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Nur ein Wort von dir entfernt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.12.2019
Zwei Schwestern, die innig verbunden sind. Und ein einziger Moment, der alles zerstört.
Seit 30 Jahren haben die Schwestern Jess und Lily kein Wort mehr gewechselt. Seit einer traumatischen Nacht in ihrer Kindheit, die sie entzweit hat. Heute sind sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht: Die eine bangt als künstlerische Single Mom jeden Monat um die Miete, die andere führt ein Leben wie in einem Hochglanzmagazin. Ihr Leben wird erneut auf den Kopf gestellt, als ihre Mutter Audrey nur noch wenige Monate zu leben hat. Sie setzt alles daran, ihre beiden Töchter zu versöhnen, womit ein unvorstellbares Geheimnis ans Licht zu kommen droht ...

Nach einem Englisch-Studium am King's College in London hat Hannah Beckerman zwölf Jahre beim Fernsehen gearbeitet. Heute ist sie Vollzeit-Journalistin und -Autorin. Sie schreibt u.a. für den Observer und den Sunday Express. Hannah Beckerman lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in London.
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Produkt

KlappentextZwei Schwestern, die innig verbunden sind. Und ein einziger Moment, der alles zerstört.
Seit 30 Jahren haben die Schwestern Jess und Lily kein Wort mehr gewechselt. Seit einer traumatischen Nacht in ihrer Kindheit, die sie entzweit hat. Heute sind sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht: Die eine bangt als künstlerische Single Mom jeden Monat um die Miete, die andere führt ein Leben wie in einem Hochglanzmagazin. Ihr Leben wird erneut auf den Kopf gestellt, als ihre Mutter Audrey nur noch wenige Monate zu leben hat. Sie setzt alles daran, ihre beiden Töchter zu versöhnen, womit ein unvorstellbares Geheimnis ans Licht zu kommen droht ...

Nach einem Englisch-Studium am King's College in London hat Hannah Beckerman zwölf Jahre beim Fernsehen gearbeitet. Heute ist sie Vollzeit-Journalistin und -Autorin. Sie schreibt u.a. für den Observer und den Sunday Express. Hannah Beckerman lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641239169
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum09.12.2019
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1289 Kbytes
Artikel-Nr.4282336
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel eins

Audrey

Audrey Siskin saß auf dem Bett, die Handflächen neben sich auf der Bettdecke abgestützt, die Arme durchgedrückt, als wüsste sie nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte. Ihr Blick glitt durch das Zimmer, in dem sie von nun an wohnen sollte. Vertraute Objekte standen einsam und verloren herum wie Kinder am ersten Schultag in einem Klassenraum. Das schmiedeeiserne Doppelbett, in dem sie ihre ganze Ehe hindurch und später auch allein geschlafen hatte; die weiß gestrichene Frisierkommode, ein Kindheitstraum, den sie sich aber erst als Erwachsene hatte erfüllen können; der große Eichenschrank, den Edward und sie gekauft hatten, als sie in das Haus in Barnsbury Square gezogen waren, frisch verheiratet und sie im fünften Monat schwanger.

Audrey beugte sich vor und riss das Paketband von einem der zwei Dutzend Kartons, die überall im Raum standen, aber sie konnte sich nicht überwinden, den Deckel zu öffnen. Sobald sie ausgepackt hätte, gäbe es kein Zurück mehr.

Es ist nicht weit, Mum. Nur ein paar Meilen. Du wirst sehen, es ist gar nicht so anders.

Das hatten ihre beiden Töchter zu ihr gesagt, unabhängig voneinander, aber mit der gleichen Überzeugung. Und praktisch - genau genommen geografisch - gesehen, hatten Lily und Jess recht. Es waren nicht einmal sieben Meilen, Luftlinie noch weniger. Ein einfacher Wechsel vom Norden Londons in den Westen der Stadt. Islington statt Shepherd´s Bush. Georgianischer statt viktorianischer Stil. Doch Audrey hatte das Gefühl, die Erde gegen den Mond getauscht zu haben.

Sie wusste, dass sie großes Glück hatte mit zwei Töchtern, die darum wetteiferten, bei wem von beiden sie wohnen würde. Und sie wusste, dass es besser war, diesen Schritt jetzt zu tun, und nicht erst in einem Jahr, wenn ihr der Umzug noch schwerer fallen würde. Doch Audrey konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass das alles nicht so sein sollte. Kinder sollten nicht für ihre Eltern verantwortlich sein, dadurch wurde die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt. Doch dann wiederum, dachte Audrey, während vor ihrem geistigen Auge Bilder von all den Ereignissen abliefen, die sie vergessen hätte, wenn Vergessen möglich gewesen wäre, hatten sehr viele Ereignisse in ihrem Leben die natürliche Ordnung durcheinandergebracht. So viele entscheidende Momente - Geburten, Todesfälle, Hochzeiten - hatten sich nicht so zugetragen, wie es der Fall gewesen wäre, hätte die Erde sich einfach weiter verlässlich um ihre eigene Achse gedreht.

»Granny, wie kommst du zurecht? Benötigst du Hilfe?«

Mias Stimme drang die Treppe hinauf in das Zimmer, das bis zu diesem Tag ihres gewesen war. Von nun an würde sie in der kleinen Kammer im obersten Stockwerk schlafen, wo früher einmal der Dachboden gewesen war. Ein Hauch von Besorgnis hatte in dem Tonfall ihrer Enkelin gelegen, die sich jedoch sogleich wieder um einen annähernd normalen Ausdruck bemühte.

»Nein, vielen Dank, Liebling. Ich will nur schon mal ein paar Kisten auspacken. Ich komme gleich runter.« Entschlossen stand sie auf, begleitet von dem Quietschen der Sprungfedermatratze, und blickte sich in ihrem neuen Zuhause um. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Im Zustand dumpfer Benommenheit hatte sie ihre Sachen zusammengepackt und erinnerte sich nun nicht mehr, was sie weggeworfen und was sie behalten hatte.

Nachdem sie das Klebeband von einem weiteren Karton gerissen und den Deckel geöffnet hatte, blickte sie auf einen Haufen sorgfältig eingewickelter, ordentlich aufeinandergestapelter Gegenstände. Sie packte den ersten aus und entdeckte eine gerahmte, bereits leicht verblasste Fotografie. Während sie sich das Bild ansah, spürte sie den Sand der Zeit durch das Stundenglas zurückrinnen.

Ihre Mädchen am Strand - das musste Woolacombe Bay sein. Sie liefen am Wasser entlang, Arme und Beine verschwommen, weil sie zu schnell durch das Bild gerannt waren. Die Sonne stand hoch an einem wolkenlosen Himmel, und das indigoblaue Meer reichte bis zum Horizont. In der Ferne das winzige weiße Dreieck eines Segels. Ihre Mädchen liefen Hand in Hand, lachend. Ein Lichtstrahl fiel quer durch das Bild und tauchte sie in einen engelhaften Schein.

Audrey ließ die Finger über das Glas gleiten, über geflochtene Haare, gebräunte Körper und sonnengerötete Wangen, und beinahe meinte sie die Hitze dieses Tages zu spüren. Sie konnte das Gelächter ihrer Töchter hören, die tosende Brandung am Strand, das Geschrei der Möwen am Himmel. Sie konnte das Salz in der Luft riechen, den Sand zwischen den Zehen spüren, und die Freude ihrer Töchter. Sie sehnte sich danach, in das Foto einzutauchen, die Arme um die Schultern der Kinder zu schlingen, sie fest an sich zu ziehen und nie wieder loszulassen.

Audrey umklammerte das Foto, und ihr Herz krampfte sich zusammen.

Mittlerweile gaben ihr häufig nur noch Fotografien die Gewissheit, dass sie sich das alles nicht nur ausgedacht hatte, dass es nicht nur Einbildung war. Dass ihre Töchter, früher einmal, Freundinnen gewesen waren.

Sie atmete langsam tief durch, während sie an die vielen verlorenen Jahre dachte. Beinahe drei Jahrzehnte lag es nun schon zurück, dass Jess sich gegen Lily gewandt hatte, und der Gedanke kam ihr immer noch unwirklich vor. Audrey sah die zehnjährige Jess vor ihrem geistigen Auge, ihre quasi über Nacht verhärteten Gesichtszüge, als ob diese Ereignisse, die kein Kind erleben sollte, Audreys kleines Mädchen gestohlen und sie durch ein Mädchen ersetzt hätten, das sie kaum wiedererkannte. Monatelang hatte Audrey gehofft, der tief sitzende Schock wäre der Grund für Jess´ Veränderung gewesen und dass sie bald wieder das glückliche kleine Mädchen von früher sein würde. Jahrelang hatte sie sich an den Glauben geklammert, dass die Kindheitserlebnisse Lily und Jess irgendwann wieder zusammenbringen würden. Doch stattdessen hatten sie ihre Familie auseinandergerissen.

Audreys Puls schlug schneller, als sie an all die Mahlzeiten dachte, die sie in vollkommenem Schweigen verbracht hatten: Audrey, Lily und Jess an einem Küchentisch, der zu groß für drei Personen war. Audreys bemüht fröhliche Stimme, wenn sie die Mädchen nach ihrem Tag in der Schule fragte, und ihr Versuch, trotz Jess´ einsilbiger Antworten ruhig zu bleiben. Sie konnte ihre Hand sehen, wie sie an Jess´ Zimmertür klopfte, um zu fragen, ob sie mit ihnen Fernsehen schauen wolle, und hörte Jess´ immer gleiche kategorische Antwort: Nein, ich will nur allein sein. Immer wieder hatte Audrey sich im Laufe der Jahre gefragt, was ihr entgangen war und ob sie etwas hätte anders machen können, um zu verhindern, dass ihre Töchter sich so voneinander entfremdeten. Unzählige Male der gleiche Gedanke, seit Jess von zu Hause fortgegangen war und jegliche Verbindung zu Lily gekappt hatte. Audrey hatte Jess angefleht, ihr den Grund für ihr Verhalten zu nennen, aber Jess hatte sich stets geweigert, sich ihr anzuvertrauen. Nun hatte Audrey zwei Töchter, die nicht miteinander sprachen, und zwei siebzehnjährige Enkelinnen - die eine nur sechs Wochen älter als die andere -, die sich nicht treffen durften.

Sie krallte die Fingernägel in die Handballen, als sie an den letzten - gescheiterten - Versöhnungsversuch dachte.

»Granny, ist alles in Ordnung? Soll ich dir helfen?«

»Nein, danke, Liebling, mir geht´s gut. Ich trödele nur ein wenig.«

Gut. Audrey hatte keine Ahnung, warum sie ein Wort benutzte, das, wie sie alle wussten, weit von der Wahrheit entfernt war.

Ein Blick in den Spiegel der Frisierkommode sagte ihr, dass kein Anzeichen zu erkennen war, nichts, das sie verraten würde. Nur ein paar feine Augenfältchen. Ihre Haare, am Vortag im Friseursalon geföhnt, waren braun gefärbt und schwangen locker um ihre Schultern. Ihr Make-up, das sie am Morgen noch vor dem Anziehen aufgetragen hatte, war makellos.

Die Leute sagten oft, dass sie gar nicht wie zweiundsechzig aussehe. Sie sehen mindestens zehn Jahre jünger aus, bekam sie häufig zu hören und war dumm genug zu glauben, dass etwas Wahres daran sei, dass der äußere Schein von Wohlbefinden automatisch zu ihrem Inneren durchdrang. Als ob ein wunderbar appetitlicher Apfel innen nicht verfault sein könnte, wenn man hineinbiss.

Nur bei genauerem Hinsehen, das wusste Audrey, fielen einem die halbmondförmigen blasslila Schatten unter ihren Augen oder das häufige Stirnrunzeln auf. Nur bei intensiver Beobachtung bemerkte man ihre Kurzatmigkeit, das leichte Keuchen, als ob etwas Luft zurückgeblieben wäre und nun hinterherwollte. Doch nichts in ihrem Gesicht verriet dem zufälligen Betrachter, dass die Zellen in Audreys Innerem sich mit unablässiger Geschwindigkeit teilten und vermehrten. Nichts konnte über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie sterbenskrank war.

Audrey wandte sich vom Spiegel ab und beugte sich zu dem Karton auf dem Boden hinunter. Als sie die Hand hineinstreckte, durchfuhr ein stechender Schmerz die rechte Seite ihres Unterleibs, und sie musste sich wieder aufs Bett setzen. Während sie mit langsamen Atemzügen gegen den Schmerz ankämpfte, begriff Audrey, warum Jess sie zu einem schnellen Umzug gedrängt hatte. Audrey hatte noch abwarten wollen, sie hatte ihr Haus und ihre Unabhängigkeit so lange wie möglich behalten wollen, hatte gehofft, in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können, bis ihr Körper ihr seinen Dienst versagte. Jetzt war sie Jess für ihren Ratschlag dankbar, dankbar, dass sie das Haus und die Möbel verkauft und nur das...

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Nach einem Englisch-Studium am King's College in London hat Hannah Beckerman zwölf Jahre beim Fernsehen gearbeitet. Heute ist sie Vollzeit-Journalistin und -Autorin. Sie schreibt u.a. für den Observer und den Sunday Express. Hannah Beckerman lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in London.