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Der brennende See

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am14.02.20201. Auflage
Hannah, Tochter eines Schriftstellers, kehrt nachdem Tod ihres Vaters in die Stadt ihrer Kindheit zurück. An seinem Erbe ist sie wenig interessiert. Doch als Hannah erste Schritte unternimmt, die Wohnung des Verstorbenen aufzulösen, findet sie an seinem Totenbett das Foto einer Unbekannten. In der flimmernden Hitze eines erneut rekordverdächtig trockenen Aprils begibt Hannah sich mit diesem Bild auf Spurensuche. Bald muss sie erkennen, dass nicht nur die vertraute Landschaft ihrer Kindheit sich in Staub und Rauch auflöst. Alle Bilder der Vergangenheit entgleiten ihr, das ihres Vaters nicht zuletzt. Als sie dann auf die Fridays-for-Future-Aktivistin Julia stößt, die sich in ihrem Kampf um Klimagerechtigkeit auf fragwürdige Weise radikalisiert hat, muss sie feststellen, dass ihr Vater dieser jungen Frau am Ende näher stand als ihr. Womöglich ist sie sogar die wahre Tochter des Schriftstellers ... Ein Roman über eine Generation zwischen den Generationen: zwischen den Erblasten der Vergangenheit auf der einen Seite und einer sich rasant verändernden Zukunft auf der anderen.

JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenKlassenbuchDer brennende SeeWasser und andere WeltenDie Wütenden und die Schuldigen< (2021) und zuletzt
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextHannah, Tochter eines Schriftstellers, kehrt nachdem Tod ihres Vaters in die Stadt ihrer Kindheit zurück. An seinem Erbe ist sie wenig interessiert. Doch als Hannah erste Schritte unternimmt, die Wohnung des Verstorbenen aufzulösen, findet sie an seinem Totenbett das Foto einer Unbekannten. In der flimmernden Hitze eines erneut rekordverdächtig trockenen Aprils begibt Hannah sich mit diesem Bild auf Spurensuche. Bald muss sie erkennen, dass nicht nur die vertraute Landschaft ihrer Kindheit sich in Staub und Rauch auflöst. Alle Bilder der Vergangenheit entgleiten ihr, das ihres Vaters nicht zuletzt. Als sie dann auf die Fridays-for-Future-Aktivistin Julia stößt, die sich in ihrem Kampf um Klimagerechtigkeit auf fragwürdige Weise radikalisiert hat, muss sie feststellen, dass ihr Vater dieser jungen Frau am Ende näher stand als ihr. Womöglich ist sie sogar die wahre Tochter des Schriftstellers ... Ein Roman über eine Generation zwischen den Generationen: zwischen den Erblasten der Vergangenheit auf der einen Seite und einer sich rasant verändernden Zukunft auf der anderen.

JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenKlassenbuchDer brennende SeeWasser und andere WeltenDie Wütenden und die Schuldigen< (2021) und zuletzt
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832170073
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum14.02.2020
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4982337
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Die Temperatur um 11.45 h beträgt 19° Celsius nach einem Anstieg um sieben Grad in den zurückliegenden vier Stunden. Zu erwartende Tageshöchstwerte um 22° zwischen 13 und 15 h, anschließend nur leichter Temperaturrückgang bis zum Abend bei durchgehend wolkenlosem Himmel.

Tagesprognose 21. April, aktualisiert um 11.47 h

Der Hausmeister wartete bereits vor der Wohnung und meinte zur Begrüßung, sie hätten einander schon einmal die Hände geschüttelt. Hannah nickte eilig und ohne Erinnerung. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken an das, was auf sie zukam. Lieber hätte sie nicht noch einmal gesehen, was ihr Vater alles zurückgelassen hatte, das ganze aufgegebene Gepäck, sondern die Wohnung stattdessen wie einen Sarg behandelt und sämtliche Überreste geschlossen beerdigt oder verbrannt.

Sie stellte ihren Rucksack gleich neben die Eingangstür und hielt sich im Rücken des Hausmeisters, der die Schuhe nicht auszog und den Flur ohne Zögern betrat. In seinem Beruf hatte er vermutlich schon viel erlebt, verwahrloste, vollgemüllte Behausungen, Chaos, Dreck und Gestank. Verglichen damit war hier alles in bester Ordnung. Die Wohnung wirkte fast schon ausgeräumt, spärlich möbliert, wie sie war, und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Wenig deutete darauf hin, dass hier ein Mensch den Rest seines Lebens verbracht hatte.

Anlässlich der Aufbahrung vor zwei Wochen hatte der Bestatter sie angerufen und gefragt, ob es etwas gäbe, das sie ihrem Vater mit auf den Weg geben wollte. Zuerst hatte sie den Kopf geschüttelt. Die Frage zielte vermutlich auf irgendein Kleidungsstück, ein Lieblingshemd oder einen besten Anzug. Doch in ihren Ohren klang es wie Grabbeigaben nach Pharaonen-Art, das passte nicht zu ihrem Vater. Wer mit leichtem Gepäck reiste, nahm seine weltlichen Güter nicht mit ins Jenseits, auch keins seiner Bücher, um sich auszuweisen als der Schriftsteller, der er war. Also hatte sie Nein gesagt. Damals glaubte sie noch, der Abschied von ihrem Vater könnte so leicht werden wie die Abschiede, die sie von ihm kannte Ein paar Stunden später hatte sie den Bestatter zurückgerufen. Da wäre doch etwas, das sie ihrem Vater gerne mitgeben würde auf seine letzte Reise, wenn das ginge, einen Apfel.

Ihr Vater wurde mit einem Apfel verbrannt. In der Urne, die beigesetzt wurde, waren seine Asche und die Asche eines Apfels. Hannah war sich sicher, dass ihm das gefallen hätte. Aber es war das Ende der Leichtigkeit, das war ihr jetzt klar.

Der Hausmeister machte einen Bogen ums Schlafzimmer, so als wollte er nicht indiskret sein, musterte Küche und Bad nur im Vorbeigehen und führte sie weiter ins Wohnzimmer. Hannah war froh, dass er sie begleitete. Seine Routine wirkte beruhigend, seine Rücksicht geübt. Gut zu wissen, dass alles, was hier zu geschehen hatte, überall immer wieder geschah und die Dinge ihren gewohnten Gang gingen.

Auf der Balkonseite öffnete er ein Fenster und ließ frische Luft herein. Auch dafür war Hannah ihm dankbar. In der Mitte des Raumes blieb sie stehen und sah sich um. Sie war mehrmals hier gewesen in den vergangenen Monaten, als ihr Vater noch lebte. Jetzt war sie zum ersten Mal in der Wohnung des Toten. Heftiger als bei der Aufbahrung und der Beisetzung auf dem Friedhof empfand sie plötzlich, dass es ihren Vater nicht mehr gab. In der Zwischenzeit, seit ihrem letzten Besuch, hatte der Tote hier gewohnt und alles in Besitz genommen. Er war es, der den Abdruck auf den Polstern hinterlassen hatte und die Mulde in den Sofakissen. Von seinem Hinterkopf stammte der schattengraue, ölige Glanz auf der Lehne. Der Tote war von einem Stuhl zum anderen gezogen und hatte sich die besten Plätze gesucht. Die Flecken auf dem Teppich waren von ihm, so wie die Haare an der Kopfstütze des Fernsehsessels. Man konnte ihn riechen. Der Geruch, der von Bad und Küche herüberzog, war Totengeruch, das Geschirr in der Spüle Totengeschirr.

»Meine Mutter möchte nichts davon«, sagte Hannah, ihre Stimme hallte wider. »Kein Erinnerungsstück.«

Der Hausmeister nickte ohne ein weiteres Wort. Vermutlich wartete er darauf, dass sie weitersprach, doch Hannah hatte nicht die geringste Ahnung, was sie von ihrem Vater behalten sollte, nachdem der Tote alles in seinen Fingern gehabt hatte.

Unwillkürlich sah sie sich nach einem Schreibtisch um, einem Sekretär oder dergleichen. In den letzten Nächten hatte sie immer wieder überlegt, einen Studenten damit zu beauftragen, den Nachlass ihres Vaters zu sichten und zu archivieren, falls sich jemand dafür interessierte. Doch vor dem Fenster stand nur ein schmaler Esstisch ohne Schubladen, und in den Bücherregalen klafften große Lücken. Keine Manuskriptstapel oder Notizbücher, kein alter Laptop oder PC - nichts deutete darauf hin, dass hier, vor dem Tod, ein Schriftsteller gelebt hatte.

Ich habe ihn in dieser Wohnung nie schreiben sehen, dachte Hannah, doch sie erinnerte sich, dass ihr Vater auch damals in ihrem Elternhaus nie am Schreibtisch gesessen hatte, sondern mit dem Tageslicht von Zimmer zu Zimmer gewandert war. Am liebsten schrieb er draußen im Garten, auf der Terrasse, auf Parkbänken oder sogar an Bushaltestellen. Er war ein Reisender, ohne festen Ort, auch zu Hause.

»Gibt es noch einen Abstellraum oder Speicher auf dem Dach, wo mein Vater seine Papiere und den Rest seiner Bibliothek gelagert haben könnte?« Die wenigen Bücher in den Regalen sahen aus wie zerlesen und liegen gelassen in irgendeinem Hotel, nicht der Mühe des Mitnehmens wert.

»Da wäre noch der Keller«, antwortete der Hausmeister bereitwillig und zog einen weiteren Schlüssel hervor. »Wollen Sie mal sehen?«

Ihr blieb nichts anderes übrig.

Während sie das Treppenhaus hinabstiegen und auf eine schwere Eisentür zusteuerten, machte sie sich auf feucht gewordene Umzugskisten gefasst, Bücher mit welligen Einbänden und Stockflecken. Doch der Keller war so trocken und warm wie ein Dachboden im Sommer, und der Verschlag, den der Hausmeister aufschloss, leer. Nur ein Fahrrad lehnte an der Wand, daneben ein Werkzeugkasten, der so verrostet und veraltet aussah, als hätte ihr Vater ihn gleich bei seinem Einzug dort abgestellt, um ihn nie wieder anzurühren.

»Ich hoffe, es fehlt nichts â¦« Der Hausmeister sah sie halb fragend, halb abwartend an, vermutlich um herauszufinden, ob von ihrer Seite irgendein Vorwurf oder gar eine Beschwerde drohte. Doch Hannah bemühte sich, freundlich zu bleiben und unkompliziert. »Mein Vater hat sich zeit seines Lebens nur mit wenigen Dingen verbunden, und ich verbinde sehr wenige Dinge mit ihm.«

Sie lächelte, aber ihr war zum Heulen zumute.

Das Ausmaß der Leere hat etwas Befremdendes, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihren Vater darin noch wiedererkannte und seinen Drang, immer weniger und wesentlicher zu werden. Es grenzte an Selbstauslöschung, so als hätte sein Verschwinden schon lange vor dem Tod eingesetzt. Als wären seine letzten Jahre nur ein Aufhören gewesen, eine immer größere Annäherung ans Nichts.

Aber wann hatte das angefangen?

Als sie den Kellerraum wieder verließen, drehte sie sich noch einmal nach dem Fahrrad um, einem roten Damenrad ohne Querstange. Ihr Vater war bei seinen Rädern nie wählerisch gewesen, hatte auf Flohmärkten gekauft und genommen, was er kriegen konnte. Hannah wunderte sich nur, dass es im Gegensatz zu dem Werkzeugkasten so aussah, als wäre es noch in Gebrauch.

»Ist außer mir sonst noch jemand hier gewesen in letzter Zeit?« Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr Vater bis vor Kurzem damit herumgefahren war. »Ich meine, abgesehen von der Putzfrau und dem Pflegedienst?«

Der Hausmeister, der zwei, drei Schritte vor ihr ging, blieb auf halber Treppe stehen und schaute belustigt über die Schulter. »Damenbesuch?«

»Besuch von Damen oder Herren â¦«

»Ich bin Hausmeister, kein Blockwart«, sagte er, doch das war längst keine bissige Bemerkung mehr, sondern Routinehumor. Sicher hatte er oft mit Angehörigen zu tun, die neugieriger waren, als ihnen zustand.

Sie gingen nicht noch einmal zurück in die Wohnung. Hannah hatte genug gesehen und folgte dem Hausmeister auf den Vorhof, wo sie ihr Gesicht einen Augenblick lang in die Sonne hielt. Die Strahlung hatte schon Kraft, die frische Luft tat gut nach dem Staub. Hannah atmete auf, ohne dass sich etwas löste. Es war, als sei ihr in der Leere dieser Räume eine Frage begegnet, für die sie noch die richtigen Worte finden musste. Und es war klar, dass ihr niemand dabei helfen konnte.

Der Hausmeister reichte ihr die Visitenkarte eines Umzugsunternehmens, das er für empfehlenswert hielt. An dem Wort »Umzug« blieb sie kurz hängen, weil es ihr manchmal so vorkam, als sei ihr Vater nicht tot, sondern nur nach unbekannt verzogen. Dann las sie im Kleingedruckten den Hinweis: »spezialisiert auf Haushaltsauflösungen und Zwischenlagerungen«.

Sie könne sich ein paar Tage Zeit nehmen, Bedenkzeit, die Miete für den Monat sei ja schon bezahlt, hörte sie den Hausmeister sagen. »Warm«, fügte er hinzu und drückte ihr die Schlüssel in die Hand. Die Schlüssel zur Wohnung des Toten.

Weil sie nicht wusste, was sie dazu sagen sollte, fragte Hannah nach einem Hotel in der Nähe, nicht zu trist, nicht zu teuer, und bekam zwei, drei Namen genannt. Doch dem Hausmeister war anzumerken, dass er fand, sie könne ebenso gut hier übernachten - ein Gedanke, der ihr völlig abwegig erschien.

»Wird schon«, sagte der Mann wie aus Erfahrung. Vielleicht hatte er es auch nur eilig und musste zum nächsten Termin. Das Leben ging weiter.

Er hatte sich schon verabschiedet, als ihr doch noch eine Frage...
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Autor

John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane und Erzählungsbände bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenKlassenbuchDer brennende SeeWasser und andere Welten