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Menschen neben dem Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
303 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am14.09.20191. Aufl. 2019
»Eine wahnsinnig packende Wiederentdeckung.« Hildegard Elisabeth Keller, SRF Nach der spektakulären literarischen Wiederentdeckung von »Der Reisende« erscheint nun auch der erste Roman von Ulrich Alexander Boschwitz zum ersten Mal auf Deutsch. Im Berlin der Zwanzigerjahre porträtiert »Menschen neben dem Leben« jene kleinen Leute, die nach Krieg und Weltwirtschaftskrise rein gar nichts mehr zu lachen haben und dennoch nicht aufhören, das Leben zu feiern. Leicht haben es die Protagonisten in Ulrich Alexander Boschwitz' Debütroman nicht. Sie sind die wahren Verlierer der Wirtschaftskrise: Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte, Verrückte. Doch abends zieht es sie alle in den Fröhlichen Waidmann. Die einen zum Trinken, die anderen zu Musik und Tanz. Sie treibt die Sehnsucht nach ein paar sorglosen Stunden, bevor sich der graue Alltag am nächsten Morgen wieder erhebt. Doch dann tanzt die Frau des blinden Sonnenbergs mit einem Mal mit Grissmann, der sich im Waidmann eine Frau angeln will und den Jähzorn des gehörnten Ehemanns unterschätzt. Und so nimmt das Verhängnis im Fröhlichen Waidmann seinen Lauf, bis sich neue Liebschaften gefunden haben, genügend Bier und Pfefferminzschnaps ausgeschenkt wurde und der nächste Morgen graut. Wie durch ein Brennglas seziert der zu diesem Zeitpunkt gerade mal zweiundzwanzigjährige Autor das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre.

Ulrich Alexander Boschwitz, geboren am 19. April 1915 in Berlin, emigrierte 1935 gemeinsam mit seiner Mutter zunächst nach Skandinavien, wo sein erster Roman, »Menschen neben dem Leben», erschien. Der Erfolg ermöglichte ihm ein Studium an der Pariser Sorbonne. Während längerer Aufenthalte in Belgien und Luxemburg entstand »Der Reisende«, der 1939 in England und wenig später in den USA und in Frankreich veröffentlicht wurde. Kurz vor Kriegsbeginn wurde Boschwitz in England trotz seines jüdischen Hintergrunds als »enemy alien« interniert und nach Australien gebracht, wo er bis 1942 in einem Camp lebte. Auf der Rückreise wurde sein Schiff von einem deutschen U-Boot torpediert und ging unter. Boschwitz starb im Alter von 27 Jahren, sein letztes Manuskript sank wohl mit ihm. Peter Graf, geboren 1967, leitet den »Verlag Das Kulturelle Gedächtnis« und die Verlagsagentur »Walde + Graf«. Publizistisch begibt er sich vor allem auf die Suche nach vergessenen Texten, um sie heutigen LeserInnen neu zugänglich zu machen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Eine wahnsinnig packende Wiederentdeckung.« Hildegard Elisabeth Keller, SRF Nach der spektakulären literarischen Wiederentdeckung von »Der Reisende« erscheint nun auch der erste Roman von Ulrich Alexander Boschwitz zum ersten Mal auf Deutsch. Im Berlin der Zwanzigerjahre porträtiert »Menschen neben dem Leben« jene kleinen Leute, die nach Krieg und Weltwirtschaftskrise rein gar nichts mehr zu lachen haben und dennoch nicht aufhören, das Leben zu feiern. Leicht haben es die Protagonisten in Ulrich Alexander Boschwitz' Debütroman nicht. Sie sind die wahren Verlierer der Wirtschaftskrise: Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte, Verrückte. Doch abends zieht es sie alle in den Fröhlichen Waidmann. Die einen zum Trinken, die anderen zu Musik und Tanz. Sie treibt die Sehnsucht nach ein paar sorglosen Stunden, bevor sich der graue Alltag am nächsten Morgen wieder erhebt. Doch dann tanzt die Frau des blinden Sonnenbergs mit einem Mal mit Grissmann, der sich im Waidmann eine Frau angeln will und den Jähzorn des gehörnten Ehemanns unterschätzt. Und so nimmt das Verhängnis im Fröhlichen Waidmann seinen Lauf, bis sich neue Liebschaften gefunden haben, genügend Bier und Pfefferminzschnaps ausgeschenkt wurde und der nächste Morgen graut. Wie durch ein Brennglas seziert der zu diesem Zeitpunkt gerade mal zweiundzwanzigjährige Autor das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre.

Ulrich Alexander Boschwitz, geboren am 19. April 1915 in Berlin, emigrierte 1935 gemeinsam mit seiner Mutter zunächst nach Skandinavien, wo sein erster Roman, »Menschen neben dem Leben», erschien. Der Erfolg ermöglichte ihm ein Studium an der Pariser Sorbonne. Während längerer Aufenthalte in Belgien und Luxemburg entstand »Der Reisende«, der 1939 in England und wenig später in den USA und in Frankreich veröffentlicht wurde. Kurz vor Kriegsbeginn wurde Boschwitz in England trotz seines jüdischen Hintergrunds als »enemy alien« interniert und nach Australien gebracht, wo er bis 1942 in einem Camp lebte. Auf der Rückreise wurde sein Schiff von einem deutschen U-Boot torpediert und ging unter. Boschwitz starb im Alter von 27 Jahren, sein letztes Manuskript sank wohl mit ihm. Peter Graf, geboren 1967, leitet den »Verlag Das Kulturelle Gedächtnis« und die Verlagsagentur »Walde + Graf«. Publizistisch begibt er sich vor allem auf die Suche nach vergessenen Texten, um sie heutigen LeserInnen neu zugänglich zu machen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608192001
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum14.09.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten303 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4555720
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel


Walter Schreiber war ein gutmütiger Mensch. Sein ganzes Wesen strömte Jovialität und Verständnis aus. Er lebte, und er nahm dieses Recht nicht nur für sich alleine in Anspruch. Er gönnte auch anderen ihre Existenz, soweit sie nicht mit Gemüse handelten.

Sein Geschäft ging gut. Dabei lag Schreibers Gemüsekeller in einer ausgesprochenen Armeleutegegend. Die Mietskasernen der Umgebung waren vollgestopft mit Menschen, die sehr wenig verdienten, denn die Zeiten waren schlecht. Viele waren auf staatliche Unterstützung angewiesen und stempelten, wieder andere bekamen weder Unterstützung noch fanden sie Arbeit. Aber trotzdem brachten sie es fertig, genügend Geld aufzutreiben, um bei Walter Schreiber Kartoffeln und billiges Gemüse kaufen zu können. Auch in den schlechtesten Zeiten hat man sich noch nicht abgewöhnen können zu essen.

Walter Schreiber zerbrach sich nicht den Kopf darüber, wie sie es machten. Er stand, freundlich über sein breites, wohlwollendes Gesicht lächelnd, unten in seinem Keller und verkaufte. Seine Preise waren nicht höher als bei anderen, und Kredite gewährte er, das gebot ihm sein Sinn für Gerechtigkeit, grundsätzlich nicht.

»Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig«, pflegte er zu sagen. »Da es unmöglich ist, zweihundert Menschen zu pumpen, pumpe ich gar keinem. Denn was der eine bekommt, kann ich dem anderen nicht abschlagen, und schlecht geht es allen, auch mir.«

Aber manchmal verschenkte er Dinge. Vor allem dann, wenn sie nicht mehr zu verkaufen waren. Bis in sein Quartier war bereits der Grundsatz der Qualität gedrungen, und obwohl die Menschen nicht allzu wählerisch waren, lehnten sie es doch ab, noch im Herbst die reichlich angekeimten Kartoffeln des Vorjahres zu kaufen. Wenn selbst der niedrigste Preis niemanden mehr zum Kauf verlockte, vermochte er sich auch so von der Ware zu trennen und verschenkte sie.

Schreibers Gemüsekeller, zu dem von der Straße eine Treppe herunterführte, war sehr geräumig und für seine Zwecke beinahe zu groß. Den Hauptraum hatte er, soweit es ihm möglich gewesen war, geschäftsmäßig ausgestattet. Er war gut beleuchtet, und die nackten Mauerwände hatte er mit Tapetenpapier beklebt. Gemüse, Obst und Kartoffelkiepen waren auf das Beste geordnet.

Vor ihm hatte ein Kohlenhändler beide Räume genutzt, doch der kleine Nebenkeller, der durch eine Tür und einige Treppenstufen mit dem Hauptraum verbunden war, stand bei Schreiber leer, auch weil er noch einen Meter tiefer lag und so feucht war, dass er für das Gemüsegeschäft absolut ungeeignet war. Er bewahrte hier nur alte Gemüsekörbe und Backobstkisten auf.

Jedes Mal, wenn er ihn betreten musste, empfand er ihn als regelrechtes Ärgernis. Nur ein kleiner Fensterschacht führte hinauf zur Straße und ließ durch das trübe gesprungene Glas ein hässliches Licht ein. Die Luft war so muffig und ungesund, dass er immer husten musste, wenn er, um einen Gegenstand zu holen, hineinging. Am liebsten hätte er den Raum, den ihm der Hauswirt quasi umsonst dazugegeben hatte, mit einer dicken Mauer von seinem Geschäft getrennt. Denn jeden Morgen dauerte es eine gewisse Zeit, bis die stickige Luft, die von dort über Nacht in den Hauptkeller eingedrungen war, auslüftete.

Schreiber stand vor seinem kleinen Pult, auf das er sehr stolz war, da es dem ganzen Geschäft eine ernste, kaufmännische Note gab, und rechnete zusammen. Es war zwei Uhr. Für eine kurze Zeitspanne war nichts zu tun, das Geschäft ruhte. Da hörte er jemanden die Treppe heruntersteigen. Er verließ das Pult und ging, sich geschäftig die Hände reibend, auf den mutmaßlichen Kunden zu.

Ein alter Mann betrat den Keller, und Schreiber betrachtete ihn erstaunt. Er war bei seinen Kunden keine große Eleganz gewohnt, aber dieser Mann war nicht bekleidet, sondern behangen. Um seine Schultern schlotterte ein viel zu weites Jackett. Die ehemals wohl amerikanisch geschnittene Sporthose, jetzt eine farblose Menge Stoff, war viel zu breit und verhüllte sackartig seine Beine. Der ehemalige Besitzer musste ein gut beleibter, großer Mann gewesen sein. Denn anders ließ sich die Differenz zwischen Träger und Getragenem nicht erklären. Dieser hier war klein, und wenn er ging, so hatte es den Anschein, als würde er einen Rock statt Hosen tragen. Der Schritt reichte ihm bis zu den Knien und die offensichtlich zu langen Hosenbeine waren so abgeschnitten worden, dass sich zahllose Fransen gebildet hatten. Dazu trug er einen Hut, der ihm recht gut passte und das Lächerliche und Vogelscheuchenartige seiner übrigen Erscheinung nur noch mehr hervorhob. Sein Gesicht war gelb und knochig. Mit matten Augen sah er sich in dem Raum um.

Schreiber war gespannt, wonach der Mann verlangen würde. Das Höchste der Gefühle sind ein paar Pfund Kartoffeln oder Mohrrüben, dachte er.

Der Alte ging auf ihn zu. »Guten Tag«, grüßte er. Seine Stimme klang undeutlich und außerordentlich gleichgültig. »Ich habe gehört, Sie haben hier einen Kellerraum frei. Ich möchte ihn vielleicht nehmen.«

Schreiber antwortete zunächst nicht. Er sah den Mann noch einmal eingehend an. Ein eigenartiger Kerl war das. Noch dazu fremd in der Gegend. Schreiber kannte die Leute aus der Nachbarschaft. Diesen Menschen hatte er nie zuvor gesehen.

»Von wem haben Sie das denn?«, fragte er wissbegierig.

»Weiß nicht mehr. Irgendeiner sagte es im Asyl, glaube ich. - Stimmt es denn nicht?« Erwartungsvoll sah ihn der Mann an.

Schreiber nickte bestätigend. »Doch, doch. Stimmt schon. Aber in den Raum werden Sie nicht einziehen können. Es ist ein schöner Geschäftskeller, aber wohnen kann man wohl nicht darin.«

»So, so«, der Mann trat noch einen Schritt näher. Schreiber bemerkte einen starken Fuselgeruch. »Na, ich will ihn mir mal ansehen. Wohnen will ich dort gar nicht. Nur schlafen. Er muss aber ganz billig sein.«

Schreiber dachte nach. Gott, wenn man noch ein paar Pfennige herausschlagen konnte. Warum nicht? Hoffentlich war der Mann ehrlich und brach nicht in seine Vorräte ein. Aber das würde sich schon verhindern lassen.

Zu seinem letzten Gedanken nickte er energisch mit dem Kopf. Dann sagte er: »Kommen Sie. Ich zeig ihn Ihnen.« Er ging auf den Nebenkeller zu, und der Alte - Schreiber schätzte ihn auf fünfundsechzig bis siebzig - trottete hinter ihm her.

Schreiber machte vor der schmutzigen, großen und mit Bandeisen zusammengehaltenen Türe halt, suchte in seinen Taschen nach dem Schlüssel und sagte, während er ihn zweimal im Schloss drehte, vorbereitend: »Es ist ein bisschen schlechte Luft drinnen.«

Der Alte reagierte nicht darauf. Jetzt, um die Mittagszeit, war der Keller von einem fahlen Licht erhellt. Beide stiegen die Stufen herunter, und ihnen schlug die modrig feuchte Luft entgegen. In einer Ecke lagen, zu einem Haufen zusammengeschichtet, Kiepen und Körbe.

Der Mann ging prüfend durch den Keller. Er schritt die Wände entlang, tastete sie ab, zwängte sich an den Körben vorbei und besichtigte alles mit großer Gründlichkeit. Schreiber wurde ungeduldig. Er stieg die Treppe halb wieder herauf, um in sein Geschäft zu spähen, aber es waren keine Kunden zu sehen.

»Na, wie gefällt er Ihnen?«, fragte er.

Der Mann hielt ihm statt einer Antwort die vom Berühren der Wände feucht gewordenen Hände hin.

»Ja, ja«, gab Schreiber bedauernd zu. »Ein wenig klamm ist er schon.«

»Was soll er denn kosten?«

Schreiber runzelte grüblerisch die Stirn. Endlich sagte er großzügig lächelnd und mit herablassendem Ton: »Ich will Ihnen den Keller für eine Mark fünfzig pro Woche lassen, das ist geschenkt billig.«

Der Alte erklärte sich einverstanden. Er kramte aus seiner Hose eine Handvoll kleiner und kleinster Geldmünzen und zählte sie auf.

Während Schreiber gewissenhaft nachrechnete, fragte er den Alten: »Wann kommen Sie?« Dieser nahm seinen Hut ab, senkte, wie zum Gruß, seinen glattpolierten Schädel und antwortete: »Ich heiße Fundholz. Emil Fundholz. Ich werde heute Abend kommen, zusammen mit Tönnchen und vielleicht auch Grissmann.«

Als er hörte, dass den Mann noch zwei andere begleiten sollten, machte Schreiber ein erstauntes Gesicht.

»Wenn Sie hier zu drei Personen wohnen wollen, ist es aber teurer als eine Mark und fünfzig.«

Er hatte noch nie irgendwelche Wohngelegenheiten vermietet. Aber wie somnambul ahnte er, was Vermieter in solchen Fällen zu sagen pflegten.

Der Alte schüttelte energisch den Kopf. »Nur ich und Tönnchen werden hier wohnen. Der Grissmann ist nur Besuch«,...
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Ulrich Alexander Boschwitz, geboren am 19. April 1915 in Berlin, emigrierte 1935 gemeinsam mit seiner Mutter zunächst nach Skandinavien, wo sein erster Roman, »Menschen neben dem Leben», erschien. Der Erfolg ermöglichte ihm ein Studium an der Pariser Sorbonne. Während längerer Aufenthalte in Belgien und Luxemburg entstand »Der Reisende«, der 1939 in England und wenig später in den USA und in Frankreich veröffentlicht wurde. Kurz vor Kriegsbeginn wurde Boschwitz in England trotz seines jüdischen Hintergrunds als »enemy alien« interniert und nach Australien gebracht, wo er bis 1942 in einem Camp lebte. Auf der Rückreise wurde sein Schiff von einem deutschen U-Boot torpediert und ging unter. Boschwitz starb im Alter von 27 Jahren, sein letztes Manuskript sank wohl mit ihm.