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Der Hammer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.09.20191. Auflage
Mit 15 Jahren kommt der begabte Joseph Hammer an den Wiener Hof, wo er 'Sprachknabe', Dolmetscher, werden soll. Joseph lernt Türkisch, Arabisch, Persisch, wird nach Konstantinopel entsandt, erlebt den Feldzug gegen Napoleon in Ägypten, sieht, was er nur aus Büchern kannte. Sein Leben lang vermittelt er zwischen Orient und Okzident und ist doch nirgends zuhause. Dass die Welt sein Genie nicht erkennt, schmerzt ihn. Er muss wohl erst etwas ganz Großes leisten: ein vollständiges Exemplar der Geschichten aus 1001. Nacht finden und übersetzen. Ein Leben zwischen dem Morgenland und dem genauso fremden Wien um 1800, Stermann erzählt es mit sanfter Ironie: ein mitreißender Roman um ein großes Thema: Die Sucht nach der Ferne, der Wunsch nach Unsterblichkeit.

Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextMit 15 Jahren kommt der begabte Joseph Hammer an den Wiener Hof, wo er 'Sprachknabe', Dolmetscher, werden soll. Joseph lernt Türkisch, Arabisch, Persisch, wird nach Konstantinopel entsandt, erlebt den Feldzug gegen Napoleon in Ägypten, sieht, was er nur aus Büchern kannte. Sein Leben lang vermittelt er zwischen Orient und Okzident und ist doch nirgends zuhause. Dass die Welt sein Genie nicht erkennt, schmerzt ihn. Er muss wohl erst etwas ganz Großes leisten: ein vollständiges Exemplar der Geschichten aus 1001. Nacht finden und übersetzen. Ein Leben zwischen dem Morgenland und dem genauso fremden Wien um 1800, Stermann erzählt es mit sanfter Ironie: ein mitreißender Roman um ein großes Thema: Die Sucht nach der Ferne, der Wunsch nach Unsterblichkeit.

Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644001527
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum17.09.2019
Auflage1. Auflage
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1610 Kbytes
Artikel-Nr.4416346
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel Der Sprachknabe

Zwei, drei. Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, jeder Schultag um sieben Uhr mit dem Gebet bei den Peiserstöcks. Josephs Kostherr war ein geborener Bauer, klein und verwachsen, und hatte es sich gemeinsam mit seiner Frau auf der niedersten Stufe krassester Bigotterie eingerichtet. Ihre Hauptsorge für den ihnen anvertrauten Kostknaben bestand darin, das regelmäßige Messehören zu überwachen und ihm die unzähligen Gotteshäuser der Hauptstadt zu zeigen. Die über zweihundert Kirchen und ihre Glocken. Peiserstöck, der Kürbisgesichtige, liebte die heiligen Stimmen der Glocken. Und es läutete immer in Wien. Fünfzig verschiedene Klänge zur Raum- und Zeitorientierung. Wien markierte das Zentrum des Glockeneuropas, die Glocken waren die offizielle Stimme der Reichshaupt- und Residenzstadt. Die bekannteste Glocke, die Pummerin, hing im Südturm des Stephansdoms. 1711 von Johann Achamer aus türkischen Kanonen gegossen, die man bei der glorreichen Verteidigung der Stadt kein Menschenalter zuvor erbeutet hatte, wog sie mehr als 40000 Pfund inklusive Klöppel und Joch, aber ihren tiefen Klang hörte man nur zu besonderen Anlässen. Am Heiligen Abend, am Stephanitag, zum Jahreswechsel, zur Osternachtfeier, zu Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt und an Allerseelen. Der Hausinspektor Peiserstöck stand dann jedes Mal mit geschlossenen Augen vor dem Dom und ließ sich vom tiefen Klang der Königin der Glocken ergreifen.

Die Wohnung der Peiserstöcks gehörte zum Klangterritorium von St. Anna. Die Glocke von St. Anna war Joseph inzwischen die vertrauteste. Sie läutete ihn durch den Tag. Morgens, mittags das Angelusläuten, dazu das Freitagsläuten, mit dem man einmal wöchentlich der Todesstunde Jesu gedachte, mehrmalige Aufrufe zum Gottesdienst, jeweils unterschiedlich intoniert an Werk-, Sonn- und hohen Festtagen. Das geübte katholische Ohr kannte sich aus. Dazu läutete es bei besonderen Anlässen wie Geburt, Taufe, Hochzeit und Begräbnissen. Die Glocken warnten vor Sturm und gefährlichen Angriffen, sie riefen zu Versammlungen und zum Schließen der Wirtshäuser. Bei Bränden bimmelte die «Feuerin», das «Zügenglöcklein» begleitete Sterbende, die eben in den letzten Zügen lagen. Beim Tod eines Mannes läutete es dreimal, bei dem einer Frau zweimal, bei einem Kind einmal. Für die Peiserstöcks hatte es im letzten Jahr zweimal geläutet. Zweimal einmal.

«Ich muss los», sagte Joseph.

Die Peiserstöcks bekreuzigten sich. Für den Sohn, der am Faulfieber, und die Tochter, die an der Bangigkeit der Kinder zugrunde gegangen war. Schon stand er bei der Tür.

«Eins?»

Der Peiserstöck nickte, soweit Joseph das durch die dichten Schwaden des Herdfeuers erkennen konnte.

«Zwei, drei.» Das Hühnchen und das Judenohr. So zählten die Soldaten in Paris seit ihrer Revolution. Die Franzosen hatten ihr Hirn unter der Guillotine verloren. Und welcher Dummkopf war auf die Idee gekommen, den Monaten neue Namen zu geben und der Uhrzeit einen neuen Verlauf? Nicht Oktober, November und Dezember, sondern Weinlese, Nebel und Gefrierender Nebel? Vendémiaire, Brumaire und Frimaire? Joseph war im Juni geboren, einem warmen Tag in der Steiermark. Für die Franzosen hieß der Juni nun «Wiese». War er also am 9. Wiesentag geboren? 1774 zu Graz im schönen Monat Wiese? Wie würde er das einem Franzosen sagen müssen? Und wie trifft man eine Verabredung, wenn der Herr aus Paris glaubt, der Tag habe zehn Stunden zu hundert Minuten und hundert Sekunden? Wie sagt man das, wenn man einen Revolutionssoldaten am 2. Januar um drei Uhr zu treffen gedenkt? Hühnchen Schnee Judenohr? Die Franzosen hatten bereits eigene Uhren. Revolutionsuhren, auf denen die verwirrten Zeiger viel länger für jede Umrundung brauchten. Abbé Bruck hatte eine solche Uhr aus der Werkstatt des Uhrmachers Lenoir. Er hatte sie Joseph gezeigt, und der Bub hatte lachen müssen.

«Geht die nicht immer nach, wenn die Minute hundert Sekunden hat?», hatte Joseph ihn gefragt.

«Nein, sie geht vor», hatte der kluge Abbé geantwortet. «Vielleicht viel zu weit vor.» Mit den Uhren hatte sich auch die Sprache verändert. Seit der Abschaffung des Adels war Französisch vulgär geworden. In der Akademie hatten die Sprachknaben unter der Hand Zugang zu französischen Pamphleten wie dem Père Duchesne, in denen Marie-Antoinette als schlimmste Dirne Frankreichs beschimpft wurde. Sie habe sich mit ihren Dienern im Schmutz gesuhlt und es sei unmöglich zu sagen, welcher Kerl für die kümmerlichen, eitrigen Buckelzwerge verantwortlich war, die aus ihrem faltigen, dreiwülstigen Bauch kämen.

Wie konnte man auf diese Weise über Königinnen sprechen? Franz Maria von Thugut, mit dem sich Joseph angefreundet hatte, war im Besitz eines französischen Nachttopfes, der mit Allegorien aus den Tagen der Revolution bemalt war.

«Da macht´s Scheißen Freude», hatte Franz Maria, der Sohn des Vizestaatskanzlers, gesagt und mit Joseph gemeinsam seine Blase auf die Revolution geleert. Ihr Strahl traf die Bastille.

Seine Mutter, die Frau von Thugut, war dick wie Maria Theresia, nur dass sie anders als die tote Kaiserin auch in ihrer Jugend schon mit einer Körperfülle extremen Ausmaßes geschlagen gewesen war, während die Kaiserin erst mit jedem ihrer sechzehn Kinder eine Wulst dazubekommen hatte. Frau von Thugut saß den ganzen Tag auf ihrer Ottomane und fächerte sich Luft zu. Wahrscheinlich war ihre Nase zu fett und träge, um ohne Fächer zu atmen. Wenn sie sich in ihrem Palais bewegen musste, nahm sie dazu einen englischen Gichtstuhl auf Rädern. Denn natürlich hatte sie Gicht. Es war das goldene Zeitalter der Gicht. Gicht war das äußere Zeichen des Wohlstandes und, bei Männern, der intellektuellen Tätigkeit. Diener hoben sie in den mit Rindsleder bezogenen Rollstuhl und schoben das adelige Walross durch die herrschaftlichen Räume. Ähnlich wie die Habsburgerin, die mit umständlichen Aufzugsmaschinen durch Stockwerke und Räume transportiert worden war, weil sie es nicht mehr alleine geschafft hätte. So dick war die Kaiserin und fraß so viel, dass ihr Leibarzt an ihrer Tafel einen großen Kübel aufstellen ließ, in den er die gleichen Portionen warf, die sie zu sich nahm. Gang für Gang ließ er in den Kübel füllen. Am Ende präsentierte er den übervollen Eimer der Kaiserin. «Das alles, Majestät, liegt jetzt so bleischwer in Ihrem kaiserlichen Magen.» Aber sie ließ sich davon nicht abschrecken, und auch Franz Marias Mutter musste mehrere Kuhherden und Schweineställe verschlungen haben. Und die Vereinigten Belgischen Staaten von Österreich gab es sicher auch nur noch wegen des Confects, das Frau von Thugut kistenweise unzerkaut schluckte. Aber Brüssel hatten sich die Franzosen inzwischen auch geschnappt. Frau von Thugut aß Confect der Jakobiner.

«Liberté, Fraternité? Egal», sagte Franz Maria verächtlich. «Wie lächerlich ist die Idee, ich sei so viel wert wie unser Diener. Unser Diener ist so viel wert wie sein Bruder, also weniger bis nichts. Diener ist Diener, und Herr ist Herr, n´est-ce pas?»

Joseph nickte, aber er wusste, dass er selbst gemeint war. Sein Vater war Sohn eines einfachen Gärtners gewesen, geboren in Katzelsdorf, weit weg von der Hauptstadt. Immerhin Verwalter der ehemaligen Jesuitengüter in den Kronländern Steiermark, Kärnten und der Krain.

Als Joseph elf Jahre alt war, hatte ihn der Vater zu einer Reise zu einem Gut in Kärnten mitgenommen. «Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt», hatte sein Vater gesagt, als sie aus dem Haus traten.

In einer Kutsche verließen sie Graz. In den Dörfern außerhalb der Stadt schauten aus den kleinen Fenstern der Holzhäuser neugierige Köpfe mit breitkrempigen, grünen Hüten dem vorbeieilenden Wagen hinterher. Das sah Joseph noch vor sich. Es war Sommer, an den Bäumen hingen herrliche Kirschen. Mit dem Vater pflückte er sie, als sie Rast machten. Sie schmeckten nach süßem Licht.

Mädchen in kurzen Leibestrachten trugen Bündel von Futtergras auf dem Kopf.

Bei der Burgruine Hohenwang hielten sie. Ein Bauer, der neben der Ruine einen Baum fällte, zeigte ihnen eine Vertiefung im Schlossgraben.

«Das ist das Türkenloch», sagte er in bellendem Steirisch.

Hier hinein waren 1683 die heidnischen Leichname geworfen worden, die bei der neuntägigen, vergeblichen Bestürmung der Festung den Tod gefunden hatten.

«Es war ein tiefer Abgrund», bellte der Bauer. «Aber der war so vollgefüllt mit Türken, dass die Leichen sich aus dem Loch türmten. Erst später, als sie verwest sind, höhlte sich das Loch wieder.»

Auf der tosenden Drau setzten sie auf einem Floß zusammen mit zwanzig Menschen und mehreren Gipsfässern die Fahrt fort. Die Schiffsleute ermahnten die Passagiere, achtsam zu sein und nicht in Angst zu geraten, die Fahrt werde sehr beschwerlich werden, weil die Drau wütend sei. Alle Männer entblößten das Haupt und bekreuzigten sich. Einige Mädchen zitterten und klagten erbärmlich. Vergebens, der Lauf war unerbittlich. Schon bald stürzten sie donnernd fünf Schuh über ein Wehr hinab. Die Wogen drängten sich fußhoch über und durch das Floß.

«An dieser Stelle hat es schon viele erledigt», schrie der Bootsführer. Zwei Hunde waren schon über Bord gegangen. Das Boot schoss pfeilschnell weiter. Gebete wurden gebrüllt, man hielt sich an den Händen, Joseph klammerte sich an ein Gipsfass. Er sah einen der Hunde in den tosenden Fluten untergehen. Und plötzlich beruhigte sich die Drau, und sie fuhren dahin, als seien sie eine fröhliche Landpartie.

Das erste Häuschen Kärntens an der Grenze, neben dem Torbogen, machte auf...
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Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.