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Superbusen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am28.02.2020Auflage
»Paula Irmschler lesen ist wie Saufen mit der besten Freundin, aber ohne Kater. Magisch.« Margarete Stokowski Gisela zieht nach Chemnitz, um neu anzufangen. Die Stadt ist für die Anfang zwanzigjährige ein Versprechen. Endlich studieren, sich finden, weg von der Familie und all den anderen Menschen, die sie nicht versteht und die sie nicht verstehen. Ihren Körper und ihre Gedanken aber nimmt sie mit. Doch in Chemnitz gibt es die Freundinnen, die die Welt nicht so akzeptieren wollen wie sie ist. Zusammen gehen sie auf Demonstrationen, betrinken sich, versuchen, über die Runden zu kommen und gründen eine Band: Superbusen. Bei ihren Konzerten entdecken sie das erste Mal das Konstrukt Ost und West, was sie als Frauen zusammenhält und trennt und die Macht der Musik. Mit Witz und Präzision erzählt Paula Irmschler in ihrem Romandebüt davon, was es bedeutet, sich von der eigenen Geschichte abzunabeln. Von der Verwundbarkeit des eigenen Körpers, von der Liebe, von Zuhause, von Lebensplänen, die häufig nur aus Warten bestehen, von der Kraft von Freundschaften. Und vor allem erzählt sie eine andere Geschichte von Chemnitz, eine Stadt, die wir so ganz anders kennen. In diesem Buch ist Chemnitz ein Sehnsuchtsort. Mutig, einzigartig, fantastisch. »Superbusen ist der Poproman, den man nicht mehr für möglich gehalten hatte. Referenzreich, entertaining und wahrhaftig.« Linus Volkmann

Paula Irmschler, 1989 in Dresden geboren, zog 2010 für ihr Studium nach Chemnitz. Nach fünf mehr oder weniger erfolgreichen Jahren ging sie nach Köln, arbeitete dort als Garderobiere und schrieb eine Kolumne für »Intro« . Seitdem veröffentlichte sie Texte in »Jungle World«, »Missy Magazine« , laut.de, »Musikexpress« , »Jolie« und hat seit 2017 eine Kolumne bei »Neues Deutschland«, in der sie meist über feministische Themen schreibt. Im Herbst 2018 wurde sie bei TITANIC als Redakteurin eingestellt und konnte ihren Garderobenjob endlich an den Bügel hängen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

Klappentext»Paula Irmschler lesen ist wie Saufen mit der besten Freundin, aber ohne Kater. Magisch.« Margarete Stokowski Gisela zieht nach Chemnitz, um neu anzufangen. Die Stadt ist für die Anfang zwanzigjährige ein Versprechen. Endlich studieren, sich finden, weg von der Familie und all den anderen Menschen, die sie nicht versteht und die sie nicht verstehen. Ihren Körper und ihre Gedanken aber nimmt sie mit. Doch in Chemnitz gibt es die Freundinnen, die die Welt nicht so akzeptieren wollen wie sie ist. Zusammen gehen sie auf Demonstrationen, betrinken sich, versuchen, über die Runden zu kommen und gründen eine Band: Superbusen. Bei ihren Konzerten entdecken sie das erste Mal das Konstrukt Ost und West, was sie als Frauen zusammenhält und trennt und die Macht der Musik. Mit Witz und Präzision erzählt Paula Irmschler in ihrem Romandebüt davon, was es bedeutet, sich von der eigenen Geschichte abzunabeln. Von der Verwundbarkeit des eigenen Körpers, von der Liebe, von Zuhause, von Lebensplänen, die häufig nur aus Warten bestehen, von der Kraft von Freundschaften. Und vor allem erzählt sie eine andere Geschichte von Chemnitz, eine Stadt, die wir so ganz anders kennen. In diesem Buch ist Chemnitz ein Sehnsuchtsort. Mutig, einzigartig, fantastisch. »Superbusen ist der Poproman, den man nicht mehr für möglich gehalten hatte. Referenzreich, entertaining und wahrhaftig.« Linus Volkmann

Paula Irmschler, 1989 in Dresden geboren, zog 2010 für ihr Studium nach Chemnitz. Nach fünf mehr oder weniger erfolgreichen Jahren ging sie nach Köln, arbeitete dort als Garderobiere und schrieb eine Kolumne für »Intro« . Seitdem veröffentlichte sie Texte in »Jungle World«, »Missy Magazine« , laut.de, »Musikexpress« , »Jolie« und hat seit 2017 eine Kolumne bei »Neues Deutschland«, in der sie meist über feministische Themen schreibt. Im Herbst 2018 wurde sie bei TITANIC als Redakteurin eingestellt und konnte ihren Garderobenjob endlich an den Bügel hängen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843723091
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum28.02.2020
AuflageAuflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2457 Kbytes
Artikel-Nr.4942843
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe
6

Bis zur Kundgebung sind es nur zwei Stationen, die man auch laufen könnte. Aber erstens sind wir stinkefaul und zweitens ist der Weg zu unsicher. Man müsste entweder die Bahnhofstraße entlanggehen, wo die Polizei alles kontrolliert, oder den Weg über die unübersichtliche, weil weitläufige Straße der Nationen nehmen, auf der auch mit Sicherheit Nazis unterwegs sind, und am Karl-Marx-Kopf, dem Nischel, vor dem sie sich treffen, vorbei. Wir machen uns also auf zur Tram, um zum Roten Turm zu fahren, nach dessen Form die Fit-Flasche designt wurde. Ich hasse sowohl diesen Fakt als auch den Umstand, dass er mir nicht aus dem Kopf geht und ich auch jedem davon erzählen muss, wenn es entweder gerade um Fit oder den Turm oder um Chemnitz geht oder mir sonst nichts einfällt. »Wusstet ihr, dass die Fitflasche nach dem Roten Turm hier designt wurde?«, hatte ich die Berliner gefragt, als wir an ihm vorbeifuhren. »Was für ´ne Flasche?«, kam von der Hinterbank zurück. Maxi lachte sich kaputt, drehte die Musik lauter, und damit hatte sich das Gespräch wieder erledigt. Für einen kurzen Moment wollte ich einfach wieder aussteigen.

Im Stadthallenpark neben dem Spülmittelturm haben sich schon ein paar Hundert Leute versammelt: Halbvermummte, Studierende, Fahnen um­armende Parteileute (Grüne), Normalos, Bunte, Migranten, viele Junge, wenige Alte, also alles völlig konträr zur eigentlichen demografischen Zusammensetzung. Wir stellen uns zum größten Baum in der Mitte des Parks, weil man sich da gut wiederfinden kann, wenn jemand verloren geht. Ich sehe mich um. Kenne ich hier noch jemanden? Klar. Da ist der eine, mit dem ich mal ein Seminar besucht habe, Thema vergessen, da ist die ehemalige Kollegin aus der Jugendherberge, und wenige Meter entfernt steht die Dozentin, bei der ich ein paar Veranstaltungen besucht habe. »Fuck!« Vor Schock verstecke ich mich erst hinter Jana, bis ich checke, dass das nichts bringt, weil Jana superschlank ist und ich nicht, und es im echten Leben nicht so funktioniert wie bei Comic­figuren, die hinter sehr dünnen Bäumen verschwinden, und winke dann aus Überforderung übertrieben albern. Schulde ich dieser Dozentin noch eine Hausarbeit oder eine sonstige Erklärung? So war es schließlich jahrelang: Ständig musste ich mich vor Uniangestellten verstecken, wie man sich vor Ladendetektiven oder vor Leuten, mit denen man unangenehmen Sex hatte, versteckt. Aber nein. Die letzte Hausarbeit damals mit Amanda, Paul und Maxi, die Abholung, Berlin, ein halbes Jahr, da war ja was.

In der nächsten halben Stunde kommen immer mehr Leute dazu, die Wiese ist ziemlich voll. Alle, die immer bei so was auftauchen, sind auch heute wieder da, und es gibt ein großes Hallo wie auf dem Pausenhof, nur ohne richtige Freude. Die Leipziger kommen nun auch an, natürlich sind die sicherheitshalber mit Bussen angereist. In den letzten Jahren sind die Leipziger zu den Helden auf sächsischen Demos avanciert. Ohne sie würde nicht viel klappen. Früher waren es die Menschen aus der Berliner Antifa, die wir empfingen wie Stargäste. Aber die kommen mittlerweile eher selten, weil sie sich die meiste Zeit untereinander streiten.

Zum Pinkeln muss man in das Einkaufszentrum Galerie Roter Turm, aber man darf nur in Vierergruppen rein, »wegen der Sicherheit«. Drinnen treffen Philipp, Fred, der unbekannte Typ mit dem unverständlichen Namen und ich auf den anderen Philipp. »Achtung, da ist der alte Philipp«, stupst Fred mich an. Früher, als wir noch Kontakt zu ihm hatten, nannten wir ihn ganz normal »Philipp«. Seit einer Weile kennen wir aber einen zweiten Philipp, und seitdem ist der andere Philipp »der alte Phi­lipp«. »Meine Güte, wir haben uns ja ewig nicht ­gesehen!« Ich freue mich über die Begegnung, er versucht es zumindest. »Ist ja nicht gerade der beste Anlass. Wohnst du denn überhaupt noch hier?«, fragt er. Wow, wie egal kann man jemandem sein, denke ich und sage peinlicherweise: »Gute Frage, nächste Frage«, und grinse dazu auch noch so blöd. Ich kann gerade noch ein Grunzen verhindern. Das mit der Schlagfertigkeit ist mir auch schon mal besser gelungen. »Das würde uns auch mal interessieren«, nervt Fred, und Philipp merkt, dass etwas Komisches zwischen dem alten Philipp und mir abgeht, und lenkt ab mit: »Na gut, wir sehen uns ja dann gleich draußen.« Fred streichelt mir verständnisvoll den Rücken, aber: »Wir müssen uns jetzt echt be­eilen, hier sind überall Nazis.« Nazis müssen auch auf die Toilette. Man sieht die üblichen aufgedruckten Zeichen, Schlachtrufe und Bandnamen, die Galerie ist voll von ihnen. Bisher herrscht unsicherer Waffenstillstand, aber alle sind in Bereitschaft. Wir mustern uns gegenseitig skeptisch, wie im Back­stagebereich einer Boxkampfarena.

Wieder draußen, bringen wir uns in Position. Gleich werden sich zwei Gruppen von Menschen über die Straße zurufen, die jeweils andere Gruppe möge bitte die Fresse halten. Da drüben die Nazis, hier wir, so wie wir es seit Jahren einstudiert haben. Felix, Fred und Jana stehen ganz vorn und brüllen, Stefan, Philipp und ich haben uns etwas seitlich und weiter hinten positioniert, rauchen eine nach der anderen und haben den pseudodistanzierten Überblicksblick aufgelegt, mit dem wir alles begutachten und kommentieren. Meryam und Selma rennen entschlossen von einer Seite zur nächsten, ohne dass zu erkennen wäre, warum sie das tun, der Rest ist im schwarzen Block der Leipziger verschwunden, und der alte Philipp fotografiert dank seines Presseausweises hinter der Polizeiabsperrung die Nazigesichter für die spätere Dokumentation.

Die Nazis nennen es Trauermarsch. Aber auf unserer Seite wissen alle, dass in Chemnitz nicht getrauert wird. In Chemnitz wird verdrängt oder aufmarschiert, je nachdem welche Herkunft die jeweiligen Opfer haben. Zunächst stehen ein paar Hundert Rechte vor dem Nischel. Sie rufen »Mir sin das Volk«. Ein paar Naziopas machen beschwichtigende Gesten, weil ein paar Nazijungs ihre Hintern zeigen. Eine antifaschistische Heldin reißt das Banner, auf dem »Deitsch un´ frei woll´n mer sei!« steht, vom ­unteren Teil der Marxbüste runter. Normalerweise würden wir über so was Klischeesächsisches lachen, aber heute geht es nicht. Kurze Zeit später hängt es wieder da. Es wird schnell klar, dass gleich ein regelrechter Sturm über die Innenstadt hereinbrechen wird, von überallher kommen immer mehr Nazis. Jetzt hört man: »Frei, sozial und na­tional«. Es werden immer mehr. Und mehr. Und mehr. Auf unserer Seite sagen alle nur noch »Oh Gott«, »Scheiße«, »Wo kommen die denn alle her?« oder »Wo ist eigentlich die Polizei?«. Jeder neue Schwung ist wie ein Schlag in den Magen. So viele auf einen Haufen, vor allem so nah, haben wir noch nie gesehen, in all den Jahren nicht. »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.« Ganz anders als bei linken Demos gibt es eindeutig zu wenig Polizei. Fred hat sich mittlerweile bei mir eingehakt. »Was, wenn die einfach hier rüberrennen? Die machen uns sofort platt!« Sie zittert.

»Willst du lieber nach Hause? Dann komm ich mit.«

»Lieber nicht, dann greifen die uns unterwegs auf.«

Hier ist es momentan sicherer als auf den Straßen, die von hier wegführen. Überall sind kleinere Nazigruppen unterwegs, und es wird sich bereits von Angriffen auf Linke und Migranten erzählt. »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.« Es sollen mittlerweile 8000 sein. Spätestens als die ersten Flaschen von Nazis auf unsere Demo niederprasseln, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zurückzuziehen. Die Polizei rennt währenddessen in unsere Richtung, lässt die Nazis zurück, die dadurch noch mehr aufdrehen. Es fliegen Böller. Hitlergrüße werden gemacht. Wir können nichts machen, außer irgendwie unbeschadet nach Hause zu kommen. Im Weggehen sehe ich eine Bild-Werbung an der ­Haltestelle. »Deutschland ist unsicher« steht darauf. Etwa zwei Meter davor schubst ein Polizist gerade Felix.

Wir sammeln uns als »Reisegruppe Bernsdorf« und reden wenig auf dem Heimweg. Immer wieder glauben wir Nazigruppen zu sehen, laufen mal schneller, mal langsamer. »Scheiß Zecken«, ruft jemand aus einer dunklen Ecke. Wir wiederholen stoisch die immer gleichen Fragen, weil wir keine Antworten haben: Wie konnte das passieren? Wie konnte so wenig Polizei vor Ort sein? Wie haben die Nazis es geschafft, so viele Leute in weniger als 24 Stunden auf die Straße zu bekommen, und wieso haben es die Linken nicht geschafft? In der WG-Küche von Stefan, Philipp und Selma sacken wir erschöpft auf Stühlen, Hockern und dem Boden zusammen. Welches Jahr ist gerade?

Wir haben das schon Hunderte Male gemacht und gefühlt. Wir haben in dieser Küche gesessen, die Geschehnisse des Tages Revue passieren lassen, uns ausgekotzt, analysiert, was falsch gelaufen ist, uns über die Polizeistrategie und die Bürgerlichen beschwert, das Internet nach Reaktionen durchforstet, uns Videos von den Demos angesehen, bis das schrille männliche Videogebrüll nicht mehr zu ertragen war, haben gekifft und uns in Müdigkeit und Dummheit geflüchtet. Aber diesmal ist es anders. Wir...
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Paula Irmschler, 1989 in Dresden geboren, zog 2010 für ihr Studium nach Chemnitz. Nach fünf mehr oder weniger erfolgreichen Jahren ging sie nach Köln, arbeitete dort als Garderobiere und schrieb eine Kolumne für "Intro". Seitdem veröffentlichte sie Texte in "Jungle World", "Missy Magazine", laut.de, "Musikexpress", "Jolie" und hat seit 2017 eine Kolumne bei "Neues Deutschland", in der sie meist über feministische Themen schreibt. Im Herbst 2018 wurde sie bei "TITANIC" als Redakteurin eingestellt und konnte ihren Garderobenjob endlich an den Bügel hängen.