Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Untertauchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.09.2020
Die literarische Sensation aus England - jetzt erstmals auf Deutsch!
Sechzehn Jahre ist es her, dass sie ihre Mutter zuletzt gesehen hat. Die Hälfte ihres Lebens hat sie versucht, ihre Kindheit zu vergessen - die Zeit auf dem Fluss, auf einem Hausboot, frei und ungebunden. Die Jahre danach, als ihre Mutter plötzlich weg war und sie bei Pflegeeltern unterkam. Gretel hat nicht aufgegeben, bei Kliniken, Leichenhäusern und Polizeistationen nachgefragt. Dann bringt ein Anruf die beiden wieder zusammen. Doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Während das Erinnerungsvermögen der Mutter zusehends schwindet, will die Tochter endlich verstehen. Warum wurde sie im Stich gelassen? Was ist damals geschehen, in jenem letzten Winter auf dem Fluss?

Daisy Johnson, geboren 1990, war mit 27 Jahren die jüngste Autorin, die jemals Finalistin des Booker Prize war. Ihr erster Roman Untertauchen erschien 2020 bei btb. Die Schwestern ist ihr zweiter Roman und stand auf der Shortlist für die Initiative »Futures« des Women's Prize for Fiction, welche die talentiertesten britischen Nachwuchsautor*innen auszeichnet. Der Film September Says von Ariane Labed basiert auf dem Roman und wurde u.a. für die Goldene Kamera in Cannes und für den Sydney Film Prize nominiert. Daisy Johnson lebt mit ihrer Familie in Oxford.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie literarische Sensation aus England - jetzt erstmals auf Deutsch!
Sechzehn Jahre ist es her, dass sie ihre Mutter zuletzt gesehen hat. Die Hälfte ihres Lebens hat sie versucht, ihre Kindheit zu vergessen - die Zeit auf dem Fluss, auf einem Hausboot, frei und ungebunden. Die Jahre danach, als ihre Mutter plötzlich weg war und sie bei Pflegeeltern unterkam. Gretel hat nicht aufgegeben, bei Kliniken, Leichenhäusern und Polizeistationen nachgefragt. Dann bringt ein Anruf die beiden wieder zusammen. Doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Während das Erinnerungsvermögen der Mutter zusehends schwindet, will die Tochter endlich verstehen. Warum wurde sie im Stich gelassen? Was ist damals geschehen, in jenem letzten Winter auf dem Fluss?

Daisy Johnson, geboren 1990, war mit 27 Jahren die jüngste Autorin, die jemals Finalistin des Booker Prize war. Ihr erster Roman Untertauchen erschien 2020 bei btb. Die Schwestern ist ihr zweiter Roman und stand auf der Shortlist für die Initiative »Futures« des Women's Prize for Fiction, welche die talentiertesten britischen Nachwuchsautor*innen auszeichnet. Der Film September Says von Ariane Labed basiert auf dem Roman und wurde u.a. für die Goldene Kamera in Cannes und für den Sydney Film Prize nominiert. Daisy Johnson lebt mit ihrer Familie in Oxford.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641235239
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum14.09.2020
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2419 Kbytes
Artikel-Nr.5142670
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DIE JAGD Der Mietwagen war rot, und das Krankenhaus schien hauptsächlich aus einem langen Korridor zu bestehen. Ich passierte die Eingänge zu Gynäkologie, Pulmologie, zur Privatstation. Es roch nach in der Mitarbeitermikrowelle aufgewärmter Suppe, verbranntem Toast, Bleichmittel. Die Pathologie befand sich drei Stockwerke tiefer. Ich drückte mich vor der Tür herum. Es gab ein Schwarzes Brett mit Anzeigen für Gassigeher, einen zu verschenkenden Hamster und ein neues Fahrrad für nur hundert Pfund. Die Klimaanlage war kaputt, und wann immer jemand aufstand, hinterließ er einen Schweißfleck auf dem Stuhl. Sanitäter kamen mit fahrbaren Krankenliegen, mit Stöpseln in den Ohren oder am Handy telefonierend vorbei. An Gesichter und Körper konnte ich mich kaum erinnern. Ich dachte an Wörter, die du oft verwendet hast: Fusel, Radiator, Glibber. Wie hast du gerochen? Ich schnupperte an meinem Handgelenk. Auf deine Zeit und deinen Freiraum hast du eifersüchtig und egoistisch geachtet. Selbst nach sechzehn Jahren ohne dich, selbst kurz bevor ich deine Leiche sehen würde, war ich immer noch bemüht, dir nicht auf die Zehen zu treten. Als ein Sanitäter ein Bett durch die Schwingtür schob, ging sie so weit auf, dass ich ein Dreieck des dahinterliegenden Zimmers erkennen konnte, den grellen Schein von Leuchtstoffröhren.

Im Lauf der Jahre hatte ich schon mehrmals mit dem Pathologieassistenten gesprochen. Pausen und Fragezeichen am Ende von Aussagen fragmentierten seine Sätze. Er war kahl, seine Glatze glänzte. Er sagte, mein Aussehen passe zum Klang meiner Stimme. Ich wusste nicht genau, was er damit meinte. Ich sah dir nicht besonders ähnlich. Du warst von einer kantigen Schönheit, die jeden einschüchterte, der deine Bekanntschaft machte. An der Wandtafel hingen ausgeschnittene Bilder von Kaktussen. Als er sah, dass ich sie betrachtete, zuckte er mit den Schultern.

Sie haben was, finden Sie nicht? Sie brauchen niemanden. Sie speichern Wasser in ihrem Inneren.

Ich war mir nicht sicher, wie ich in das Zimmer gekommen war. In die Wände waren Metalltüren eingelassen, und im Hintergrund spielte das Radio leise ein Lied, das ich nicht kannte. Er machte eine der Türen auf und zog eine Lade heraus. Du warst mit einem blauen Tuch bedeckt. Alle Luft war weg. Unter dem Stoff zeichneten sich Umrisse ab: eine Nase, ein Hüftknochen. Die Füße, die an einem Ende hervorragten, wirkten wie aus Wachs. An einer Zehe hing ein Etikett, an einer anderen eine Glocke.

Wofür ist die?, fragte ich.

Er strich sich über den kahlen Schädel. Seine Hände waren ausgesprochen gepflegt, aber in dem einen Winkel seines schmalen Mundes hing ein Essensrest. Eigentlich ist sie unnötig, sagte er, nichts weiter als eine Marotte. Aber bevor es Herzüberwachungsgeräte gab, hat man so sichergestellt, dass die Toten auch wirklich tot sind. Ich bewahre ein Stück Tradition.

So viel zum Thema Taphophobie, sagte ich, und er schaute mich an, wie die Leute mich manchmal anschauen, wenn ich wie ein Lexikon rede. Ich wollte ihm von all den schönen Wörtern erzählen, die mir auf der Hinfahrt durch den Kopf gegangen waren und mit denen wir die Orte benennen, an denen wir unsere Toten aufbewahren: Beinhaus, Ossarium, Sepulcrum.

Soll ich rückwärts zählen? Drei, zwei, eins?, fragte er. Manche Leute wollen das.

Nein.

Er zog das blaue Tuch zurück, bis knapp unter die Schultern. Ich spürte einen Schmerz im Magen, am Haaransatz, einen plötzlichen Kälteschock. Das warst du. Und kurz darauf bemerkte ich meinen Irrtum. Ihr Haar hatte - das stimmte wohl - dieselbe Farbe wie deines, und die Falten um ihre Augen und ihren Mund erinnerten an dich, ebenso die Form ihrer Stirn. Aber sie besaß weder deine breite Nase - die schief war, seit du sie dir vor meiner Geburt gebrochen hattest -, noch hatte das Muttermal auf der Schulter dieselbe Farbe wie deines, dieses fast schon gefährlich nach Krebs aussehende, dunkle Lila.

Sind Sie sicher? Er klang enttäuscht. Wahrscheinlich gab es in der Pathologie genauso viele verloren gegangene Leichen wie früher im Kanal, wo sie in der Trockenzeit aufgedunsen an die Oberfläche stiegen. Er lüpfte das untere Ende des Tuchs, um mir die Tätowierung zu zeigen, doch sie war frisch und dort, wo die Nadel eingedrungen war, noch ein bisschen entzündet: ein seitlich verrutschter Stern, die Umrisse eines nicht zu erkennenden Landes. Ich war mir nie sicher gewesen, was dein Tattoo darstellen sollte, und du hast dich geweigert, es mir zu sagen. Auch Mütter brauchen Geheimnisse.

Ja, klar, sagte ich.

Auf dem Rückweg hielt ich an, um zu tanken, und setzte mich dann auf eine Picknickbank aus Holz, die neben den Zeitungen und der Grillkohle stand. Alles schien falsch justiert: das Metall der Autotüren, das sich flirrend gegen den heißen Luftstrom vom Motorway abhob. Ich hatte einen säuerlichen, ungewaschenen Geschmack im Mund. Ich fühlte mich, als hätte man mir die Haut von den Händen und Wangen geschabt. Ich war erschöpft, als wäre dieser Augenblick schon zehnmal in meinem Leben passiert, als könnte ich nirgendwo anders enden als dort: in der Hitze an einer Tankstelle, nachdem ich eine Leiche gesehen hatte, die nicht deine war. Es war ein Fehler, hinter dir herzutelefonieren. In den Köpfen der Leute gab es Kurbeln und Wählscheiben, die man besser in Ruhe ließ. Ich holte die Karte aus dem Handschuhfach. Einige Straßenschilder waren mir bekannt vorgekommen (geschriebene Wörter kann ich mir gut merken), und als ich nachsah, fand ich heraus, dass ich mich in der Nähe der Stallungen befand. Ich hatte geglaubt, ich sei Stunden davon entfernt, eine Tagesreise. Aber es war nicht weit, höchstens eine Stunde. Es verunsicherte mich, dass ich die ganze Zeit in der Nähe dieses Ortes gewesen war. Ich kaufte mir einen Schokoriegel und setzte mich ins Auto, um zu überlegen, was ich tun sollte. Die Schokolade schmolz, noch bevor ich die Verpackung aufmachen konnte. Nach Hause zu fahren erschien mir unmöglich - jetzt, da das blaue Tuch wieder über dieses Gesicht gezogen war.

In einer engen Kurve rammte ich fast etwas, das über die Straße gesaust kam, knapp über dem Boden, ein Farbstreifen. Ich stieg voll auf die Bremse, biss mir auf die Zunge, schrie. Überzeugt, dass ich etwas überfahren hatte. Was auch immer es war. Ich stieg aus. Es war heiß. Viel zu heiß für all das. Ich ging in die Hocke, um unter dem Auto nachzusehen. Als ich mich aufrichtete, kam eine Frau in einem lilafarbenen Regenmantel auf mich zugerannt.

Haben Sie meinen Hund überfahren? Ihre rechte Gesichtshälfte hing schlaff herunter - vielleicht von einem Schlaganfall -, und sie sprach undeutlich. Ich wollte weiter, aber sie hielt mich am Arm fest. Haben Sie meinen Hund überfahren?

Ich weiß es nicht, sagte ich.

Trotz der Hitze war der Reißverschluss ihres Regenmantels bis unters Kinn hochgezogen. Wir schauten gemeinsam unter dem Auto nach, ob der Hund dort war, und anschließend in den Büschen zu beiden Seiten der Straße. Sie rief ihn nicht beim Namen, sondern pfiff nur mickrig und erfolglos nach ihm.

Er darf nichts fressen, erklärte sie, er muss eine strenge Diät halten. Wir müssen ihn finden, bevor er etwas frisst. Immer reißt er aus. Sie redete mit mir, als wären wir alte Freundinnen. Schon als Welpe war er ein Ausreißer.

Ein Auto kam um die Kurve und krachte beinahe gegen meines, das mitten auf der Straße stand.

Ich sehe ihn nirgends. Kann ich Sie irgendwohin fahren?

Doch sie war schon weg, kämpfte sich durch die dichte Hecke und den dahinterliegenden Graben. Mir lagen die Wörter für das Sammeln der Toten im Mund. Ich erwartete immer noch, dich irgendwo zu finden. Verschrumpelt, kalt und mit in verschiedene Richtungen zeigenden Füßen.

Eine steile, mit Schlaglöchern übersäte Straße führte hinab zu den Stallungen, zu einem mit einem Doppelbalken versehenen Tor, über das zwei Mädchen in engen Hosen kletterten, und einem Parkplatz weiter hinten. Das hier war der letzte Ort, an dem ich mit dir gelebt hatte, das letzte Zimmer, das ich mit dir geteilt hatte. Weißt du noch, wie die Mädchen, die an den Wochenenden dort arbeiteten, ihre halb leeren Cola-Flaschen an der Wand aufgereiht und die Köpfe zusammengesteckt haben? Wie wir ein paar der Mädchen nie auseinanderhalten konnten? Viele von ihnen hatten einen seltsam aufgebracht klingenden Essex-Akzent, den ich nicht richtig verstand, und zogen die Wörter mit zusätzlichen Os und Us in die Länge.

Erst schaute ich mich um, ohne mich bemerkbar zu machen. Auf dem Platz war gerade eine Reitstunde im Gange. Vier Kinder auf fetten Ponys. Die Lehrerin, die zu unserer Zeit hier unterrichtet hatte, war groß gewachsen gewesen und hatte geglättetes braunes Haar und lackierte Nägel gehabt. Eine Stimme wie ein Nebelhorn, aber zerbrechlich, oft mit Gipsverband in einer Schlinge um den Hals. Sie war nicht mehr da.

Ich schlich am Reitplatz vorbei. Ein paar der Stufen, die in unser ehemaliges Zimmer führten, waren kaputt. Ich erinnerte mich an diesen schmalen Gang zwischen Reitplatz und Stallgebäude, denn ich hatte oft auf der Treppe gesessen und auf deine Rückkehr gewartet, bei der du dann über den unebenen Boden gestolpert bist und fluchend an der Wand Halt gesucht hast. Mal ehrlich, ich muss doch gewusst haben, dass du fortgehen würdest, muss doch immer damit gerechnet haben, dass du nicht nach Hause kommst. Du bist wegen mir aufgeblieben? Wie lieb, hast du gesagt, doch dein Gesichtsausdruck verriet etwas anderes und überdeckte die Worte wie ein Baugerüst.

Ich ging zurück zum Parkplatz. Die Stunde war zu Ende, und die Lehrerin kam und fragte, ob ich ein Kind hätte oder selbst...

mehr

Autor

Daisy Johnson, geboren 1990, war mit 27 Jahren die jüngste Autorin, die jemals Finalistin des Booker Prize war. Ihr erster Roman Untertauchen erschien 2020 bei btb. Die Schwestern ist ihr zweiter Roman und stand auf der Shortlist für die Initiative »Futures« des Women's Prize for Fiction, welche die talentiertesten britischen Nachwuchsautor*innen auszeichnet. Der Film September Says von Ariane Labed basiert auf dem Roman und wurde u.a. für die Goldene Kamera in Cannes und für den Sydney Film Prize nominiert. Daisy Johnson lebt mit ihrer Familie in Oxford.