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Ohne euch wär's super hier

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am18.05.20211. Auflage
Wer denkt, Weihnachten mit der Verwandtschaft sei hart, war noch nie mit ihr in den Ferien! Egal, ob Cousinentreffen in der Provinz (Wer sind diese Menschen?), Städtetrip mit den Geschwistern (Fällt es wohl auf, wenn ich in der Altstadt verloren gehe?) oder Kreuzfahrt mit den Eltern (Paar über Bord!): Was anfangs nach einer guten Idee klang, entpuppt sich vor Ort als Stresstest. Und liefert im nachhinein Stoff für die besten Geschichten!

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller 'Alle Orte, die man knicken kann'. Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,99

Produkt

KlappentextWer denkt, Weihnachten mit der Verwandtschaft sei hart, war noch nie mit ihr in den Ferien! Egal, ob Cousinentreffen in der Provinz (Wer sind diese Menschen?), Städtetrip mit den Geschwistern (Fällt es wohl auf, wenn ich in der Altstadt verloren gehe?) oder Kreuzfahrt mit den Eltern (Paar über Bord!): Was anfangs nach einer guten Idee klang, entpuppt sich vor Ort als Stresstest. Und liefert im nachhinein Stoff für die besten Geschichten!

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller 'Alle Orte, die man knicken kann'. Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644007109
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum18.05.2021
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4968189
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Till Raether Die Herrscherin der Welt

Als ich klein war, fuhren wir jeden Sommer auf die Insel Fanø, vor der jütländischen Hafenstadt Esbjerg, an der dänischen Nordseeküste. In Esbjerg wohnte meine Tante mit ihrem dänischen Mann Emmik und ihren Töchtern, meinen Cousinen. Die Cousinen interessierten sich nicht für mich, sie waren Fans von Christian Anders und davon, nicht da zu sein, wenn mein Bruder und ich mit meinen Eltern im VW-Käfer mit Fußraum-Konservendosen aus West-Berlin kamen. Meine Tante und Emmik besaßen ein Ferienhaus auf Fanø. Oder genauer gesagt zwei, aber das zweite war illegal, und damit fingen die Probleme an.

Wobei, in Wahrheit begannen sie viel früher. Vielleicht zu dem Zeitpunkt, als mein Vater am Übergang Dreilinden von einem DDR-Grenzbeamten zu einem längeren Gespräch gebeten wurde, weil er auf die Routinefrage des Grenzpersonals, «Waffen, Munition, Funkgeräte?», wie jeden Sommer geantwortet hatte: «Danke, wir kaufen nichts.» Mein Bruder und ich brieten auf der Rückbank, die Noppen im Käferplastikpolsterbezug bildeten eine Art Näpfchendruck in unseren Oberschenkeln, und meine Mutter seufzte vorne ärgerlich in den Proviantkorb. Nach zwei Stunden kam mein Vater wieder, und die Reise, die wir vor fünf Stunden in Zehlendorf-Mitte, drei Kilometer entfernt, angetreten hatten, konnte losgehen.

Ich war zehn oder elf, mein Bruder sieben oder acht. Uns war alles egal, solange am Ende der Strapazen grünes Eis und Käferfahren am breiten Strand auf uns warteten - wir auf dem Schoß meines Vaters, er kuppelte und schaltete, mein Bruder und ich durften Gas geben und lenken, am Strand brauchte man nicht zu bremsen.

Meine Eltern müssen damals bereits über Scheidung nachgedacht haben. Aber sie stritten fast nie, das von meinem Onkel selbst gebaute Sommerhaus hatte so dünne Wände, dass wir es gehört hätten, während wir in unseren eingebauten Etagenbetten lagen, ich immer oben. Im Sommerhaus roch es nach Hochsommer, nach Sand, heißer Dachpappe, endlich doch noch durchgetrockneten, aber nie wieder ganz frischen Wolldecken, und dem Geschirr, das niemals so richtig sauber wurde. Meine Mutter sah durchs Fenster der Küchenzeile hinaus auf das verbotene Haus, die Hände im Spülwasser, das dabei kalt wurde, sie interessierte sich manchmal nicht für so alltägliche Dinge. Mein Vater kratzte dann am nächsten Tag mit dem Daumennagel am Teller oder Kaffeebecher, sagte aber nichts.

Alles auf Fanø war streng geregelt, vor allem, wo und wie viele Ferienhäuser gebaut werden durften. Dadurch hatte die Insel etwas Heiteres, dünn Besiedeltes. Es gab nur ein oder zwei alte Hotels, keine Ferienanlagen, und hölzerne Sommerhäuser, die wie das meines Onkels selbstgebaut aussahen. Wenn meine Eltern guter Dinge waren, diskutierten sie mit meinem Bruder und mir beim Spazierengehen oder beim Rückweg vom Strand darüber, welches Sommerhaus wessen liebstes war. Alle hatten Namen, viele maritime Verzierungen, vor allem Treibholz und anderes Strandgut. Das größere Sommerhaus meines Onkels und meiner Tante hatte den Namen «Hus Faxe», das kleinere wurde nur «Lille Hus» genannt und war, wie erwähnt, verboten. Offenbar waren meinem Onkel die fürsorglichen Fesseln des dänischen Staates zu eng geworden, und er hatte auf seinem Sommerhausgrundstück, versteckt in einer Dünensenke, ohne Genehmigung der Gemeinde zusätzlich zum genehmigten Hus Faxe noch das Lille Hus gebaut. Man konnte es von dem Feldweg, der aus Rindby Strand ins Ferienhausgelände führte, nicht erkennen, der mit Bruchplatten belegte, ansteigende Weg führte anscheinend nur zum offiziellen Hus Faxe, hinter dem man auf einer noch höheren Düne die grauen Umrisse eines deutschen Bunkers erkennen konnte. Die Deutschen (also nicht wir, obwohl wir auch Deutsche waren, aber so wurde es uns erklärt) hatten hier «im Krieg» alles mit Bunkern vollgebaut, in die mein Bruder und ich nun nicht gehen sollten, da sie am Meeresrand mit Wasser vollgespült werden konnten, und man ertrank, oder in den Dünen rutschte Sand in sie, und man wurde verschüttet, oder es hatte jemand hineingekackt.

Das Lille Hus hatte zwar einen Wasseranschluss und Strom, aber nur einen Raum und ein Chemieklo. An den Wochenenden kamen meine Tante und mein Onkel; dann wohnten sie im Lille Hus und sahen von dort etwa zwanzig Meter entfernt zu uns hinauf. Mein Vater und meine Mutter waren bei diesen Besuchen immer angespannt. Sie fühlten sich überwacht und unter Druck, mit Emmik und meiner Tante an den Nacktbadeabschnitt des Strandes zu fahren. Er begann hinter einer in den Boden gerammten inoffiziellen Planke. Dort lagen die Erwachsenen dann unbekleidet auf ihren Bäuchen und redeten nicht viel. Nur Emmik hielt einen großen Vortrag darüber, dass man die Autoreifen bei gutem Wetter mit Brettern abdecken musste, um das Gummi vor der Sonne zu schützen. Sonst konnte später auf der Straße ein Reifen platzen, und unter Umständen starb man, eine Familie ausgelöscht. Die Bretter nannte er «Brammen».

 

Als wir nun in jenem Sommer nach Rindby Strand kamen und unser Gepäck den Bruchplattenweg hinauftrugen, stimmte etwas mit dem verbotenen Lille Hus nicht. Mein Bruder und ich trugen jeder nur einen kleinen roten Koffer mit weißen Rändern, Pappe und Plastik, darin Spielsachen. Ich schämte mich wegen der Babyhaftigkeit dieser Behälter. Darin waren zwar Jugendbücher, aber auch Kinderkram wie meine Lupe, ein leeres Marmeladenglas zum Insektenfangen, ein beiseitegeschafftes Feuerzeug und Auszüge meiner Kronkorkensammlung, die ich in Dänemark vervollständigen wollte.

Jedenfalls stand auf der kleinen ins Strandgras vorgebauten Veranda vorm Lille Hus ein etwa dreizehn bis dreiundzwanzig Jahre altes Mädchen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie alt so eine Göttin womöglich war (heute würde ich sagen: Dreizehn traf es vermutlich sehr gut).

Sie lehnte an der vom Inselregen grau ausgewaschenen Holzbalustrade, kratzte sich am Hinterkopf, den Blick Richtung Bunker gewendet, also weg von uns, und rauchte. Das Auto konnte sie unmöglich überhört haben, aber an ihrem Gesichtsausdruck, als sie den Kopf in unsere Richtung drehte, war klar zu erkennen: Sie war überrascht, wenn nicht entsetzt. Sie sah aus, als hätte sie einige Tage nicht geduscht, ihr Sweatshirt auf links gedreht und Haferhalme in dessen außen hängenden weicheren Innenseite. Meine Mutter hatte gerade aufgehört mit dem Rauchen, mein Vater stopfte hin und wieder aufwendig eine Pfeife, und beide waren sich einig, dass rauchende Kinder und Jugendliche «gar nicht» gingen. Meine Mutter sagte immer: «Das geht gar nicht.» Mein Vater sagte: «Andere Leute sind kein Maßstab für uns.» Das klang besonders, war aber, wenn man sich bei uns umschaute, nicht dingfest zu machen. Wir waren wie alle, und alle, die wir kannten, waren wie wir.

Ich hatte gerade angefangen, das furchtbar zu finden. Seit John Lennons Tod, durch den ich erst von dessen Existenz und von den Beatles erfahren hatte, war die Welt nicht mehr dieselbe für mich. Und hier nun also rauchte eine mindestens Dreizehnjährige und zog sich jetzt, für mich der Gipfel der Dekadenz, einen Walkmankopfhörer aus dem zotteligen Haar. «Das geht gar nicht», sagte meine Mutter, wenn ich von den Vorzügen dieses gerade erfundenen Geräts schwärmte. «Damit schottet man sich ja komplett ab.» Ich versuchte dann, ruhig zu bleiben und zu erklären, dass der Vater von Thorben Fischer einen mitgebracht hätte, für die ganze Familie. «Andere Leute», sagte mein Vater, «sind für uns kein Maßstab.»

Traditionell gingen meine Eltern beim Eintreffen am Hus Faxe hinter uns. Erstens trugen sie sehr viel mehr, zweitens waren mein Bruder und ich aufgeregt und preschten, wie das hieß, vor. Davon konnte bei mir in diesem Moment keine Rede sein. Sobald ich die Herrscherin der Welt erblickte, verlor ich jegliches Interesse an meiner Kindheit und daran, mit einem roten Pappkoffer, dessen weißer Plastikgriff in meine Hand schnitt, irgendwohin zu preschen. Ich blieb stehen und starrte. Das Blickfeld meines Vaters war eingeschränkt durch die Bettwäsche, die er vor sich trug. Er stieß gegen mich, blieb stehen und folgte meinem Blick.

«Nanu», sagte er.

Meine Mutter, dicht dahinter: «Hat Emmik was gesagt, dass sie das Lille Hus vermietet haben?» Ganz neutral eigentlich, einen Vortrag über das Rauchen und womöglich den Walkman würde es erst später geben, wenn wir außer Hörweite waren.

«Emmik darf das gar nicht vermieten», sagte mein Vater. «Wenn die Gemeinde erfährt, dass er das auch noch vermietet, dann ist Schluss.»

«Vielleicht eine Freundin von Beke oder Marianne», sagte meine Mutter. Meine Cousinen waren etwa im Alter der Herrscherin der Welt.

Mein Vater nickte, auch in Richtung vom Lille Hus.

«Hallo!», rief er über den Strandhafer. «Wir haben Hus Faxe gemietet. Von Familie Amundsen. In Esbjerg.»

Das Mädchen legte sich den Walkmankopfhörer um den Hals, wodurch das lange dunkelblonde Haar zu einer Art Fellkragen gebündelt wurde. Nachdenklich rauchte sie weiter, stieß durch die Nasenlöcher Qualm aus und zuckte mit den Achseln.

«Willkommen, willkommen!», rief sie und ließ einen Sweatshirt-Fledermausärmel flattern, während sie ironisch einladend mit dem Arm zum Hus Faxe gestikulierte. Ihr Deutsch verriet schon bei diesen paar Silben eine etwas vernuschelte Dänischhaftigkeit, die mir von nun an unwiderstehlich werden sollte. Sie warf ihre runtergerauchte Zigarette in den Strandhafer vorm Lille Hus, klopfte ihr Päckchen auf die Balustrade, bis ein Filter rausschaute, und zündete sich die nächste an. Mein Bruder war vorgelaufen zum Hus Faxe und wummerte dort...
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Autor

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller "Alle Orte, die man knicken kann". Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus.Mehr erfahren Sie unter: dietmar-bittrich.de