen, die in Großbritannien mit Essstörungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden, um acht Prozent gestiegen.

Unablässig sorgen wir uns um Essen, Verdauung und unsere Mägen. Der Darm steht im Zentrum unserer Ängste; und diese Ängste verraten so einiges über uns. Sich wegen einer Sache zu ängstigen, heißt, von ihr besessen zu sein. Wenn Ihre Gedanken ständig um ein bestimmtes Thema kreisen, bedeutet das, auf einer gewissen Ebene genießen Sie es, daran zu denken. Aber was haben Lebensmittel und Nahrungsaufnahme an sich, dass uns der Gedanke daran so sehr befriedigt?

Ich vermute, es hat etwas mit Thanatos zu tun. Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass die Menschen des Viktorianischen Zeitalters vom Tod besessen waren, es jedoch nicht ertrugen, über Sex zu reden, und bei uns ist es genau umgekehrt. Zufluss, Abfluss. Wir reden über Essen, Jugend und Sex. Den Beginn der Dinge. Wir leben in diesen Anfängen, als könnte der erste Frühlingstag ewig dauern. Wenn wir uns nur auf die Nahrungsaufnahme konzentrieren - Esse ich genug oder zu viel, und sind es auch die richtigen Lebensmittel? -, können wir unsere Exkremente einfach mit einem sauberen Wasserschwall wegspülen, ohne jemals wieder daran zu denken - oder an das, was sie verkörpern. Wenn wir unser Augenmerk ausschließlich auf die Jugend richten, können wir unsere Alten in Heime stecken und brauchen sie nicht mehr zu sehen oder uns Gedanken über sie zu machen. Wenn wir ständig über Sex reden, den Anfang allen Seins, bleibt kein Raum mehr für den Tod: das Ende von allem.

Ist es also möglich, in Exkrementen etwas Wunderbares zu sehen? Und würde es uns als Gesellschaft und als Individuen besser gehen, wenn wir herausfänden, wie das zu bewerkstelligen wäre? Ich glaube schon, und ich vermute, eine umfassende Würdigung der Funktionsweise unserer furchteinflößenden körpereigenen Kotmaschine, des Darms, wäre in dieser Hinsicht ein Schritt in die richtige Richtung.

Natürlich kann Kot etwas Wunderbares sein, wie jeder bestätigen wird, der schon einmal an Verstopfung gelitten hat. Mein Bruder und seine Frau haben kürzlich eine Tochter bekommen und mich dadurch zum ersten Mal zur Tante gemacht. Nicht nur sie, wir alle waren begeistert, als die Kleine zum ersten Mal ausgiebig gesunden Kot ausgeschieden hat. Kot produzieren, bedeutet, dass alles richtig funktioniert. Rein, raus. Kot produzieren bedeutet: Genau so soll es ablaufen. Und natürlich gilt das Gleiche auch für den Tod, zumindest wenn er am Ende eines langen, sinnvollen Lebens erfolgt. Es könnte sein, dass die Natur weiß, was sie tut, es könnte sein, dass jener...

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Autor

Naomi Alderman ist in London aufgewachsen und studierte in Oxford und an der University of East Anglia. Für ihren Roman »Die Gabe« wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet. »Die Gabe«, für Amazon Prime spektakulär verfilmt, wurde außerdem von der »New York Times«, der »Washington Post« und der »Los Angeles Times« zum Roman des Jahres gekürt, sowie von Barack Obama und Bill Gates persönlich empfohlen. Naomi Alderman ist Mitglied der Royal Society of Literature, ihre Werke wurden in über fünfunddreißig Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in London.