Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Leiden eines Amerikaners

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am18.06.20191. Auflage
Vom trügerischen Glück und der Gefährdung der Liebe Brooklyn zu Beginn des neuen Jahrtausends: Psychiater Erik Davidsen erzählt von einem bewegten Abschnitt seines Lebens. Es scheint ein «Jahr der Geheimnisse», das Jahr, in dem sein Vater stirbt und im Nachlass Briefe gefunden werden, die auf ein dramatisches Ereignis in dessen Jugend hindeuten. Das Jahr, in dem seine Schwester von einer Unbekannten verfolgt und belästigt wird. Das Jahr, in dem eine betörend schöne Jamaikanerin in Eriks Haus zieht, die jedoch etwas zu verbergen scheint ... «Siri Hustvedt schreibt im Wortsinn traumhaft.» Salman Rushdie

Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Bislang hat sie sieben Romane publiziert. Mit «Was ich liebte» hatte sie ihren internationalen Durchbruch. Zuletzt erschienen «Die gleißende Welt» und «Damals». Zugleich ist sie eine profilierte Essayistin. Bei Rowohlt liegen von ihr die Essaybände «Nicht hier, nicht dort», «Leben, Denken, Schauen», «Being a Man», «Die Illusion der Gewissheit»  und «Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen» vor.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextVom trügerischen Glück und der Gefährdung der Liebe Brooklyn zu Beginn des neuen Jahrtausends: Psychiater Erik Davidsen erzählt von einem bewegten Abschnitt seines Lebens. Es scheint ein «Jahr der Geheimnisse», das Jahr, in dem sein Vater stirbt und im Nachlass Briefe gefunden werden, die auf ein dramatisches Ereignis in dessen Jugend hindeuten. Das Jahr, in dem seine Schwester von einer Unbekannten verfolgt und belästigt wird. Das Jahr, in dem eine betörend schöne Jamaikanerin in Eriks Haus zieht, die jedoch etwas zu verbergen scheint ... «Siri Hustvedt schreibt im Wortsinn traumhaft.» Salman Rushdie

Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Bislang hat sie sieben Romane publiziert. Mit «Was ich liebte» hatte sie ihren internationalen Durchbruch. Zuletzt erschienen «Die gleißende Welt» und «Damals». Zugleich ist sie eine profilierte Essayistin. Bei Rowohlt liegen von ihr die Essaybände «Nicht hier, nicht dort», «Leben, Denken, Schauen», «Being a Man», «Die Illusion der Gewissheit»  und «Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen» vor.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644002708
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum18.06.2019
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1198 Kbytes
Artikel-Nr.4537526
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Wenn ich auf unsere Anfänge zurückblicke, staune ich wohl am meisten darüber, wie klein unser Haus war, schrieb mein Vater. Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer im Erdgeschoss beliefen sich auf knapp 45 Quadratmeter. Zwei Dachkammern im ersten Stock, die als Schlafzimmer genutzt wurden, ergaben noch einmal so viel Bodenfläche. Es gab keinerlei Komfort. Unsere sanitären Anlagen bestanden aus einer Außentoilette und einer handbetriebenen Pumpe, jede für sich über 20 Meter vom Haus entfernt. Ein Teekessel sowie ein Behälter neben dem Küchenherd versorgten uns mit heißem Wasser. Im Gegensatz zu besser ausgestatteten Farmen hatten wir keine unterirdische Zisterne zum Speichern von Regenwasser, aber immerhin einen großen Tank aus Metall, der im Sommer den Regen auffing. Im Winter schmolzen wir Schnee. Für das Licht gab es Petroleumlampen. Obwohl in den dreißiger Jahren die Elektrifizierung auch auf dem Land einsetzte, wurden wir erst 1949 «angeschlossen». Es gab keine Heizung. Die Küche wurde von einem holzbefeuerten Herd erwärmt und das Wohnzimmer von einem Heizofen. Wir hatten Vorsatzfenster, ansonsten war das Haus nicht isoliert. Das Feuer im Heizofen durfte nur in der kältesten Zeit über Nacht weiterbrennen. Morgens war das Wasser im Teekessel oft gefroren. Vater stand als Erster auf. Er machte Feuer, sodass die Kälte nicht mehr ganz so schlimm war, wenn wir aus dem Bett krochen. Aber auch so schlotterten wir und drängten uns beim Anziehen um die Öfen. Anfang der dreißiger Jahre ging uns im Winter einmal das Feuerholz aus. Wir hatten von vornherein nicht genug eingelagert. Wenn man mit grünem Holz heizen muss, fährt man mit Esche und Ahorn am besten.

Während ich das las, wartete ich ständig auf ein Wort über Lisa, aber sie tauchte nirgends auf. Mein Vater schrieb über die Finessen des Stapelns «eines ehrlichen Klafters Holz», über das Pflügen mit Belle und Maud, den hauseigenen Pferden, über das Säubern der Felder von gefürchteten Unkräutern wie Kanadische Distel und Ackerquecke, über landwirtschaftliche Fertigkeiten wie Eggen, Säen, Quereggen, Getreideanbau und Getreideernte, Heuen, das gemeinschaftliche Dreschen, das Beschicken eines Silos und das Fangen von Taschenratten. Als kleiner Junge hatte mein Vater gegen Bezahlung Taschenratten getötet, und im Nachhinein sah er das Komische an dieser Tätigkeit. Ein Abschnitt begann mit dem Satz: Wer sich nicht für Taschenratten und deren Fang interessiert, sollte diesen Absatz überspringen.

Alle biografischen Aufzeichnungen sind lückenhaft. Es liegt auf der Hand, dass man manche Geschichten nicht erzählen kann, ohne anderen oder sich selbst wehzutun, dass jede Autobiografie Fragen der Perspektive, der Selbsterkenntnis, der Verdrängung und glatten Täuschung aufwirft. Es überraschte mich nicht, dass die geheimnisvolle Lisa, die meinen Vater Geheimhaltung schwören ließ, in diesen Aufzeichnungen fehlte. Ich selbst würde in meiner Geschichte bestimmt auch vieles weglassen. Lars Davidsen war ein rigoros ehrlicher und tieffühlender Mensch, aber es stimmte, was Inga über seine ersten Jahre gesagt hatte. Vieles blieb im Verborgenen. Zwischen Wir hatten von vornherein nicht genug eingelagert und fährt man mit Esche und Ahorn am besten lag eine unerzählte Geschichte.

Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass meine Großeltern zwar immer arm waren, aber durch die Große Depression vollständig ruiniert wurden. Das armselige kleine Haus, das mein Vater beschrieb, steht immer noch, und die verbliebenen zwanzig Acres der einstigen Farm sind jetzt an einen anderen Farmer verpachtet, der noch weitere Hunderte und Aberhunderte Acres besitzt. Mein Vater konnte sich nie von diesem Ort trennen. Als seine Krankheit schlimmer wurde, verkaufte er bereitwillig das Haus, in dem er mit meiner Mutter und uns gewohnt hatte, einen herrlichen Bau, der zum Teil aus Holz von Bäumen bestand, die mein Vater selbst gefällt hatte. Aber das Farmhaus seiner Kindheit schenkte er mir, seinem Sohn, dem aus der Art geschlagenen und in New York City lebenden Arzt, Psychiater und Psychoanalytiker.

Meinen Großvater kannte ich zumeist schweigend. Er saß in einem Polstersessel in dem kleinen Wohnzimmer mit dem Holzfeuerofen. Neben dem Sessel stand ein wackeliger Tisch mit einem Aschenbecher darauf. Als Junge war ich von diesem Gegenstand fasziniert, weil ich ihn anstößig fand. Es war eine schwarze Minitoilette mit einer goldenen Brille, das einzige Spülklosett, das meine Großeltern je besitzen sollten. Das Haus roch immer stark nach Moder und im Winter nach verbranntem Holz. Wir gingen selten nach oben, aber ich glaube nicht, dass man es uns je verboten hat. Die enge Treppe führte zu drei winzigen Zimmern, von denen eines meinem Großvater gehörte. Ich weiß nicht mehr, wann es war, aber ich kann nicht älter als acht Jahre gewesen sein. Ich schlich mich die Treppe hinauf und ging in das Zimmer meines Großvaters. Durch das kleine Fenster fiel fahles Licht herein, und ich sah zu, wie die Staubkörnchen in der Sonne tanzten. Mit einer Art dumpfer Ehrfurcht betrachtete ich das schmale Bett, die hohen Stapel vergilbender Zeitungen, die zerschlissene Tapete, die wenigen verstaubten Bücher auf einer ramponierten Frisierkommode, die Tabaksbeutel und den Kleiderhaufen in einer Ecke. Ich glaube, ich hatte eine vage Vorstellung von dem einsamen Dasein dieses Mannes und das Gefühl, hier sei etwas verlorengegangen - aber ich wusste nicht, was. In der Erinnerung höre ich meine Mutter hinter mir sagen, ich solle nicht in diesem Zimmer sein. Meine Mutter schien alles zu wissen und zu spüren, was andere Menschen nicht spürten. Ihr Ton war überhaupt nicht scharf, aber vielleicht hat ihre Rüge mir das Erlebnis unvergesslich gemacht. Ich fragte mich, ob es irgendwo in dem Zimmer etwas gab, das ich nicht hätte sehen sollen.

Mein Großvater war freundlich zu uns, und ich mochte seine Hände, sogar die rechte, an der drei Finger fehlten, die er 1921 an einer Kreissäge verloren hatte. Er tätschelte mich gern oder legte mir eine Hand auf die Schulter und ließ sie dort, bis er sich wieder seiner Zeitung und dem Spucknapf zuwandte - einer Kaffeebüchse, auf der «Folgers» stand. Seine Eltern waren hier eingewandert und hatten acht Kinder: Anna, Brita, Solveig, Ingeborg, noch eine Ingeborg, David, Ivar (mein Großvater) und Olaf. Anna und Brita blieben am Leben und wurden erwachsen, aber bei meiner Geburt waren sie bereits tot. Solveig starb 1907 an Tuberkulose. Die erste Ingeborg starb am 19. August 1884. Sie wurde sechzehn Monate alt. Unser Vater hat mir erzählt, diese Ingeborg sei kurz nach der Geburt gestorben und so winzig gewesen, dass eine Zigarrenkiste als Sarg diente. Wahrscheinlich hat unser Vater Ingeborgs Tod mit einer anderen Geschichte aus der Gegend durcheinandergebracht. Auch die zweite Ingeborg erkrankte an Tuberkulose und kam ins Sanatorium in Mineral Springs, wurde aber geheilt. David bekam 1925 Tuberkulose. Er verbrachte das ganze Jahr 1926 in dem Sanatorium. Als er wieder gesund war, verschwand er. Er wurde erst 1936 gefunden, und da war er bereits tot. Olaf starb 1914 an Tuberkulose. Die Geister der Geschwister.

Meine Großmutter, ebenfalls Tochter norwegischer Einwanderer, wuchs mit zwei gesunden Brüdern auf und erbte Geld von ihrem Vater. Mit ihrem hitzigen Temperament war sie ganz das Gegenteil von ihrem Mann, und ich war ihr besonderer Liebling. Wir hatten ein bestimmtes Ritual, wenn ich ins Haus kam. Ich stieß die Fliegentür auf, rannte hinein und brüllte: «Oma, mein Schwert!» Auf dieses Stichwort hin holte sie hinter dem Küchenschrank ein Kantholz hervor, an das mein Onkel Fredrik ein kurzes Querstück genagelt hatte. Dann lachte sie immer, ein lautes Gackern, das manchmal in Husten überging. Sie war dick, aber auch kräftig, eine Frau, die schwere Wassereimer schleppte und einen Haufen Äpfel in ihrem aufgespannten Rock tragen konnte, beim Kartoffelschälen das Messer mit wildem Grimm schwang und jedes Lebensmittel zerkochte, das ihr in die Hände fiel. Sie war launisch; an manchen Tagen lächelte sie, schwatzte und erzählte Geschichten, an anderen brütete sie düster vor sich hin, murmelte halblaute Bemerkungen und tat mit kreischender Stimme dubiose Ansichten über Bankiers, reiche Leute und allerlei andere Verbrecher kund. An ihren schlimmsten Tagen sagte sie etwas Schreckliches: Ich hätte Ivar nie heiraten sollen. Mein Vater erstarrte, wenn seine Mutter so wetterte, mein Großvater schwieg, meine Mutter versuchte es mit Humor und gutem Zureden, und Inga, die auf jeden emotionalen Wetterwechsel sensibel reagierte und bei der bloßen Andeutung eines Konflikts schmerzlich das Gesicht verzog, ließ den Kopf hängen. Jedes Heben der Stimme, jedes Widerwort, jede mürrische Miene, jedes gereizte Wort traf sie wie ein Nadelstich. Dann verspannte sich ihr Mund, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wie oft hatte ich mir damals gewünscht, sie würde sich ein etwas dickeres Fell zulegen.

Trotz der gelegentlichen Ausbrüche meiner Großmutter gefiel es uns «da draußen, wo ich zu Hause bin», wie mein Vater sagte, vor allem im Sommer, wenn die weiten, ebenen Felder mit dem wachsenden Mais bis zum Horizont reichten. Ein rostiger, von Unkraut überwucherter Traktor, ein für alle Zeiten geparkter Ford Modell A, die alte Pumpe und die steinernen Grundmauern einer einstigen Scheune waren feste Bestandteile unserer Spiele. Außer dem Wind, der durch das Gras und die Bäume strich, den Lauten der Vögel und ab und zu einem vorbeifahrenden Auto auf der Straße war wenig zu hören. Es kam mir nie in den Sinn, dass meine Schwester und ich in einer erstarrten Welt herumkletterten, -rannten und...
mehr

Autor

Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Bislang hat sie sieben Romane publiziert. Mit «Was ich liebte» hatte sie ihren internationalen Durchbruch. Zuletzt erschienen «Die gleißende Welt» und «Damals». Zugleich ist sie eine profilierte Essayistin. Bei Rowohlt liegen von ihr die Essaybände «Nicht hier, nicht dort», «Leben, Denken, Schauen», «Being a Man», «Die Illusion der Gewissheit»  und «Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen» vor.Uli Aumüller übersetzt u. a. Siri Hustvedt, Jeffrey Eugenides, Jean Paul Sartre, Albert Camus und Milan Kundera. Für ihre Übersetzungen erhielt sie den Paul-Celan-Preis und den Jane-Scatcherd-Preis.