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Unter dem Schnee

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am04.10.2021
Schloss Schwanenholz, Ende Dezember 1978: Fünfzig Jahre führte Luise von Schwan die Baumschule auf dem Gut an der Ostsee mit strenger Hand. Nun wird die Gräfin beerdigt. Doch als die Trauerfeier beginnt, fegt ein heftiger Schneesturm über das Land. Bevor das Familienanwesen von der Außenwelt abgeschnitten wird, trifft ein ungebetener Gast aus Frankreich ein. Wer ist die geheimnisvolle Frau, die behauptet, Luises Tochter zu sein? Und hat Luise tatsächlich während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter auf dem Gut ausgebeutet? Fünf Tage, in denen die Familie mit verborgenen Wahrheiten konfrontiert wird. Fünf Tage, die das Schweigen beenden, das sich jahrzehntelang über alles senkte wie Schnee.

Katrin Bursegs Faible für Geschichte und Geschichten ließ sie Kunstgeschichte, Literatur und Romanistik studieren. Sie arbeitete als Journalistin, begann dann, Romane zu schreiben und erreichte mit »Unter dem Schnee« ein großes Publikum. In Norddeutschland aufgewachsen und in Hamburg zu Hause, hat sie sich schon früh für die Ozeane und den Klimawandel interessiert. Die damit einhergehenden Folgen für die Küstenregionen und die dort lebenden Menschen haben sie zu ihrem Bestseller »Adas Fest« inspiriert.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSchloss Schwanenholz, Ende Dezember 1978: Fünfzig Jahre führte Luise von Schwan die Baumschule auf dem Gut an der Ostsee mit strenger Hand. Nun wird die Gräfin beerdigt. Doch als die Trauerfeier beginnt, fegt ein heftiger Schneesturm über das Land. Bevor das Familienanwesen von der Außenwelt abgeschnitten wird, trifft ein ungebetener Gast aus Frankreich ein. Wer ist die geheimnisvolle Frau, die behauptet, Luises Tochter zu sein? Und hat Luise tatsächlich während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter auf dem Gut ausgebeutet? Fünf Tage, in denen die Familie mit verborgenen Wahrheiten konfrontiert wird. Fünf Tage, die das Schweigen beenden, das sich jahrzehntelang über alles senkte wie Schnee.

Katrin Bursegs Faible für Geschichte und Geschichten ließ sie Kunstgeschichte, Literatur und Romanistik studieren. Sie arbeitete als Journalistin, begann dann, Romane zu schreiben und erreichte mit »Unter dem Schnee« ein großes Publikum. In Norddeutschland aufgewachsen und in Hamburg zu Hause, hat sie sich schon früh für die Ozeane und den Klimawandel interessiert. Die damit einhergehenden Folgen für die Küstenregionen und die dort lebenden Menschen haben sie zu ihrem Bestseller »Adas Fest« inspiriert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641244330
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum04.10.2021
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1704 Kbytes
Artikel-Nr.5142743
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



ISA

1

So, da saß sie also, mit allem Drum und Dran und in Luises schönem schwarzen Kleid. Sie hatten es so abgemacht, vor Jahren schon, doch nun fühlte es sich falsch an, hier mit den Perlen zu sitzen, während Luise da vorne unter dem schweren Sargdeckel aus Eichenholz lag.

Isa Wollin blickte auf ihre Hände. Schön waren sie nicht, alt und runzlig, mit Nägeln, die leicht splitterten. Selbst im Halbdunkel der Kirche meinte sie, den Schmutz zu erkennen, der sich über die Jahre in die Haut gefressen hatte. Kartoffelschälhände, damit musste sie leben. Aber Luises schimmernder Ring, der wie ein Kuckucksei an ihrer rechten Hand saß, schien die Derbheit ihrer Finger noch zu betonen, und auf einmal wünschte sie sich, sie hätte den Schmuck in ihrer Nachttischschublade vergraben. Dort, wo alle Träume endeten.

Ach, Luise.

Isa schluckte und versuchte, die Traurigkeit zurückzuhalten, die sie auf einmal mit fester Hand packte. Sie hatte nicht geweint, als die Freundin gestorben war. Warum auch? Luise war friedlich eingeschlafen, in der Hand eine Tasse ihres Abendtees. Kerzengerade hatte sie in ihrem Ohrensessel am Fenster gesessen, auf den Lippen ein mädchenhaftes Lächeln, das die Spuren der Zeit auszulöschen schien. Selbst das blau-weiße Porzellan aus Kopenhagen, das sie so liebte, war nicht zu Bruch gegangen. Konnte man es sich besser wünschen nach so einem Leben?

Nur der Zeitpunkt, so kurz vor Heiligabend.

Missbilligend schüttelte Isa den Kopf. Da war es natürlich vorbei gewesen mit dem Weihnachtsmarkt auf dem Gut, all dem Glanz und den frisch geschlagenen Bäumen, die Carl noch hatte verkaufen wollen. Und das Lametta? Ging gar nicht. Isa hatte es mühsam aus dem riesigen Weihnachtsbaum in der Halle des Herrenhauses gepult. Gans hatte es an den Festtagen auch nicht gegeben, nur Karpfen blau mit Kartoffeln und scharfem Meerrettich, der allen die Tränen in die Augen trieb. Sogar der stille Johann hatte sich lautstark schnäuzen müssen.

Isa hob den Kopf und schaute sich in der Kirche um. Da saßen sie, Familie, Freunde und die wichtigen Leute, alle, die Luise Emilia Katharina Gräfin von Schwan ehren wollten. Die kleine Dorfkirche war bis auf den letzten Platz gefüllt, selbst auf der Orgelempore standen die Leute dicht an dicht, und der Sarg versank unter Blumen und Kränzen. Immergrün und weiße Rosen. Die Trauergäste gedachten weniger der Patriarchin aus schleswig-holsteinischem Adel als vielmehr einer Frau, die das Gut und die Baumschule von Schwan durch ihre schwersten Jahre geführt hatte.

»Die Gräfin hat immer zuerst an das Wohl des Hauses und des Unternehmens gedacht«, hörte Isa den Pastor sagen. Pastor Siebeling war weiß Gott kein großer Redner, oft fahrig und verzagt, und vielleicht vertraute er überhaupt nur auf die Worte des Herrn, um nicht ganz zu verstummen. Mühsam hangelte er sich durch das Dickicht der Sätze, die gesagt werden mussten, sein Kopf mit dem weißen Haarkranz vor Anstrengung gerötet. »Sie war eine bewundernswerte Frau, stark und unerschütterlich, die ihr Leben ...«

Isa zuckte zusammen. Ganz plötzlich erhellte ein Blitz die Kirche, dem ein mächtiger Donnerschlag folgte. Ein Raunen ging durch die Reihen, und der Pastor verstummte für einen Augenblick, bevor er sich sammelte und weitersprach.

»... die ihr Leben ganz in den Dienst der Familie und ...« Wieder stockte Siebeling, als merkte er, dass seine Worte Luises Persönlichkeit und ihr Leben nur unzureichend einzufangen vermochten.

Ach herrje. Isa biss sich auf die Lippen und sah angespannt zu den kleinen mittelalterlichen Kirchenfenstern hinauf. Das Licht hatte sich verändert; obwohl erst früher Nachmittag war, schien es bereits zu dämmern. Der böige Nordostwind frischte weiter auf, ein Heulen und Fauchen, das die Kirche erzittern ließ.

Gestern Abend in der Tagesschau hatten sie heftigen Wind und Regen für die Ostseeküste vorhergesagt. Sturmflutgefahr? Ja, das auch. Aber Isa spürte noch etwas anderes, das ihren morschen Knochen zusetzte. Eiseskälte nämlich, die sie mit spitzen Nadeln piesackte und die Narben der Vergangenheit schmerzen ließ. Und obschon es am Morgen noch mild und feucht gewesen war, typisches Weihnachtswetter eben, hatte sie vorsorglich nach dem Leibchen aus Angorawolle gegriffen und die dicken Strümpfe über die Knie hochgerollt. Nun bemerkte Isa, dass Schneetreiben eingesetzt hatte. Beunruhigt sah sie zu, wie die dicken Flocken die Fenster an der Nordwand der Kirche zukleisterten und das Licht noch weiter verdunkelten.

»Kiek mol na boben!«

Vorsichtig stieß sie Carolin an, die neben ihr saß. Caro war Johanns fünfzehnjährige Tochter. Schlau und kratzbürstig wie eine Wildkatze war sie Carl seit jeher ein Dorn im Auge, und seit sie sich vor ein paar Wochen das Haar feuerrot gefärbt hatte, duldete er sie nicht mehr in seiner Nähe. Er hatte ihr einen Platz im hinteren Drittel der Kirche zugewiesen, bei den Leuten aus dem Dorf, und ihr Vater hatte es geschehen lassen, weil er mit anderem beschäftigt war. Natürlich war Caro zuckersüß lächelnd in Lederjacke und derben Stiefeln und mit einer Sicherheitsnadel im Ohr zur Trauerfeier erschienen. Sie hatte sich nicht zu den Bauern aus Schwanenholz gesetzt, sondern sich zu Isa durchgedrängelt. Das Gör und die Köchin.

»Ist dir auch so kalt?« Caro fasste nach ihrer Hand, der Blick des Mädchens fiel auf den Ring mit der erbsengroßen Südseeperle.

»Sag mal, ist das nicht Luises?«

Isa nickte und legte einen Finger auf die Lippen. »Hat sie mir vermacht«, sagte sie leise, und wieder überkam sie diese wüste Traurigkeit, die ihr die Brust zusammenschnürte und sie leise aufstöhnen ließ.

»Pass bloß auf, dass Carl nichts davon mitbekommt«, flüsterte Caro. Fürsorglich rieb sie Isas Hände. Tatsächlich schienen die Temperaturen mit jeder Minute weiter zu fallen. Der Weihnachtsbaum neben dem Altar zitterte ganz leicht im eisigen Wind, der durch die Risse im alten Mauerwerk fuhr.

»Steht doch im Testament«, gab Isa zurück. »Wirst schon sehen.«

»Trotzdem ...«

Mit dem Kinn wies Caro nach vorn, wo Carl mit seiner Frau Anette in der ersten Reihe direkt vor dem Sarg thronte. Luises Sohn war im Krieg gefallen, deshalb hatte sie vor ein paar Jahren die beiden Söhne ihrer Schwester Klementine in die Geschäftsführung der Baumschule berufen. Und obwohl die Brüder gleichberechtigt waren, ging der drei Jahre ältere Carl nun breitbeinig und stolz in seiner Rolle als Familienoberhaupt auf. Johann dagegen hatte sich auf die andere Seite unter die Kanzel neben seine Mutter gesetzt, als wollte er an diesem Tag nicht im Mittelpunkt stehen. Über seinem Kopf prangte das Wappen der Familie, ein silberner Höckerschwan mit weit ausgebreiteten Flügeln auf rotem Schild. Puritas enim cordis, so lautete der Wappenspruch der von Schwans, »Reinheit des Herzens«.

Luise hatte den Spruch immer als Verpflichtung betrachtet, aber ob die beiden Brüder ihm gerecht werden konnten? Zweifeln durfte man da schon.

Isa fischte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und wischte sich über die feuchten Augen. Gesang, das ging ihr immer so zu Herzen. Weiße Atemwölkchen stiegen über den Köpfen der versammelten Trauernden auf, und die Strohsterne an der Weihnachtstanne schaukelten im Takt. Oder war das der Wind?

Auch Pastor Siebeling suchte Halt, er trat zurück und legte eine Hand auf Luises Sarg, als wollte er ihn segnen. Sein Blick huschte hinauf zu den Fenstern, dann betrachtete er zweifelnd den Tannenbaum neben sich. Die Douglasie, ein mächtiges Exemplar aus dem Nadelholzquartier der Baumschule, hatte Carl gestiftet. So wollte es die Tradition. Und wie in jedem Jahr hatte der Baum einen Makel, der ihn unverkäuflich machte. Dieses Mal waren es die beiden Spitzen, die Isa an Teufelshörner denken ließen.

Aber warum stand der hässliche Baum überhaupt noch?

Weil Pastor Siebeling alles zu viel geworden war, die Festtage und die Vorbereitungen für das Begräbnis.

Carl hatte die Augen verdreht, als er in die Kirche kam. Aber der hätte ja auch mal nach dem Rechten sehen können, dachte Isa nun. Luise, so viel stand fest, wäre das nicht passiert. Die hätte auch den Baum mit den Teufelshörnern nicht abgesegnet. Und überhaupt ...

Nee, jetzt kullerte doch eine Träne. Und noch eine und noch eine.

Caro strich ihr wieder über die Hand. Das Mädchen roch gut, ein heller Sommerduft nach Heu und Honig, der der Kälte etwas entgegensetzte und Isa ein wenig tröstete.

»Bald geschafft«, flüsterte Caro.

Bald geschafft?

Du liebes bisschen, dieses Kind. Caro hatte ja keinen Begriff davon, was nach der Trauerfeier noch auf Isa wartete.

Kaffee und Kuchen im Herrenhaus für fünfzig Gäste, Abendessen für dreißig Personen. Die Übernachtungsgäste und das Frühstück am nächsten Morgen. Und dann die Wäscheberge und all das Silber und Kristall, das in die Schränke zurückmusste.

Der Kuchen war gebacken, und die Kartoffeln waren gepellt. Aber mehr als zwei Mädchen zur Hilfe hatte Carl ihr für die Beerdigung nicht genehmigt. Und dabei war sie doch auch schon zweiundsiebzig.

Wieder zog Isa das Taschentuch aus dem Ärmel, um sich ausgiebig zu schnäuzen. Früher, da hatte es eine Köchin und drei Dienstmädchen im Haushalt gegeben. Dazu noch die Knechte, Gärtner, Stallmeister - nur für die Bewirtschaftung des Herrenhauses, die Baumschule noch gar nicht eingerechnet.

Aber das waren andere Zeiten gewesen. Nicht wahr, Luise? Nicht unbedingt glücklicher, aber gediegener....

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Katrin Bursegs Faible für Geschichte und Geschichten ließ sie Kunstgeschichte, Literatur und Romanistik studieren. Sie arbeitete als Journalistin, begann dann, Romane zu schreiben und erreichte mit »Unter dem Schnee« ein großes Publikum. In Norddeutschland aufgewachsen und in Hamburg zu Hause, hat sie sich schon früh für die Ozeane und den Klimawandel interessiert. Die damit einhergehenden Folgen für die Küstenregionen und die dort lebenden Menschen haben sie zu ihrem Bestseller »Adas Fest« inspiriert.