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Sexkultur

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.11.20201. Auflage
Warum lassen wir es nicht einfach? Sex ist großartig. Jedenfalls theoretisch. Wenn aber von der Praxis die Rede ist, dann bleibt es meist dunkel. Misstände und Unglück, Missbrauch und Unzufriedenheit - aller Aufklärung zum Trotz scheint Sex im 21. Jahrhundert nur noch eines zu sein: ein Problem. Passt die menschliche Triebnatur einfach nicht mehr in unsere schöne neue Welt? Wäre da nicht eine Schwierigkeit. Sex ist nicht der Inbegriff unserer tierischen Natur. Jeder Versuch, das Tier in uns wahlweise zu zähmen oder in einer sexuellen Revolution wieder von Dompteuren zu befreien, führt unvermeidlich an der Sache vorbei. Bettina Stangneth stellt die ganz einfache Frage, was Sex überhaupt ist. Wenn doch bisher noch jede Verbotskultur gescheitert ist, braucht es offensichtlich eine klarere Vorstellung von dem, was wir voneinander wollen. Vor allem aber braucht es den Mut positiv über Sex zu sprechen. Es braucht ein Hohelied der leidenschaftlichen Liebe. 'Dieses Buch ist keine Streitschrift. Es ist einfach das Buch eines Menschen für Menschen in der festen Überzeugung, dass es uns gibt.'

Bettina Stangneth, geboren 1966, ist unabhängige Philosophin. Sie studierte in Hamburg Philosophie und promovierte über Immanuel Kant und das Radikal Böse. Für ihr Buch «Eichmann vor Jerusalem» erhielt sie 2011 den NDR-Kultur-Sachbuch-Preis; die «New York Times» zählte es zu den besten Büchern des Jahres. Bei Rowohlt erschienen zuletzt ihre hochgelobten Essays «Böses Denken» (2015), «Lügen lesen» (2017) und «Hässliches Sehen» (2019) sowie die Bände «Sexkultur» (2021) und «Überforderung» (2022). Stangneth erhielt 2022 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWarum lassen wir es nicht einfach? Sex ist großartig. Jedenfalls theoretisch. Wenn aber von der Praxis die Rede ist, dann bleibt es meist dunkel. Misstände und Unglück, Missbrauch und Unzufriedenheit - aller Aufklärung zum Trotz scheint Sex im 21. Jahrhundert nur noch eines zu sein: ein Problem. Passt die menschliche Triebnatur einfach nicht mehr in unsere schöne neue Welt? Wäre da nicht eine Schwierigkeit. Sex ist nicht der Inbegriff unserer tierischen Natur. Jeder Versuch, das Tier in uns wahlweise zu zähmen oder in einer sexuellen Revolution wieder von Dompteuren zu befreien, führt unvermeidlich an der Sache vorbei. Bettina Stangneth stellt die ganz einfache Frage, was Sex überhaupt ist. Wenn doch bisher noch jede Verbotskultur gescheitert ist, braucht es offensichtlich eine klarere Vorstellung von dem, was wir voneinander wollen. Vor allem aber braucht es den Mut positiv über Sex zu sprechen. Es braucht ein Hohelied der leidenschaftlichen Liebe. 'Dieses Buch ist keine Streitschrift. Es ist einfach das Buch eines Menschen für Menschen in der festen Überzeugung, dass es uns gibt.'

Bettina Stangneth, geboren 1966, ist unabhängige Philosophin. Sie studierte in Hamburg Philosophie und promovierte über Immanuel Kant und das Radikal Böse. Für ihr Buch «Eichmann vor Jerusalem» erhielt sie 2011 den NDR-Kultur-Sachbuch-Preis; die «New York Times» zählte es zu den besten Büchern des Jahres. Bei Rowohlt erschienen zuletzt ihre hochgelobten Essays «Böses Denken» (2015), «Lügen lesen» (2017) und «Hässliches Sehen» (2019) sowie die Bände «Sexkultur» (2021) und «Überforderung» (2022). Stangneth erhielt 2022 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644005389
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum17.11.2020
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4969547
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Dennoch


If you are a woman, challenging patriarchy, and you´re bringing sex and sexuality to conversation, run for your life.

Leyla Hussein, Mitgründerin von Daughters of Eve (2018)


Dieses Buch ist sinnlos. Für eine lärmende Zeit zu leise, für die Lust am Hassen zu freundlich, zur allseitigen Selbstinszenierung ganz falsch gekleidet, vor allem aber zu wohlwollend für das erste Viertel eines Jahrhunderts, das wie schon so viele davor ganz der Konfrontation gewidmet ist. Sex ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nichts, worüber man spricht, es sei denn, man befindet sich auf dem Kriegspfad. Kann es wirklich sein, dass wir, kaum der Besorgnis vor dem Jahrtausendwechsel entronnen, schon wieder nichts Besseres zu tun wissen, als Schützengräben auszuheben? Frauen rüsten gegen Männer, Männer gegen Frauen, und wenn jemand nicht ganz nach Vorschrift liebt, verfolgen alle gemeinsam das, was für ihre Vorstellungskraft nicht eindeutig genug ist. Das größtmögliche Unglück besteht darin, mit seinem Begehren nicht in eine Schublade zu passen. Für alles einen Namen zu schaffen scheint der einzige Weg zu wenigstens etwas Akzeptanz. Anders sein vielleicht, aber doch keinesfalls individuell, bloß nicht allein. Denn noch die eigene Identität ist offenbar nur denkbar, solange sie unter einem Begriff steht, also einer Regel unterliegt. Sex, nur darin besteht offensichtlich Einigkeit, ist zu gefährlich, um unkontrolliert zu bleiben. Sex scheint die Negation all dessen, worum es uns - eigentlich - geht.

Der Gedanke, sich nicht vor der, sondern um die körperliche Begegnung zu sorgen, scheint so absurd zu sein, dass uns das noch nicht einmal dann in den Sinn kommt, wenn es um die Frage geht, wie konsequent man ein Virus wirklich an der Ausbreitung hindern möchte. Party und Geschäft, Schule und Reisen - wer schon zufrieden ist, wenn es dafür reicht, hält doch offenbar die Möglichkeit für entbehrlich, sich wieder ganz unbefangen zu berühren, ohne zu gefährden, was man begehrt? Erlebt so mancher «Social Distancing» vielleicht sogar als Erleichterung, als willkommenes Argument gegen körperliche Annäherung? Überraschend wäre es nicht.

In der europäischen Tradition gilt Sex als Gegenteil der Kultur, und Kultur ist das Bollwerk gegen das Tier, von dem es sich unbedingt abzuheben gilt. Schon das Christentum steht in einer Tradition der Körperangst, die dann zu seinem Grundton wird: Sex, das ist der Inbegriff unserer Natur und sonst gar nichts, erst als das Gegenteil des Göttlichen gesehen, viel später als das Andere der Vernunft. Natur ist ein ständiges Hindernis, sogar ein Widerstand, ein Feind. Sie ist das krumme Holz, das es uns so schwer macht, etwas Gerades zu werden. Wenn irgendetwas aus dem Menschen geworden ist, dann nur, weil der göttliche Funke hilft, diesen gefährlichen tierischen Teil auf das unbedingt Notwendige zu beschränken, also möglichst klein und am rechten Ort zu halten. Gefühle, das liest man in der westlichen Tradition häufiger, als man es zitieren könnte, sind immer irrational. Wer ihnen folgt, sie auch nur ernst nimmt, hat schon den Schritt vom Wege getan. Nur wenn wir das Tier besiegen, wenn wir uns beherrschen, können wir uns mit Höherem beschäftigen. Und nur dieses Höhere ist wertvoll, auf dass wir endlich doch ganz zu dem zurückkehren, was im Anfang war: nicht etwa die sinnliche Erfahrung, sondern das Wort.

Natürlich würden heute nur noch die wenigsten sagen, dass die Natur das Reich des Teufels und das Weib die Agentin Satans ist, das beste Werkzeug, den Menschen ständig in Versuchung zu führen, weil der Widersacher mit Gott um unsere Seele kämpft, oder doch um die Seele des Mannes. Aber das Misstrauen gegen den eigenen Körper ist nach wie vor gegenwärtig, ebenso wie die Angst vor der unkontrollierten Natur und besonders vor der entfesselten weiblichen Sinnlichkeit. Alte Geschichten wirken lang. Sexualisiert, ja, schon als sexuelles Wesen angesprochen zu werden zählt zu den schlimmsten Demütigungen, unfreiwillige Nacktheit gehört zu den effektivsten Methoden der Folter. Aller Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert und allen sexualpädagogischen Bemühungen zum Trotz scheint doch Sex im 21. Jahrhundert vor allem eines: ein Problem.

Wie soll man überhaupt davon reden? Entweder man gehört zu denen, die schon vorher krebsrot werden und sich zwischen Kichern, aufgesetzter Souveränität und ironischer Wegwitzelei hindurchmogeln müssen, wenn man nicht die ganz abgeklärte Pose vorzieht und jedes Thematisieren von Sex als unreifes Verhalten behandelt, das sich nicht gehört oder jedenfalls nicht mehr interessiert, weil man selbst längst über derlei hinaus sei. Oder man bringt Menschen in genau diese Verlegenheit, weil man zu den wenigen gehört, denen das Sprechen über Sex nicht so viel ausmacht. Kurz: Es ist ein einziger Krampf.

Missstände zu thematisieren ist viel einfacher, denn Abwehren ist angenehmer als die gedankliche Zuwendung, zumal sich die Empörung auch noch aufs Schönste mit einem moralischen Anliegen befeuern lässt. Man würde ja lieber nicht darüber sprechen, aber die Zustände zwingen dazu. Me-too-Anlässe, Missbrauch, Vergewaltigung, Beziehungsdramen, Menschenhandel, Beschneidungswahnsinn, Pornosucht, Körperkult, Potenzangst, genitale Schönheitsoperationen - wenn es um Phänomene geht, die niemand vernünftigerweise wollen kann, spricht es sich sogar über das Unsagbare leichter. Wer sich von Ungerechtigkeit und Verbrechen distanziert, wiederholt zwar oftmals nur das Selbstverständliche, aber das negative Vorzeichen schützt verlässlich vor der Nähe. So bitte nicht! Weg damit! Weit weg.

Auch deshalb geht es zumeist um das, was wir nicht wollen, und auch das am liebsten dann, wenn es eine ganz theoretische Debatte ist. Ein Mann darf einer Frau seine Hand nicht ungefragt aufs Knie legen, eine Frau darf keine uneindeutigen Signale aussenden, und wenn es dennoch erstaunlicherweise zu Intimität kommt, dann möchte die Gesellschaft bestimmen, in welcher Form sie erlaubt ist und in welcher nicht. Der Regulierungswahn entfesselt eine ungeahnte Aggressivität, wenn jemand wagt, sich nicht normgerecht zu verhalten oder von ambivalenter Erscheinung zu sein. Es reicht der Hinweis, dass Biologen inzwischen weit über fünfzehn Geschlechter nachweisen können, die alle das gleiche Recht auf Glück und Familie haben könnten, um mehr Menschen zur Demonstration gegen diese Irrlehren mit Gefahr für Staat und Familie auf die Straße zu bekommen als für den Weltfrieden. Regeln, Verbote, Normen, Maßangaben ... keine Rede von der schönsten Nebensache der Welt, wenn die Hauptsache Tradition und Ordnung ist.

Wenn Sex aber auch für den modernen Menschen noch ein einziger Abgrund ist, warum lassen wir es dann nicht einfach?

Nicht nur in den USA wird seit einigen Jahren ernsthaft darüber diskutiert, ob es uns und der Gesellschaft nicht besser erginge, wenn wir die leidige Peinlichkeit einfach ganz abschafften. Wir sind die erste Generation, die es wirklich könnte, ohne den Fortbestand der Art zu gefährden. Künstliche Befruchtung hier, künstliche Intelligenz da, und schon wären wir doch alle Probleme los. Dank Fortpflanzungstechniken wie der Haploidisierung braucht es nicht einmal mehr die Absprache zwischen den Geschlechtern. Keimzellen lassen sich längst aus jeder normalen Körperzelle herstellen. Der Mann ist schon heute nicht einmal mehr als Spermalieferant notwendig. Zwar geht es für die Geburt eines Kindes immer noch nicht ohne eine biologische Frau, einen Menschen mit einem Uterus, aber auch dafür werden wir in absehbarer Zeit zweifellos Ersatz schaffen können. Niemand müsste sich im harmonischen Familienleben durch einseitiges Begehren, absonderliche Begierden und so lästige Fragen wie Verhütung oder Schutz vor ansteckenden Krankheiten stören lassen, wenn man erst einmal begriffen hat, dass es sich letztlich auch hier nur um Ausscheidungen handelt, etwas also, das wir gewöhnlich allein und an dafür präparierten Orten verrichten, wo es bequemer und sauberer zugeht als im Busch. Wie man hört, hat die Corona-Pandemie den Absatz von «Sexpuppen» und anderem Körperersatz deutlich gesteigert. Was also scheint naheliegender, als wieder auf die Technik zu hoffen, wenn es darum geht, sich diskret Erleichterung von der überflüssig gewordenen Restlust zu verschaffen? Da ist nur eine Sache: Als man 2016 und 2018 in Amerika für wissenschaftliche Studien zur Interaktion mit humanoiden Robotern die Probanden auch danach fragte, wie ihr persönlicher Sexroboter zur gefahrlosen Triebabfuhr denn aussehen sollte, antwortete ein nicht ganz kleiner Teil: wie mein aktueller Lebenspartner.

Wenn vom Menschen die Rede ist, wird das Sprechen von Natur kompliziert. Für ein Wesen mit Bewusstsein gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Gegenstand und dem erlebten Ding, das man selbst ist. Bewusstsein und Selbstbewusstsein ändern alles. Reflexion, das bewusste Erleben des Denkens, bringt den Zweifel nicht nur in die Welt, sondern auch in den Einzelnen. Wir erfahren Geist und Körper als grundverschieden, obwohl es doch unser Geist und unser Körper ist. Es ist etwas ganz Unterschiedliches, Körper zu sein und zu wissen, dass man körperlich ist. Das macht die sexuelle Erfahrung zur Selbsterfahrung der denkbar komplexesten Art. Bei keiner anderen Gelegenheit kommt man dem Wesen des Menschen und sich selbst so nahe. Dennoch gehört das Nachdenken über Sex seltsamerweise nicht zur Lieblingsbeschäftigung der Denkenden, nicht einmal der Philosophen.

Versuchen Sie, sich die Frage zu beantworten, wie Autoerotik überhaupt möglich ist, also warum...
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Autor

Bettina Stangneth, geboren 1966, ist unabhängige Philosophin. Sie studierte in Hamburg Philosophie und promovierte über Immanuel Kant und das Radikal Böse. Für ihr Buch «Eichmann vor Jerusalem» erhielt sie 2011 den NDR-Kultur-Sachbuch-Preis; die «New York Times» zählte es zu den besten Büchern des Jahres. Bei Rowohlt erschienen zuletzt ihre hochgelobten Essays «Böses Denken» (2015), «Lügen lesen» (2017) und «Hässliches Sehen» (2019) sowie die Bände «Sexkultur» (2021) und «Überforderung» (2022). Stangneth erhielt 2022 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis.