Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Vaters Wort und Mutters Liebe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
544 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am22.06.2020
Ein Hof im finnischen Tornedal ist das Zuhause der vierzehnköpfigen Familie Toimi. Siri, die Mutter, ist eine sanftmütige Person, der das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. Ganz im Gegensatz zu Pentti, dem herrischen Vater, um den alle lieber einen Bogen machen. Einige der zwölf Kinder haben bereits Reißaus genommen und sind nach Stockholm, Helsinki oder sogar Zypern gezogen, doch das Band und die Liebe zwischen den Geschwistern und der Mutter ist so stark, dass sie immer wieder zurückkehren. So auch diesmal, als die Geschwister zu einem Familientreffen nach und nach zu Hause ankommen, voller Erwartung und Vorfreude auf das Wiedersehen. Doch ein erster Zwischenfall trübt bald die Stimmung.
Ein vielschichtiges und brillant erzähltes Familienepos, das den Leser packt und verzaubert und eindrücklich zeigt, wie auf Loyalität der Verrat und auf Liebe die Enttäuschung folgen kann.

Nina Wähä wurde 1979 in Stockholm geboren. Sie war Schauspielerin und Leadsängerin der Indieband Lacrosse, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. 2007 debütierte sie mit dem Roman S som i syster (S wie in Schwester), drei Jahre später erschien Titta inte bakåt! (Schau nicht zurück!). Beide Romane wurden von der schwedischen Presse gefeiert. Nina Wähä lebt heute mit ihrer Familie in Stockholm.
mehr

Produkt

KlappentextEin Hof im finnischen Tornedal ist das Zuhause der vierzehnköpfigen Familie Toimi. Siri, die Mutter, ist eine sanftmütige Person, der das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. Ganz im Gegensatz zu Pentti, dem herrischen Vater, um den alle lieber einen Bogen machen. Einige der zwölf Kinder haben bereits Reißaus genommen und sind nach Stockholm, Helsinki oder sogar Zypern gezogen, doch das Band und die Liebe zwischen den Geschwistern und der Mutter ist so stark, dass sie immer wieder zurückkehren. So auch diesmal, als die Geschwister zu einem Familientreffen nach und nach zu Hause ankommen, voller Erwartung und Vorfreude auf das Wiedersehen. Doch ein erster Zwischenfall trübt bald die Stimmung.
Ein vielschichtiges und brillant erzähltes Familienepos, das den Leser packt und verzaubert und eindrücklich zeigt, wie auf Loyalität der Verrat und auf Liebe die Enttäuschung folgen kann.

Nina Wähä wurde 1979 in Stockholm geboren. Sie war Schauspielerin und Leadsängerin der Indieband Lacrosse, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. 2007 debütierte sie mit dem Roman S som i syster (S wie in Schwester), drei Jahre später erschien Titta inte bakåt! (Schau nicht zurück!). Beide Romane wurden von der schwedischen Presse gefeiert. Nina Wähä lebt heute mit ihrer Familie in Stockholm.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641257415
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum22.06.2020
Seiten544 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1513 Kbytes
Artikel-Nr.4941065
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


ANNIE FÄHRT NACH HAUSE

Annie kommt nach Hause. Das Drama nimmt seinen Lauf. Wir lernen die Landschaft und die Figuren kennen. Die Figuren? Nein, die Menschen!

Jemand wird ins Krankenhaus gebracht. Jemand anders glänzt durch Abwesenheit.

Aber eigentlich ist noch gar nichts passiert, oder?

Heimkommen ist immer etwas Spezielles. Entweder man freut sich darauf, oder man freut sich nicht, aber egal ist es einem nie. Bei Annie rief es jedes Mal widerstreitende Gefühle wach.

Einerseits negative - weil sie immer eine gewisse Angst befiel, dass ihr Elternhaus bei der Heimkehr seine Krallen in sie schlagen könnte und sie plötzlich dort festsitzen würde. Gefangen, zurückgeworfen, rein physisch außerstande, sich wieder loszureißen und zu sich nach Hause zu fahren. Ein Gefühl, das sie schon als Teenager immer befallen hatte, der Drang, sich beeilen und Hals über Kopf aufbrechen zu müssen, sonst würde dieser Ort, ihr Geburtsort, sich ihrer bemächtigen. Sie würde dort festwachsen, ihre Füße würden Wurzeln schlagen. Deshalb verließ sie ihr Elternhaus schon mit sechzehn.

Andererseits positive Gefühle - weil mehrere ihrer Geschwister (genau genommen die meisten) noch zu Hause wohnten. Die Bindung zu ihnen war stark und manchmal beinahe körperlich spürbar. Als wären sie, wenn nicht durch ihre Nabelschnüre, so durch andere unsichtbare starke Bande miteinander verknüpft. Wie ein Rattenkönig an den Schwänzen verknotet, unfreiwillig zusammengewachsen. So lebten sie ihre Leben, Seite an Seite, nie allein, immer vereint.

Doch heute, diesmal, hatte Annies innere Unruhe nicht unbedingt mit dem Heimkommen zu tun. Ihr Kleid spannte über der Taille, und sie hatte sich in diesem Winter einen neuen Mantel kaufen müssen, weil der alte zu eng geworden war. Sie strich mit den Händen über ihren Bauch, der sich im Kontrast zu ihrem ansonsten so mageren Körper inzwischen deutlich wölbte und in dem es jeden Abend zu strampeln begann, anfänglich ganz schwach und vielleicht auch nur eingebildet, was aber, und das wissen alle Mütter, mit der Zeit spürbar zunehmen würde. Ein Kind, das sie sich nicht gewünscht hatte, aber auch nicht hatte wegmachen wollen.

Sie hatte bereits eine Abtreibung hinter sich, und sie war erst siebenundzwanzig. Außerdem schreiben wir das Jahr 1981, man unterlässt es wenn möglich, mehrfach abzutreiben, damals genauso wie heute und wohl auch in Zukunft. Annie hatte die Ausschabung als schmerzhaft empfunden, und in Anbetracht der Narben in ihrer Gebärmutter hatten die Ärzte von einem weiteren Eingriff abgeraten, falls sie jemals Kinder haben wollte, und jetzt, wo ein Kind darin heranwuchs, warum sollte sie es ablehnen, noch dazu, wenn es womöglich ihr letztes (und einziges) sein würde?

Das erste Kind hatte sie unmöglich behalten können, denn der Mann, also der Vater (er hieß Hassan), war ein Ticket to nowhere gewesen. Eine Sackgasse. Arbeitsmigrant, genau wie sie selbst, allerdings aus einem außereuropäischen Land. Ein Land, in das er außerdem zurückkehren wollte, ein Land, in dem die Rechte der Frauen und der Kampf dafür längst noch nicht so weit gediehen waren wie in Skandinavien. Ein Land, in dem Annie nie würde wohnen können oder wollen. Annie erwartete mehr vom Leben.

Der Vater dieses Kindes hingegen, tja, the jury is still out, was ihn betrifft. Annie war nicht in ihn verliebt, das wusste sie. Sie war eigentlich noch nie verliebt gewesen. Bestimmt war sie gefühlsmäßig gestört, überlegte sie manchmal, vermutlich wegen ihrer Kindheit, den vielen Jahren ohne Liebe und, wie es ihr mitunter vorkam, ohne Eltern. Doch mit diesen Gedanken hielt sie sich nicht länger auf. Streifte sie flüchtig und ließ sie achselzuckend wieder fallen.

Dies war ihr Leben, es gehörte ihr allein, und sie hatte nicht vor, es mit irgendwem oder irgendwas Beliebigem zu vergeuden.

Aber jetzt ein Kind.

Zusammen mit Alex. Alex von der Arbeit. Alex mit den gefährlich dunklen Augen. Dem Lockenkopf. Der behaarten Brust. Der heiseren, leisen Stimme. Dem schiefen Lächeln. Er war irgendwann einfach aufgetaucht und ist noch immer da, fragt, wie es ihr geht, umwirbt sie und redet etwas zu viel. Alex, der ihr eines Nachts im Studentenwohnheim bei einer Flasche Chianti seine Ölgemälde präsentiert hatte. Der ihr gezeigt hatte, wie man Farben mischt. Der ihr zugehört hatte, als sie ihm ihre Träume von einer Fahrt nach Pompeji offenbarte. Davon, die Stadt unter der Vulkanasche auszugraben. Die in Panik erstarrten Gesichter der Bewohner sorgfältig mit einem Pinsel freizulegen, all die kleinen Puzzleteile zu dokumentieren, sie zu registrieren und zu archivieren und dann vorsichtig wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Der Gedanke daran, Ordnung in eine Katastrophe zu bringen, die bereits vor langer Zeit eingetroffen war, gefiel ihr irgendwie. Dabei waren die Worte »vor langer Zeit« entscheidend, denn dadurch würde Annie jegliche gefühlsmäßige Beteiligung erspart bleiben, und sie könnte die Welt mit klinischem Blick untersuchen. Diese Seite der Archäologie faszinierte sie.

Alex hatte es verstanden, nicht alles, aber zumindest einen Teil dessen, was sie ihm anvertraute. Und er hatte ihr Gesicht mit seinen großen Händen umschlossen und sie geküsst, mehrmals, wieder und wieder, bis sie seine Küsse erst widerwillig und dann nicht ganz abgeneigt erwidert hatte. Und jetzt hatte er ihr also ein Kind gemacht. Er hegte große Pläne, sogar Träume für ihre gemeinsame Zukunft und ihr Leben. Ein Boheme-Leben, in dem sie nachts malten (egal, ob Annie nun malen wollte oder nicht), tagsüber demonstrierten, sich nachmittags liebten und abends Wein tranken.

»Und das Kind?«, fragte Annie.

»Das Kind, unser Kind, wird ein Genie. Ich komme aus einer Familie, in der es vor Genies nur so wimmelt, und dieses Kind, dieser Sohn, er wird eines Tages die Welt regieren«, sagte Alex.

»Das Kind wird unsere Beziehung vollenden«, sagte Alex.

»Gar kein Problem«, sagte Alex.

Annie wollte ihm gern glauben.

Sie würden ihn Oskar nennen. Das hatten sie gemeinsam entschieden. Mehr oder weniger gemeinsam. Nach einem der früheren Könige von Schweden, Oskar II. Ein König, der Literat und Poet gewesen war und der zudem die Literatur und ihre Verfasser gefördert, aber nicht zuletzt dieselbe Skepsis gegenüber dem Nationaldichter August Strindberg gehegt hatte, wie Alex selbst es tat.

Annie wollte Alex nur allzu gern glauben. Ihm glauben, wenn er für sie sang, Alex is the man, Alex understands. Doch in ihrem Inneren spürte sie eine nagende Unruhe, all diese Pläne und Träume, sind das wirklich unsere, meine, und wenn ja, wo komme ich darin vor?

Denn sie würde fahren.

Lasst es mich anders formulieren:

Sie WIRD fahren.

Etwas anderes kam nicht infrage.

Vielleicht würde der Kleine in ihrem Bauch die Sache etwas erschweren oder den Zeitplan leicht verschieben, doch sobald Oskar groß genug wäre, würde sie fahren. Oskar könnte ja bei seinem Vater bleiben. Und wenn nicht, dann eben bei Siri.

Oma Siri.

Erst sechsundfünfzig Jahre alt und schon mehrfache Großmutter, und bald würde sie erfahren, dass ihre älteste Tochter ihr erstes Kind bekommt. Im Sommer. Ihre inzwischen älteste noch lebende Tochter. Annie.

Sie hätte anrufen können. Sie hätte es am Telefon erzählen können, denn sie hatte im Lauf des Herbstes schließlich öfter mit ihrer Familie telefoniert, wenn auch nicht immer mit Siri, aber doch mit ihren Geschwistern, sowohl mit denen, die noch zu Hause wohnten, als auch mit den anderen, die in die nähere Umgebung gezogen waren, Tornio, Karunki, Keminmaa oder irgendein anderes Kaff da oben, das war alles noch zu Hause, oder zumindest nahe genug, um als zu Hause durchzugehen.

Aber sie hatte es nicht aussprechen können. Denn es ging nicht einfach nur darum, es zu erzählen. Dabei blieb es nämlich nicht. Sie hätte damit ein riesiges Tor geöffnet, Fragen, die weitere Fragen aufwarfen, immer mehr, doch Annie hatte keine Lust, all diese Fragen zu beantworten. Nicht Siris, und schon gar nicht Penttis (falls er überhaupt Interesse zeigen würde), und wenn sie genauer darüber nachdachte, wollte sie eigentlich mit niemandem darüber reden, sondern lieber so tun, als wäre nichts, in Ewigkeit, amen. Doch wie wir alle wissen, kommen Kinder mit einer Deadline.

Nach Hause fahren. Die Stockholmer Betonwüste hinter sich lassen, alle Brücken, den Asphalt, die nackten baumlosen Flächen, und sehen, wie sich die Landschaft verändert, die Wälder dichter werden und die Natur sich auftürmt. Im Norden ist die Natur Respekt einflößend, eine Macht, die sich nicht so einfach bezwingen lässt. Die Bäume stehen, wo sie stehen, und üben keinerlei Nachsicht. Während der frühen Sommermonate ist der Wald bezaubernd, die weißen Birken strahlen im ewigen Licht etwas Andächtiges aus, selbst für Nichtgläubige. Dann kommt Mittsommer und mit ihm die Mücken, und mit den Mücken kommt der erste Anflug vom Verfall der Natur, der uns wieder der Dunkelheit und der langen Nacht entgegenführt, in der uns nicht mal mehr die weiße Rinde der Birken schützen kann.

Heute war der achtzehnte Dezember, der absolute Nullpunkt. Dunkler würde es nicht werden. In Kürze würden die Tage wieder um ihr Recht kämpfen, und auch wenn es ein langer Prozess ist, ist er auf metaphysischer Ebene doch wichtig für die in der Finsternis ausharrenden Menschen. Zu wissen und darauf vertrauen zu können, dass es bald wieder heller wird. Und dann wird es heller, auch wenn wir es noch nicht merken, aber das Licht kommt zurück.

Es war noch dunkel, als der Überlandbus auf den...

mehr

Autor

Nina Wähä wurde 1979 in Stockholm geboren. Sie war Schauspielerin und Leadsängerin der Indieband Lacrosse, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. 2007 debütierte sie mit dem Roman S som i syster (S wie in Schwester), drei Jahre später erschien Titta inte bakåt! (Schau nicht zurück!). Beide Romane wurden von der schwedischen Presse gefeiert. Nina Wähä lebt heute mit ihrer Familie in Stockholm.
Weitere Artikel von
Wähä, Nina
Weitere Artikel von
Rieck-Blankenburg, Antje
Übersetzung