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Wir sehen dich sterben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am01.10.2019
Berlin: An einem Dezembersonntag soll MyView der Weltöffentlichkeit präsentiert werden. Bei dem geheimen Projekt wurde eine bahnbrechende Technologie entwickelt: Mithilfe eines Chips im Sehnerv kann das Blickfeld eines Menschen live auf einen Bildschirm übertragen werden. Einen Tag vor der Präsentation entdeckt die junge Wissenschaftlerin Nina Kreutzer Videostreams, die durch die Augen von sechs ihr unbekannten Menschen blicken lassen. Menschen, die offensichtlich nicht wissen, dass ihnen ein Chip implantiert wurde - und die jetzt einer nach dem anderen ermordet werden. Zusammen mit dem Polizisten Tim Börde beginnt für Nina ein Wettlauf gegen die Zeit ...

Michael Meisheit, 1972 in Köln geboren, studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Drehbuch und ist seit über zwanzig Jahren im deutschen Fernsehgeschäft aktiv. Meisheit lebt mit seiner Familie in Berlin-Kreuzberg.
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Produkt

KlappentextBerlin: An einem Dezembersonntag soll MyView der Weltöffentlichkeit präsentiert werden. Bei dem geheimen Projekt wurde eine bahnbrechende Technologie entwickelt: Mithilfe eines Chips im Sehnerv kann das Blickfeld eines Menschen live auf einen Bildschirm übertragen werden. Einen Tag vor der Präsentation entdeckt die junge Wissenschaftlerin Nina Kreutzer Videostreams, die durch die Augen von sechs ihr unbekannten Menschen blicken lassen. Menschen, die offensichtlich nicht wissen, dass ihnen ein Chip implantiert wurde - und die jetzt einer nach dem anderen ermordet werden. Zusammen mit dem Polizisten Tim Börde beginnt für Nina ein Wettlauf gegen die Zeit ...

Michael Meisheit, 1972 in Köln geboren, studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Drehbuch und ist seit über zwanzig Jahren im deutschen Fernsehgeschäft aktiv. Meisheit lebt mit seiner Familie in Berlin-Kreuzberg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641244484
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum01.10.2019
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1829 Kbytes
Artikel-Nr.4310806
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Berlin-Mitte

Samstag, 10:00 Uhr

Franziska traute ihren Augen nicht. Jemand war an ihrem Computer gewesen. Sie sah es am »N«. Die Taste war schon seit Tagen locker. Weil Franziska bisher keine Zeit gehabt hatte, sich eine neue Tastatur zu besorgen, hatte sie sich beim Schreiben einen sanften Druck auf das N angewöhnt. Jetzt aber war es abgebrochen. Die Taste lag lose an ihrem Platz auf der Tastatur. Jemand musste sie mit hartem Anschlag überstrapaziert haben - jemand mit höherer Zugangsberechtigung als sie. Denn als Franziska das Einloggprotokoll aufrief, entdeckte sie eine Kennung, die auf den Inner Circle der Firma hinwies. Nur eine Handvoll Leute konnte diese Kennung verwenden. Drehten denn jetzt alle durch?

Franziska ließ ihren Blick durch das Großraumbüro wandern, das sie von ihrem Eckplatz aus gut überblicken konnte. Die noch tief stehende Sonne schien durch die Fensterfront auf eine Armada modernster Computer. In dem aufwendig sanierten Altbau hatte man für die IT-Experten eine besonders schöne Etage eingerichtet: hohe Decken, Sitzecken zum Entspannen, Espressomaschinen so weit das Auge reichte, sogar den obligatorischen Tischkicker gab es. Überall klackerten die Tastaturen, Kaffeegeruch durchzog den Raum. Die gesamte IT-Abteilung war auf den Beinen, und das, obwohl es Samstagmorgen war. Auch im Innenhof des komplett von GEM belegten Gebäudes herrschte geschäftiges Treiben. Eine Bühne wurde aufgebaut, eine Dachplane gegen das launige Dezemberwetter installiert, Monitore in jeder Ecke aufgestellt. Morgen Abend würde dort die große Präsentation stattfinden, die seit Wochen alle nervös machte. Nervöser, als es sonst bei der Vorstellung neuer Software der Fall war. Aber ging deswegen einer der Chefs so weit, dass er sich nachts an Franziskas Computer schlich?

Auch wenn sie eigentlich tausend andere Dinge zu tun hatte, durchforstete sie das gesamte System, um herauszufinden, was der unbekannte Eindringling gemacht hatte. Auf den ersten Blick konnte sie nichts finden, aber irgendwann blieb sie am Volumen der gestreamten Daten hängen. Es war deutlich höher als in der letzten Zeit, dabei waren die Streams für die Präsentation noch gar nicht gestartet. Tatsächlich: Als sie sich tiefer ins System vorgearbeitet hatte, entdeckte Franziska gleich acht neue hochauflösende Videostreams, die permanent mit Daten gefüttert wurden. Aus dem Inner Circle heraus. Aus dem Bereich der Firma, den sie seit drei Jahren nicht mehr betreten durfte - weder räumlich noch virtuell. An die Quelle der Daten würde Franziska nicht herankommen, aber auch wenn die Streams gut versteckt waren, so musste sie doch das Ziel finden können. Schließlich war sie die technische Verantwortliche für die Videostreams von GEM. Wenige Minuten später hatte sie acht fast identische Internetadressen gefunden, auf denen die Streams zu sehen waren. Externe Adressen mit dem Namen foryoureyesonly.de und einer komplizierten Buchstabenfolge. Passwortgeschützt.

Eigentlich hätte Franziska an dieser Stelle ihre Suche einstellen können. Jemand aus der Führungsetage hatte Streams installiert, die sie nicht sehen sollte. Das war bei der strengen Geheimhaltung, die GEM seit einiger Zeit betrieb, nicht einmal verwunderlich. Weiterzuforschen konnte ihr Ärger einbringen. Aber Franziska war nach wie vor empört, dass jemand an ihrem Arbeitsplatz gewesen war. Sie ahnte sogar, wer, schließlich hatte ihre Affäre mit ihm Franziska den Zugang zum Inner Circle gekostet. Christoph Becker war der Head of Research bei GEM. Sie hatte schon mit ihm an der Humboldt-Universität zusammengearbeitet, bevor der Internetmogul Ruby sie alle zu GEM geholt hatte. Der Milliardär war für dieses Projekt aus seiner Wahlheimat Amerika nach Berlin zurückgekehrt. Ruby - der eigentlich Philipp Rubinski hieß - hatte die Affäre seines plötzlich wichtigsten Mannes mit einer untergeordneten IT-Expertin als lästig empfunden. Franziska war sicher, dass er Christoph zur Beendigung der Affäre gedrängt hatte. Daraufhin war Franziska aus dem ultramodernen Untergeschoss mit den Forschungseinrichtungen in die IT-Abteilung versetzt worden. Von ihrem neuen Arbeitsplatz aus hatte sie zwar einen wunderschönen Blick auf den Gendarmenmarkt, aber trotzdem hatte es sie geschmerzt, das alte Projekt nicht weiterverfolgen zu dürfen. Kein Tag verging, an dem sie nicht darüber nachdachte, GEM zu verlassen. Eigentlich hatte sie zu ihrem kürzlich gefeierten dreißigsten Geburtstag woanders durchstarten wollen, aber niemand zahlte so gut wie Ruby. Mit der Überzeugung, dass ihr mehr Wissen über das Geschehen im Inner Circle zustand, setzte Franziska ein Brute-Force-Programm auf die Passwortsuche an. Mit roher Gewalt wurden nun alle erdenklichen Passwörter durchprobiert. Die Innenseiten ihrer Hände wurden feucht, während sie auf den Monitor starrte und auf das Ergebnis wartete.

»Schicke Bluse.«

Franziska zuckte zusammen. Sie hatte Martin nicht kommen hören. Der junge IT-Mann mit der Nickelbrille stand linkisch vor ihrem Schreibtisch und missbrauchte die gelobte Bluse, um einen Blick auf Franziskas Brüste werfen zu können. Franziska seufzte innerlich. Sie hasste diese Nerds. Gut, sie war letztlich selbst einer von ihnen. Aber einer mit überdurchschnittlich großer Oberweite, weswegen sie in jeder IT-Abteilung für Unruhe sorgte. Sie wusste, dass sie mit ihren störrischen dunkelblonden Haaren und dem Mondgesicht keine auffallende Schönheit war. Umso mehr ärgerte es sie, wenn die Männer nur ihr Dekolleté beachteten. In früheren Jahren hatte sie sogar versucht, ihren Körper so gut es ging zu verhüllen. Weite Tops, Halstücher. Aber aus dem Alter war sie heraus. Nicht sie hatte das Problem, sondern die Kerle. Wenigstens brachte es nun einen Vorteil: Martin nahm nicht wahr, was auf Franziskas Bildschirm geschah. Sie wechselte mit einem Klick auf ein anderes Fenster und fixierte Martin genervt.

»Hast du nichts zu tun?«, zischte sie.

»Doch, doch.«

Er seufzte, bewegte sich aber nicht von der Stelle.

»Das Neueste gehört?«, sagte er stattdessen. »Irgendwelche Islamisten haben schon mal vorsorglich wegen morgen protestiert.«

Das war Franziska tatsächlich neu. Die Spekulationen darüber, was bei der Präsentation von GEM am nächsten Tag der Weltöffentlichkeit gezeigt werden könnte, nahmen absurde Züge an. Offiziell sollte eine neue Version des Bildbearbeitungsprogrammes Vision vorgestellt werden. Das Programm, mit dem Ruby zum Milliardär geworden war und mit dem er seit den Neunzigerjahren den Markt beherrschte. Aber Ruby und seine Firma GEM hatten längst weitere Geschäftsfelder erschlossen. Von Social-Media-Netzwerken bis hin zu Weltraumflügen war alles dabei. Vor einigen Jahren hatte er versucht, von Dubai aus ein Online-Netzwerk für muslimische Frauen aufzubauen, um sie aus ihrer Isolation zu holen. Das Projekt war am Widerstand in den arabischen Ländern, aber auch am Desinteresse der Frauen gescheitert. Es hatte sich allerdings mittlerweile herumgesprochen, dass es bei der Präsentation am nächsten Tag ein »One last thing« geben würde - wie es Apple gerne zelebrierte. Eine Überraschung zum Schluss, die angeblich alles Bisherige in den Schatten stellen sollte. Einige Gerüchte besagten, dass es die Neuauflage des Frauennetzwerkes sein würde. Solch ein politisch heikler Vorstoß würde natürlich die Geheimhaltung erklären, die es in der letzten Zeit gegeben hatte. Aber Franziska glaubte nicht daran. Dafür war Christoph zu aufgeregt gewesen, als Franziska ihn das letzte Mal bei einer internen Besprechung gesehen hatte. Mit dem Frauennetzwerk hatte er nichts zu tun, seine Expertise lag woanders. Sie hatte natürlich einen Verdacht, und wenn Martin sie endlich allein ließe, könnte sie den vielleicht bestätigen, wie ein Blick auf ihren Bildschirm offenbarte: Eine Leiste blinkte. Das Brute-Force-Programm hatte ein Passwort gefunden.

»Okay«, sagte sie zu Martin. »Sonst noch was?«

»Mann, hast du mal wieder ne Laune.«

Er seufzte erneut und ging mit einem letzten Blick auf ihre schicke Bluse davon. Sie wartete, bis er außer Sichtweite war, dann klickte sie auf das Fenster mit den Streams. Sie hatte acht Unterfenster geöffnet, die offensichtlich alle mit demselben Passwort geschützt gewesen waren. Bis auf zwei, die schwarz waren, zeigten alle Streams bewegte Bilder. Franziska lief ein Schauer über den Rücken. Gänsehaut. Mit offenem Mund starrte sie auf die Streams: ein Einkaufsregal in einem Supermarkt; eine herrliche Berglandschaft; ein Taxi, das an einer Tankstelle betankt wurde; ein Mann beim Frühstück; der Blick aus einem Dachgeschossfenster auf eine Großstadt; ein Fernseher, auf dem eine Kinderserie lief. Natürlich waren die Bilder für sich genommen nichts Besonderes. Die Perspektiven dagegen schon. Jeder Stream zeigte die persönliche Sicht eines Menschen auf sein Leben. Es war, als ob Franziska durch die Augen dieser Leute blickte. Nein, Franziska wusste es besser: nicht als ob. Sie schaute durch deren Augen.

Christoph und Ruby hatten es also tatsächlich geschafft. Franziska war sich nun sicher: MyView war die Sensation, die am nächsten Tag der Welt präsentiert werden sollte. Eine Mischung aus Aufregung, Stolz und Enttäuschung machte sich in der Informatikerin breit. Sie war schon bei den Vorgängerprojekten und dem Anfang von MyView dabei gewesen. Sie hatte bei den Grundlagen für diese bahnbrechende Erfindung...

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