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Das Mädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am04.03.2020
'Das beeindruckende Zeugnis eines universell menschlichen, über alle Grenzen hinausgehenden Mitgefühls.' Neue Zürcher Zeitung  'Ein unbedingt lesenswertes Buch.' Frankfurter Rundschau Wie ihre Mitschülerinnen wurde Maryam von Boko-Haram-Kämpfern aus ihrer nigerianischen Schule an einen ihnen unbekannten Ort entführt. Mit ihrer Freundin Buki übersteht sie die höllische Gefangenschaft und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. Mit  »tiefer, unverbrüchlicher Empathie« (Richard Ford) erzählt Edna O'Brien von einem langen Weg zurück ins Leben, von unvermuteter Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Den kriegerischen Wirren setzt sie die Schönheit der Natur entgegen und gibt der traumatisierten Seele ihre Würde zurück. Aber ist für Maryam überhaupt eine Heimkehr möglich, gibt es doch dort, wo sie einmal zuhause war, keine Sprache für das, was sie durchlebt hat? Für ihren kunstvollen, mutigen Roman hat Edna O'Brien in den letzten Jahren Nigeria bereist und das Schicksal der entführten Mädchen eingehend recherchiert. Es ist ein Buch über ihr Lebensthema: Gewalt gegen Frauen und deren Fähigkeit, diese wieder und wieder zu überwinden. Gewidmet ist es den Müttern und Töchtern Nordostnigerias. Das Mädchen ist Weltliteratur.

Edna O'Brien, geb. 1930 in Tuamgraney/Westirland, gilt als bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. Bereits ihr Debüt Die Fünfzehnjährigen (The Country Girls), das in Irland verboten wurde, machte sie international bekannt. Seither hat sie mehr als zwanzig Romane und Erzählbände verfasst. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter die American National Arts Gold Medal, der Frank O'Connor Prize, 2018 der PEN / Nabokov Award for Achievement in International Literature und 2019 der rennomierte David Cohen lifetime achievement award.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext'Das beeindruckende Zeugnis eines universell menschlichen, über alle Grenzen hinausgehenden Mitgefühls.' Neue Zürcher Zeitung  'Ein unbedingt lesenswertes Buch.' Frankfurter Rundschau Wie ihre Mitschülerinnen wurde Maryam von Boko-Haram-Kämpfern aus ihrer nigerianischen Schule an einen ihnen unbekannten Ort entführt. Mit ihrer Freundin Buki übersteht sie die höllische Gefangenschaft und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. Mit  »tiefer, unverbrüchlicher Empathie« (Richard Ford) erzählt Edna O'Brien von einem langen Weg zurück ins Leben, von unvermuteter Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Den kriegerischen Wirren setzt sie die Schönheit der Natur entgegen und gibt der traumatisierten Seele ihre Würde zurück. Aber ist für Maryam überhaupt eine Heimkehr möglich, gibt es doch dort, wo sie einmal zuhause war, keine Sprache für das, was sie durchlebt hat? Für ihren kunstvollen, mutigen Roman hat Edna O'Brien in den letzten Jahren Nigeria bereist und das Schicksal der entführten Mädchen eingehend recherchiert. Es ist ein Buch über ihr Lebensthema: Gewalt gegen Frauen und deren Fähigkeit, diese wieder und wieder zu überwinden. Gewidmet ist es den Müttern und Töchtern Nordostnigerias. Das Mädchen ist Weltliteratur.

Edna O'Brien, geb. 1930 in Tuamgraney/Westirland, gilt als bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. Bereits ihr Debüt Die Fünfzehnjährigen (The Country Girls), das in Irland verboten wurde, machte sie international bekannt. Seither hat sie mehr als zwanzig Romane und Erzählbände verfasst. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter die American National Arts Gold Medal, der Frank O'Connor Prize, 2018 der PEN / Nabokov Award for Achievement in International Literature und 2019 der rennomierte David Cohen lifetime achievement award.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455008272
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum04.03.2020
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1209 Kbytes
Artikel-Nr.4956974
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Es war ein großer, matschiger Hof voll Gerümpel. Eimer, Schaufeln, Kisten, Schubkarren, Pflastersteine, Zement und Motorräder. Der Sand vom Regen schmutzig gelb. Das stetige Summen von Generatoren war zu hören.

Jenseits der hohen, von Stacheldrahtrollen gekrönten Lehmwälle der endlose Wald. Er war dunkel und unheimlich, eine Unmenge von Bäumen, die weitere Bäume hervorbrachten, weiteres Dunkel, endgültige Verbannung. Die kleine Moschee hatte ein Minarett aus glänzendem Aluminium, und an einem Mast daneben flatterte eine schwarze Fahne. Akra, ein Mädchen aus der Klasse über mir, kam aus dem Schlafsaal, wo wir festgehalten wurden, stand ganz still da und nahm diese trostlose Umgebung in sich auf. Es waren nur fünfzehn Mädchen von unserer Schule hier. Die übrigen hatte man in andere Lager im Dschungel gebracht. Uns hatten sie in einen Schlafsaal gestoßen, in dem schon andere Mädchen schliefen, dort hatten wir uns aneinandergeschmiegt.

Ein großer Baum in der Mitte des Hofs, von dessen Stamm ein kräftiger Seitenast abging, beherrschte das Gelände. Sein nasses Braun hatte einen grünlichen Einschlag, und ich fragte mich, ob unser Baum zu Hause den gleichen grünlich-feuchten Farbton hatte. Noch wusste ich es nicht, aber dieser Baum war unser künftiges Schulhaus. Fünfmal am Tag würden wir unter ihm stehen, sitzen und knien, um zu beten. Man würde uns zwingen, Suren in einer Sprache auswendig zu lernen, die uns fremd war, und einen Gott zu verehren, der nicht unserer war. Ab und zu würde man uns als Gruppe fotografieren, mit unserer tristen Kleidung und unseren stumpfen Mienen, und die Bilder zurückschicken, damit unsere verzweifelten Eltern unter den vielen Gesichtern, die jetzt alle gleich und bemitleidenswert aussahen, nach dem ihrer Tochter suchen konnten.

Aus den Rundhütten kamen jetzt Männer und eilten zur Moschee. Sie waren unterschiedlich gekleidet, einige trugen Jeans und T-Shirts, andere weite Gewänder, wieder andere Armeejacken. Im Vorbeilaufen begutachteten einige von ihnen mit abschätzendem Blick unsere Reize.

Während das monotone Gemurmel des Gebets zu uns herausdrang, kam ein junges Mädchen durch den Hof getaumelt und blieb vor uns stehen. An ihrer Unterlippe saß ein dicker Bausch Mull, aus dem Blut sickerte. Sie konnte nicht sprechen, obwohl sie es wollte. Sie deutete immer wieder auf ihren Mund, und schließlich gelang es ihr, ihn zu öffnen. Sie hatte keine Zunge mehr. Was für ein Verbrechen hatte sie begangen.

Während wir dort standen, kam eine Frau mit grünen Gummistiefeln auf uns zu, einen Dornenast in der Hand. Die Dornen waren so rot wie Beeren und spitz wie Nägel. Wir wurden in den Schlafsaal zurückgeschickt. So begann unsere Initiation.

Wir bekamen alle einheitliche Kleidung, die genauso aussah wie die der Mädchen, die schon länger hier waren. Man befahl uns, die Kleider sofort anzuziehen. Sie waren von einem düsteren Blau mit einem noch dunkleren Hijab, und ich konnte mich zwar nicht selbst sehen, denn Spiegel gab es nicht, aber ich sah meine Freundinnen, verwandelt, plötzlich alt, wie trauernde Nonnen. Ich sah Teresa und Fatim, Regina, Aida und Kiki, alle zum Schweigen gebracht, ihre Tränen unterdrückend. Wir wurden angewiesen, unsere alten Kleider aufzuheben und nichts, gar nichts, zurückzubehalten. In dem Durcheinander gelang es mir, mein kleines Notizbuch zu verstecken. Es war ein winziges Büchlein, eher für Zahlen als für Buchstaben gedacht, aber ich zwängte Wörter in jedes der kleinen Karos. Ich hortete sie. Sie waren jetzt meine einzigen Freunde. Ich hatte das Notizbuch für meinen Aufsatz über die Natur gewonnen, zusammen mit einem parfümierten Bogen Papier. Auf den Rändern des Bogens stand Woods of Windsor. Ich hatte keine Ahnung, wo Windsor lag.

Unsere Kleider wurden auf einen Haufen geworfen, und kaum hatte sie etwas Diesel daraufgegossen und ein Streichholz angerissen, schossen die Flammen hoch in die milchige Morgendämmerung. Unsere weißen Blusen, unsere Schuluniformen und unsere Kopftücher verwandelten sich rasch in gewichtslose graue Ascheflocken, die einen Moment lang in der Luft schwebten und dann nach oben getragen wurden, um durch die Zwischenräume in den Stacheldrahtrollen ihren Weg hinaus zu finden. Ich folgte ihnen im Geiste und dachte töricht, dass die Ascheflocken unsere Boten sein würden. Sie würden zu unserer Schule schweben, wo noch Rauch über dem nur mehr schwelenden Feuer hing, das die Milizionäre gelegt hatten, bevor wir abfuhren. Ich stellte mir alle möglichen törichten Dinge vor. Ich hatte nicht geschlafen. Der Gestank der Schuhe hing in der Luft, sie verbrannten nicht so schnell. Der Geruch erinnerte an die Häute der Tiere, die in den Schlachthäusern neben den Märkten zum Trocknen aufgehängt waren - Schweine, Kälber, Ziegen, Schafe.

Dann wurden wir in den Hof geführt und mussten uns unter den großen Baum setzen. Wasser platschte von den Ästen, und der Boden war nass. Andere Mädchen, die schon länger hier waren, warteten bereits, einige mit gefalteten Händen, entrückt.

Drei Männer steigen aus einem cremefarbenen Jeep. Zwei sind maskiert und gehen hinter dem dritten her, dem obersten Emir. Er hält einen heiligen Text in der Hand. Alle drei sind bewaffnet. Als der Emir näher kommt, streckt er eine Hand weit aus, und es ist, als würde er die ganze Welt an sich reißen.

Mädchen, die ihn schon einmal gesehen haben, blicken mit scheuer Bewunderung und neuerlichem Staunen zu ihm auf. Einige strecken die Hände aus, um sich wenigstens vorzustellen, dass sie den Stoff seiner Jacke berühren. Sie verehren ihn. Er geht zwischen uns herum, erkennt die neuen Gesichter, sein Blick so wachsam, als sähe er in unsere Köpfe, unsere gequälten Herzen.

»Die Krankheit ist Unwissenheit.« Drei Mal sagte er das. Ich sah ihn nicht an, weil er so grimmig war. Dann hieß er uns als die werdenden Töchter Allahs willkommen und sagte, wir müssten Allah für das Wunder danken, gerettet worden zu sein. Noch würden wir uns vielleicht fremd fühlen, aber sehr bald werde es uns wie Schuppen von den Augen fallen.

Dann machte er die Menschen nieder, denen man uns entrissen hatte. Ungläubige. Diebe. Unser Präsident, unsere Vizepräsidenten, unsere Gouverneure, unsere Polizei, alle korrupt. Sie seien Sultane der Banken, schöpften Reichtum ab, säßen in ihren großen Villen auf ihren goldenen Thronen und sähen sich auf ihren riesigen Fernsehbildschirmen westliche Filme an. Ihre fetten Frauen hätten so viel Geld angesammelt, so viel Gold, so viele Perlen, dass sie zusätzliche Häuser bauen müssten, um diese Schätze aufzubewahren. Selbst die Muslime unter diesen Leuten seien infiziert, in den Pesthauch der Korruption geraten. Wir würden bald begreifen, dass die Erziehung, die wir erhalten hatten, vollkommen falsch sei, so wie auch die Universitätsausbildung, die wir anstrebten, vollkommen falsch sei. Sie dürfe nicht sein.

Dann wies er uns an, auf die vergangenen achtundvierzig Stunden zurückzublicken und die bereits bewirkte Verwandlung zu bestaunen. Es war wieder, als schaute er in unsere Köpfe, und er drohte, wir sollten ja nicht wagen, ihm zu widersprechen. »Als unser Trupp vor zwei Nächten in eure Schule eingedrungen ist, waren eure Soldaten abgezogen, weil sie wussten, dass wir kamen. Könnt ihr diesen Menschen trauen? Könnt ihr Menschen trauen, die dafür bezahlt werden, euch zu bewachen? Wenn ihr wirklich ehrlich seid, muss eure Antwort Nein lauten. Sie hätten einen Gegenangriff unternehmen können, aber das haben sie nicht getan. Sie haben zu viel Angst vor uns. Sie wissen, dass sie den Sambisa-Wald niemals betreten werden. Sie werden euch niemals finden. Sie wissen, dass wir euch auf Allahs Wunsch hierhergeholt haben. Während ihr eure Bücher zusammengesucht und Schultaschen gepackt habt, um zu der Schule zu fahren, wo ihr eure Prüfungen ablegen wolltet, hat Allah euch beobachtet - das war alles vorherbestimmt. Wo waren eure Pfarrer, wo waren eure Betreuer, wo waren eure Lehrer? So ist es immer gewesen. Als der Prophet Mohammed aus Medina verjagt wurde, schauten seine ehemaligen Anhänger weg. Feiglinge. Ungläubige. Eure Eltern denken vielleicht, sie hätten euch geliebt und gut behandelt, aber sie sind blind, geblendet. Unwissenheit ist die Krankheit. Es gibt keinen Gott außer Allah. Bittet um Vergebung für die Sünden eurer Eltern, und Allah wird wissen, ob ihr es in ehrlicher Absicht tut. Vergesst nicht, dass ihr in ein neues Leben wiedergeboren worden seid. Auch wenn ihr glaubt, dass ihr eure Familie liebt, und im Herzen ein Versprechen abgelegt habt, müsst ihr es jetzt aufkündigen, ihr müsst es tilgen. Für eine kleine Weile werdet ihr Mädchentränen vergießen, aber sie werden bald versiegen, und ihr werdet wie Vögel zu den Feldern des Paradieses fliegen. Dort erwarten euch Engel, der Engel Gabriel, der Engel Azrael, der Engel Michael. O ja, unsere irdische Technologie und Kommunikation hat uns geholfen, aber Allah hat uns über alles unterrichtet, selbst über die kleinen Tratschereien in eurem Schlafsaal. Ich spreche jede von euch direkt an. Wendet euch dem Koran zu, wendet euch dem Hadith des Propheten Mohammed zu, wo immer ihr seid, wendet euch Allah zu. Sonst müssen wir euch dazu zwingen, und wir schrecken vor Bestrafungen nicht zurück. Unterdessen geht fröhlich eurem Tagwerk nach, lernt die Suren auswendig, seid wie duftende Blumen, im Wissen darum, dass ihr in die riesige, unbesiegbare Armee Allahs aufgenommen werdet. Ihr seid Kriegerinnen. Dieses Land namens Nigeria muss von Ungläubigen jeglicher Art befreit werden. Ihr werdet in diesem Kampf euren Beitrag leisten. Und ihr werdet stolz darauf sein. Selbst wenn ihr in der Schlacht fallt:...
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Autor

Edna O'Brien, geb. 1930 in Tuamgraney/Westirland, gilt als bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. Bereits ihr Debüt Die Fünfzehnjährigen (The Country Girls), das in Irland verboten wurde, machte sie international bekannt. Seither hat sie mehr als zwanzig Romane und Erzählbände verfasst. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter die American National Arts Gold Medal, der Frank O'Connor Prize, 2018 der PEN / Nabokov Award for Achievement in International Literature und 2019 der rennomierte David Cohen lifetime achievement award.