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Hannahs Lied

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am24.05.2021
Für alle LeserInnen von Claudie Gallays »Brandungswelle«.
Ein Leuchtturm vor der Küste Norwegens - wir schreiben die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Um seine Familie vor dem finanziellen Ruin zu retten, muss Johan Marie heiraten, obwohl er Hannah liebt. Sie lassen sich auf dem Leuchtturm von Kjeungskjær nieder, Norwegens einzigem achteckigen Leuchtturm. Dort, vor der felsigen Küste im Nordatlantik, stürmt es so sehr, dass die Wellen manchmal bis zur Dachspitze reichen. Da oben sitzt Johan und fühlt sich vom Leben betrogen. Doch im Laufe der Geschichte wird es immer fraglicher, wer wen wirklich täuscht...

Maren Uthaug wurde 1972 als Tochter einer norwegischen Mutter und eines samischen Vaters geboren und wuchs in Dänemark auf. Sie arbeitet als Graphikerin und gewann 2013 den Cartoon-Wettbewerb der großen dänischen Tageszeitung Politiken. Sie hat drei Töchter. Ihren Blog gibt es auch auf Englisch.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextFür alle LeserInnen von Claudie Gallays »Brandungswelle«.
Ein Leuchtturm vor der Küste Norwegens - wir schreiben die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Um seine Familie vor dem finanziellen Ruin zu retten, muss Johan Marie heiraten, obwohl er Hannah liebt. Sie lassen sich auf dem Leuchtturm von Kjeungskjær nieder, Norwegens einzigem achteckigen Leuchtturm. Dort, vor der felsigen Küste im Nordatlantik, stürmt es so sehr, dass die Wellen manchmal bis zur Dachspitze reichen. Da oben sitzt Johan und fühlt sich vom Leben betrogen. Doch im Laufe der Geschichte wird es immer fraglicher, wer wen wirklich täuscht...

Maren Uthaug wurde 1972 als Tochter einer norwegischen Mutter und eines samischen Vaters geboren und wuchs in Dänemark auf. Sie arbeitet als Graphikerin und gewann 2013 den Cartoon-Wettbewerb der großen dänischen Tageszeitung Politiken. Sie hat drei Töchter. Ihren Blog gibt es auch auf Englisch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641234256
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum24.05.2021
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1841 Kbytes
Artikel-Nr.5142635
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Johan fand es noch immer verwunderlich, wenn er auf dem Leuchtturm stand und aufs Festland blickte. Seine ganze Kindheit hatte er an Land gestanden und aufs Meer geblickt. Und von dem Leben geträumt, das kommen würde. Natürlich kannte er den Leuchtturm und all die Geschichten von denen, die hier draußen gelebt hatten, aber nie hätte er sich vorstellen können, eines Tages derjenige zu sein, der auf der Schäre stand und aufs Land blickte.

Er hatte davon geträumt, hinaus in die Welt zu reisen, fremden Boden unter den Füßen zu spüren und mit Smaragden und seltenen Gewürzen nach Hause zu kommen. Er gestattete sich diese kindlichen Träume, weil er immer gewusst hatte, dass er den Hof seines Vaters übernehmen würde. Nicht dass es ein großer Hof war, aber er reichte, um eine Familie zu ernähren. Die Felder gehörten zum fruchtbaren Land von ­Ørland und zum besten von Uthaug - sie waren ebenso gut wie die Äcker des Fetten. Das Korn wuchs hoch, und die Ernte fiel in der Regel gut aus. Er wusste, dass er wie sein Vater das Korn im Frühjahr säen und im Herbst ernten würde. Er würde die Kühe kalben sehen, die Kälber aufziehen und die schlachten, die geschlachtet werden sollten. Als Junge hatte er geweint, wenn der Schlachter kam. Sein Vater war böse geworden und hatte gesagt, er solle sich zusammenreißen und nicht heulen wie ein Mädchen. Er war dann zu seiner Mutter gelaufen, die immer bereit war, ihn zu trösten.

Eines Abends, als sie glaubten, er schliefe, hörte er seinen Vater sagen, der Junge sei zu empfindlich, um Bauer zu werden, er hänge zu sehr an den Tieren. Er hörte den Verdruss in der Stimme seines Vaters. Seine Mutter verteidigte ihn. Meinte, dass er noch ein paar Jahre auf dem Buckel brauche, dass die Zeit ihn schon abhärten würde. Als der Vater in den Stall ging, weinte die Mutter. Johan beschloss, sich zusammenzureißen.

Als die Weihnachtszeit kam und die Tiere geschlachtet werden sollten, wollte er dabei sein, egal, was geschah oder wie er sich dabei fühlte. Es war schon spät. Der Schlachter hatte seit den Morgenstunden viel zu tun gehabt. Und der Schnaps, den er auf jedem Hof als Dank für seine Arbeit bekam, hatte seinen Blick unstet und den Vorschlaghammer in seiner Hand schwer werden lassen.

Johan stand wie versteinert da und sah zu, wie der Schlachter zwei Kälber malträtierte, deren Geburt er erlebt, mit denen er gespielt und die er getröstet hatte, wenn sie nach ihrer Mutter muhten. Der Schlachter traf das eine Kalb über dem Auge. Hart genug, um ihm das Auge auszuschlagen, aber nicht hart genug, um es zu töten. Beim dritten Versuch verlor er das Gleichgewicht, der Vorschlaghammer traf Johan an der Schulter. Endlich gelang es dem Schlachter, das Kalb an der Stirn zu treffen, sodass die Beine des Tiers einknickten. Er zog das Messer heraus und schnitt ihm die Kehle durch.

»So, nun aber«, schnaufte er.

Johan trat ein paar Schritte zurück und stolperte über den Eimer, in dem der Schlachter das Blut auffing.

»Bring mir den Eimer!«, brüllte der, dass ihm der Schaum vor dem Mund stand. »Beeil dich, Junge!« Johan rannte davon, er hörte seinen Vater hinter sich fluchen. Er weinte erst, als er hinter dem Stroh in Sicherheit war, und er ging erst wieder ins Haus, als man nicht mehr sehen konnte, dass seine Augen feucht gewesen waren.

Ein halbes Jahr später, als es wieder an der Zeit war zu schlachten, legte der Vater den Strick in Johans Hand. Schweren Herzens zog Johan mit dem Kalb davon, und obwohl er sicher war, dass der Vater bemerkte, wie seine Unterlippe bebte, lobte ihn sein Vater hinterher, er hätte es gut gemacht.

»Das Leben ist nicht immer angenehm, aber wir müssen das tun, was notwendig ist, um selbst zu überleben«, erklärte er und schlug Johan auf die Schulter.

Als Vierzehnjähriger zog Johan allein mit den Kälbern los. Wie sein Vater blieb er mitten auf dem Hofplatz stehen und winkte der Mutter am Fenster zu. Dachte daran zu lächeln. Sie winkte zurück, und er sah, dass sie stolz war. Es war lange her, dass sie geweint hatte. Johan gelobte sich, den Schlachter im nächsten Jahr zu fragen, ob er dem Kalb die Kehle durchschneiden dürfe.

Doch es gab kein nächstes Jahr mehr. Die Preise fielen, und der Hof wurde zwangsversteigert. Johan hätte die dritte Generation auf dem Hof sein sollen.

»Aber wir sind noch hier«, versuchte die Mutter den Vater zu trösten, als sie nach der Auktion am Küchentisch saßen und Kaffee tranken. Es wurden so viele Höfe zwangsversteigert, dass die Bank ihnen erlaubt hatte, im Haus weiterhin zur Miete zu wohnen. Im Stall kümmerten sich jetzt jedoch andere Leute um das Vieh.

»Es ist nicht dasselbe«, erwiderte der Vater und ging zu Bett. Johan hatte ihn nie zuvor mitten am Tag zu Bett gehen sehen.

Mit jedem Tag schien der Vater kleiner zu werden.

Johan war gerade fünfzehn geworden und hatte die Schule beendet. Eigentlich hätte er die Landwirtschaftsschule besuchen sollen, nun suchte er sich stattdessen eine Arbeit am ­Hafen. Trotz der schlechten Zeiten wurde der Hafen erweitert, und Johan schleppte Steine vom Hafeneingang bis ans Ende der Mole. Es war nicht üppig, was er verdiente, dennoch war er jeden Monat stolz, wenn er seiner Mutter das selbst­verdiente Geld geben konnte.

Eines Samstags kam der Pastor vorbei. Er war beliebt, man wusste, dass er zu jedermann freundlich war. Die Mutter bot ihm Kaffee an, holte den Vater und erkundigte sich nach den Kindern des Pastors.

»Marie ist doch wahrscheinlich auch mit der Schule ­fertig?«

»In einem Jahr«, antwortete der Pastor und erzählte ein wenig von seiner Tochter. Von seinem Sohn sprach er nicht. Der gehörte nicht zu den besten Kindern Gottes. Der Pastor war Witwer, solange Johan denken konnte, daher hatten die Leute dem Sohn des Pastors sein fehlendes gutes Benehmen verziehen, als er kleiner war. Nun war er jedoch erwachsen, und da mangelte es den Menschen an Verständnis.

Marie war anders. Sie war ein Jahr jünger als Johan. Vielleicht zwei. In seinem letzten Schuljahr hatten sie sich den Klassenraum geteilt. Er hatte nie mit ihr geredet. Sie saß aufrecht an ihrem Pult, immer ganz vorn, und trug frisch gebügelte Kleider. Sie sagte nicht sehr viel und schien tatsächlich außer Lesen keine anderen Interessen zu haben.

Der Pastor erkundigte sich nach dem Leben auf dem Hof. Er wählte seine Worte vorsichtiger als die übrigen Einwohner von Uthaug, ja, eigentlich von ganz Ørland. Er war in der Stadt aufgewachsen. Der Vater antwortete ausweichend, ­Johan schämte sich für ihn.

»Ich habe gehört, dass es mit der Freude hier im Haus derzeit nicht zum Besten steht?«, sagte der Pastor. Der Vater runzelte die Stirn, und die Mutter erhob sich eilig, um die Kuchen­platte aufzufüllen. Der Pastor trank seine Tasse Kaffee aus, lehnte dankend ein weiteres Stück Kuchen ab und bot dem Vater eine Arbeit bei der Kirche an. Er könne dem Toten­gräber behilflich sein. Der Vater erwiderte, das sei nett von dem Pastor. Allein, dass er an ihn gedacht habe. Natürlich würde er die Stelle gerne antreten. Aber Johan sah, dass er es demütigend fand, als ehemaliger Hofeigentümer nun der Laufbursche des Totengräbers zu werden.

Der Vater trat seine neue Beschäftigung bereits am nächsten Tag an. Ohne zu frühstücken, fuhr er mit dem Fahrrad los. Ohne sich auf dem Hofplatz umzudrehen und ohne ­Johan und der Mutter zuzuwinken, die am Fenster standen und ihm nachsahen.

Der Vater hielt nicht lange durch. Sie hoben gerade ein Grab für eine Dame aus der Stadt, aus Trondheim, aus, die gern in der »heimischen Erde« auf Ørland liegen wollte, als er umfiel. Sie waren fast fertig mit dem Grab, es fehlten nur noch ein paar Spatenstiche.

Auf der Stelle tot, sagte der Arzt. Im Fall hatte der Vater den Stiel des Spatens zerbrochen. Johan sah den Stiel vor dem Schuppen des Friedhofs auf der Erde liegen. Er war mit dem Rad zur Kirche gefahren, um beim Totengräber den restlichen Lohn des Vaters zu holen, damit sie die Beerdigung bezahlen konnten.

»Es wäre einfacher gewesen, ihn in dem Loch liegen zu lassen, Erde darüber zu schaufeln und für die Dame ein neues Grab auszuheben«, hörte er den Totengräber zu seinem neuen Helfer sagen. Beide lachten.

»Stattdessen waren drei Männer nötig, um ihn aus dem Loch zu holen und in die Leichenhalle zu schleppen.«

Johan drehte sich um und lief davon. Seine Augen brannten, und er blinzelte so heftig, um nicht zu weinen, dass er mit Marie zusammenstieß, die gerade durch die Pforte auf den Friedhof kam. Sie ließ die Blumen fallen, die sie in den Händen hielt.

»He, sieh dich doch vor!«, rief sie, dann sah sie seine Tränen. »Was ist denn los?«

Er lief so schnell er konnte. Die Gänse vor dem Pfarrhaus schnatterten hinter ihm her. Es klang, als würden sie lachen.

Zu Hause sagte er der Mutter, der Vater hätte keinen Lohn mehr zu bekommen. Die Mutter wurde nicht zornig, sie weinte nur. Er wünschte, sie hätte ihn stattdessen angeschrien.

Sie beerdigten den Vater mit Hilfe der Almosen der Nachbarn. Und der Pastor war so freundlich, die Mutter im Pfarrhaus als Putzfrau anzustellen. Sie sprachen nicht darüber, dass ihre Hände mit jedem Tag steifer wurden und sie kaum den Putzlappen halten konnte; zusammen mit Johans schmalem Lohn hatten sie nun genug, um das Essen und die Miete zu bezahlen.

»Zumindest haben wir noch das Haus, ich könnte nirgendwo sonst wohnen«, erklärte die Mutter mit blanken Augen, und Johan gab sämtliche Pläne auf, mit ihr den Hof zu verlassen und zu vergessen, was einmal war. Er machte am Hafen Überstunden und...

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Maren Uthaug wurde 1972 als Tochter einer norwegischen Mutter und eines samischen Vaters geboren und wuchs in Dänemark auf. Sie arbeitet als Graphikerin und gewann 2013 den Cartoon-Wettbewerb der großen dänischen Tageszeitung Politiken. Sie hat drei Töchter. Ihren Blog gibt es auch auf Englisch.
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