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Hundert Jahre Rotes Wien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
78 Seiten
Deutsch
Picus Verlagerschienen am06.05.20191. Auflage
Das 'Rote Wien' wird vielfach als Modell für eine moderne Großstadt angesehen. Das ist in vielerlei Hinsicht richtig. Was in einem guten Jahrzehnt geleistet wurde, war vorbildlich. Das gilt für den sozialen Wohnbau, die medizinische Versorgung, die Infrastruktur, das Schul- und Kindergartenwesen, die Wissenschaft und Volksbildung, aber auch für die Förderung der Künste und deren breite Vermittlung. Das 'Rote Wien' war aber auch mehr: Es war das gesellschaftspolitische Experiment, für 'Neue Menschen' die 'Neue Stadt' zu bauen, ein Unterfangen mit Risiken und Widersprüchen. Doch was sind die Zukunftsprognosen dieser gelebten Utopie, was für ein gemeinsames Morgen wünschen wir uns?

Helmut Konrad, 1948 geboren, war 1993 bis 1997 Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des dortigen Instituts für Geschichte. Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur politischen Geschichte der Ersten Republik und zur Alltagsgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen. Im Picus Verlag erschien 2019 in der Reihe Wiener Vorlesungen als Band 193 gemeinsam mit Gabriella Hauch 'Hundert Jahre Rotes Wien'. Die Doppelbiografie 'Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak' erscheint im Herbst 2021. Gabriella Hauch, Universitätsprofessorin für Geschichte der Neuzeit/Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien; 2000-2011 Gründungsprofessorin des Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Linz; Co-Leiterin der Arbeitsgruppe frauenwahlrecht.at: Ausstellung und Buch 'Sie meinen es politisch!' 100 Jahre Frauenwahlrecht, Volkskundemuseum Wien. Gemeinsam mit Hemut Konrad erschien 2019 der Band 'Hundert Jahre Rotes Wien' in der Reihe Wiener Vorlesungen.
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Produkt

KlappentextDas 'Rote Wien' wird vielfach als Modell für eine moderne Großstadt angesehen. Das ist in vielerlei Hinsicht richtig. Was in einem guten Jahrzehnt geleistet wurde, war vorbildlich. Das gilt für den sozialen Wohnbau, die medizinische Versorgung, die Infrastruktur, das Schul- und Kindergartenwesen, die Wissenschaft und Volksbildung, aber auch für die Förderung der Künste und deren breite Vermittlung. Das 'Rote Wien' war aber auch mehr: Es war das gesellschaftspolitische Experiment, für 'Neue Menschen' die 'Neue Stadt' zu bauen, ein Unterfangen mit Risiken und Widersprüchen. Doch was sind die Zukunftsprognosen dieser gelebten Utopie, was für ein gemeinsames Morgen wünschen wir uns?

Helmut Konrad, 1948 geboren, war 1993 bis 1997 Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des dortigen Instituts für Geschichte. Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur politischen Geschichte der Ersten Republik und zur Alltagsgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen. Im Picus Verlag erschien 2019 in der Reihe Wiener Vorlesungen als Band 193 gemeinsam mit Gabriella Hauch 'Hundert Jahre Rotes Wien'. Die Doppelbiografie 'Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak' erscheint im Herbst 2021. Gabriella Hauch, Universitätsprofessorin für Geschichte der Neuzeit/Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien; 2000-2011 Gründungsprofessorin des Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Linz; Co-Leiterin der Arbeitsgruppe frauenwahlrecht.at: Ausstellung und Buch 'Sie meinen es politisch!' 100 Jahre Frauenwahlrecht, Volkskundemuseum Wien. Gemeinsam mit Hemut Konrad erschien 2019 der Band 'Hundert Jahre Rotes Wien' in der Reihe Wiener Vorlesungen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783711754011
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum06.05.2019
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.193
Seiten78 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse876 Kbytes
Artikel-Nr.4404415
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Helmut Konrad
Das Rote Wien
Die Neue Stadt

Am 24. Oktober 1927 überreichte Josef Luitpold Stern dem Wiener Bürgermeister Karl Seitz ein Geschenkpaket. Der Geburtstag des Bürgermeisters, sein achtundfünfzigster, lag zwar schon fünfzig Tage zurück, aber es war ja auch mehr als Geschenk an die Stadt als an Karl Seitz gedacht. Das Paket war schwer, etwa drei Kilo, und groß, 42 mal 32 Zentimeter. Zwei Jahre hatten Josef Luitpold und Otto Rudolf Schatz, der großartige bildende Künstler, daran gearbeitet, und der Verlag der Büchergilde Gutenberg Berlin hatte es »vom Stock gedruckt«. Es ist ein Loblied auf die Neue Stadt, ein prachtvolles Kunstwerk, Text und Bild in wunderbarer Holzschnittarbeit.

Josef Luitpold Stern, der sein dichterisches Werk unter dem Pseudonym Josef Luitpold veröffentlichte, war Leiter der sozialdemokratischen Bildungszentrale und, aus einer assimilierten jüdischen Familie stammend, von Kindesbeinen an im sozialdemokratischen Milieu sozialisiert. Die Büchergilde Gutenberg hatte er mit begründet. Der Text allerdings ist wohl ganz bewusst ein Psalm, ein Gebet:

»â¦ Selig sind, die Häuser bauen für die Völker der Erde. Selig sind, die ihre Kraft einsetzen für die Heimstätten der Menschen ⦠Selig sind, denen das Herz ergrimmt vor den niedrigen Sinnen der Satten. Selig die Massen, wenn sie beginnen, die Erde in ein Heim für jeden zu wandeln ⦠Selig der Mensch der kommenden Tage, er kennt nicht die Steinschlucht der bösen Straßen, er kennt nicht das Schrecknis lichtlosen Atmens ⦠Der Neuen Stadt der Neue Mensch. O süsse Kindheit einer schönern Zeit. Selig, selig das Menschengeschlecht.«1

In diesem Werk verdichtet sich die Selbstinszenierung des »Roten Wien«, wie die Nachwelt dieses Experiment nannte, in ihrer eindringlichsten Form. Das Kunstwerk ist so bedeutend, dass es Platz in den von Wolfgang Maderthaner ausgewählten neunundneunzig Dokumenten fand, mit denen das Österreichische Staatsarchiv 2018 eindrucksvoll die gut tausendzweihundert Jahre österreichische Geschichte nachvollziehbar gemacht hat.2 Drei Monate nachdem der Justizpalast in Flammen gestanden war und die Arbeiterschaft schmerzlich zur Kenntnis nehmen musste, dass ihr Wien auch andere politische Kräfte beherbergte, wird die Stadt zur Insel für die »Neuen Menschen«. Dass es hier Opposition gab, dass die Stadt Sitz der Bundesbehörden, der Niederösterreichischen Landesregierung, des Parlaments und der Bundesregierung war und dass daher die im Psalm besungene Welt selbst in der Metropole nur eine Gegenkultur war, wenn auch eine bedeutsame und die Stadt gründlich überformende, wurde in diesem Kunstwerk ganz bewusst ausgeblendet. Die »Neue Stadt«, geschrieben und künstlerisch umgesetzt 1926 und in den ersten Monaten des Jahres 1927, benennt diese Widersprüche nicht, die zeitnah in ihrer gewaltsamen Eruption am 15. Juli 1927 etwa das dichterische Werk von Elias Canetti so entscheidend geprägt haben. Vielmehr entwirft Josef Luitpold ein Bild, das voller Versprechungen für eine glückliche Zukunft ist, gleichsam ein fast oder vielleicht sogar direkt religiöses Heilsversprechen, das er im »Roten Wien« sieht. Und es ist ein Versprechen für die »Massen«, ja sogar für das gesamte »Menschengeschlecht«.
Wien im Fokus der internationalen Forschung

Betrachtet man Wien von oben, etwa von einem Flugzeug im Landeanflug aus, so kann man die soziale Segmentierung der Metropole gut erkennen. Das Zentrum, umschlossen von der Ringstraße, bildet den historischen adelig-großbürgerlichen Kern. Hinaus bis zum Gürtel, dem zweiten Ring, prägt das Bürgertum den urbanen Raum. Außerhalb davon lebt der Großteil der arbeitenden Massen. Aber die Bereiche sind keine Parallelwelten, sie sind vielfach miteinander verwoben, bedingen einander sogar.3 Die nationale und internationale Forschung hat diese Verwobenheit und wechselseitigen Bedingungen sehr rasch deutlich gemacht. Weder räumlich noch zeitlich sind die Trennlinien, die man so klar zu erkennen glaubt, genau fixiert.

Die grandiose, kulturell produktive und widersprüchliche Stadt Wien um 1900 war früh in das Blickfeld der amerikanischen Forschung geraten. Carl Schorske, Wien lebenslang vor allem über das IFK verbunden, schrieb schon vor vier Jahrzehnten sein »Fin-de-Siècle Vienna: Politics and Culture«4, Anreger für die große Schau »Traum und Wirklichkeit« im Künstlerhaus, die 1985 von Hans Hollein gestaltet wurde und die weit über sechshunderttausend Besucherinnen und Besucher anlockte. Das dadurch geweckte Forschungsinteresse galt der vielsprachigen, multikulturellen Stadt und dem prägenden Anteil, den das Judentum in der kulturellen Entfaltung gespielt hatte. Sigmund Freud, Arthur Schnitzler und Stefan Zweig prägten das Bild dieser »Welt von Gestern«5 in der Metropole in den Jahren vor dem Großen Krieg. Steven Beller6 und andere Forscher folgten diesen Fragen.

Auf der Suche nach dem Erbe der kulturellen Hochblüte vor dem Ersten Weltkrieg wandte sich das Interesse bald dem Wien der Zwischenkriegszeit zu. Malachi Hacohen ging es etwa darum, in der österreichischen Sozialdemokratie dieses Erbe zu sehen und vor allem das »Rote Wien« als einen spannenden Lebensraum für das europäische Judentum zu definieren.7 Helmut Gruber hingegen warf schon 1991 einen kritischen Blick hinter die Fassade, auf die nicht immer glanzvolle Lebenswirklichkeit hinter dem Traum vom »Neuen Menschen«.8 In jüngster Zeit war es dann vor allem Eve Blau, deren Interesse von der Architektur kommt und deren großartiges Buch über die Architektur des »Roten Wien«9 die vielen österreichischen Arbeiten zur Stadtgeschichte10 um einen wichtigen Blick von außen ergänzte und erweiterte.

Die meisten dieser Arbeiten machen deutlich, dass der Blickwinkel zu eng ist, wenn man beim »Roten Wien« nur auf die Jahre ab 1920 schaut. Und sie zeigen auch, dass die räumlichen Trennlinien keine Segmentierung bedeuteten, sondern vielmehr jeweils Kehrseiten derselben Medaille sind. Jedenfalls wird das sozialdemokratische Experiment nur dann wirklich erfassbar, wenn man die historischen Kontinuitäten der Stadtentwicklung mit im Auge hat und letztlich auch die Kontinuität in der städtischen Beamtenschaft über die Bruchlinien hinweg, und zwar nicht nur über jene von 1918, sondern auch jene von 1934, wie man am Beispiel von Rudolf Neumayer zeigen kann, der nicht nur mit Hugo Breitner die Finanzpolitik des Roten Wien formte, sondern im Ständestaat weiter in der Stadtregierung und ab 1936 sogar in der Bundesregierung unter Kurt Schuschnigg für die Finanzen zuständig sein konnte.11
Zur Vorgeschichte

Die Entwicklung hin zu einer europäischen Metropole entwickelte sich in Wien im letzten halben Jahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg mit atemberaubender Geschwindigkeit. Über das ganze 19. Jahrhundert hinweg hatte sich die Einwohnerzahl der Stadt versiebenfacht, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass am 1. Jänner 1892 die Vororte eingemeindet wurden, was einerseits das Stadtgebiet von 55 auf 178 Quadratkilometer anwachsen ließ, anderseits den bis dahin achthunderttausend Einwohnern sechshunderttausend neue Stadtbewohner zuführte und Wien damit zur Millionenstadt machte.12 Aber auch unter den Neubürgern aus den Vororten überwog die Zahl der Zugewanderten. Zwei Drittel der Bewohner Wiens hatten vor dem Ersten Weltkrieg anderswo ihr Heimatrecht. Sie kamen aus fast allen Kronländern der Monarchie und brachten ihre kulturellen und sprachlichen Prägungen mit in die Großstadt. Prozentuell wuchsen einzelne Industrieorte Österreichs, etwa Steyr, sogar noch stärker, in Wien aber war die Vielfalt der Sprachen und Religionen doch beträchtlich größer als überall sonst in der österreichischen Reichshälfte. Von außen, etwa von Graz aus, war Wien »Babylon«, Graz sah sich daher als die größte »deutsche« Stadt der Monarchie, mit allen negativen Konsequenzen für die Folgejahrzehnte.

Wien faltete sich in den Jahren des Wachstums doppelt auf. Im »eloquentesten Ausdruck der bürgerlichen Macht«13, der Ringstraße, die mit ihren Prachtbauten durchaus den konservativen Geschmack der Oberschicht treffen konnte, da sie das historische Zitat bevorzugte, manifestierte sich die erste Faltung. Um und innerhalb des Rings wohnten der Adel und das Großbürgertum, außerhalb, in oft biedermeierlichem Ambiente, lebten die Beamten, Kaufleute und die breite bürgerliche Mittelschicht. Die äußeren Vorstädte, außerhalb der zweiten Faltung, waren zum kleineren Teil ländlich, zum größeren aber proletarisch. Das traditionelle Auffangbecken für die nicht deutschsprachige Zuwanderung waren vorerst Simmering und Favoriten, 1904 wurde Floridsdorf eingemeindet. In dieser Überformung des ländlichen Umfelds herrschte das Chaos des...
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Helmut Konrad, 1948 geboren, war 1993 bis 1997 Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des dortigen Instituts für Geschichte. Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur politischen Geschichte der Ersten Republik und zur Alltagsgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen. Im Picus Verlag erschien 2019 in der Reihe Wiener Vorlesungen als Band 193 gemeinsam mit Gabriella Hauch "Hundert Jahre Rotes Wien". Die Doppelbiografie "Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak" erscheint im Herbst 2021.

Gabriella Hauch, Universitätsprofessorin für Geschichte der Neuzeit/Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien; 2000-2011 Gründungsprofessorin des Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Linz; Co-Leiterin der Arbeitsgruppe frauenwahlrecht.at: Ausstellung und Buch "Sie meinen es politisch!" 100 Jahre Frauenwahlrecht, Volkskundemuseum Wien. Gemeinsam mit Hemut Konrad erschien 2019 der Band "Hundert Jahre Rotes Wien" in der Reihe Wiener Vorlesungen.

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