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Liebesgrüße aus Nordkorea

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
350 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am18.05.2020Deutsche Erstausgabe
In den letzten zehn Jahren ist Morten Traavik mehr als zwanzig Mal nach Nordkorea gereist, dem abgeschottetsten Land der Welt, als offizieller Kulturattaché Norwegens. In Zusammenarbeit mit den notorisch verschlossenen Behörden gelangen ihm bahnbrechende Projekte - wie das erste Rockkonzert auf nordkoreanischem Boden - bis zum Herbst 2017, als er alle Beziehungen zum Land kappte.
Jetzt erzählt er, was er erlebt hat: Durch die unerwartete Freundschaft mit einem nordkoreanischen Staatsdiener dringt Traavik immer tiefer in die Irrungen und Wirrungen dieses Landes ein, bis der Regierung seine kontroversen und subversiven Ideen zu weit gehen ...
Mit außergewöhnlicher Innensicht, viel Humor, Mut und Neugier erzählt Traavik von den banalen und extravaganten Seiten Nordkoreas, vom Ground Zero der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Südkorea über die Hauptstadt Pjöngjang bis zum Fluss Yalu, der Brücke zum großen Nachbarn China. Er gibt ebenso Einblicke in die komplexe Geschichte des Landes und seiner Herrscher wie in den Alltag der Bevölkerung - und deren täglichen Kampf um ein normales Leben im Schatten der Kim-Dynastie.


Morten Traavik ist ein norwegischer Regisseur und Künstler, der über ein breites Spektrum künstlerischer Genres und internationaler Grenzen hinweg arbeitet. Liebesgrüße aus Nordkorea ist sein erstes Buch.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextIn den letzten zehn Jahren ist Morten Traavik mehr als zwanzig Mal nach Nordkorea gereist, dem abgeschottetsten Land der Welt, als offizieller Kulturattaché Norwegens. In Zusammenarbeit mit den notorisch verschlossenen Behörden gelangen ihm bahnbrechende Projekte - wie das erste Rockkonzert auf nordkoreanischem Boden - bis zum Herbst 2017, als er alle Beziehungen zum Land kappte.
Jetzt erzählt er, was er erlebt hat: Durch die unerwartete Freundschaft mit einem nordkoreanischen Staatsdiener dringt Traavik immer tiefer in die Irrungen und Wirrungen dieses Landes ein, bis der Regierung seine kontroversen und subversiven Ideen zu weit gehen ...
Mit außergewöhnlicher Innensicht, viel Humor, Mut und Neugier erzählt Traavik von den banalen und extravaganten Seiten Nordkoreas, vom Ground Zero der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Südkorea über die Hauptstadt Pjöngjang bis zum Fluss Yalu, der Brücke zum großen Nachbarn China. Er gibt ebenso Einblicke in die komplexe Geschichte des Landes und seiner Herrscher wie in den Alltag der Bevölkerung - und deren täglichen Kampf um ein normales Leben im Schatten der Kim-Dynastie.


Morten Traavik ist ein norwegischer Regisseur und Künstler, der über ein breites Spektrum künstlerischer Genres und internationaler Grenzen hinweg arbeitet. Liebesgrüße aus Nordkorea ist sein erstes Buch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518765227
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum18.05.2020
AuflageDeutsche Erstausgabe
Reihen-Nr.5053
Seiten350 Seiten
SpracheDeutsch
IllustrationenMit vielen farbigen Abbildungen
Artikel-Nr.4931302
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DIE VERBREITUNG DER DISCOKRATIE

(Morten der Dritte)


*

Der Kontakt mit dem Ausland ist ein hochsensibles Unterfangen, das umfassende politische Kenntnisse, äußerste Vorsicht und ein großes Bewusstsein für die Etikette voraussetzt.

KIM JONG-IL

*

2008. Der klapperige Tupolew-Flieger, das Rückgrat der leicht antiquierten, aus ex-sowjetischen Flugzeugmodellen bestehenden Air-Koryo-Flotte, ruckelt behäbig auf das weit entfernte Terminal zu. Auf der schier endlosen, gewundenen Landebahn wird das Ausrollen zu einer fast zehnminütigen Spazierfahrt. Vermutlich ist sie deshalb so angelegt worden, damit der Landeprozess amerikanischer Flugzeuge hinausgezögert wird, für den Fall, dass der Koreakrieg wieder ausbricht. Dass die Gefahr stets in der Luft schwebt, wird der nordkoreanischen Bevölkerung bei jeder Gelegenheit vor Augen geführt. Ich hieve mich aus dem durchgesessenen Sitz und schnappe mir die erste Trophäe aus »Andersland«: den Fächer mit Air-Koryo-Logo, den die Flugbegleiterin mir wegen der defekten Klimaanlage vor Abflug in die Hand gedrückt hat. Unter den Arm geklemmt trage ich eine Discokugel der Marke Eurolite, dreißig Zentimeter Durchmesser, »klassischer Effekt, stabiler Kunststoffkern, Spiegelfacetten à 10 x 10 mm.«

Vermutlich verstoße ich damit nicht nur gegen das strikte Verbot des nordkoreanischen Regimes, jegliche Formen westlicher Kultur ins Land zu bringen, sondern auch gegen die nicht weniger strengen Importrestriktionen der UN.[10]  Wir befinden uns in der Ära Kim Jong-il und George W. Bush. Erst in sieben Jahren wird Kim der Dritte, der Weise und Fürsorgliche, das Flughafengelände ausbauen und modernisieren lassen. Noch ist Sunan Nordkoreas einziger »International Airport« und für bestenfalls einen ankommenden oder abgehenden Flug pro Tag ausgelegt. Die Größe entspricht der eines durchschnittlichen norwegischen Provinzflughafens.

Seit seinen »Glanztagen« hat der Sunan Airport sämtliche regulären Flugverbindungen mit der Außenwelt (von denen es ohnehin nie besonders viele gegeben hat) eingestellt, ausgenommen die letzte Nabelschnur, die Linie Peking-Pjöngjang. Doch um überhaupt einen Flug pro Tag bewerkstelligen zu können, teilt sich Nordkoreas staatliche Fluggesellschaft Air Koryo die Woche mit Air China - oder besser gesagt: die Werktage. An den Wochenenden macht der internationale Flughafen Sunan nämlich die Schotten dicht.

Hier bin ich also. In Nordkorea, dem Sehnsuchtsort rastloser, unangepasster Abenteurer! Viele von uns, die es hierher verschlägt, eint das Unbehagen über das moderne Leben in unseren Heimatländern. Stress, Tempo, Entfremdung und so weiter und so fort. Die Welt schrumpft, die Pole schmelzen, der Dschungel verschwindet; Thailand ist das neue Mallorca, Vietnam die neue Provence. Im Juli trifft man auf dem Fisketorget in Bergen genauso viele Chinesen wie in Tibet. Aber ein echtes Löwenherz sucht unbeirrt nach dem gelobten Land. Nach Orten, die sich noch entdecken lassen. Nach dem Land, wo die wilden Kerle wohnen.

Vom Flachdach des Terminals erhebt sich der Schriftzug PJÖNGJANG in koreanischen Schriftzeichen auf der linken und in lateinischen Buchstaben auf der rechten Seite. Dazwischen thront ein meterhohes Porträt des glückselig lächelnden Kim Il-sung, der seine irdische Hülle bereits 1994 verlassen hat, aber nach wie vor als Präsident auf Ewigkeit im Amt ist. Kim Il-sung, das einzige tote Staatsoberhaupt der Welt. Jeden, der zum ersten Mal hier ankommt, weist dieses Arrangement aus Schriftzug und Porträt unmissverständlich darauf hin, die drei neuen Bekanntschaften - Land, Stadt und Führer - von nun an als untrennbare Einheit zu betrachten.

Wer buchstäblich mal abschalten will, hat sich das richtige Ziel ausgesucht: Genau in diesem Moment nehmen mir nämlich zwei schroffe Uniformierte mein Handy ab, und ihr englischer (oder genereller?) Wortschatz scheint sich auf zwei Vokabeln zu beschränken: »cell« und »phone!«. Im Gegenzug erhalte ich eine Quittung, das Papier ist allerdings so dünn und faserig wie ein altes Zigarettenblättchen, und ich bete im Stillen, dass es sich bis zum Ende meines Aufenthalts nicht endgültig auflöst. Mit diesem Tauschgeschäft sage ich dem weltweiten Netz und dem globalisierten Chaos fürs Erste Lebwohl und tauche ein in den begrenzten Kosmos der Demokratischen Volksrepublik. Erst in zwei Wochen gehe ich (vielleicht) wieder online.

Draußen auf dem halb leeren Parkplatz wartet bereits der klapprige japanische Minibus der Gastgeberorganisation. Alle Sinneseindrücke, die in diesem Moment auf mich einprasseln, schmecken bittersüß-verlockend nach ehemaligem Ostblock. Die am Fenster vorbeiziehende Landschaft kommt meiner Vorstellung von der norwegischen Provinz in den dreißiger Jahren, also vor der Mechanisierung der Landwirtschaft, erstaunlich nahe. Hin und wieder lehnt am Straßenrand ein Verkehrspolizist an seinem Motorrad. Ein paar Menschen sind mit dem Rad unterwegs, aus irgendeinem Grund gibt es in Nordkorea ausschließlich Damenräder, aber die meisten gehen zu Fuß oder stehen krumm gebeugt auf den Äckern, umgeben von kümmerlichen grünen Büscheln in einem staubig-braunen Meer aus unfruchtbarer Erde. Vor meinen Augen entfaltet sich ein Panorama mittelalterlicher Antibauernromantik, das genauso gut aus einem armen, wenn auch farbenfroheren und Instagram-tauglicheren südostasiatischen Land wie Kambodscha oder Laos stammen könnte - von der kühlen Morgenluft und den fast schon nordisch anmutenden kargen Gebirgszügen am Horizont einmal abgesehen. Wir Norweger vergessen oft, dass unsere Landwirtschaftspolitik, die die ländlichen Regionen Norwegens lebendig, wohlhabend und bewohnt hält, einzigartig in der Welt ist. Für uns ist sie ja quasi ein nationales Gebot. Leider hat sich auch Nordkorea noch nicht von uns inspirieren lassen, und der Kontrast zwischen öder Provinz und prächtiger Hauptstadt steht anderen Entwicklungsländern wie Pakistan oder Uganda in nichts nach.

Keiner meiner Gastgeber kommentiert die Discokugel, die neben mir in der Herbstsonne funkelt wie ein exotisches Weltraum-Ei. Aus Höflichkeit? Aus Unwissen? Aus Abscheu? Regelmäßig warnt die leibhaftige Stimme der Wahrheit, die Parteizeitung Rodong Sinmun (»Arbeiterzeitung«), vor den Gefahren einer schleichenden Discokratisierung, mit erhobenem Zeigefinger in Richtung der jüngeren Nordkoreaner: »Die Imperialisten wollen unsere Jugend in mentale Krüppel verwandeln und mit reaktionären Ideen und einem bürgerlich-korrupten Lebensstil infizieren, um sie anschließend dafür zu missbrauchen, all jene Länder zu vernichten, die ihre Unabhängigkeit verteidigen!«

In meinem mentalen Gepäck verwahre ich die vielleicht nicht ganz unbegründete Erwartung, dass jegliche Formen »reaktionärer und korrupter bürgerlicher Kultur«[11] , als deren Symbol sich meine Discokugel schnell deuten ließe, in Nordkorea streng verboten sind.

Wie so viele Besucher dieses misstrauischen Landes reise auch ich gewissermaßen unter falsche Flagge. Ist ja klar. Meine bislang glücklich nichtsahnenden Gastgeber halten mich für einen ganz normalen, unbescholtenen Touristen. Da sie vom Internet und internationalen Medien abgeschottet sind, haben sie vermutlich keinen Schimmer, was ein Interventionskünstler eigentlich so macht. Noch vor wenigen Monaten hat die Discokugel, die jetzt neben mir liegt, über den Finalistinnen der weltweit ersten Misswahl für Landminenopfer geglitzert. Die Wahl fand in Angolas Hauptstadt Luanda statt, unter großem nationalen und internationalen Medienaufgebot. Die Gewinnerin bekam ihre Krone von keiner Geringeren als der First Lady Angolas überreicht, in einem prunkvollen Bankettsaal in der Nähe des Nationalmonuments für den ersten angolanischen Präsidenten Agostinho Neto (das übrigens von nordkoreanischen Architekten entworfen wurde). Im Vorhinein hatten viele das Miss Landmine-Projekt als unrealisierbar abgeschrieben, und zwar nicht ohne Grund. Am Ende war das weltweite Interesse aber so groß, dass ich Blut leckte und Lust auf ähnliche, auf den ersten Blick undurchführbare Projekte in »Problemländern« bekam. Die Discokugel soll mein Talisman und eine Art Testballon sein, mit dem ich herausfinden...

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