Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Bildung - eine Anleitung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am28.01.20201. Auflage
Wie wird man ein gebildeter Mensch? Bildung ist mehr als Information und Wissen, sie verspricht Orientierung und Dauerhaftigkeit: das, was wirklich Bestand hat und lohnt. Jan Roß zeigt, wie man zu dieser scheinbar schwierigen und verschlossenen Welt Zugang findet. Es gibt keinen Grund, sich von der Tradition einschüchtern zu lassen. Bildung, so Roß, heißt letztlich etwas sehr Einfaches - dass wir nicht allein sind beim Versuch, das Leben zu meistern und die Welt zu verstehen. Wie man dieser Gemeinschaft beitritt und wie man in ihr heimisch wird - davon handelt sein Buch. Es begleitet die Leserin und den Leser auf die Akropolis und nach Rom, zu Shakespeare, Kant und Dostojewski, aber auch zu Wissenschaftlern wie Darwin oder Revolutionären wie Rosa Luxemburg. Bildung bedeutet, das magische Losungswort zu kennen, mit dem wir das Menschheitserbe der Dichter, Denker und Künstler zum Sprechen bringen und zu Hilfe rufen können. Wer die Zauberformel lernen möchte, für den ist dieses Buch geschrieben.

Jan Roß, 1965 in Hamburg geboren, studierte Klassische Philologie, Philosophie und Rhetorik in Hamburg und Tübingen. Er war Feuilletonredakteur der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Berliner Zeitung» und gehört heute zum politischen Ressort der «Zeit», für die er von 2013 bis 2018 Korrespondent in Indien war. Zuletzt erschienen «Was für eine Welt wollen wir?» (mit Richard von Weizsäcker, 2005), «Die Verteidigung des Menschen» (2012) und «Bildung - eine Anleitung» (2020).
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWie wird man ein gebildeter Mensch? Bildung ist mehr als Information und Wissen, sie verspricht Orientierung und Dauerhaftigkeit: das, was wirklich Bestand hat und lohnt. Jan Roß zeigt, wie man zu dieser scheinbar schwierigen und verschlossenen Welt Zugang findet. Es gibt keinen Grund, sich von der Tradition einschüchtern zu lassen. Bildung, so Roß, heißt letztlich etwas sehr Einfaches - dass wir nicht allein sind beim Versuch, das Leben zu meistern und die Welt zu verstehen. Wie man dieser Gemeinschaft beitritt und wie man in ihr heimisch wird - davon handelt sein Buch. Es begleitet die Leserin und den Leser auf die Akropolis und nach Rom, zu Shakespeare, Kant und Dostojewski, aber auch zu Wissenschaftlern wie Darwin oder Revolutionären wie Rosa Luxemburg. Bildung bedeutet, das magische Losungswort zu kennen, mit dem wir das Menschheitserbe der Dichter, Denker und Künstler zum Sprechen bringen und zu Hilfe rufen können. Wer die Zauberformel lernen möchte, für den ist dieses Buch geschrieben.

Jan Roß, 1965 in Hamburg geboren, studierte Klassische Philologie, Philosophie und Rhetorik in Hamburg und Tübingen. Er war Feuilletonredakteur der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Berliner Zeitung» und gehört heute zum politischen Ressort der «Zeit», für die er von 2013 bis 2018 Korrespondent in Indien war. Zuletzt erschienen «Was für eine Welt wollen wir?» (mit Richard von Weizsäcker, 2005), «Die Verteidigung des Menschen» (2012) und «Bildung - eine Anleitung» (2020).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644100695
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum28.01.2020
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4416350
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Die alten Griechen: Die Entdeckung des Eigentlichen

Ich muss dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal die Akropolis in Athen gesehen habe. Meine Eltern hatten mich auf eine Griechenlandreise mitgenommen, und als wir den Weg zum antiken Burgberg mit seinen Tempeln hinaufstiegen, passierte etwas Seltsames, das ich damals als Frühjugendlicher, mäßig sensibel für die Gefühlswelt der Erwachsenen, nicht recht verstanden habe. Mein Vater wurde plötzlich blass, ihm blieb die Sprache und beinahe der Atem weg, und er musste sich mit weichen Knien auf einen der mehrtausendjährigen Steine niedersetzen, die überall herumlagen.

Der Schwächeanfall hatte nichts mit Erschöpfung zu tun. Mein Vater war mattgesetzt von der Schönheit der Marmorruinen, die da vor ihm auftauchten. Aber es war noch etwas anderes im Spiel. In dem altsprachlichen Gymnasium, das meine Mutter und er dreißig Jahre vorher besucht hatten, war von der Kultur des Altertums stets in den höchsten Tönen die Rede gewesen: von den Staatsmännern, Dichtern, Künstlern und Denkern Athens und ihren unsterblichen Werken, die angeblich den Gipfel menschlicher Zivilisation darstellten und für alle Zeiten unerreichte Vorbilder sein sollten. Doch diese ganze Schulantike war irgendwie unwirklich gewesen, etwas, das bloß in Büchern stand, eine Legende, wie die Geschichten von König Artus und den Rittern der Tafelrunde oder die klassischen Götter- und Heldensagen von Gustav Schwab. Der Gymnasialhumanismus hatte keinen Bezug zur Realität; unvorstellbar, dass man eines Tages tatsächlich vor den Überresten dieser Kultur stehen, sie mit eigenen Augen anschauen und mit den Händen anfassen würde. Jetzt kam, mit der Wucht eines Schocks, das Bewusstsein: Das alles, wovon sie uns immer erzählt haben, gibt es also wirklich. Als hätte der Zollbeamte des Feenlandes einem gerade den Pass gestempelt und den Schlagbaum zur Weiterfahrt geöffnet - und würde ein bisschen ungeduldig darauf warten, dass man endlich den Zündschlüssel umdreht und den Motor anlässt.

Wir sind dann den Akropolisfelsen weiter hochgestiegen, zu den Tempeln, die im 5. Jahrhundert vor Christus gebaut wurden: das spirituelle Zentrum des antiken Athen, in dem damals auch die Staatskasse untergebracht war, ein Vatikan, der gleichzeitig als Fort Knox diente. Im Altertum sah diese Architektur nicht so edel weiß aus wie heute; der Marmor war bunt bemalt. Die Umrisse der Tempel aber waren klar und schlicht, von fast verächtlicher Schnörkellosigkeit, verglichen mit den Wülsten, Bögen, Vorsprüngen, Kuppeln, Schnecken und Nischen, mit denen der Mensch seine Bauten sonst gern verziert. Wir schauten den Abhang des Burgbergs hinunter in das Dionysos-Theater, wo die griechischen Dramendichter ihre Stücke aufführten und ihre Heldinnen und Helden wie Antigone, Ödipus oder Medea in Extremsituationen verstrickten, die seitdem mit einem griechischen Wort «tragisch» heißen. Und wir sahen, in weniger als einem Kilometer Entfernung, die Pnyx, den Hügel, auf dem in der Antike die athenische Volksversammlung tagte, die Geburtsstätte der Demokratie.

Doch am stärksten im Gedächtnis geblieben sind mir von diesem Tag acht Worte, die wir nur zufällig mitbekamen. Im Museum auf dem Akropolisfelsen, in dem die wichtigsten Funde der Ausgrabungen ausgestellt sind, trafen wir eine englischsprachige Besuchergruppe mit einem griechischen Führer, der die Exponate ziemlich redselig erläuterte. Nach einem längeren Rundgang kamen die Leute zu einem Marmorrelief aus der Zeit um 460 vor Christus, das oft «die trauernde Athene» genannt wird. Es zeigt die Schutzpatronin Athens, die Göttin des Krieges und der Weisheit, stehend, im Profil, den Helm auf dem Kopf, leicht vorgeneigt, auf ihren Speer gestützt, den Blick gesenkt. Schwer zu sagen, ob sie wirklich trauert oder eher nachdenklich ist. Das Bild ist jedenfalls ein Musterbeispiel für das, was man «klassisch» nennt: weder karg noch üppig, weder kalt noch gefühlig, sondern in einer vollkommenen Balance - in einer Mitte nicht zwischen den Extremen, sondern über ihnen. Vor diesem Steinrelief nun hielt der wortreiche Führer an, stoppte seinen bisherigen Redefluss, startete keinerlei Erläuterungsversuche, wie ich sie eben gerade gemacht habe, sondern wandte sich an seine Gruppe mit einem einzigen Satz: «Look at it and keep it in mind.» Und dann kam nichts mehr. Die acht Worte sind in unserer Familie zu einem geflügelten Wort für den Respekt vor dem Schönen und Großen geworden. Und eine Gipskopie der «trauernden Athene» hängt bis heute in der Wohnung meiner Eltern an der Wand über dem Kachelofen.

 

Die Griechenverehrung, die meine Eltern in der Schule erlebt hatten, war keine spezielle Marotte ihrer Lehrer. Sie war das kulturelle Glaubensbekenntnis zweier Jahrhunderte, besonders in Deutschland. «Humanistische Bildung», die auf dem Studium der griechischen und lateinischen Literatur in den Originalsprachen beruhte, galt als höchste Form der Bildung überhaupt. Für geistig und künstlerisch angehauchte Kreise war Athen zeitweise eine heilige Stätte wie Jerusalem (oder noch ein bisschen heiliger), die Griechenvergötterung trug Züge einer Ersatzreligion. Gestiftet hatte diesen eigentümlichen Kult Mitte des 18. Jahrhunderts ein Schustersohn aus der preußischen Provinz: Johann Joachim Winckelmann. Winckelmann, der in Armut aufgewachsen war und nach einem ungeliebten Theologiestudium zunächst jahrelang in einem kümmerlichen Brotberuf als Schulmeister gelitten hatte, brachte es schließlich als Altertumsexperte in einem märchenhaften internationalen sozialen Aufstieg bis zum Vatikanbibliothekar und Kurator der Kunstschätze eines Kardinals in Rom. Er starb 1768 als europäische Berühmtheit.

Winckelmann war homosexuell, die unverklemmte Darstellung nackter männlicher Schönheit in der Antike bedeutete für ihn ein Ideal und ein Befreiungserlebnis, und etwas vom existenziellen Charakter der Griechenbegeisterung hat sich in der «humanistischen» Tradition trotz aller Biederkeit späterer Bildungsbürger erhalten. «Die reinsten Quellen der Kunst», erklärte Winckelmann 1755 voller Enthusiasmus, «sind geöffnet: glücklich ist, wer sie findet und schmecket. Diese Quellen suchen, heißt nach Athen reisen.» Und er fuhr gebieterisch fort, eine unverrückbare Kulturnorm für seine Zeitgenossen und für die Nachwelt setzend: «Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.» Der Satz ist übrigens bloß das zweitberühmteste Winckelmann-Zitat. Noch weiter tiefer eingegraben hat er sich in die Herzen der Humanisten mit einer anderen Prägung, die nur aus vier Wörtern besteht: «Edle Einfalt, stille Größe». Das war Winckelmanns Formel für das Wesen antiker Kunstwerke, für das Geheimrezept ihrer Schönheit. Nicht Schmuck und Pracht, sondern ästhetisches Understatement.

Man kann sich heute fast nicht mehr vorstellen, in welchem Ausmaß diese Parolen Gehör fanden und befolgt wurden. Goethe feierte Winckelmann wie einen Heros oder Heiligen und verfasste mit seiner «Iphigenie auf Tauris» ein eigenes Griechendrama nach klassischen Vorbildern, in dem er ein Evangelium der Menschlichkeit in antikem Gewand predigte. Als sich der hohe preußische Beamte Wilhelm von Humboldt nach der Niederlage seines Staates gegen Napoleon 1806 daranmachte, das Schulwesen des Landes zu reformieren, konnte er sich für die richtige Erziehung der künftigen Elite kein besseres Rezept vorstellen als möglichst viel Griechisch und Latein. Das war die programmatische Grundsteinlegung des humanistischen Gymnasiums. Selbst die schärfsten ideologischen Antipoden teilten im 19. Jahrhundert immer noch die gemeinsame Basis der Antikenkenntnis und -bewunderung: Der Vordenker des revolutionären Proletariats Karl Marx hatte seine Doktorarbeit über frühgriechische Philosophie geschrieben, und Friedrich Nietzsche, der Prophet des herrenhaften Übermenschen, war Professor für Klassische Philologie in Basel gewesen. Worüber auch immer man sonst stritt und sich verfeindete, an der Vortrefflichkeit des Altertums wenigstens konnte für einen gebildeten Menschen kein Zweifel bestehen.

Das Interessante an dieser Antikenbegeisterung ist nicht, dass sie übertrieben war. Das Interessante ist, dass sie trotz aller Übertreibungen nicht völlig falsch war. Zwar stimmt es keineswegs, dass das alte Griechenland perfekt oder ein Paradies gewesen wäre. Athen hat die Demokratie erfunden, aber es war zugleich eine Sklavenhaltergesellschaft. Ihre ganze Kultiviertheit hat die Athener und ihre Nachbarn und Gegner nicht daran gehindert, sich untereinander mit barbarischer Grausamkeit zu bekriegen. Die griechische «Polis», der Stadtstaat, in dem sich in klassischer Zeit alles politische Leben abspielte, griff mit einer Rücksichtslosigkeit ins Eigentum und in die Freiheit ihrer Bürger ein, die kein Bewohner eines modernen liberalen Gemeinwesens akzeptieren würde. Menschenrechte waren unbekannt. Ein Philosoph wie Aristoteles argumentierte ohne Bedenken, dass kranke und schwächliche Kinder in der Wildnis ausgesetzt und dem Tod preisgegeben werden sollten.

Doch das alles ändert nichts daran, dass die Griechen wirklich etwas Besonderes waren. Nicht bloß wegen der Schönheit ihrer Kunst, in Werken wie der «trauernden Athene», die von keinem Michelangelo und keinem Picasso übertroffen wurden. Es ist, als habe das menschliche Bewusstsein hier einen neuen Grad von Klarheit und Schärfe erreicht, im Guten wie im Bösen. Die Griechen hatten einen spektakulären, manchmal geradezu unheimlichen Sinn für das Wesentliche, für den Kern der Sache, für das, was hinter den...
mehr

Autor

Jan Roß, 1965 in Hamburg geboren, ist Mitglied der politischen Redaktion der «Zeit» in Hamburg, für die er zuvor Korrespondent in Delhi war. 1998 erschien «Die neuen Staatsfeinde», 2000 «Der Papst. Johannes Paul II. - Drama und Geheimnis», 2005, gemeinsam mit Richard von Weizsäcker, «Was für eine Welt wollen wir?» und 2008 «Was bleibt von uns? Das Ende der westlichen Weltherrschaft», sowie 2012 «Die Verteidigung des Menschen».