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Elsterjahre

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.08.20211. Auflage
An einem Frühlingstag fällt ein Elsterjunges aus seinem Nest und in Charlie Gilmours Leben - es ist der Beginn einer bewegenden Liebesgeschichte zwischen Mensch und Tier. Charlie und seine Freundin Yana päppeln das Küken auf, das anfangs nicht weniger anspruchsvoll ist als ein eigenes Baby: Es wacht bei Sonnenaufgang schreiend auf, muss alle zwanzig Minuten gefüttert werden, trägt aber leider keine Windel. Doch nicht nur im Haus sorgt die kleine Elster für Chaos. Während Charlie sich liebevoll kümmert, gerät er mehr und mehr über sich selbst ins Grübeln, und schließlich stellt er sich lange verdrängten Fragen: Wer hat mich mehr geprägt: mein biologischer Vater oder der, der mich großgezogen hat? Kann ich Verantwortung für ein Baby übernehmen, obwohl ich kaum in der Lage bin, mich um mich selbst zu kümmern? Charlie nimmt wieder Kontakt zu seinem leiblichen Vater auf, der früher selbst einmal eine Dohle großgezogen hat. Haben die beiden doch mehr gemein als lange angenommen? Was, wenn er dazu bestimmt ist, die Fehler seiner Vaters zu wiederholen? Über all dem wird seine Beziehung zu dem Vogelwaisen immer enger. Irgendwann wird er sich jedoch von ihm trennen müssen. Doch die Elster denkt gar nicht daran, ihn zu verlassen ...

Charlie Gilmour, geboren 1989, wuchs in London und Sussex auf. Er studierte Geschichte an der Cambridge University. Heute lebt er mit seiner Frau und Tochter in London und schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine. Sein Debüt Elsterjahre wurde von der Presse als ein herausragendes Stück Nature Writing gefeiert.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextAn einem Frühlingstag fällt ein Elsterjunges aus seinem Nest und in Charlie Gilmours Leben - es ist der Beginn einer bewegenden Liebesgeschichte zwischen Mensch und Tier. Charlie und seine Freundin Yana päppeln das Küken auf, das anfangs nicht weniger anspruchsvoll ist als ein eigenes Baby: Es wacht bei Sonnenaufgang schreiend auf, muss alle zwanzig Minuten gefüttert werden, trägt aber leider keine Windel. Doch nicht nur im Haus sorgt die kleine Elster für Chaos. Während Charlie sich liebevoll kümmert, gerät er mehr und mehr über sich selbst ins Grübeln, und schließlich stellt er sich lange verdrängten Fragen: Wer hat mich mehr geprägt: mein biologischer Vater oder der, der mich großgezogen hat? Kann ich Verantwortung für ein Baby übernehmen, obwohl ich kaum in der Lage bin, mich um mich selbst zu kümmern? Charlie nimmt wieder Kontakt zu seinem leiblichen Vater auf, der früher selbst einmal eine Dohle großgezogen hat. Haben die beiden doch mehr gemein als lange angenommen? Was, wenn er dazu bestimmt ist, die Fehler seiner Vaters zu wiederholen? Über all dem wird seine Beziehung zu dem Vogelwaisen immer enger. Irgendwann wird er sich jedoch von ihm trennen müssen. Doch die Elster denkt gar nicht daran, ihn zu verlassen ...

Charlie Gilmour, geboren 1989, wuchs in London und Sussex auf. Er studierte Geschichte an der Cambridge University. Heute lebt er mit seiner Frau und Tochter in London und schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine. Sein Debüt Elsterjahre wurde von der Presse als ein herausragendes Stück Nature Writing gefeiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644001879
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum17.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1771 Kbytes
Artikel-Nr.4967375
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

In den nächsten Tagen versuche ich, so gut ich kann, die Elster in der Schachtel zu ignorieren. Mehr denn je bin ich überzeugt, dass ihr ein früher Tod bestimmt ist. Yana hat irgendeinen Parasiten entdeckt, der in ihrem Hals wohnt. Sie hat regelmäßig Krämpfe - entsetzliche, herzzerreißende Anfälle, bei denen sie sich auf die Seite wirft und zuckt wie ein unter Strom gesetzter Frosch. Yanas Problem, beschließe ich. Sie schluchzt, wenn ein Anfall kommt, und lässt mit der Fingerspitze Wasser in die Ecke des Schnabels tropfen, was den Vogel irgendwie wiederbelebt, auch wenn die nächste Attacke nie weit zu sein scheint. Ich vermute, dass dies auch der Grund war, weswegen er aus dem Nest geworfen wurde. Vögel wissen, wann ein Junges aus ihrer Brut die Aufzucht nicht lohnt. Und auch ich schreibe das kleine Geschöpf ab. Es hat keinen Zweck, sein Herz an etwas zu hängen, das nicht bei einem bleiben wird.

Außerdem habe ich den leisen Verdacht, dass Yana aus mir den Elstervater zu machen gedenkt. Was wahrscheinlich nur natürlich ist. Yana ist Bühnenbildnerin und häufig tagelang unterwegs. Während ich ein unterbeschäftigter Schriftsteller bin und das Haus in letzter Zeit überhaupt nur noch sehr selten verlasse. Bunkermentalität - trotzdem scheint es der Außenwelt gelungen zu sein, sich Eingang zu verschaffen. Falls das Geschöpf überlebt, wird die Rolle des obersten Wurmzerquetschers am Ende wohl unvermeidlich mir zufallen. Und sollte die Elster diese turbulente erste Strecke schaffen, wird sie ganz zweifellos eine Menge Fürsorge benötigen, ehe sie wieder in die Freiheit entlassen werden kann. Sie ist nicht einmal in der Lage, selbst für ihr Futter zu sorgen; und Fliegen erscheint wie ein ferner Traum. Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis sie es lernt.

Ich versuche, mich desinteressiert zu geben, wenn Yana sich um das Geschöpf kümmert, auch wenn es mir schwerfällt, kalt zu bleiben. Sie hat ihre liebe Mühe damit, seinen Magen auch nur halbwegs gefüllt zu halten. Sie tötet unentwegt Würmer, rollt warmes Lammgehacktes in winzige Elsterfleischklößchen, weicht Hundekuchen in warmem Wasser auf und schiebt alles in den Vogel. Mir ist nicht klar, woher sie weiß, wie man all das macht, aber offenbar funktioniert es. Das Überleben der Elster scheint allerdings weiterhin sehr ungewiss - sie ist kaum kräftig genug, um das winzige Gewicht ihres eigenen Köpfchens zu tragen, und sie zittert und krampft immer noch fürchterlich - aber unter Yanas schützenden Fittichen nimmt die Häufigkeit der Anfälle allmählich ab. Die blauen Augen des Vogels bleiben länger offen, und sie folgen Yana und mir hungrig durchs Zimmer.

Ein paar Tage später passiert das Unvermeidliche. Yanas Agent ruft an, es habe sich kurzfristig ein lukrativer Auftrag ergeben - in Paris. Yana wischt sich den Fleischsaft von den Händen, zieht den Reißverschluss ihres Overalls hoch und ist, die Werkzeugtasche über der Schulter, einen Elsterlidschlag später schon aus der Tür. In einer Woche zurück, sagt sie beim Gehen.

Ich starre auf den Vogel. Der Vogel starrt unverwandt zurück, legt den Kopf schief, sodass er mich mit seiner schwarzen, stecknadelgroßen Pupille zielgenau im Blick hat. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hinter diesen hellen Edelsteinaugen eine Intelligenz lauert - eine Intelligenz, die mich genauso intensiv erforscht, wie ich den Vogel. Ich habe mich noch nie von einem Tier so angeschaut gefühlt. Mir kommen Bedenken, ob das hier gutgehen wird. Ich bin unbeholfen, zerstreut und ein notorischer Verantwortungsverweigerer. Und die Elster ist zügig dabei, ebenso fordernd und unvernünftig zu werden wie ein kleines Kind im Süßwarenladen - ist aber trotzdem noch so verletzlich wie Zuckerwatte.

Allein mit dem Vogel, setze ich mich an den Computer und versuche, mehr darüber herauszufinden, was man mit einem solchen Geschöpf anzustellen hat. Viel Glück habe ich nicht. Es gibt da draußen eine Menge praktischer Informationen, aber auf den ersten Blick scheint es sich eher um das Vernichten von Elstern zu drehen als um ihre Erhaltung. In Schädlingsbekämpfungsblogs und Foren von Luftgewehrliebhabern gibt es ellenlange Diskussionen darüber, wie man diese Vögel ködert und erschießt oder einfängt. Hobbyjäger locken sie mit Fleischstückchen in ihren Höfen und ballern ihnen dann mit Bleischrot das Gehirn weg. Sie posten Angeberfotos von ihrer Beute: erwachsene Elstern, auf den Boden geworfen wie verölte Lumpen, die schillernden Federn noch feucht von Blut. Angesichts des Hasses, auf den ich im Netz stoße, nehme ich auf der Stelle Partei für die Elster.

Im Grunde begreife ich nicht, wieso sie derart gehasst werden. So wie die Leute ihnen unterstellen, sie würden Singvögel ermorden, klingt es, als seien die Elstern höchstpersönlich für den Kollaps des Ökosystems verantwortlich. Zwar trifft es offenbar tatsächlich zu, dass Elstern opportunistische Räuber sind, die manchmal die Eier und die Jungen anderer Vögel fressen - aber wieso werden dann Turmfalken, Bussarde, Sperlingsfalken, Eulen, Katzen und, vor allem, Menschen nicht mit derselben Inbrunst gehasst und gejagt? Je mehr ich mich in die angeblichen Verbrechen von Elstern vertiefe, desto unsinniger kommt mir das Ganze vor. Sie sollen Augen, Zunge und Anus von Lämmern herausreißen. Unter ihrer Zunge trügen sie einen Fleck aus Teufelsblut. Als einzige unter sämtlichen Vögeln hätten sie sich geweigert, Christus zu beweinen. Und wie verrückt hätten sie von der Takelage der Arche Noah hinuntergekeckert, während Zivilisationen versanken. Allein das englische Wort für Elster, magpie, als solches scheint mit uralter Verachtung belastet. Es leitet sich vom altenglischen mag her, einem abfälligen Begriff für Klatschweib, als Anspielung auf das lärmige Geschnatter des Vogels, obwohl doch eher die Elstern selbst Opfer des Klatsches sind. Vielleicht hat der Hass, den die Menschen ihnen gegenüber hegen, ja etwas mit den ihnen unterstellten übernatürlichen Kräften zu tun. Elstern sollen Schicksalsvögel sein, die Glück und Pech bringen. Sie können die Zukunft voraussagen, sie wissen Bescheid über Tod und Geburt. Jeder Engländer kennt den Kinderreim One for sorrow ... in irgendeiner Version. Auf Deutsch lautet er etwa: Eine Elster bringt Kummer, zwei bringen Freude, drei eine Hochzeit, vier eine Geburt, fünf Silber, sechs Gold und sieben den Teufel höchstpersönlich.

All das ist sehr interessant, aber wirklich nützlich ist es im Moment nicht. Also greife ich zum Telefon, rufe stattdessen meine Großmutter an und bitte sie um Rat. In ihrem ausgesprochen abwechslungsreichen Leben war sie unter anderem Soldatin in der Roten Armee des Großen Vorsitzenden, Ansagerin bei Radio Peking, Übersetzerin für die staatliche chinesische Propagandaabteilung und - am unvorstellbarsten für alle, die sie kennen - Rektorin einer Dorfschule in Devon. Sie hatte mehr Ehemänner, als ich namentlich nennen könnte, und die einzige Konstante in ihrem Leben scheinen Tiere zu sein. Sie hat Hausgänse und Ziegen gehalten, Staffordshire-Bullterrier gezüchtet, ein Schoßäffchen besessen, das gern heimlich in den Kaffee der Leute pinkelte. Und dann war da jener Spatz, den sie, als eine Art kommunistischer Doktor Dolittle, vermutlich unter großem persönlichem Risiko während Maos Kampagne gegen die Vögel rettete. Mit der schwachsinnigen Spatzen-Zerschmetter-Kampagne wollte man die gesamte Art auslöschen, um zu verhindern, dass die Ernte an diebische Schnäbel verlorenging. Die Spatzen wurden in die Luft gescheucht und mit Trommeln, Rasseln und Knallkörpern so lange dort oben gehalten, bis sie vor Erschöpfung abstürzten. Berge sterbender Spatzen lagen wie Schneeverwehungen in den Straßen Pekings. Und eines dieser Wesen sammelte meine Großmutter auf und fütterte es heimlich. Sie ist selbst ein zäher alter Vogel - der Kerl, der sie am Tag der Rentenauszahlung überfallen wollte, täte mir leid -, aber auch ein treu sorgender.

«Eine Elster?», quiekt sie. «Wofür willst du so einer das Leben retten? Grässliche Kreaturen. Warum ertränkst du sie nicht lieber?»

Oh, denke ich. Ich bin ahnungslos über eines der vielen irrationalen Hassobjekte meiner Großmutter gestolpert, und das sind offenbar häufig Tiere. Sie scheint sich eine ihrer privaten Logik von Gut und Böse unterworfene Welt der Natur konstruiert zu haben, die, von außen betrachtet, nicht unbedingt immer sehr einleuchtend ist. Die fette, einäugige Ratte, die unter den Dielen ihres Wintergartens herumraschelt, ist eine Quelle großen Vergnügens, aber die Ringeltauben, die fröhlich von einem Ast im Nachbargarten gurren, sind böse. Und das scheinen auch die Elstern zu sein. Ich höre mir an, dass das Paar mit seinem Nest in dem Baum oberhalb ihres kleinen Cottages in einer ruhigen Ecke Nordlondons sie mit seinem wüsten Keckern in den Wahnsinn treibe. Sie hat die beiden in Verdacht, ihr kleines Rotkehlchen fressen zu wollen, und möchte wissen, ob ich ihr eine Pistole besorgen könne, am liebsten eine mit Schalldämpfer.

Als Nächstes versuche ich es bei meiner Mum und hoffe auf mehr Glück, während ich es läuten lasse. Sie ist im hausgemachten Zoo meiner Großmutter aufgewachsen, und so, wie sie davon erzählte, klang es, als sei sie generell für die anderen Bewohner verantwortlich gewesen. Jedes Mal, wenn Blodwin, die Ziege, ausriss, um sich an den Blumenbeeten der Dorfbewohner gütlich zu tun, war sie es, die losziehen und sie wieder einfangen musste. Wenn zwischen den übellaunigen Gänsen die Federn flogen, wurde sie raus auf den Hof geschickt, um sie mit viel Schreien und Armewedeln auseinanderzutreiben....
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Autor

Charlie Gilmour, geboren 1989, wuchs in London und Sussex auf. Er studierte Geschichte an der Cambridge University. Heute lebt er mit seiner Frau und Tochter in London und schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine. Sein Debüt Elsterjahre wurde von der Presse als ein herausragendes Stück Nature Writing gefeiert.Christel Dormagen, geboren 1943 in Hamburg, arbeitet seit dem Studium der Anglistik und Germanistik als Journalistin für Rundfunk und Printmedien sowie als Übersetzerin für angloamerikanische Literatur. Sie lebt in Berlin.