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Victor, Lily und der Weg nach Hause

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.04.2021
Familie kann man sich nicht aussuchen - oder doch?
Die Waise Victor lebt glücklich bei seiner liebevollen Pflegemutter Annie - doch Annie ist herzkrank und kann sich nicht länger um ihn kümmern. Adoptiveltern müssen her. Die sucht sich Victor kurzerhand selbst, und zwar über ein Datingportal. Dort findet er Lily, die seiner Meinung nach perfekt zu ihm passt. Als Lily bei ihrem ersten gemeinsamen Date vor einem zwölfjährigen Jungen steht, staunt sie nicht schlecht. Victors Auffassung, dass sie die richtige Mutter für ihn ist, teilt sie ganz und gar nicht. Sie hat selbst eine tragische Familiengeschichte hinter sich und lebt nur noch für ihren Job als erfolgreiche Pâtissière. Doch Victor lässt nicht locker. Als man ihn in eine Adoptivfamilie steckt, mit der er sich partout nicht anfreunden kann, ergreift er drastische Maßnahmen, um Lily davon zu überzeugen, dass die beiden zusammengehören.

Philippe Amar ist erfolgreicher Drehbuchautor für Film und Fernsehen. 2013 erschien in Frankreich sein Roman »Tous les rêves de ma vie«, der auch verfilmt wurde.
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Produkt

KlappentextFamilie kann man sich nicht aussuchen - oder doch?
Die Waise Victor lebt glücklich bei seiner liebevollen Pflegemutter Annie - doch Annie ist herzkrank und kann sich nicht länger um ihn kümmern. Adoptiveltern müssen her. Die sucht sich Victor kurzerhand selbst, und zwar über ein Datingportal. Dort findet er Lily, die seiner Meinung nach perfekt zu ihm passt. Als Lily bei ihrem ersten gemeinsamen Date vor einem zwölfjährigen Jungen steht, staunt sie nicht schlecht. Victors Auffassung, dass sie die richtige Mutter für ihn ist, teilt sie ganz und gar nicht. Sie hat selbst eine tragische Familiengeschichte hinter sich und lebt nur noch für ihren Job als erfolgreiche Pâtissière. Doch Victor lässt nicht locker. Als man ihn in eine Adoptivfamilie steckt, mit der er sich partout nicht anfreunden kann, ergreift er drastische Maßnahmen, um Lily davon zu überzeugen, dass die beiden zusammengehören.

Philippe Amar ist erfolgreicher Drehbuchautor für Film und Fernsehen. 2013 erschien in Frankreich sein Roman »Tous les rêves de ma vie«, der auch verfilmt wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641261863
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum13.04.2021
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1667 Kbytes
Artikel-Nr.5143079
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 1

Eine durchdringende Feuchtigkeit, kaum fünf Grad, der scharfe Geruch von regennasser Erde. Ein schwerer Himmel, auf dem sich bedrohliche Kumuluswolken aufgetürmt hatten, eine tiefe Ruhe. Nur eisige Windböen unterbrachen die Stille, die auf dem ausgedehnten Friedhof im Pariser Norden lastete, dem Cimetière de Pantin. Sie umwehten Maïa und Victor, die auf dem Kies von einem Bein aufs andere traten. Schon seit über zwanzig Minuten starrten sie schweigend den Grabstein an. Eingemummelt in seine Daunenjacke, presste sich der Junge gegen die junge Frau. Sie legte den Arm um ihn, vor allem um ihn vor der Kälte zu schützen, doch das war nicht der einzige Grund. Sie drückte seine Wange, ohne es zu merken, etwas zu fest gegen ihre Seite. Ihr Arm wurde allmählich taub, als Victor unter dem Druck nachgab. Die Mütze über beide Ohren gezogen, den Schal um seinen abgewinkelten Hals gewickelt, die Hände in den Taschen vergraben, ähnelte er langsam einer verrenkten Gliederpuppe. Besorgt wartete Maïa auf seine Reaktion und machte sich schon auf das Schlimmste gefasst. Doch Victor blieb vollkommen ruhig und ließ den Grabstein dabei keine Sekunde aus den Augen.

JULIEN ROSSIGNOL

20. Mai 1990 - 2. Dezember 2017

Von dem Goldnugget, das unter dem Namen in den Marmor eingelassen war, war er wie hypnotisiert. Zuerst hatte er sich gewundert, so etwas Wertvolles hier vorzufinden, dann aber nach und nach vergessen, dass es sich um eine Grabstätte handelte. Der Glanz des Goldes hatte einen wohltuenden, beruhigenden Effekt auf ihn, denn er schien eher auf das Leben als auf den Tod zu verweisen. Der Junge begann selbst zu strahlen und befreite sich von dem ganzen Schmerz, der sich in ihm aufgestaut hatte. Dann zog er zweimal an Maïas Ärmel, denn sie hatte sich gerade abgewandt, um sich die tränenfeuchten Augen abzuwischen.

»Heute treffe ich zum ersten Mal meinen Papa«, erklärte er seelenruhig.

Sie lächelte und strich Victor sanft über die Wange. Da er beinahe glücklich wirkte, war auch ihre Traurigkeit wie weggeblasen.

Victor rechnete im Kopf.

2018 minus 1990 ... Ich bin jetzt zwölf, er war also sechzehn, als ich geboren worden bin.

Maïa hatte ihm das mehrfach erklärt. Als seine Erzieherin wollte sie ihm keine falschen Vorstellungen von seiner Geburt machen, sondern mit seiner Vergangenheit so offen wie möglich umgehen. Er sollte in diesem Wissen aufwachsen. Doch auch wenn Victor klar war, dass sein Vater ziemlich jung Vater geworden war, hatte er insgeheim immer daran gezweifelt. Zwangsläufig. Sechzehn! Dass er mit siebenundzwanzig Jahren gestorben war, bewies für Victor nur, dass sein Vater auch auf dieser letzten Etappe sein ganzes Leben lang allen anderen immer einen Schritt voraus gewesen war.

Sie verließen den Abschnitt und betraten eine lange, von entlaubten Kastanien gesäumte Allee. Die Bäume wirkten wie Skelette, die Allee war menschenleer.

»Hier ist es ja wirklich ausgestorben!«, bemerkte Victor, und sofort wurde ihm bewusst, wie deplatziert diese Bemerkung war.

»Stimmt, man hört kein Sterbenswörtchen«, legte Maïa nach und lachte nervös in dem Versuch, die Stimmung aufzulockern.

Maïa hatte die Handschuhe zum Fahren nicht ausgezogen und sogar noch die Ohrenklappen ihrer mit weißem Fleece gefütterten Mütze heruntergeschlagen. Den Regler für die Heizung hatte sie voll aufgedreht, obwohl sie wusste, dass aus dem Gebläse kaum ein laues Lüftchen kommen würde. Am Steuer ihres alten roten VW Polo starrte sie auf die Straße, war mit den Gedanken aber woanders.

Heute treffe ich zum ersten Mal meinen Papa ...

Sie war von dieser spontanen Bemerkung erschüttert, denn sie hatte geglaubt, dass Victor ganz selbstverständlich den Tod seines Vaters von sich weisen und versuchen würde, sich durch diese Leugnung zu schützen. Das Lächeln auf seinem Gesicht hatte sie jedoch beruhigt. Sie kannte ihren »Stummel« gut, er gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich selbst bemitleidet. Ganz im Gegenteil, er verstand es, auch aus den schmerzhaftesten Situationen das Beste zu machen, er war ganz einfach ein Optimist. Trotzdem fragte Maïa sich, wie Victors Leben wohl verlaufen wäre, wenn er seinen Papa gekannt hätte.

»Ist das ein echtes Nugget gewesen?«, fragte er nun, während sie auf Höhe der Porte de Pantin auf den Boulevard périphérique fuhren.

»Ich glaube nicht«, erwiderte Maïa. »Das wird die Grabräuber aber wohl nicht daran hindern, ein Auge darauf zu werfen.«

Er sah sie an und wartete, dass sie weitersprach. Aus dem Augenwinkel hatte sie bemerkt, dass der kleine Naseweis mit ihrer Antwort nicht zufrieden war.

»Der ... der Friedhofsverweser hat mich gewarnt, dass wir überrascht sein könnten«, stammelte sie und hoffte, dass ihm das als Erklärung genügen würde.

Doch die Antwort war immer noch nicht ausreichend. Victor erwartete mehr, und sie versuchte, seine nächste Frage vorwegzunehmen.

» Friedhofsverweser nennt man den stellvertretenden Verwalter eines Friedhofs.«

»Die Toten verwesen doch von ganz allein«, scherzte er.

Ohne den Blick von der Straße zu wenden, gab Maïa ihm einen Klaps auf den Oberschenkel.

»Na, ehrlich, sag mal! Schämst du dich nicht!«, schimpfte sie, ohne es auch nur eine Spur ernst zu meinen, und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

Sie liebte seinen schwarzen Humor, ihrer war genauso. Es war der Humor der verletzten Kinder, die gelernt hatten, alles herunterzuspielen, indem sie darüber lachten.

Was ich eigentlich wissen möchte, ist, wessen Idee es war, dieses Nugget dort anzubringen.

»Und frag mich nicht, wer das Nugget dort eingelassen hat, darüber weiß ich auch nicht mehr als du.«

Der Verweser hatte ihr verraten, dass der Vater des Verstorbenen damit seinen verlorenen Sohn ehren wollte. Das hatte sie Victor nicht verraten. Aber der ließ sich - scharfsinnig wie immer - nicht von seinem Gedankengang abbringen.

»Mein Vater hatte bestimmt Familie«, rief er, und seine großen Augen füllten sich mit einem hoffnungsvollen Glitzern. »Und die hat das Nugget anbringen lassen!«

An einer Ampel bei der Porte de Saint-Ouen, wandte Maïa sich dem Jungen zu. Zärtlich strich sie ihm die lange blonde Stirnlocke zur Seite, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel, selbst wenn er eine Wollmütze trug.

»Ich hab dir doch schon gesagt, dass in deiner Akte nichts stand. Nicht mehr über deine leibliche Mutter und auch nicht über deinen Vater als das, was du sowieso schon weißt. Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, Stummel.«

Sie bedauerte, ihn erneut anlügen zu müssen.

Da hupte es hinter ihnen, als die Ampel auf Grün sprang.

Der alte Polo rumpelte über das Pflaster und schlängelte sich den Montmartre hinauf. Am Ende der Rue Gabrielle, kurz vor der Treppe, die sie mit der Rue Chappe verband, hielt Maïa an. Victor streckte ihr die Faust zum Gruß hin, und sie erwiderte die Geste, indem sie mit ihrer Faust seine berührte. Seit er letzten September in die sechste Klasse gekommen war, war es ihm peinlich, wenn sie ihn in der Öffentlichkeit küsste. Auch »Stummel« durfte sie ihn nicht mehr nennen. Die zweite Vorschrift ignorierte sie geflissentlich.

»Hey, Vic!«

»Hey, Dave!«

Als er die Autotür zuschlug, begrüßte er David, der auf der Straße mit José Fußball spielte, dem Sohn der Hausmeisterin. Beide trotzten der Kälte, die ihnen die Wangen gerötet hatte: Sie hatten ihre Daunenjacken ausgezogen, um mit ihnen die Pfosten imaginärer Tore zu markieren. Victor war zwar ein paar Monate älter als sie, allerdings nicht ganz so groß. Alle drei wohnten im selben Mehrfamilienhaus.

Maïa wendete, warf einen letzten Blick in den Rückspiegel, dann entfernte sich der Polo wieder und fuhr langsam die Rue Drevet hinunter.

»Also, wie ist es mit deinem Vater gelaufen?«, fragte David.

»Na ja, er ist halt tot.«

»Machst du Witze? Du hast doch gesagt, dass du dich mit ihm triffst!«

»Na, hab ich doch auch. Auf dem Friedhof.«

José holte den Ball, der ein paar Meter die Treppe hinuntergekullert war, und gesellte sich wieder zu ihnen.

»Sein Vater ist tot!«, erklärte ihm David, immer noch fassungslos.

»Du machst Witze!«

Victor bestätigte ihm die traurige Neuigkeit mit einem Kopfschütteln.

»Er hat in Kanada einen Unfall mit dem Lkw gehabt. In den Rocky Mountains.«

Es war Anfang Januar passiert. Julien Rossignols Körper war vor ein paar Wochen nach Hause überführt worden, und Victor hatte darauf bestanden, sein Grab zu besuchen. So lange hatte er schon davon geträumt, seinen Vater zu treffen, dass es ihm ziemlich egal war, ob er tot war oder nicht: Die Hauptsache für dieses Kind zweier Gespenster war, seine Gegenwart zu spüren, egal ob unter der Erde oder im Himmel.

»Soll ich euch die Geschichte erzählen?«

»Na klar, schieß los!«, rief José begeistert.

Sie setzten sich in den Garten der Arènes-de-Montmartre, der hundert Meter hügelaufwärts lag. Victors Handy klingelte, während sie die Treppe zur Rue Chappe hinaufstiegen - es war Annie. Er drückte den Anruf weg und stellte auf Vibration, um nicht gestört zu werden. Als er sich - eingerahmt von seinen beiden...

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