Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Ortschaft

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am22.09.20201. Auflage
»Eine kraftvolle Vision davon, wie unsere Welt zu Ende geht, nicht mit einem Knall, sondern mit einem leisen Wimmern.« The Guardian.

Wir befinden uns in Australien, in einem namenlosen Ort im Outback. Das Hotel hat keine Gäste, am Bahnhof halten keine Züge, der öffentliche Bus dreht einsam seine Runden, das Radio sendet ins Nirgendwo. Ein junger Autor reist hierher, um das Phänomen von Siedlungen zu erforschen, die verschwinden, ohne dass es einen besonderen Grund dafür gäbe. Er findet einen Verbund unzähliger Nicht-Orte vor - und die letzten Bewohner, denen auf der Suche nach der Wahrheit ihrer Vergangenheit die Zeit davonläuft. Denn was soll mit ihnen geschehen, wenn ihre Realität verschwindet?



Shaun Prescott lebt in den Blue Mountains in New South Wales, Australien. Im Selbstverlag hat er verschiedene Bücher veröffentlicht und er ist der Herausgeber des Crawlspace Magazines. »Die Ortschaft« ist sein Debütroman und erscheint in mehr als einem halben Dutzend Ländern.
mehr

Produkt

Klappentext»Eine kraftvolle Vision davon, wie unsere Welt zu Ende geht, nicht mit einem Knall, sondern mit einem leisen Wimmern.« The Guardian.

Wir befinden uns in Australien, in einem namenlosen Ort im Outback. Das Hotel hat keine Gäste, am Bahnhof halten keine Züge, der öffentliche Bus dreht einsam seine Runden, das Radio sendet ins Nirgendwo. Ein junger Autor reist hierher, um das Phänomen von Siedlungen zu erforschen, die verschwinden, ohne dass es einen besonderen Grund dafür gäbe. Er findet einen Verbund unzähliger Nicht-Orte vor - und die letzten Bewohner, denen auf der Suche nach der Wahrheit ihrer Vergangenheit die Zeit davonläuft. Denn was soll mit ihnen geschehen, wenn ihre Realität verschwindet?



Shaun Prescott lebt in den Blue Mountains in New South Wales, Australien. Im Selbstverlag hat er verschiedene Bücher veröffentlicht und er ist der Herausgeber des Crawlspace Magazines. »Die Ortschaft« ist sein Debütroman und erscheint in mehr als einem halben Dutzend Ländern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841219893
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum22.09.2020
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4968677
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2
Die verschwindende Ortschaft

Der Ort war über die Jahre immer größer geworden. Solange seine Bewohner denken konnten, hatte er sich immer weiter ausgedehnt, hatte sich dem Schimmern immer weiter genähert, ohne es je ganz zu durchbrechen.

Man konnte den Ort aus vielen Richtungen erreichen, doch nur zwei davon waren der Rede wert, und von diesen beiden Seiten aus gelangte man in völlig unterschiedliche Ortschaften. Die Straßen waren dieselben, und die Menschen waren dieselben - es war derselbe Ort -, doch wirklich entscheidend war für einen Ortsbesucher nur, aus welchem Blickwinkel er sich zum ersten Mal einen Eindruck vom Ort machte. Die erste Tankstelle, die man sah, wurde zu dem Ort: Sie verkörperte alles, was an ihm vermeintlich wichtig war.

Die Tankstellen hatten sich im Laufe der Jahre verändert. So, wie die Preise auf den Anzeigetafeln stiegen und die Logos der Tankstellenfirmen greller wurden, hätte man glauben können, der Ort würde für immer existieren. Aber er war nur eine weitere Ortschaft am Rande der Straße, die zu einer anderen Ortschaft führte, oder in die Stadt, je nachdem, in welche Richtung man fuhr. Vielleicht gab es auch einfach nur den Highway. Vielleicht war der Ort am Rand der Straße gar kein wirklicher Ort, sondern nur ein fadenscheiniges Gewebe aus Häusern und Ladenfronten, verziert mit ein paar Tankstellen und zusammengehalten von Straßen. Ein Gewebe, in dem eher zufällig Menschen wohnten.

* * *

Mit dem Geld, das ich beim Woolworths verdiente, kaufte ich mir einen Haufen Bücher und CDs. Alles, was ich kaufte, unabhängig von Genre und Stil, wirkte auf mich immer unendlich weit weg von allem, was mich umgab. Nichts davon enthielt irgendeine Stimmung oder einen Gedanken, den ich mit den Bewohnern des Ortes assoziiert hätte.

Die Menschen, über die ich in den Büchern las, und die Gefühle, von denen die Musik handelte, entstammten Regionen, die man genau beobachtet und vollkommen verstanden hatte. In den Sätzen und in den Songtexten ging es um Situationen, von denen man sich ohne Weiteres vorstellen konnte, man könnte irgendwann einmal, zufällig, mit ihnen konfrontiert werden. Die Existenz dieser Situationen in den Büchern und in den Songs schien sie unvermeidbar zu machen, denn Bücher und Songs handeln vom Leben - aber nichts, was von so messerscharfer Logik und von so eleganter Tiefgründigkeit war, fand jemals im Ort statt.

Wenn ich an manchen Abenden von meiner Spätschicht nach Hause ging, war der gesamte Ort betrunken. Der Ort war betrunken, weil es Donnerstag, Freitag oder Samstag war, und manchmal wünschte ich mir, auch betrunken zu sein. Lustlos betrank sich der Ort an solchen ereignislosen Abenden in dem Wissen, dass man jede einzelne dieser Nächte irgendwann vergessen würde. Die Nächte würden nur zusammenschmelzen zu einer letzten, vagen Erinnerung daran, wie es sich in einem bestimmten Lebensabschnitt angefühlt hatte, in dem Ort betrunken zu sein.

Wenn ich an diesen Abenden manchmal von der Straße aus durch die Fenster in die Pubs schaute, fragte ich mich, ob irgendein Mensch wirklich Teil dieses Ortes war. Jedes Wochenende hatte etwas von einem Abschied; alle tranken, als würden sie am nächsten Morgen auf große Reise gehen. So wirkte es - und weshalb sollten sie auch sonst so trinken? Sie tranken, als wäre es ihre Pflicht. Ich vermutete, sie tranken auf die Tatsache, dass sie da waren.

In Büchern und Songs haben die Menschen einen Grund dafür, sich zu treffen und zu trinken, ihre Leben streben auf wichtige Situationen zu. In diesen Büchern und Songs wird Bedeutungslosigkeit viel zu bewusst dargestellt, es wird angedeutet, sie habe einen Ursprung oder eine innere Logik. Die Menschen im Ort lebten zwar ihr Leben, als würden sie niemals sterben, aber sie waren nicht heldenhaft oder tollkühn wie die Menschen in Büchern oder Songs. Sie waren einfach nur da. Und sie schienen besser als alle anderen zu verstehen, dass sie einfach nur da waren.

* * *

Zu der Zeit, als ich noch die Hoffnung hatte, mein Buch über die verschwindenden Ortschaften irgendwann fertigzustellen, durchlief das Buch eine Reihe tief greifender Veränderungen. Das wenige, was Ciara zu meinem Buch gesagt hatte, nahm ich mir sehr zu Herzen. Eine Weile lang dachte ich, ich könne ihre Meinung einfach ignorieren und sie als unqualifiziert abtun, doch als ich mich genauer mit ihrer Kritik befasste, wurde mir klar, dass ich unmöglich ein Buch über bereits verschwundene Ortschaften schreiben konnte.

Es wäre also das Einfachste, ein Buch über diesen Ort zu schreiben, weil das ein Gegenstand war, über den ich Informationen aus erster Hand erhalten konnte. Also fing ich eines Abends nach meiner Spätschicht an, ein Buch über den Ort zu schreiben, und ich meldete mich für die nächsten Tage krank, um meine neue Energie nutzen zu können. Als ich später auf dem Diktiergerät meine Aufnahmen der Passagen hörte, die ich in dieser Phase geschrieben hatte, fühlte ich etwas völlig Neues. Ich glaubte, ich würde möglicherweise etwas Wahres über den Ort schreiben können. Möglicherweise würde ich eines Tages ein Buch geschrieben haben, das Informationen und Eindrücke enthielt, die nicht nur ich und nicht nur die Bewohner des Ortes, sondern vielleicht sogar viele andere Menschen für wahr hielten.

Doch im Laufe der nächsten Wochen trübte sich meine Vorstellung davon, welche Form das Buch annehmen sollte, zusehends. Ich entwickelte ein Gefühl von unbeschreiblicher und nicht nachvollziehbarer Angst. Ich konnte mir nicht erklären, woher diese Angst rührte, und ich glaubte, es sei das Sinnvollste, sie aus sicherer Entfernung zu untersuchen, während ich die Regale im Supermarkt einräumte. Angst schien ein wichtiger - wenn auch nicht vorhandener - Aspekt meines Buches zu sein in jenen Momenten, in denen ich nicht gerade daran schrieb. Aber nach einer Weile schien mir, es sei nötig, ihr auch im Text selbst nachzugehen. Vielleicht teilten ja letztendlich alle Menschen mein Gefühl, dass der Ort auf sein Verderben zusteuerte. Vielleicht würde der Ort seine Vorstellung davon, was er war, überdenken müssen.

* * *

Ein Loch hatte sich im Ort aufgetan. Eines Abends, als ich mir gerade Nudeln kochte, stellte sich Rob in die Küchentür. Irgendwann sah ich auf zu ihm, was er als Aufforderung verstand, mir von dem Loch zu erzählen.

Im Ort gibt es ein Loch, erzählte er. Alle seien total aus dem Häuschen deswegen. Im Park, in der Nähe des Rathauses, wo immer das große Fest am Ortsfeiertag stattfinde, sei ein großes Loch, rund, etwa zwei Meter im Durchmesser. Es scheine so, als führe es nirgendwohin.

Die Polizei hatte schon angefangen, das Loch zu untersuchen. Sie hatten gelbes Absperrband darumgespannt und allen verboten, dem Loch zu nahe zu kommen. Man konnte das Loch aber auch aus der Entfernung gut sehen, weil es nicht einfach ein Loch war, nicht die Art von Loch, wie man es mit einer Schaufel aushebt. Es war eher eine Leere im Boden, eine Leere, die sich in jede mögliche Richtung auszudehnen schien. Es war mehr ein Fehlen von etwas als ein Loch, es war weder schwarz noch dunkel noch hatte es irgendeine andere Farbe oder Schattierung. Es schien so, als habe sich ein Stück Welt einfach in Luft aufgelöst.

Jenny regte sich über das Loch auf. Sie glaubte, jemand oder mehrere Leute würden diese gefährlichen Löcher graben. Warum gräbt man denn Löcher im Park?, fragte sie. Kinder und Betrunkene könnten da reinfallen und sich das Genick brechen.

Ich erzählte Jenny, dieses Loch sei kein gewöhnliches Loch, aber sie blieb ungerührt. Gewöhnlich oder ungewöhnlich, irgendjemand habe es gegraben, und wenn jemand es gegraben hatte, dann, weil dieser Jemand den Ort hasse. Das waren bestimmt diese verdammten Ortsextremisten, murmelte sie.

Alle im Ort unterhielten sich über das Loch, und viele sahen die Sache ähnlich wie Jenny: Das sei nicht einfach nur ein Loch, sondern etwas Bösartigeres. Ein paar wenige Leute, darunter auch Rob, glaubten, das Loch sei etwas Übernatürliches.

Rob erzählte mir, er habe mit Leuten geredet, die schon mal ihre Arme und Beine in das Loch gesteckt hätten. Er sprach davon wie von einem Kapitalverbrechen. Diese Leute hatten ihm bestätigt, dass das kein normales Loch sei: Sie hatten gesagt, alles, was in das Loch hineingehe, löse sich auf. Jemand hatte überlegt, ob man in das Loch hineinspringen und darin dann weg- und weiter nach oben schwimmen könne, weit weg vom Loch, und dann nie wieder an die Oberfläche zurückkehren würde.

Rob war sich sicher, es sei weniger ein Loch und eher so etwas wie ein Portal. Was auch immer sich im Loch befinde, sei möglicherweise größer als der ganze Ort, vielleicht sogar größer als der gesamte Planet.

Rob und seine Kumpels tranken zu viel Bier, als dass ich ihr Gerede hätte ernst nehmen können, also ging ich an einem Donnerstagabend nach meiner Schicht alleine zu dem Loch, um es mir genauer anzusehen. Die Polizei kümmerte sich nicht so sehr um das Loch, und deshalb bewachten sie es auch nicht Tag und Nacht - letztendlich war es ja nur ein Loch. Als ich ankam, standen etwa ein Dutzend der Teenager, die sonst auf dem Parkplatz des McDonald s herumlungerten, hinter dem gelben Absperrband und schmissen Dinge in Richtung Loch - Bierflaschen, Feuerzeuge, Fast-Food-Verpackungen, einmal sogar ein Autoradio, das jemand aus dem Armaturenbrett eines nahe stehenden Pick-ups gerissen hatte. Die ganze Szene war von einer seltsamen Stille erfüllt. Keiner der Gegenstände, die sie...
mehr

Autor

Shaun Prescott lebt in den Blue Mountains in New South Wales, Australien. Im Selbstverlag hat er verschiedene Bücher veröffentlicht und er ist der Herausgeber des Crawlspace Magazines. »Die Ortschaft« ist sein Debütroman und erscheint in mehr als einem halben Dutzend Ländern.