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Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am27.04.20201. Auflage
'Therapie ist wie Pornografie', schreibt die Psychologin Lori Gottlieb. 'Beides setzt eine gewisse Art von Nacktheit voraus. Beides kann großen Nervenkitzel auslösen. Und beides wird von Millionen Menschen in Anspruch genommen, die meisten behalten es jedoch lieber für sich.'
Als Lori Gottlieb sich selbst nach einer Trennung in Therapie begibt, ergeht es ihr ebenso wie ihren Patienten: Sie muss ihre eigenen blinden Flecken erkennen und sich verletzlich machen, um an Trauer, Scham und Schmerz wachsen zu können. Der schwer greifbare Prozess, der in dem intimen Verhältnis zwischen Therapeut und Patient abläuft, hat die Macht uns zu verändern, möglicherweise sogar unser ganzes Leben. Lori Gottlieb liefert eine brillante Hommage an den Menschen in all seinen Widersprüchlichkeiten und einen tiefbewegenden Einblick in alle Aspekte der Psychotherapie. Diese Lektüre lässt einen verändert zurück.
'Ein Buch, das süchtig macht.' (People)

Lori Gottlieb ist Psychotherapeutin und Autorin mehrerer Bestseller, sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien. Gottlieb schreibt regelmäßig für The Atlantic, The New York Times, Time, People, Elle und Slate.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

Klappentext'Therapie ist wie Pornografie', schreibt die Psychologin Lori Gottlieb. 'Beides setzt eine gewisse Art von Nacktheit voraus. Beides kann großen Nervenkitzel auslösen. Und beides wird von Millionen Menschen in Anspruch genommen, die meisten behalten es jedoch lieber für sich.'
Als Lori Gottlieb sich selbst nach einer Trennung in Therapie begibt, ergeht es ihr ebenso wie ihren Patienten: Sie muss ihre eigenen blinden Flecken erkennen und sich verletzlich machen, um an Trauer, Scham und Schmerz wachsen zu können. Der schwer greifbare Prozess, der in dem intimen Verhältnis zwischen Therapeut und Patient abläuft, hat die Macht uns zu verändern, möglicherweise sogar unser ganzes Leben. Lori Gottlieb liefert eine brillante Hommage an den Menschen in all seinen Widersprüchlichkeiten und einen tiefbewegenden Einblick in alle Aspekte der Psychotherapie. Diese Lektüre lässt einen verändert zurück.
'Ein Buch, das süchtig macht.' (People)

Lori Gottlieb ist Psychotherapeutin und Autorin mehrerer Bestseller, sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien. Gottlieb schreibt regelmäßig für The Atlantic, The New York Times, Time, People, Elle und Slate.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446266933
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum27.04.2020
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4957939
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

 

1

 

Alles Idioten

 

PATIENTENNOTIZ JOHN:

Patient gibt an, er fühle sich »total gestresst«, außerdem schlafe er schlecht und habe Schwierigkeiten mit seiner Frau. Der Patient berichtet, andere Menschen würden ihm auf die Nerven gehen. Er sucht Hilfe, »um mit all den Idioten zurechtzukommen«.

 

 

Zeige Mitgefühl.

Tief durchatmen.

Zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl â¦

Wie ein Mantra wiederhole ich diesen Satz im Geist, während mir dieser vierzigjährige Mann gegenübersitzt und von all den Leuten in seinem Leben erzählt, die »Idioten« sind. Warum, will er wissen, gibt es auf der Welt nur so viele Idioten? Werden sie schon so geboren? Oder werden sie erst später dazu? Vielleicht, so grübelt er, hat es ja was mit den vielen künstlichen Zusatzstoffen zu tun, die wir heutzutage mit unserem Essen abbekommen.

»Darum versuche ich, mich biologisch zu ernähren«, erklärt er mir. »Damit ich nicht so ein Idiot werde wie all die anderen.«

Langsam verliere ich den Überblick, von welchem der vielen Idioten er gerade spricht: dem Dentalhygieniker, der zu viele Fragen stellt (»und keine rhetorischen«); dem Kollegen, der immer nur Fragen stellt (»Der sagt nie: So oder so ist es. Punkt. Das würde ja heißen, dass er was zu sagen hat«); dem Fahrer des Autos vor ihm, der bei Gelb an der Ampel hielt (»Kommt gar nicht erst auf die Idee, dass andere es vielleicht eilig haben könnten«); dem Techniker von der Genius Bar bei Apple, der Johns Laptop nicht reparieren konnte (»Echt ein Genie, der Mann!«).

»John«, versuche ich gerade einzuwerfen, aber da legt er los und erzählt mir lang und breit eine Geschichte über seine Frau. Ich komme nicht einmal zu Wort, dabei ist er eigentlich zu mir gekommen, damit ich ihm helfe.

Ich übrigens bin seine neue Therapeutin. (Sein voriger Therapeut - »nett, aber ein Idiot« - konnte sich gerade mal drei Sitzungen halten.)

»Und dann wird Margo wütend - können Sie sich das vorstellen?«, erzählt er mir. »Aber sie sagt nicht, dass sie wütend ist. Sie verhält sich nur wütend und erwartet, dass ich sie frage, was sie hat. Aber ich weiß genau, wenn ich sie frage, dann sagt sie die ersten drei Mal nur Nichts . Und beim vierten oder fünften Mal sagt sie dann vielleicht: Du weißt ganz genau, was los ist. Worauf ich dann sage: Nein, weiß ich nicht, sonst würde ich ja wohl nicht fragen! «

Er lächelt. Breit. Ich will versuchen, mit diesem Lächeln zu arbeiten - mir ist alles recht, was diesen Monolog in einen Dialog verwandelt und mir ermöglicht, eine Verbindung zu ihm herzustellen.

»Ich würde gerne verstehen, warum Sie gerade lächeln«, sage ich. »Gerade eben haben Sie mir erzählt, über wie viele Leute, Margo eingeschlossen, Sie sich ärgern. Und trotzdem lächeln Sie.«

Sein Lächeln wird noch breiter. Weißere Zähne als seine habe ich noch nie gesehen. Sie schimmern wie Perlen. »Ich lächle, weil ich genau weiß, was meine Frau aufregt, Sherlock.«

»Ah!«, entgegne ich. »Also â¦«

»Stopp, stopp!«, unterbricht er mich. »Das Beste kommt noch. Also, wie gesagt, ich weiß ganz genau, was los ist, aber ich habe einfach keine Lust, mir wieder einen ihrer Vorwürfe anzuhören. Also frage ich nicht nach, sondern gehe stattdessen zur Tagesordnung über â¦«

Er verstummt und guckt auf die Uhr im Bücherregal hinter mir.

Ich würde diese Gelegenheit gern nützen, um John zu bremsen. Ich könnte ihn darauf ansprechen, dass er gerade auf die Uhr gesehen hat. (Fühlt er sich hier vielleicht gehetzt?) Oder dass er mich eben Sherlock genannt hat. (Hat er sich über mich geärgert?) Ich könnte auch mehr an der Oberfläche bleiben, bei dem, was wir in der Psychologie die »Patientenschilderung« nennen, bei der Geschichte, die er erzählt. Ich könnte zum Beispiel versuchen zu verstehen, warum er Margos Gefühle mit Vorwürfen gleichsetzt. Bliebe ich aber bei dieser Schilderung, so würden wir in dieser Sitzung überhaupt keinen Draht zueinander bekommen, denn John ist, wie mir allmählich klar wird, ein Mensch, der Probleme damit hat, eine Verbindung zu den Menschen in seinem Leben herzustellen.

»John«, versuche ich einen neuen Anlauf. »Vielleicht könnten wir uns mal anschauen, was gerade passiert ist â¦«

»Ja, gut.« Er schneidet mir das Wort ab. »Ich habe ja noch zwanzig Minuten.«

Ich spüre den Anflug eines Gähnens, eines ordentlichen Gähnens. Nach meinem Empfinden braucht es schier übermenschliche Kräfte, um meine Kiefer zusammenzuhalten wie in einem Schraubstock. Ich spüre, wie meine Muskeln sich sträuben und mein Gesicht zu den seltsamsten Grimassen verlocken, aber zum Glück kann ich dem Impuls zu gähnen standhalten. Was mir aber dummerweise entfährt, ist ein Rülpser, und ein lauter noch dazu. Als wäre ich betrunken. (Bin ich nicht. Im Moment habe ich zwar selbst einige Probleme, aber Alkoholismus gehört nicht dazu.)

Der Rülpser reißt meine Lippen auseinander. Ich presse sie so fest zusammen, dass meine Augen zu tränen beginnen.

John scheint von alldem nichts mitbekommen zu haben. Logisch, er schimpft immer noch über Margo. Margo hat dies gemacht. Margo hat jenes getan. Ich habe dies gesagt. Sie jenes. Also habe ich gesagt â¦

Während meiner Ausbildung hat mir eine meiner Supervisorinnen einmal gesagt: »Jeder Mensch hat etwas Liebenswertes.« Und zu meiner großen Überraschung stellte ich später fest, dass sie damit recht hatte. Es ist unmöglich, einen Menschen immer besser kennenzulernen und ihn nicht irgendwann zu mögen. Wir sollten alle Feinde auf Erden nehmen und sie miteinander in einen Raum setzen, damit sie sich ihre Geschichten erzählen, die Erfahrungen, die sie geprägt haben, ihre Ängste und ihre Kämpfe. Dann würden die Kontrahenten weltweit endlich miteinander auskommen. Ich habe buchstäblich an jedem Menschen, mit dem ich als Therapeutin gearbeitet habe, etwas Liebenswertes gefunden, sogar an dem Mann, der einen Mordversuch beging. (Unter seiner Wut steckte ein echter Schatz von einem Menschen.)

Daher nahm ich es John nicht krumm, dass er mir in der Woche zuvor, bei unserer ersten Sitzung, erklärt hatte, er komme zu mir, weil ich hier in Los Angeles ein »Niemand« sei. Was heißen sollte, dass ihm keiner seiner Kollegen aus der Fernsehbranche über den Weg laufen würde, wenn er zur Behandlung käme. Seine Kollegen, mutmaßte er, würden zu »bekannten, erfahrenen Therapeuten« gehen. Ich notierte diese Bemerkung zum Zwecke einer späteren Verwendung, dann nämlich, wenn er bereit wäre, sich mir gegenüber zu öffnen. Ich zuckte auch nicht zusammen, als er mir am Ende unserer Stunde ein Bündel Geldscheine in die Hand drückte und meinte, er würde lieber bar bezahlen, weil seine Frau nicht wissen solle, dass er eine Therapie machte.

»Sie werden so was wie meine Geliebte sein«, konstatierte er. »Na ja, eigentlich eher meine Nutte. Nichts für ungut, aber Sie sind nicht der Typ Frau, den ich zur Geliebten nehmen würde â¦ wenn Sie wissen, was ich meine.«

Ich wusste nicht, was er meinte. (Jemanden, der blonder war? Jünger? Mit weißeren, strahlenderen Zähnen?) Doch ich nahm an, dass dies einer von Johns Abwehrmechanismen war, mit denen er jede Form von Nähe abblockte und vor sich selbst leugnete, dass er andere Menschen brauchen könnte.

»Haha, meine Nutte«, lachte er und blieb in der Tür stehen. »Ich komme einfach einmal pro Woche hierher, lade sämtlichen Frust ab, der sich aufgestaut hat, und keiner weiß es! Ist das nicht lustig?«

Oh ja, wollte ich schon sagen, superlustig.

Trotzdem war ich zuversichtlich, wie ich ihn so lachend über den Gang entschwinden hörte, dass ich auch John langsam, aber sicher mögen würde. Hinter der abstoßenden Fassade würde bestimmt etwas Nettes, ja vielleicht sogar Schönes zum Vorschein kommen.

Aber das war letzte Woche gewesen.

Heute scheint es, dass er schlicht und einfach nur ein Arschloch ist. Ein Arschloch mit Wahnsinnszähnen.

Zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl. Ich wiederhole still mein Mantra und konzentriere mich wieder auf John. Jetzt erzählt er von einem Typen aus dem Team seiner Sendung, der irgendetwas falsch gemacht hat. (In Johns Version der Geschichte firmiert dieser Mann nur unter: »der Idiot«.) Und in ebendiesem Moment fällt mir etwas auf: Johns Schimpftiraden klingen geradezu unheimlich vertraut. Nicht die einzelnen Vorfälle, aber die Emotionen, die sie in ihm auslösen - und in mir. Ich weiß, wie viel Selbstbestätigung ich daraus ziehen kann, der Welt da draußen die Schuld zu geben für etwas, das mich frustriert. Zu leugnen, dass ich in dem existenziellen Drama namens Mein unglaublich bedeutsames Lebens eine wie auch immer geartete aktive Rolle spiele. Ich weiß, wie es sich anfühlt, mit selbstgerechter Entrüstung in der Gewissheit zu schwelgen, dass ich im Recht bin und mir auf schreckliche Weise Unrecht widerfahren ist, denn genauso habe ich mich den ganzen Tag über gefühlt.

Was John nicht weiß, ist, dass ich total fertig bin, weil am Abend zuvor der Mann, von dem ich glaubte, dass er mich heiraten würde, aus heiterem Himmel mit mir Schluss gemacht hat. Heute versuche ich nun, mich ganz auf meine Patienten zu konzentrieren (und erlaube mir nur in den zehn Minuten Pause zwischen zwei Sitzungen zu heulen, worauf ich sorgfältig alle verräterischen Spuren von verlaufener Wimperntusche beseitige, bevor der...

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Autor

Lori Gottlieb ist Psychotherapeutin und Autorin mehrerer Bestseller, sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien. Gottlieb schreibt regelmäßig für The Atlantic, The New York Times, Time, People, Elle und Slate.