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Propaganda

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am20.08.20191. Auflage
John Glueck ist im Krieg. Tief in Deutschland, im dunklen Hürtgenwald in der Eifel, 1944. Vor kurzem noch war er Student in New York, voller Liebe zur deutschen Kultur seiner Vorfahren; dann, als Offizier bei Sykewar, der Propaganda-Abteilung der US-Army, traf Glueck in Frankreich sein Idol Ernest Hemingway. Für ihn zieht Glueck in den scheinbar unbedeutenden, doch von der Wehrmacht eisern verteidigten Hürtgenwald bei Aachen. Er entdeckt das Geheimnis des Waldes, als eine der größten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs beginnt: die «Allerseelenschlacht» mit über 15 000 Toten. Was kann John Glueck noch retten? Sein Kamerad Van, der waldkundige Seneca-Indianer? Seine halsbrecherischen Deutschkenntnisse? Ein Wunder? Niemand trat unverändert wieder aus dem «Blutwald» heraus, den die Ignoranz der Generäle zu einem Menetekel auch folgender Kriege machte. Zwanzig Jahre später, in Vietnam, erfährt John Glueck: Die Politik ist zynisch und verlogen wie eh und je. Er wird handeln, und sein Weg führt von der vergessenen Waldschlacht direkt zu den Pentagon-Papers. Steffen Kopetzkys großer Roman spannt einen gewaltigen Bogen vom Zweiten Weltkrieg bis hin zu Vietnam. Ungeheuer spannend erzählt er von Krieg und Lüge, und von einem Mann, der alle falsche Wahrheit hinter sich lässt.

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextJohn Glueck ist im Krieg. Tief in Deutschland, im dunklen Hürtgenwald in der Eifel, 1944. Vor kurzem noch war er Student in New York, voller Liebe zur deutschen Kultur seiner Vorfahren; dann, als Offizier bei Sykewar, der Propaganda-Abteilung der US-Army, traf Glueck in Frankreich sein Idol Ernest Hemingway. Für ihn zieht Glueck in den scheinbar unbedeutenden, doch von der Wehrmacht eisern verteidigten Hürtgenwald bei Aachen. Er entdeckt das Geheimnis des Waldes, als eine der größten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs beginnt: die «Allerseelenschlacht» mit über 15 000 Toten. Was kann John Glueck noch retten? Sein Kamerad Van, der waldkundige Seneca-Indianer? Seine halsbrecherischen Deutschkenntnisse? Ein Wunder? Niemand trat unverändert wieder aus dem «Blutwald» heraus, den die Ignoranz der Generäle zu einem Menetekel auch folgender Kriege machte. Zwanzig Jahre später, in Vietnam, erfährt John Glueck: Die Politik ist zynisch und verlogen wie eh und je. Er wird handeln, und sein Weg führt von der vergessenen Waldschlacht direkt zu den Pentagon-Papers. Steffen Kopetzkys großer Roman spannt einen gewaltigen Bogen vom Zweiten Weltkrieg bis hin zu Vietnam. Ungeheuer spannend erzählt er von Krieg und Lüge, und von einem Mann, der alle falsche Wahrheit hinter sich lässt.

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644100886
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum20.08.2019
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1740 Kbytes
Artikel-Nr.4416354
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Wenn ich daran denke, wie alles begann, sehe ich mich vor einem Lastwagen stehen, der mehr als zwei Tage ohne Unterbrechung gelaufen war. Wir schrieben Oktober 1944 in der Nordeifel, einem zerklüfteten Mittelgebirge, das in den Karten unserer Armeeführung Huertgen Forest genannt wurde, weil man nicht wusste, wie die Deutschen es nannten. Nicht einmal Experten wie mir war bekannt, dass dieses Waldgebiet bei den Einheimischen eigentlich bloß Staatsforst hieß. Hürtgen war ein Dorf mittendrin, dessen Name wir kannten. So wurde daraus der Huertgen Forest, genau wie wir einstmals ein neues Territorium einfach nach dem Indianerstamm benannten, mit dem wir es dort zuerst zu tun bekommen hatten.

 

«Ich bleibe hier», sagte ich zu Technical Sergeant Washington. «Vielen Dank, dass Sie mich mitgenommen haben.»

«War mir eine Freude, John.»

Wir schlugen ein. Was für unglaubliche Hände der Kerl hatte! Groß, aber nicht plump, sondern länglich und wohlgeformt, geschmeidig, seidig wie die einer Frau, spürbar geschickt und stark. Pianistenhände.

«John, überlegen Sie, ob Sie nicht einfach wieder mit mir mitkommen wollen. Sehen Sie sich doch um, wie es hier aussieht ... Hab ich recht? Hier an der Siegfriedlinie, mein ich.»

 

Ich erinnere mich bis heute an das feingliedrige Netz roter Äderchen, die sein Augapfelweiß durchzogen.

«Ich fahre den Laster, wie Sie ja wissen, schon eine ganze Weile. Ich weiß, was die von oben hier reinpumpen. Und ich weiß auch, was hier rauskommt. Hab die Särge aus dem Hürtgenwald gesehen, in Cherryburg. Bald wird es einen eigenen Friedhof geben. John, Sie müssen doch nicht hierbleiben, keiner kann Sie zwingen. Kommen Sie wieder mit. Dieses Gebirge hier, dieser Wald. Verflucht. Das Sterben hat grad erst begonnen, wenn Sie mich fragen.»

«Das ist genau der Grund, warum ich hier sein muss. Aber danke!»

Noch einmal drückte er meine Hände, aber als er spürte, dass mein Entschluss stand, löste er sie.

Erste Schneeflocken sanken zur Erde.

«Leben Sie wohl, John, und Gott beschütze Sie!»

«Auf Wiedersehen, Moon.»

 

Ich sah ihm nach, bis der Lastwagen am Ende der Piste zum Stehen kam, um sich nach einer Weile in die Kolonne des Red Ball Express einzureihen, der ohne Unterbrechung, Tag und Nacht, quer durch Frankreich, Belgien und Luxemburg rollte, um den unfasslichen Bedarf unserer breit wie eine Ozeanwelle nach Osten flutenden Armee an jeder Art von Material zu decken. Unbeseeltem und lebendem.

Wir waren bei Germeter, im Bereich der 28. Division, die abgelöst hatte, was von der 9. Division noch übrig war. Merkwürdigerweise kam die 28. aus Pennsylvania. Ich habe dort Wurzeln, meine Mutter war Pennsilfaanier-Deitsche. Ich beeilte mich, zum Kompaniechef dieses Abschnitts zu kommen. Einem aus Philadelphia stammenden Italiener namens Captain Oleandro, dem ich meinen Marschbefehl der Sonderklasse zeigte und erklärte, dass ich mich bei ihm umschauen und auch ein paar Tage bleiben würde.

«Wollen Sie hier Urlaub machen?»

«Haben Sie Einwände?»

«Überhaupt nicht.» Er kaute so energisch auf seinem Bleistift herum, dass man es krachen hörte.

«Kein Problemo. Die Jerrys haben genügend Granaten für uns alle. Keiner kommt zu kurz. Da finden Sie gewiss tolle Geschichten für Ihre Zeitung.»

«Wir sehen uns später», sagte ich, ließ mein Gepäck im Zelt des Captains und mischte mich unter die frisch eingetroffenen Männer. Ich stieß auf einen Trupp waschechter Pennsilfaanier, die drauf und dran waren, in den Wald hineinzugehen.

«A Schtund», schrie der Sergeant auf Deitsch, «bleibts ma all schee zamme.»

Die Privates folgten ihm, die Karabiner im Anschlag, wie ein Pfadfinderfähnlein beim Geländespiel.

Diesen Weg war ich in Gedanken gleichsam Hunderttausende Mal gegangen. Deutschland! Jetzt setzte ich meine ersten Schritte auf das mythische Land meiner Vorfahren.

 

Die offizielle Alt-Reichsgrenze hatte ich im Lastwagen von Sergeant Washington überschritten. Wir waren an großen Warnschildern für die Truppen vorbeigekommen:


You are entering Germany!


Doch nun stand ich nicht nur mit meinen eigenen Füßen auf deutschem Boden, sondern ging sogar durch einen deutschen Wald, der ein schroffes, aber nicht allzu hohes Gebirge bedeckte, die Nordeifel südlich von Aachen. Hinter dem finsteren Forst lag der Rhein und an diesem die deutsche Stadt, die mir am meisten bedeutete: Köln.

 

Wir liefen etwa zwanzig Minuten, dann entdeckten wir den unter zerfetzten Bäumen und auf herausgebombten Schneisen liegenden Abschnitt des Schlachtfelds. Es war schon merklich dunkel.

Was hier vor wenigen Tagen geschehen war, überstieg damals noch unsere Vorstellungskraft. Was Granaten anrichteten, die hundert Jahre alte Fichten zu einem Splitterregen zerfetzten, der alles niedermähte, was sich unter ihm aufhielt. Die Panik, die Baumscharfschützen auslösen können oder sorgsam angelegte Tretminenfelder. Und schließlich der Kampf Mann gegen Mann, im dichten Unterholz, in einem grotesk unübersichtlichen Kleingebirge.

Wer sich hier auskannte, war immer im Vorteil. Dies war der Hürtgenwald. Ein grimmer deutscher Wald. Und es waren die letzten, aber auch die kampferfahrensten Truppen der Wehrmacht, die ihn gegen uns verteidigten.

 

Ich folgte zwei unbekümmerten Privates, die wie alte Freunde wirkten. Sie hatten die Karabiner hinten umgeschnallt und liefen umher wie Kinder, die Schnecken oder Pilze sammeln. Nachdem sie schon das eine oder andere vom Boden aufgelesen hatten, wurden sie plötzlich richtig fündig.

Der schlammige, halbgefrorene Waldboden leistete einigen Widerstand, und so zerrten sie mit vereinten Kräften an etwas, das sie als Arm eines Angehörigen der deutschen Wehrmacht ausgemacht hatten. Schwer zu sagen, wie der Landser getötet worden war. Die Ketten eines schweren Fahrzeugs, vielleicht eines Sherman-Panzers, hatten ihn in der von Granat- und Mörsereinschlägen aufgewühlten Schneise tief in den Boden gedrückt.

Ich kann mich gut an die Namen der beiden Pennsylvanier erinnern: Kirschfang und Showalter. Kirschfang stand über den Toten gebeugt und zerrte zusammen mit seinem Kameraden am nassgrauen Mantelstoff des linken Oberarms. Er bekam die eiskalte, schlammüberzogene Hand des Gefallenen zu fassen, berührte ihre schreckliche Teigigkeit, dann packte er sie und zog, so fest er konnte. Mit einem tiefen Seufzen gab die Erde den Brustkorb frei. Sie drehten den Leichnam auf den Rücken. Der Arm des Landsers fiel mit einem satten Schmatzen in den Schlamm. Kirschfang zog keuchend eine Taschenlampe hervor. Ihr Lichtschein huschte für einen kurzen Moment über das von einem Stahlhelm bedeckte Haupt des Deutschen, und wir sahen sein Gesicht. Oder was davon halt so übrig war.

Unterhalb der Nase war das meiste weg, kein Kiefer mehr da, ein paar Zähne standen im hautlosen Knochenfleisch heraus. Der Tote sah aus wie Red Skull persönlich. Ein Schaudern überlief uns.

Private Kirschfang sagte nichts, aber dafür Showalter. Sein Gesicht sehe ich genau vor mir. Diese lange Nase. Die rötlichen Augenbrauen. Ein Schmerz nachträglicher Empathie durchzuckte ihn. Er schluchzte mehr, als er murmelte: eine mitfühlende Obszönität. Dann wanderte der enge Lichtkreis der Taschenlampe über den Mantelkragen, aufgequollen und schwarz von Nässe. Der oberste Kragenknopf war offen, das Licht fuhr die Knopfleiste auf und ab, und Showalter kniete sich nieder und begann, dem Gefallenen den Mantel aufzuknöpfen.

«Jessas Maria, was für ei Muckadatsch hätt dem die Fress poliert», murmelte er, während er systematisch mit seinem Messer einen Knopf nach dem anderen vom Mantel schnitt. Wehrmachts-Uniformknöpfe wurden gesammelt.

Hätte ich dem allen nicht selber beigewohnt, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Ich war entsetzt und gebannt gleichermaßen. Dies war tatsächlich der Ort, nach dem Hemingway und ich gesucht hatten. Ich war angekommen.

Showalter öffnete den Mantel, die Lampe spielte über das darunterliegende Tuch der Uniformjacke. Metallisches Blitzen. Er griff sofort zu, entfernte geschickt die drei Auszeichnungen von der Uniform des Toten und hielt sie ins Licht.

«Was hem me?», fragte Kirschfang.

«Wiederholungsspang, desch Abzeiche füa de Teilnahm Winterschlacht von Kursk und ei Eisern Kreuz zweite Klass. Kei Hagkekreuz. Hagkekreuz is nua auf dera Spang.»

«Heb ich dirs ned gsacht?»

«Jo, bischd ei ganz gescheids Yingschi», bestätigte Showalter, ließ die beiden Auszeichnungen in sein Säckchen fallen, in dem schon eine Nahkampfspange und drei Infanterie-Sturmabzeichen, eines davon in Silber, verschwunden waren. Das der Beute nun hinzugefügte Eiserne Kreuz des Russlandveteranen war, wenn auch offensichtlich schon aus dem Ersten Weltkrieg, das bisher wertvollste Stück. Sie würden sich darüber unterhalten müssen, wer es bekommen würde, um es zu Hause der Familie zeigen zu können. Vielleicht würden sie eine Münze werfen.

 

Im Wald um uns herum hörten wir die anderen flüstern. Und das Knacken von Ästen. Alle suchten nach Trophäen. Am Morgen angekommen, war dies ihr erster Ausflug in einen Abschnitt, an dem erst kürzlich heftige Kampfhandlungen stattgefunden hatten.

Der Anblick ihrer Vorgänger von der 9. Division, also derjenigen, die noch lebten, hatte bei den Neuankömmlingen ungläubiges Staunen ausgelöst, wie bei mir auch. Völlig verdreckt hatten die aus der Schlacht kommenden Soldaten sich auf die Lastwagen geschleppt, auf...
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Autor

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien «Damenopfer» (2023). Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.