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Der Junge, der an das Glück glaubte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am02.12.2020
1943 in einem abgeschiedenen Dorf in den toskanischen Bergen: Hier lebt der achtjährige Romeo, Sohn des Bahnhofsvorstehers, ein behütetes Leben. Bis eines Tages ein Güterzug voller Menschen einfährt. Ein Ereignis, das Romeos Welt aus den Angeln hebt. Denn unter den Menschen in dem Zug befindet sich auch ein kleines Mädchen. Romeo kennt die hasserfüllten Reden des Duce, und er ahnt, wohin der Zug die jüdische Flavia bringen wird. Während sein Vater und seine Mutter mit ihrem Gewissen ringen, fasst Romeo einen Entschluss. 

Paolo Casadio, geboren 1955 in Ravenna, interessierte sich schon bald für die Sprache und die Geschichten seines Herkunftsorts. Er debütierte als Co-Autor mit dem Roman Alan Sagrot (Il Maestrale, 2012). Sein Roman La quarta estate (Piemme, 2015), angesiedelt in Marina di Ravenna im Jahr 1943, ist sein Debüt als alleiniger Autor.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

Klappentext1943 in einem abgeschiedenen Dorf in den toskanischen Bergen: Hier lebt der achtjährige Romeo, Sohn des Bahnhofsvorstehers, ein behütetes Leben. Bis eines Tages ein Güterzug voller Menschen einfährt. Ein Ereignis, das Romeos Welt aus den Angeln hebt. Denn unter den Menschen in dem Zug befindet sich auch ein kleines Mädchen. Romeo kennt die hasserfüllten Reden des Duce, und er ahnt, wohin der Zug die jüdische Flavia bringen wird. Während sein Vater und seine Mutter mit ihrem Gewissen ringen, fasst Romeo einen Entschluss. 

Paolo Casadio, geboren 1955 in Ravenna, interessierte sich schon bald für die Sprache und die Geschichten seines Herkunftsorts. Er debütierte als Co-Autor mit dem Roman Alan Sagrot (Il Maestrale, 2012). Sein Roman La quarta estate (Piemme, 2015), angesiedelt in Marina di Ravenna im Jahr 1943, ist sein Debüt als alleiniger Autor.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455010183
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum02.12.2020
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1375 Kbytes
Artikel-Nr.5147340
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteErklärungMottiWidmungPrologAls sie aus dem [...]Romeo TiniDas BahnhofsgebäudeDer Wecker klingelteDer RückwegZweiundneunzig Tage späterDie Taufe war turbulenterDante Necci kehrte zurück1936 begann mit RegenDer Vater kamDas Prinzip des WiderstandsAm Abend des fünfzehnten JuniRomeo Tini alias MickymausDas Schuljahr begannMit fünf JahrenHabt Vertrauen in die LuftschutzräumeDezember 1943Als sie aus dem [...]Anmerkung des AutorsGlossarFußnotenBiographienImpressummehr
Leseprobe
Romeo Tini

Romeo Tini kam am Morgen des 18. Juni 1935 an der Bahnstation Fornello an. Vor etwa sechs Monaten war er gezeugt worden. Wenn es nach dem Willen seines Vaters Giovanni, von allen Giovannino genannt, gegangen wäre, hätte er in Faenza zur Welt kommen müssen, im Haus seiner Familie, wo seit über hundert Jahren alle Tini geboren wurden und wo sie normalerweise weiterhin zur Welt kommen sollten.

Doch das Telegramm der Eisenbahngesellschaft ist ein Befehl und lässt keinen Spielraum: »Unverzüglicher Dienstantritt.« Das Adjektiv ist unterstrichen. Wenn er nicht Folge leistet, wird er auf die Stelle des Bahnhofsvorstehers verzichten und bis zur nächsten Stellenausschreibung weiterhin als Bahnwärter arbeiten müssen.

Der Gehaltsunterschied, überlegt Giovannino, ist zu groß und rechtfertigt ein solches Opfer. Also gehorcht er und reist ab mit schwangerer Frau, einem schweigsamen Hund unbestimmbarer Rasse namens Pipito, zwei Fahrrädern und dem Hausrat. Alle und alles in einem schmutzig grünen Gepäckwaggon, der von einer Rangierlok Modell 875 gezogen wird, einer plumpen schwarzen Raupe, deren Pleuelstangen unter einer verheerenden Arthritis leiden.

Giovannino Tini wusste noch nicht, dass sein Sohn Romeo heißen würde. Er hatte vor, die Familientradition seines Vaters, seiner Großeltern und so weiter fortzusetzen: Giovannino hieß der Vater seines Vaters, und der Vater des Großvaters hieß Anselmo, also würde er diesem Erstgeborenen - denn ein Junge musste es sein - den Namen Anselmo geben. So hatte man es bisher gehalten, so würde man es immer halten, denn Traditionen stützen das Morgen.

Lucia Assirelli, die Gattin des zukünftigen Bahnhofsvorstehers, war sechs Jahre jünger als er - also einundzwanzig - und hatte das eigensinnige Naturell der Städterin. Sie besaß noch andere interessante Eigenschaften von jener Art, die einen Mann aus der Bahn werfen können. Mit ihren runden Formen, der weißen straffen Haut, den schmalen Fesseln einer Tänzerin und einem festen Busen erinnerte sie unweigerlich an die provokanten Damen des Zeichners Gino Boccasile auf den Titelseiten der Wochenillustrierten »Grandi Firme«, die die Phantasie der Italiener beflügelten. Und eine Tänzerin war sie wirklich, sie versäumte keines der Feste, wo Musik gespielt wurde, denn sie liebte es jung zu sein, sie liebte das Leben, sie ließ sich gerne umschmeicheln und begehren. Doch das Spiel - denn es war ein Spiel - sollte enden, und nichts für ungut: Denn Lucia war in ihren Giovannino verliebt, sie glaubte fest an diese Ehe zwischen einer jungen Frau aus dem Kleinbürgertum von Faenza und dem Sohn eines Eisenbahners und hatte eine genaue Vorstellung von der Gegenwart und der Zukunft. Wer sich eine Zukunft sichern will, muss sie manchmal dazu ermuntern, und in dieser Familie hatte sie die Hosen an.

Was Giovannino betraf, so arbeitete er. Er arbeitete und lernte für den Wettbewerb um diese Stelle, die ihm einen Karrieresprung ermöglichen würde, den Wechsel von einem abgelegenen Bahnwärterhäuschen im Süden der Emilia-Romagna zu einer richtigen Bahnstation, deren Vorsteher er sein würde. Lucia wiederum, die ihren Mann und die Zukunft ermuntern wollte, hatte unzählige Male empfohlen: »Hol dir diese Wanze.«

Denn die Zeiten waren, wie sie waren, und sich verdient zu machen, tüchtig bei der Arbeit zu sein, sich als vertrauenswürdig und fachkundig zu erweisen, nützte wenig. Ein Vorankommen, das wussten alle, war den Mitgliedern des Partito Nazionale Fascista vorbehalten, denen, die dieses ovale Parteiabzeichen, das aussah wie eine Wanze, im Knopfloch der Eisenbahneruniform vorzeigen konnten.

So erfolgte der Eintritt in die Partei. Ein freilich nicht ganz überzeugter Eintritt, denn Giovannino Tini kam aus einer Familie von Sozialisten, die auch jetzt Sozialisten blieben: Keiner von ihnen dachte auch nur im Traum daran, die Farbe zu wechseln, um sich dem unbesiegbaren Duce anzupassen.

Und so erfolgte auch die Beförderung. Eine angesichts des verspäteten Parteieintritts ebenfalls nicht ganz überzeugte Beförderung, die überdies nach Verspottung aussah.

Fornello.

Die eingleisige Faenza-Linie oder auch der Streckenabschnitt Faenza-Florenz. Eine hundertundeinen Kilometer lange Strecke aus gewundenen Überführungen und Tunneln, Kurven und Gegenkurven, eine Strecke für Güterzüge mit entlegenen Stationen in den Schluchten und Falten dieses Gebirgszugs aus Kalksandstein, dem toskanisch-romagnolischen Apennin.

Fornello.

Dieser unbekannte Ortsname löste bei Lucia Assirelli eine leise Unruhe aus. Sie nahm das Erdkundebuch, mit dem sie für ihr Lehrerinnenexamen gelernt hatte, suchte die Landkarte der Emilia-Romagna und folgte mit dem Zeigefinger dem geschlängelten Lauf der Eisenbahnlinie. Lange kniff sie die blaugrünen Augen zusammen, Augen, in denen der zukünftige Bahnhofsvorsteher Tini sich wegen einer angeborenen Unsicherheit verloren hatte, überschritt dann die Grenze zur Toskana und entdeckte zwischen den Höhenlinien den unbekannten Namen. Sie fuhr sich ein paarmal durch die weizenblonden Haare, und ihre weibliche Intuition erkannte sofort, dass die Zukunft begonnen hatte, aber nicht ganz so, wie sie es sich wünschte.

Und bei diesem Gedanken gingen ihre Hände unwillkürlich zu der Rundung ihres Bauches, wo Romeo Tini ruhig schlief, und streichelten ihn.

 

Im Gepäckwaggon kann Giovannino vor Aufregung weder sitzen noch stillstehen.

Unaufhörlich bewegt sich seine kräftige, den landesweiten Durchschnitt deutlich überragende Gestalt von einem Ausguck zum anderen, um zwischen den Dampfwolken der Lokomotive auf das weite grünende Flusstal des Lamone hinauszublicken.

Seiner stattlichen körperlichen Erscheinung und den dunklen, entschlossenen Augen zum Trotz hatte Giovannino Tini das zögerliche Herz eines Krebses, schien ihm der Schritt zurück doch umsichtiger als der Gang nach vorn. Er selbst hatte in der nächtlichen Intimität des Ehebettes, nach der mit unbeschwerter Freude genossenen Lust, Lucia die Ängste und Befürchtungen seines jungen Lebens anvertraut. Einige davon waren die üblichen Ängste: die Gesundheit zu verlieren, zu erkranken, zu sterben, zu verarmen und verlassen zu werden, andere entsprangen der Rolle des Erstgeborenen, die das Schicksal ihm zugedacht hatte und die er als eine unbedingte Pflicht empfand, eine Schuld, die er - niemals ausreichend - bei den Eltern abtragen musste. Bei der Arbeit war er ein Mann, gründlich, ehrlich, gewissenhaft, in der Familie aber blieb er ein kleiner Junge und zögerte, sich die erforderliche Unabhängigkeit zu erwerben, unumgängliche Verantwortlichkeiten zu übernehmen, wahrscheinlich weil er davor zurückschreckte, eigene Positionen zu vertreten oder sich in irgendeiner Weise der väterlichen Autorität entgegenzustellen. Im Grunde freute Lucia sich über diese Geständnisse, denn sie zeugten vom Vertrauen ihres Mannes und zeigten, wie sehr er sich von den Männern der Romagna unterschied, allesamt einem Denken in starren Kategorien verhaftet, das die Welt in unabänderliche Zuständigkeitsbereiche unterteilte: Das macht die Frau, dies steht dem Mann zu, ein Denken, das psychologische Rücksichten jedweder Art nicht duldete.

Also überlegte die aufgeschlossenere junge Ehefrau, dass ein Mann, der bereit war, die eigenen Schwächen und Ängste zuzugeben, ein achtsamerer Mann war, der mehr dem Zweifel zuneigte und folglich auch befähigt war, erwachsen zu werden. Andererseits, dachte sie unter ihrem weizenblonden Schopf, liebte sie ihren Giovannino gerade darum, und solange es die Liebe gibt, erlauben Irrtümer, sich gegenseitig Gutes zu tun. Alles andere würde man sehen, wenn es da war, wie es so schön heißt.

 

Während dieses rastlosen Umherirrens von einem Ausguck zum anderen rät sein zögerliches Herz dem Bahnhofsvorsteher, Schweigen zu wahren und Lucias Blick zu meiden. Bei seinem Hin und Her folgte ihm der treue Hund Pipito, vier Flecken, schwarzer Kopf auf cremefarbenem Grund mit Kurzhaarfell. Nie hatten sie ihn bellen hören, seine einzigen Ausdrucksformen bestanden aus Jaulen und Zähnefletschen. Das Jaulen verfügte über ein recht komplexes Tonspektrum und bedeutete ja oder nein, aber zwischen diesen beiden Willensbekundungen gab es viele Varianten. Das Zähnefletschen behielt er echten oder vermeintlichen Feinden jedweder Größe vor, und damit bewies er Mut, denn er selbst besaß keine Respekt einflößende Statur. Doch der eigentliche Grund, warum erst Giovannino und dann Lucia diesen Findling liebgewonnen hatten, lag in der Art, wie der Hund am Leben teilnahm: In seinem Körbchen zusammengerollt, warf er häufig resignierte Blicke in die Welt, um dann besorgte Seufzer auszustoßen.

Lucia, die auf dem Ruhesessel des Zugführers saß, verspürte keine Lust, aus dem Fenster zu sehen, obwohl sie diese kurvenreiche Eisenbahnstrecke kaum kannte. Sie war eine willensstarke Frau, und wie auch immer dieses Fornello aussehen würde, sie würde es in Besitz nehmen, und es würde ihr Zuhause werden. Sie erwartete eine kleine Ortschaft, wenige Häuser, im Schatten des Kirchturms zusammengedrängt, mit dem eleganten Faenza in puncto Lebensart gewiss nicht vergleichbar. Aber sie hatte lang genug gelebt, um zu wissen, dass Verzicht immer nur vorläufig ist und andere Erfahrungen mit sich bringen kann. Schließlich waren sie beide vereint, und dieses erwartete Kind - das beide sich als Jungen wünschten - würde die Wahrheit ihrer Verbindung beglaubigen.

 

Noch flogen vertraute Stationen und Orte vorüber: Brisighella, Strada...
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Autor

Paolo Casadio, geboren 1955 in Ravenna, interessierte sich schon bald für die Sprache und die Geschichten seines Herkunftsorts. Er debütierte als Co-Autor mit dem Roman Alan Sagrot (Il Maestrale, 2012). Sein Roman La quarta estate (Piemme, 2015), angesiedelt in Marina di Ravenna im Jahr 1943, ist sein Debüt als alleiniger Autor.
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Casadio, Paolo