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Kunst sollte sein wie ein bequemer Sessel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Kampa Verlagerschienen am04.11.20191. Auflage
Im Frühling 1941 treffen sich Henri Matisse und der Schweizer Literaturkritiker Pierre Courthion zu mehreren Gesprächen - »Plaudereien«, wie Matisse sie genannt haben will. Er erholt sich gerade von einer schweren Operation, Frankreich ist schon von den Nazis besetzt, und so ist es Matisse ein Anliegen, nicht nur auf sein eigenes Leben zurückzublicken, mit großer Offenheit von seiner Kindheit, den Lehrjahren im Atelier von Gustave Moreau und seinen unzähligen Reisen zu erzählen; es geht ihm auch darum, das kulturelle Erbe Frankreichs zu verteidigen. Er gibt umfassend Einblick in das Leben der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Matisse spricht über seine Weggefährten - Maler, Schriftsteller, Musiker, Politiker -, über seine Erfahrungen mit Sammlern und über Ruhm, und natürlich immer wieder über die Malerei, wie er sie sieht. Aus dem fertigen Manuskript wird aber nicht, wie geplant, ein Buch, es verschwindet in Pierre Courthions Schublade - erst vor Kurzem, nach fast 70 Jahren, wurde es in seinem Nachlass entdeckt. Eine außergewöhnliche Entdeckung, ein beeindruckendes Dokument über einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Henri Matisse, geboren 1869 im Norden Frankreichs, gilt neben Pablo Picasso als einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Klassischen Moderne. Er war Wegbereiter und Hauptvertreter des Fauvismus, seine stilistischen Neuerungen beeinflussten die Moderne Kunst maßgeblich, etwa den abstrakten Expressionismus in den USA. Neben seinem malerischen und plastischen Werk schuf er auch ein umfassendes grafisches Werk, darunter unzählige Buchillustrationen, zum Beispiel für Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal. Matisse starb 1954 in Nizza.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextIm Frühling 1941 treffen sich Henri Matisse und der Schweizer Literaturkritiker Pierre Courthion zu mehreren Gesprächen - »Plaudereien«, wie Matisse sie genannt haben will. Er erholt sich gerade von einer schweren Operation, Frankreich ist schon von den Nazis besetzt, und so ist es Matisse ein Anliegen, nicht nur auf sein eigenes Leben zurückzublicken, mit großer Offenheit von seiner Kindheit, den Lehrjahren im Atelier von Gustave Moreau und seinen unzähligen Reisen zu erzählen; es geht ihm auch darum, das kulturelle Erbe Frankreichs zu verteidigen. Er gibt umfassend Einblick in das Leben der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Matisse spricht über seine Weggefährten - Maler, Schriftsteller, Musiker, Politiker -, über seine Erfahrungen mit Sammlern und über Ruhm, und natürlich immer wieder über die Malerei, wie er sie sieht. Aus dem fertigen Manuskript wird aber nicht, wie geplant, ein Buch, es verschwindet in Pierre Courthions Schublade - erst vor Kurzem, nach fast 70 Jahren, wurde es in seinem Nachlass entdeckt. Eine außergewöhnliche Entdeckung, ein beeindruckendes Dokument über einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Henri Matisse, geboren 1869 im Norden Frankreichs, gilt neben Pablo Picasso als einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Klassischen Moderne. Er war Wegbereiter und Hauptvertreter des Fauvismus, seine stilistischen Neuerungen beeinflussten die Moderne Kunst maßgeblich, etwa den abstrakten Expressionismus in den USA. Neben seinem malerischen und plastischen Werk schuf er auch ein umfassendes grafisches Werk, darunter unzählige Buchillustrationen, zum Beispiel für Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal. Matisse starb 1954 in Nizza.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783311701064
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum04.11.2019
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1170 Kbytes
Artikel-Nr.4944525
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Erstes Gespräch

Wir wählen einen Tisch im Morateur, dem Restaurant des Hotels Carlton. Henri Matisse setzt sich auf die Sitzbank, ich mich auf einen Stuhl ihm gegenüber. Es ist ein langer, kalter, wenig gemütlicher Raum. Matisse bestellt Bordeaux. Der Oberkellner bringt eine Flasche Jahrgang 1880. Sie ist zu alt, wir lassen sie zurückgehen, denn der Wein sei »vorbei«, sagt Matisse. Er isst sein Huhn und den Spargel mit sichtlichem Genuss, als wollte er sagen: »Sie sehen, es klappt.« Der runde Ausschnitt seines blauen Pullovers beginnt direkt unter dem Krawattenknoten (Matisse darf sich ja nicht erkälten). Ich betrachte seine rosige Gesichtsfarbe, die großen Ohrläppchen, die Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch seines Jacketts aus englischem Wollstoff.

Die Sekretärin von Matisse hat ihren grauen Pelzmantel anbehalten. »Madame ist Russin, aus Sibirien«, erklärt Matisse. Ihr Gesicht ist ein elegantes Oval, ihre Brauen wirken, als hätte der Meister sie gezeichnet, und sie spricht leise und ruhig. Auch der Kunstbuchverleger Albert Skira ist da.

Wir sprechen von Lyon, den tiefsitzenden Fenstern der zur Rhone hin abfallenden Häuser und vom silbrigen Himmel darüber. Matisse findet, es sei eine konkave Stadt, eine Stadt mit Tiefgang: »Lyon ist eine Stadt mit Gehalt, doch Nizza ist ein Bühnenbild, fragil, sehr schön, aber da finden Sie keinen Menschen - Pech für die Stadtbewohner! Wenn ich sage, man finde keinen Menschen, meine ich damit, dass Leute, die wie ich jeder für sich arbeiten, einander nicht kennen, einander nicht treffen, nicht zur Landschaft gehören. Nach Nizza kommen nur Leute, die sich entspannen wollen: mit Spielen, Spaziergängen, die allerdings nicht lange vorhalten, denn nach jeder Mahlzeit heißt es: Was machen wir? In Monte Carlo sind wir gestern gewesen, in Cannes vorgestern. Wo können wir hin? Es gibt in dieser Stadt zwei, drei Träumer, aber sonst vor allem Juweliere, Hoteliers und schöne Mädchen. Und da will man jetzt eine École de Rome[1] eröffnen!«

Matisse sagt das mit undurchdringlicher Miene, einzig seine Lippen sind von Spott gekräuselt, als wäre die Rede von einer alten Schwätzerin, deren Geschwafel man zur Genüge kenne. Als ich das Gespräch auf seine Geburt am 31. Dezember 1869 in Le Cateau bei Cambrai lenke, sagt er:

 

Ich bin im Haus meiner Großmutter, einer Gérard, geboren worden. Mein Vater wohnte ein paar Kilometer von dort in Bohain. Er war Getreidehändler. Als ich zwölf war, kam ich als Internatsschüler auf das Lycée de Saint-Quentin, ein humanistisches Gymnasium.


Dann war also nicht vorgesehen, dass Sie das Geschäft Ihres Vaters übernehmen würden?


Doch, aber ich litt an wiederkehrenden Blinddarmentzündungen. So etwas ließ sich damals nicht operieren. Deshalb hieß es: »Der Junge braucht etwas Ruhiges, ein friedliches Metier. Was könnte er werden?«

Der Arzt hat darüber nachgedacht und kam zum Schluss: »Wie wäre es mit Apotheker? Da könnte er im Hinterzimmer bleiben, während ein Gehilfe für ihn die Arbeit macht. So könnte er sich pflegen, wenn er einen Rückfall hat, sich ruhig halten, bis es vorbei ist.« Die Rückfälle dauerten einen Monat, anderthalb, manchmal zwei Monate. Wer so etwas hatte, durfte keinen Beruf haben, in dem er ständig aktiv sein musste, sondern einen, in dem er ersetzt werden konnte.


Und das hat nicht geklappt?


Nein, aber ich machte ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei. Während der Ferien wusste man nicht, was man mit mir anfangen sollte. Ich war sehr fügsam, ich tat alles, was man von mir wollte. Während meiner langen Rekonvaleszenz ging ich einmal mit meinem Vater auf dem Land spazieren, und er sagte: »Wie wäre es, wenn du Prozessakten abschreiben würdest? Es ist gut, wenn man sich in solchen Dingen auskennt.« Er sprach darüber mit einem Freund. Ich ging hin. Ich schrieb ab. Dabei habe ich erstaunliche, sehr pittoreske Dinge gesehen, komisches Zeug, das aus lauter Eigennutz geschieht, im Bereich des Geschäftlichen wie im Familiären.

Eines Tages kam ein Anwalt vorbei, der seine Kanzlei in Paris hatte. Er sagte: »Was tust du da? Komm doch nach Paris, da kannst du immerhin einen ersten akademischen Grad in Rechtswissenschaft absolvieren. Damit könntest du eine Anwaltskanzlei eröffnen.« Ich sprach darüber mit meinem Vater, der sehr vernünftig war, wenn es um praktische Dinge ging. »Warum nicht?«, sagte er.

Ich kam für ein Jahr nach Paris. Mich hat nichts wirklich interessiert. Ich besuchte regelmäßig die Vorlesungen, aber ich verstand nur Bahnhof. Vor der Prüfung habe ich mich den ganzen Tag in mein Hotelzimmer zurückgezogen und gebüffelt. Zur Ablenkung hatte ich ein Blasrohr aus Glas und etwas Kitt. Vom sechsten Stock aus habe ich so Passanten mit Kittkügelchen beschossen. Damals trugen alle, auch die Angestellten, Zylinder. Ich ließ meine Kügelchen von den Zylindern abprallen, oder, wenn jemand im Gehen Zeitung las, versuchte ich, diese zu durchlöchern. Die haben dann â¦


Wie Baudelaire mit dem Glaser und dem Blumentopf!


Was ist das für eine Geschichte?


Baudelaire hat ähnliche Streiche gespielt: Eines Tages ließ er einem armen Glaser einen Blumentopf auf den Rücken fallen. Ihre Kittkügelchen waren da weniger gefährlich.


Das ging so lange gut, bis ich eines Tages eine Schneiderin ins Visier genommen hatte, die im Haus gegenüber im Zwischengeschoss arbeitete und gut bestückt war. Mein Kügelchen traf ihre üppige Brust. Die Frau schreckte auf und schaute, woher es gekommen sein könnte. Sie sah mein durch den Fensterladen ragendes Blasrohr in der Sonne aufblitzen, und ich war enttarnt. Sie hat sich im Hotel beschwert. Der Direktor kam zu mir und sagte: »Das geht nicht.« Das ist fast die einzige Erinnerung, die mir von meinem Jurastudium geblieben ist.


Aber Sie haben immerhin ein Examen gemacht?


Ja, das erste in Rechtswissenschaft. Das ist nicht besonders schwierig: Wenn die Gutachter merken, dass man überhaupt mal ein Gesetzbuch aufgeschlagen hat, sind sie bereits zufrieden. Um einem Studenten auf die Schliche zu kommen, sagten sie ihm: »Da haben Sie ein Gesetzbuch. Zeigen Sie uns den Artikel, der das Eherecht betrifft.« Wenn der Student das Buch nahm und offensichtlich nicht wusste, auf welchen Seiten vom Eherecht die Rede war, fiel er durch. Schlug er dagegen die richtigen Seiten auf, wurde ihm dafür ein Punkt gutgeschrieben.

Als ich aus Paris zurückkam, trat ich eine Praktikumsstelle bei einem Anwalt in Saint-Quentin an.


Mit anderen Worten: Dank einer Blinddarmentzündung mussten Sie nicht weiter Rechtswissenschaft studieren? Anderenfalls wären Sie Maître Matisse geworden? Hätten Sie Ihre Berufung vielleicht später entdeckt?


Nein, das wäre nicht mehr infrage gekommen. Es macht Spaß, über solche Entstehungsgeschichten nachzudenken: Oft ist ein Zufall der Auslöser.


Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?


Rein zufällig, auf dem Gymnasium von Saint-Quentin. Mein Freund Émile Jean ging auch auf diese Schule. Wir waren im Zeichenunterricht die beiden Aufmerksamsten, studierten das Modell, das wir vor Augen hatten - ein Feigenblatt, eine römische Büste -, und kümmerten uns nicht darum, was sonst in der Klasse geschah, wer gerade wieder was für Blödsinn machte.

Unser Zeichenlehrer war der alte Anthéaume, ein Asthmatiker zwischen fünfzig und sechzig. Er hatte den Schlüssel zum Klassenzimmer. Einmal hat er sich verspätet. Um zwei waren wir immer noch auf der Treppe, einer Wendeltreppe, die ich noch vor mir sehe, vor der verschlossenen Tür. Es herrschte ein Heidenlärm, der Aufpasser versuchte, uns zum Schweigen zu bringen, aber der Lärm wurde immer größer. Da sahen wir den alten Anthéaume die Treppe hochkommen. Er trug einen Zylinder, und einer von uns spuckte darauf. Stotternd und nach Atem ringend rief er den Aufpasser als Zeugen an: »Oh, Monsieur, die haben â¦ die haben gewagt, auf meinen Hut zu spucken!«


Und danach wollten Sie Maler werden?


Als Émile Jean und ich am Ende des Schuljahres die Bestnote in Zeichnen erhielten - oder jedenfalls eine sehr gute Note -, wurde mir klar, dass mir das Zeichnen leichtfiel, aber nicht in dem Sinn, dass ich da irgendwie weitermachen wollte. Erst viel später kam ich auf die Idee, Maler zu werden.

Ich hatte diese Blinddarmentzündungen. Ich hatte viel freie Zeit, die ich irgendwie ausfüllen musste. Da bekam ich diesen Malkasten. Ich war damals einundzwanzig. Es gab, wie gesagt, immer lange Zeiten der Rekonvaleszenz (weil man damals nicht operierte). Damals, als ich mich bei meinen Eltern erholte, hatten wir einen Nachbarn, er war Direktor einer kleinen Tuchfabrik. In seiner Freizeit malte er Farbdrucke von Schweizer Landschaften ab: ein Chalet vor einer Gruppe von Tannen mit einem rauschenden Bach. Er sagte: »Siehst du, so kannst du dir was an die Wand hängen.« Weil er sah, dass ich während meiner Rekonvaleszenz meist mir selbst überlassen war, riet er mir, mir auch auf diese Art die Zeit zu vertreiben. Mein Vater hielt nichts von dieser Idee, aber meine Mutter machte es zu ihrer Sache, mir einen Malkasten zu kaufen, dem auch zwei kleine Farbdrucke beilagen: eine Windmühle und ein Dorfeingang.


Und die haben Sie abgemalt?


Ja. Die Mühle ist mit ESSITAM signiert, meinem Namen rückwärts. Schließlich war das ein Gemälde, und ein Gemälde gehört...
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Autor

Henri Matisse, geboren 1869 im Norden Frankreichs, gilt neben Pablo Picassoals einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Klassischen Moderne. Er war Wegbereiter und Hauptvertreter des Fauvismus, seine stilistischen Neuerungen beeinflussten die Moderne Kunst maßgeblich, etwa den abstrakten Expressionismus in den USA. Neben seinem malerischen und plastischen Werk schuf er auch ein umfassendes grafisches Werk, darunter unzählige Buchillustrationen, zum Beispiel für Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal. Matisse starb 1954 in Nizza.