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Was dir bleibt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
230 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am27.09.20201. Auflage
Ohne Ankündigung besteigt die 76-jährige Gladys den Northlander-Zug und verschwindet spurlos aus ihrem kanadischen Dorf. Über Tausende von Kilometern und in Dutzenden Zügen reist sie durch die Weiten Nordkanadas, kehrt zurück an die Orte ihrer Kindheit und spricht auf ihrem Weg mit unzähligen Menschen. Doch was genau führt sie im Schilde, was hat sie dazu bewogen, ihr gut eingerichtetes Leben aufzugeben - und vor allem: Aus welchem Grund hat sie ihre hilfsbedürftige Tochter Lisana zurückgelassen?

Was dir bleibt ist ein Roman von unbändiger Lebenskraft - die bewegende Geschichte einer rätselhaften Reise, die durch die Wälder Kanadas führt und tief unter die Haut geht.



Jocelyne Saucier, geboren 1948 in der kanadischen Provinz New Brunswick, arbeitete lange als Journalistin, bevor sie mit dem literarischen Schreiben begann. Ihr vierter Roman Ein Leben mehr, der 2015 bei Insel erschien, war ein Bestseller und wurde verfilmt. Saucier lebt heute in einem Zehn-Seelen-Ort im Wald, im nördlichen Québec.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextOhne Ankündigung besteigt die 76-jährige Gladys den Northlander-Zug und verschwindet spurlos aus ihrem kanadischen Dorf. Über Tausende von Kilometern und in Dutzenden Zügen reist sie durch die Weiten Nordkanadas, kehrt zurück an die Orte ihrer Kindheit und spricht auf ihrem Weg mit unzähligen Menschen. Doch was genau führt sie im Schilde, was hat sie dazu bewogen, ihr gut eingerichtetes Leben aufzugeben - und vor allem: Aus welchem Grund hat sie ihre hilfsbedürftige Tochter Lisana zurückgelassen?

Was dir bleibt ist ein Roman von unbändiger Lebenskraft - die bewegende Geschichte einer rätselhaften Reise, die durch die Wälder Kanadas führt und tief unter die Haut geht.



Jocelyne Saucier, geboren 1948 in der kanadischen Provinz New Brunswick, arbeitete lange als Journalistin, bevor sie mit dem literarischen Schreiben begann. Ihr vierter Roman Ein Leben mehr, der 2015 bei Insel erschien, war ein Bestseller und wurde verfilmt. Saucier lebt heute in einem Zehn-Seelen-Ort im Wald, im nördlichen Québec.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458766643
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum27.09.2020
Auflage1. Auflage
Seiten230 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2377 Kbytes
Artikel-Nr.5141712
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


â





Swastika entkommt man nicht so leicht. Die in Ontario gelegene Siedlung hat zweihundert Einwohner, jeder einzelne zählt, jeder hat Gewicht, da bleibt ein Aufbruch nicht unbemerkt.

Gladys Comeau, die hier seit fünfundfünfzig Jahren lebte, wusste das, und deshalb verließ sie den Ort heimlich, still und leise. Anders entkommt man Swastika nicht. Kein Koffer, keine neuen Kleider, nichts, was auf eine Reise oder eine Flucht hindeutete. Sie ging die Conroy Avenue hinab, bog links in die Nationalstraße ein, rechts in die Cameron Avenue und stieg dann die achtzehn Stufen zum Bahnhof hoch, der auf einer Anhöhe steht. Sie hätte weitergehen können, zum Ende des Bahnsteigs und an den Gleisen entlang bis zur Eisenbahnbrücke über der Nationalstraße, niemand hätte sich gewundert, sie dort zu sehen, ihr morgendlicher Spaziergang führte sie oft hierher.

Vom Bahnhof aus überblickt man den ganzen Ort. Das ins Tal geschmiegte Straßennetz, die dicht beisammenstehenden Häuser, all das lässt sich mit einem einzigen Rundblick erfassen, man sieht den rauschenden Fluss, kann seinem Lauf neben dem Park folgen, und kurz bevor man zum Ausgangspunkt zurückkehrt, entdeckt man auf einem Hügel die kleine hellblaue Kirche. Swastika hat seinen ganz eigenen Charme, eine unbewusste Anmut. Der Bahnhof trägt nichts zur Schönheit bei. Er ist ein unansehnlicher Backsteinklotz, der am Bahndamm klebt und schon bessere Tage gesehen hat. Früher trafen hier zu jeder Tages- und Nachtzeit Züge ein, Taxis, mit Goldbarren beladene Lastwagen, die nicht einmal gepanzert, mit keiner Plane verhüllt waren, ein stetiges Getümmel, und der Bahnhof thronte auf seiner Anhöhe, davor ein gepflegter Rasen, der sich bis hinunter zur Cameron Avenue erstreckte, und in der Mitte des Rasens Begonien, Stiefmütterchen und Studentenblumen, in Rot und Gelb, eine wahre Farbsymphonie, die ein riesiges Hakenkreuz bildeten.

Heute gibt es keinen Rasen mehr und auch keine anderen Bemühungen zu gefallen. Die Fenster sind zugenagelt, der Bahnhof ist geschlossen, mit Ausnahme eines Raums, der als Wartesaal dient, wobei er außer bei extremer Kälte menschenleer bleibt, denn es gibt dort keine Annehmlichkeiten, nicht einmal Toiletten, und so wartet man lieber draußen auf dem Bahnsteig.

Und auf genau diesem Bahnsteig standen an jenem kühlen Septembermorgen zwei Männer und eine Frau, über die sich der Zugchef freute, denn oft stand dort niemand und er musste ohne Halt weiterfahren. Gladys war Stammgast im Northlander. Der Zugchef, der Sydney Adams hieß, erkannte sie auf Anhieb.

Ich sage »Zugchef«, obwohl ich weiß, dass dieser Ausdruck bei der Eisenbahnbehörde nicht mehr gebräuchlich ist. In Ontario nennt man die Eisenbahnangestellten, die die Reisenden begrüßen, über ihren Komfort wachen, sich vergewissern, dass alle am richtigen Bahnhof aussteigen und dabei ihr Gepäck nicht vergessen, »conductor«, in Québec »directeur de service«. Aber meinem Verständnis nach sind sie wahrhaftige Chefs ihres Zugs, und so werden sie dies auch in dieser Erzählung sein.

Nach dieser Abschweifung kann ich nun also fortfahren.

Allerdings fürchte ich, dass die vorliegende Erzählung immer wieder von Abschweifungen unterbrochen werden wird, von Rückblenden, persönlichen Bemerkungen und anderen Exkursen. Ich verfüge über eine beträchtliche Menge an Informationen, und ich muss aus den im Laufe der Jahre angehäuften Zeugenaussagen die glaubhaftesten auswählen. Allesamt vage Äußerungen, zum Großteil fragwürdig und zwangsläufig bruchstückhaft, da es sich um eine kopflose Flucht handelt, die niemand von Anfang bis Ende hat verfolgen können. Manche Abschnitte sind besser dokumentiert als andere. Das trifft vor allem auf die Strecke Sudbury-White River zu, wo Gladys bei alten Bekannten Halt machte, langjährigen Freunden, den »Kindern des Waldes«, wie sie sie nannte. Es sind die Kinder des »school train«, glückliche Kinder einer glücklichen Zeit, Jugendfreunde, die wie sie einer vergangenen Epoche nachtrauern. Durch die Gespräche, die diese Bekannten bereitwillig mit mir geführt haben, wurde mir klar, woher Gladys' unerschütterlicher Optimismus stammte, ihre positive Einstellung trotz aller Schicksalsschläge, ihre Weigerung, dem Leben irgendetwas übel zu nehmen. »Wer einmal das Glück kennengelernt hat, weigert sich zu glauben, dass es nicht mehr wiederkommen kann.« Einer ihrer Lieblingssätze.

Die Aussagen ihrer Freunde aus der Nachbarschaft gehen in dieselbe Richtung: eine resolut optimistische Frau, entschlossen, das Glück mit beiden Händen zu packen, eine Frau, die nicht nachgab, wo viele zusammengebrochen wären. Viele von ihnen kannten sie seit ihrer Ankunft in Swastika, als junge, bis über beide Ohren verliebte Braut. Die befreundeten Nachbarn aus der Conroy Avenue, der Westinghouse Street und der Childs Avenue bilden eine Solidargemeinschaft von knapp zehn Personen, darunter Frank Smarz, einer meiner wichtigsten Verbündeten bei meinen Ermittlungen. Er gehörte zu den hartnäckigsten Verfolgern Gladys', sobald das Verschwinden der alten Dame gemeldet worden war.

Frank Smarz (fünfundfünfzig Jahre alt, seines Zeichens Schweißer und großer Liebhaber von Blaubeer- und Löwenzahnwein) ist der Ehemann von Brenda, Gladys' unmittelbarer Nachbarin und bester Freundin. Zumindest glaubte sie dies bis zu dem Septembermorgen, an dem die Freundin Swastika verließ, ohne Brenda etwas von ihrem Plan erzählt zu haben. Mehr als alle anderen war sie todunglücklich über Gladys' Verschwinden und, obwohl sie dies nicht zugeben will, zutiefst verletzt darüber, dass ihre Freundin sie nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Es waren mehrere Annäherungsversuche nötig, bis sie schließlich einwilligte, mir ihre Version der Ereignisse zu erzählen. Die anderen Mitglieder der Gemeinschaft machten keine Schwierigkeiten.

»Solidargemeinschaft« ist wirklich das passende Wort für das, was diese Nachbarn verband - höchstens zehn Personen, alle in bescheidenen Verhältnissen lebend -, die im Laufe der Jahre eine freie und lockere Freundschaft geschlossen haben, auf so selbstverständliche Weise, dass es sie selbst erstaunt. Sie laden sich gegenseitig zum Abendessen ein, helfen einander bei Reparaturen, Renovierungen, Garten- und Bauarbeiten, leihen sich Werkzeuge, Kleidungsstücke (nur die Frauen), aber niemals Geld - eine stillschweigende Regel, Geld wird nicht verliehen -, und falls es manchmal nicht so glatt läuft, falls Worte, Stimmungen, Verhaltensweisen Anstoß erregen, ärgern oder verletzen, dann wartet man einfach, bis das Gewitter weitergezogen ist. Die Zeit ist ihre zuverlässigste Verbündete - außer in dem Fall, der uns hier beschäftigt.

Gladys war diese Freundschaft eine große Stütze. Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Swastika wurde sie Witwe (ein Grubenunglück, damals keine Seltenheit) und zog allein eine Tochter groß, die ihre ganze Freude war, bis sie sie in einer Blutlache fand, ihr erster Selbstmordversuch. Lisana war damals zwanzig Jahre alt, ein hübsches Mädchen, sie machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, war intelligent, fröhlich, gut gelaunt, alles, was man sich von einem Kind erhoffen konnte, das man sein Leben lang mit Aufmerksamkeit und Liebe verhätschelt und verwöhnt hatte. Gladys war am Boden zerstört. Trotzdem verzweifelte sie nie. Ihr optimistisches Wesen ließ sie an eine vorübergehende Krise glauben, ein kurzzeitiges Unglück. Sie hoffte immer auf bessere Tage. Selbst dann noch, als der Anruf von der Krankenpflegeschule kam. Selbst dann, wenn sie ihre Tochter in Toronto auflesen musste, in einem besetzten Haus, einer Notschlafstelle, einem Krankenhauszimmer, und sie zurück in die Conroy Avenue brachte, sie gesundpflegte, sie umsorgte, und wenn Lisana dann wieder loszog, hoffte Gladys, dass sie nie wieder eine fremde Stimme am Telefon hören musste, die ihr mitteilte, dass ihre Tochter es nicht geschafft hatte, der Todessehnsucht zu widerstehen. Ihre Freunde verzweifelten daran, dass Gladys sich derart abmühte. Lisana war ins Leben zurückgekehrt, aber für wie lange? Wie lange würde es bis zum nächsten Rückfall dauern? Wie lange würde Gladys brauchen, um zu begreifen, dass all dies nie ein Ende nehmen würde? Oder dass es nur ein mögliches Ende gäbe ... Doch das wagte niemand zu denken, geschweige denn laut zu sagen.

Die befreundeten Nachbarn haben nur wohlwollende Worte für Gladys. Eine außergewöhnliche, mutige Frau, eine aufopferungsvolle Mutter, eine...

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