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Eine Handvoll Asche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.05.2019
Kalkutta 1921. Der Besuch einer Opiumhöhle nimmt für den britischen Ermittler Sam Wyndham ein unerwartetes Ende, als er im Rausch von einer Razzia überrascht wird und nun unerkannt vor seinen eigenen Leuten fliehen muss. Noch benommen vom süßlichen Rauch will er über das Dach des Hauses flüchten - und stößt auf eine Leiche. Mit zwei Stichen niedergestreckt, die Augen gewaltsam entfernt. Doch Wyndham hat keine Zeit, den Schauplatz genauer zu untersuchen. In letzter Sekunde bringt er sich selbst in Sicherheit.
Aber der grausame Fund ist erst der Auftakt einer Reihe blutiger Ritualmorde, die das politisch immer unruhiger werdende Kalkutta in Angst und Schrecken versetzen.

Abir Mukherjee ist Brite mir indischen Wurzeln: Seine Eltern wanderten in den Sechzigerjahren nach England aus. Sein Debütroman Ein angesehener Mann schaffte auf Anhieb den Sprung auf die britischen Bestsellerlisten. Mukherjee lebt mit seiner Familie in London.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextKalkutta 1921. Der Besuch einer Opiumhöhle nimmt für den britischen Ermittler Sam Wyndham ein unerwartetes Ende, als er im Rausch von einer Razzia überrascht wird und nun unerkannt vor seinen eigenen Leuten fliehen muss. Noch benommen vom süßlichen Rauch will er über das Dach des Hauses flüchten - und stößt auf eine Leiche. Mit zwei Stichen niedergestreckt, die Augen gewaltsam entfernt. Doch Wyndham hat keine Zeit, den Schauplatz genauer zu untersuchen. In letzter Sekunde bringt er sich selbst in Sicherheit.
Aber der grausame Fund ist erst der Auftakt einer Reihe blutiger Ritualmorde, die das politisch immer unruhiger werdende Kalkutta in Angst und Schrecken versetzen.

Abir Mukherjee ist Brite mir indischen Wurzeln: Seine Eltern wanderten in den Sechzigerjahren nach England aus. Sein Debütroman Ein angesehener Mann schaffte auf Anhieb den Sprung auf die britischen Bestsellerlisten. Mukherjee lebt mit seiner Familie in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641245160
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum13.05.2019
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1836 Kbytes
Artikel-Nr.4281646
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

21. Dezember 1921

In einem Bestattungsinstitut auf eine Leiche zu stoßen ist nicht ungewöhnlich. Dass sie kurz zuvor noch aus eigener Kraft durch die Tür marschiert ist, dagegen schon. Ein zweifellos faszinierendes Rätsel, bloß fehlte mir die Zeit, mich damit zu beschäftigen, da ich gerade um mein Leben rannte.

Ein Schuss krachte. Die Kugel zischte an mir vorbei und traf nichts Heikleres als die auf dem Dach aufgehängte Wäsche. Meine Verfolger - allesamt Kollegen der Imperial Police Force - feuerten einfach blindlings in die Nacht. Damit war natürlich keineswegs ausgeschlossen, dass sie mit dem nächsten Versuch einen Glückstreffer landeten, und auch wenn ich mich nicht vor dem Tod fürchtete, sollte die Inschrift auf meinem Grabstein nicht unbedingt lauten: »Beim Versuch zu fliehen in den Rücken geschossen.«

Also rannte ich, benebelt vom Opium, über die Dächer des schlafenden Chinesenviertels, rutschte auf losen Tonziegeln aus, die polternd hinunterfielen und am Boden zerschellten, und kletterte von einem Dach aufs nächste, bevor ich schließlich unter dem Vorsprung einer niedrigen Mauer, die zwei Häuser voneinander trennte, eine schmale Öffnung entdeckte, in die ich mich zwängte.

Die Polizisten kamen immer näher. Während ich darum bemüht war, meine Atmung so schnell wie möglich zu beruhigen, bellten sich die Stimmen über mir kurze Meldungen zu, die in der Dunkelheit verhallten. Allem Anschein nach hatten sie sich aufgeteilt und suchten jetzt in einem gewissen Abstand voneinander. Das war gut. Es bedeutete, dass sie ebenso ziellos im Dunkeln herumtappten wie ich. Einstweilen bestanden meine besten Fluchtchancen darin, mucksmäuschenstill in diesem Versteck auszuharren.

Würde man mich schnappen, hätte das einige ziemlich unangenehme Fragen zur Folge, deren Beantwortung ich gerne vermeiden wollte. Etwa die, was ich mitten in der Nacht, nach Opium stinkend und mit fremdem Blut verschmiert überhaupt in Tangra zu suchen habe. Und dann war da noch die Sache mit dem sichelförmigen Messer in meiner Hand. Auch dieses Detail würde nicht einfach zu erklären sein.

Meine Haut roch nach Schweiß und Blut, und ich begann zu zittern. Kalkutta war kalt im Dezember, zumindest im Verhältnis zu den sonst hier herrschenden Temperaturen.

Fetzen von Wortwechseln drangen an mein Ohr. Das Jagdfieber meiner Verfolger schien sich in Grenzen zu halten. Wer konnte es ihnen verdenken? Die Wahrscheinlichkeit, über mich zu stolpern, war in etwa so groß wie die, vom Rand des Daches zu taumeln. Und in Anbetracht der Ereignisse der letzten Monate war es um ihre Moral vermutlich nicht zum Besten bestellt. Warum also einem vagen Schatten über die Dächer hinterherhetzen und dabei riskieren, sich das Genick zu brechen, wenn einem sowieso keiner für die Arbeit dankte? Ich beschwor sie stumm, endlich aufzugeben und abzudrehen, aber noch ließen sie nicht locker. Mit ihren Gewehrkolben und Lathis erklopften sie sich weiter den Weg durch die Dunkelheit wie Blinde, die eine Straße überquerten.

Eine bestimmte Folge von Kolbenschlägen wurde plötzlich lauter. Beharrlich schwoll ihr gleichförmiger Rhythmus an. Ich ging meine Optionen durch - beziehungsweise hätte es getan, wären mir welche eingefallen. Weglaufen kam nicht in Frage. Der Mann war bewaffnet und schien inzwischen so nahe, dass er mich selbst im Dunkeln ohne große Probleme treffen würde. Sich ihm entgegenzustellen ergab ebenso wenig Sinn. Ich hatte zwar das Messer, aber damit konnte ich ja schlecht auf einen meiner Kollegen losgehen, mal ganz abgesehen davon, dass bei drei weiteren Beamten in unmittelbarer Nähe die Chancen einer erfolgreichen Flucht schneller sanken als ein Tonkrug im Hugli.

Das Klopfen erreichte die dünne Mörtelschicht über meinem Kopf, und sofort ließ der Hohlraum es voller und tiefer klingen. Der Mann stand jetzt offenbar direkt über mir auf dem Mauervorsprung. Auch er hatte den veränderten Ton bemerkt und war abrupt stehen geblieben. Er tastete die Kante mit seinem Gewehrkolben ab, dann sprang er zu mir herunter. Ich schloss die Augen vor dem, was nun unausweichlich folgen musste, doch dann hörte ich eine Stimme einen Befehl bellen. Eine Stimme, die ich kannte.

»Also gut, Leute, das reicht. Kehrt, marsch.«

Die Stiefelspitzen wandten sich in Richtung des Kommandierenden und verharrten so ein paar endlose Sekunden lang, bis ihr Besitzer zu guter Letzt zurück auf die Mauerkante kletterte. Sobald sie verschwunden waren, atmete ich aus und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Meine Finger klebten noch immer vor Blut.

Die Stimmen entfernten sich, und über den Dächern kehrte wieder Stille ein. Einige Minuten später waren unten auf der Straße Ausrufe in Englisch, Bengalisch und Chinesisch zu hören, gefolgt von anspringenden Lastwagenmotoren. Ich rührte mich nicht von der Stelle, lag einfach nur zitternd in meinem engen Versteck und versuchte, aus der ganzen Sache irgendwie schlau zu werden.

Begonnen hatte die Nacht eigentlich ganz normal. Wobei »normal« hier zugegebenermaßen ein relativer Begriff war. Zumindest hatte sich die Nacht in nichts unterschieden von all den anderen Nächten, in denen ich eine der unzähligen Opiumhöhlen in Chinatown aufgesucht hatte. Von meiner Wohnung in der Premchand Boral Street war ich auf einem von vielen bereits erprobten Umwegen nach Tangra im Süden der Stadt gelangt. Dort hatte ich eine Adresse gewählt, bei der mein letzter Besuch, wie ich mich zu erinnern meinte, wenigstens einen Monat zurücklag. Die Räume befanden sich im Kellergeschoss einer maroden Häuserzeile, und der nasskalte Treppenschacht, der zu ihnen hinabführte, begann auf der Rückseite eines Bestattungsinstituts, aus dem es nach Formaldehyd und Tod stank. Es war eine meiner Lieblingsadressen, nicht etwa wegen der Qualität des Opiums - das war nicht besser als anderswo in der Stadt, mit anderen Worten: ein Teil Opium auf drei Teilen weiß Gott was -, sondern wegen der schaurig-morbiden Stimmung, die dem Ort anhaftete. Kalkuttas Opium raucht man eben am besten mit einem halben Dutzend Leichen ein Stockwerk über dem eigenen Kopf.

Ich war irgendwann nach Mitternacht angekommen, und der Türsteher hatte bei meinem Anblick ziemlich überrascht gewirkt. Verständlicherweise, obwohl er sich bestimmt nicht über mein Zittern wunderte - dafür hatte er schon zu viele Kunden mit ähnlichen Symptomen erlebt. Überrascht hatte ihn vielmehr meine Hautfarbe. Früher wäre ein Engländer mitten im nächtlichen Tangra nichts Außergewöhnliches gewesen, aber in den vergangenen zwölf Monaten hatte sich viel geändert. Durch die ausgedünnten Personalreihen war die Polizeipräsenz außerhalb der makellos gepflegten Straßen von White Town mittlerweile so schwach, dass man Sahibs nach Einbruch der Dunkelheit in Kalkutta nur noch selten begegnete. Zum Glück jedoch wogen in dieser Gegend der Stadt ökonomische Argumente weiterhin schwerer als Fragen der Rasse und Politik, weshalb mir der Fächer aus Rupienscheinen in meiner Hand auch ohne große Umstände Zutritt zum Keller verschaffte.

Der erste Zug an der ersten Pfeife war eine Erlösung. Als würde der Höhepunkt eines Fiebers überwunden. Bei der zweiten Pfeife hörte das Zittern auf, und bei der dritten beruhigten sich alle Nerven. Ich bestellte eine vierte. Waren die ersten drei rein medizinische Notwendigkeiten gewesen, galt die nächste allein dem Vergnügen. Sie würde mich auf den Weg ins NirboËn führen, wie die Bengalen Nirwana nannten. Mein Kopf ruhte auf der Stütze aus weißem Porzellan, während sich ein samtiger Schleier um meine Sinne legte. Das war der Augenblick, in dem der Ärger losbrach.

Zuerst Geräusche aus tausend Meilen Entfernung, abgehackt und unverständlich. Sie wurden immer lauter, bohrten sich durch den Nebel in meinem Kopf. Ich versuchte, mich davor zu schützen, indem ich fest die Augenlider zusammenpresste, bis plötzlich eins der Mädchen, die das O drehten und die Pfeifen zubereiteten, mich wie eine Stoffpuppe schüttelte.

»Sahib! Sie müssen jetzt gehen!«

Ich öffnete die Augen, und langsam nahm ihr stark gepudertes Gesicht Konturen an.

»Sie müssen gehen, Sahib. Polizeirazzia!«

Ihre Lippen waren blutrot gefärbt, und ein paar Sekunden lang schenkte ich diesem Anblick mehr Beachtung als dem, was sie sagte. Erst als ganz in der Nähe Möbelstücke umgeworfen wurden und Porzellan auf hartem Boden zerschellte, riss mich das aus meinem Bann. Ein Übriges tat die mächtige Ohrfeige, die sie mir verpasste.

»Sahib!«

Sie schlug erneut zu, und ich schüttelte mich wach.

»Polizei, Polizei, Sahib!«

Endlich kamen die Worte an. Ich rappelte mich auf, doch meine Beine waren so wacklig wie die eines frischgeborenen Kälbchens. Die junge Frau packte meinen Arm und zog mich fort von dem sich nähernden Lärm zu einem dunklen Durchgang auf der anderen Seite des Raums.

An der Türschwelle hielt sie inne und deutete mit ihrer freien Hand voraus. »Da lang, Sahib. An Ende sind Stufen. Hoch zu Rückseite.«

Ich sah sie an. Sie war noch kaum dem Kindesalter entwachsen. »Wie heißt du?«, fragte ich.

»Keine Zeit, Sahib«, sagte sie und wandte sich von mir ab. »Schnell gehen!«

Ich folgte ihren Anweisungen und stolperte in die Dunkelheit. Hinter mir konnte ich hören, wie sie versuchte, einen weiteren Kunden aus der Bewusstlosigkeit zu reißen. Blind ertastete ich mir einen Weg an den glitschig feuchten Wänden entlang. Der Steinboden war rutschig, und in der Luft hing der durchdringende Ammoniakgestank von altem Urin. In der Ferne schimmerte schwach irgendein bläuliches Licht über einer schmalen, durchhängenden Holztreppe. Ich hielt darauf zu, während mein Hirn weiter Karussell...

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Abir Mukherjee ist Brite mir indischen Wurzeln: Seine Eltern wanderten in den Sechzigerjahren nach England aus. Sein Debütroman Ein angesehener Mann schaffte auf Anhieb den Sprung auf die britischen Bestsellerlisten. Mukherjee lebt mit seiner Familie in London.