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Helenes Versprechen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am18.01.20213. Auflage
Um ihren Sohn zu retten, muss sie sich von ihm trennen.

New York, 1947: Die in die USA emigrierte Kinderärztin Helene Bornstein sieht nach beinahe zehn Jahren ihren Sohn Moritz wieder. Damals hatte sie ihn mit einem Kindertransport aus Frankfurt fortgeschickt. Jetzt ist Moritz seiner Mutter fremd geworden, aber ihr Versprechen hat er nie vergessen. Gelingt es den beiden, wieder zueinander zu finden? Und wird Helene Fuß in New York fassen, obwohl sie die Kinder, die ihr während des Krieges anvertraut worden waren, nicht vergessen kann? Da trifft sie eines Tages Leon, ihre erste Liebe, wieder.

Ein bewegender Roman - inspiriert von der wahren Geschichte einer jüdischen Kinderärztin


Beate Rösler, 1968 in Essen geboren, studierte Rechtswissenschaft und romanische Sprachen in Berlin. Sie ist Übersetzerin und arbeitete viele Jahre als Deutschlehrerin am Goethe-Institut in Frankfurt am Main sowie in Neu-Delhi (Indien) und Hanoi (Vietnam). Im Aufbau Taschenbuch sind bisher ihre Romane 'Die Reise des Elefantengottes' und 'Die Töchter des Roten Flusses' erschienen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextUm ihren Sohn zu retten, muss sie sich von ihm trennen.

New York, 1947: Die in die USA emigrierte Kinderärztin Helene Bornstein sieht nach beinahe zehn Jahren ihren Sohn Moritz wieder. Damals hatte sie ihn mit einem Kindertransport aus Frankfurt fortgeschickt. Jetzt ist Moritz seiner Mutter fremd geworden, aber ihr Versprechen hat er nie vergessen. Gelingt es den beiden, wieder zueinander zu finden? Und wird Helene Fuß in New York fassen, obwohl sie die Kinder, die ihr während des Krieges anvertraut worden waren, nicht vergessen kann? Da trifft sie eines Tages Leon, ihre erste Liebe, wieder.

Ein bewegender Roman - inspiriert von der wahren Geschichte einer jüdischen Kinderärztin


Beate Rösler, 1968 in Essen geboren, studierte Rechtswissenschaft und romanische Sprachen in Berlin. Sie ist Übersetzerin und arbeitete viele Jahre als Deutschlehrerin am Goethe-Institut in Frankfurt am Main sowie in Neu-Delhi (Indien) und Hanoi (Vietnam). Im Aufbau Taschenbuch sind bisher ihre Romane 'Die Reise des Elefantengottes' und 'Die Töchter des Roten Flusses' erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841225726
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum18.01.2021
Auflage3. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2355 Kbytes
Artikel-Nr.5149222
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Auf der Marine Flasher in Richtung
New York, August 1947

»Und du kommst bestimmt bald nach?«

»So schnell ich kann.«

»Versprochen?«

»Versprochen! Und jetzt gib mir einen Kuss.«

Kinderarme umschlingen sie und Moritz´ weiche Wange drückt sich an ihre, sein warmer Atem streift ihr Ohr. Sie presst ihn an sich, ringt nach Luft und kämpft mit den Tränen.

Es ist Nacht. Am Frankfurter Hauptbahnhof stehen Kinder mit Koffern in ihren kleinen Händen. Um ihre Hälse baumeln Schilder mit Nummern, damit sie nicht verloren gehen. Ein letztes Mal zupfen Mütter und Väter ihnen die Mützen zurecht, ermutigen, versprechen, winken. Ihre Münder bewegen sich, formen Abschiedsworte, doch Helene hört sie nicht, die Welt um sie herum ist dumpf geworden. Nur Moritz´ helle Stimme dringt zu ihr durch.

»Um acht beim Mond.«

Plötzlich ziehen Frauenhände ihren Jungen mit sich fort, nicht grob, aber entschieden. Es ist, als rissen sie dabei ein Stück von Helene mit sich. So sehr schmerzt es. Nicht einmal bis zum Zug darf sie Moritz begleiten. Kein Aufsehen erregen, hat es geheißen.

»Um acht beim Mond«, will sie ihm nachrufen, aber ihre Stimmbänder versagen. Sie haben sich verknotet, bringen nicht einmal ein Flüstern zustande, was gut so ist, denn mit den Worten kämen die Tränen. Und die dürfen jetzt nicht fließen. Mit einem lang gezogenen Pfeifton fordert die Lok alle Kinder zum Einsteigen auf. In der Ferne meint Helene Moritz´ dunklen Haarschopf zu erkennen und reckt ihren Hals, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Dann hat der Zug ihn verschluckt. Zischend lässt er Dampf ab und rollt an, um ihr Kind mit sich fortzunehmen. Auf einmal ist Helene sicher, dass es falsch ist, sich von Moritz zu trennen. Sie rennt los, dem Zug hinterher, sollen sie doch versuchen, sie aufzuhalten.

»Moritz!«, ruft sie, beide Hände nach ihm ausgestreckt. »Moritz!«

»Beruhigen Sie sich doch.«

Schweißgebadet schlägt Helene die Augen auf. Die Stimme klingt nicht unfreundlich, bloß müde. Der Boden unter ihrer Pritsche schwankt und knarzt, ihre Augen müssen sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Einen Moment braucht sie, um zu begreifen, dass sie sich nicht in Frankfurt befindet, sondern an Bord der S. S. Marine Flasher, auf dem Weg nach Amerika. Der amerikanische Truppentransporter wird sie wie Tausende andere europäische Emigranten über den Atlantik bringen. Menschen, die Konzentrationslager, Zwangsarbeit, Krieg, Verfolgung und Flucht überlebt und fast alles verloren haben, was ihr Leben einmal ausgemacht hat. Es ist ein Schiff beladen mit Menschen, die an Leib und Seele vom Leid des Krieges gezeichnet sind, aber auch ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft suchen an Bord einen Platz. Helenes neues Leben hat bereits begonnen, und zwar in dem Moment, als man ihr die Einschiffungskarte für die Marine Flasher mit Schlafplatz und Stempel überreichte. Ihren Garantieschein dafür, dass sie in New York Moritz und ihre Schwester Marlis wiedersehen wird.

Noch immer hallt Moritz´ Stimme in ihrem Kopf nach, so deutlich, als hätte er vor einer Sekunde noch neben ihr gestanden. Helenes Herz pocht, als sei sie tatsächlich seinem Zug hinterhergerannt, ihre Zunge klebt pappig am Gaumen, was aber auch an der stickigen Luft der Schiffskabine liegen kann.

»Geht es wieder?«

An ihrer Pritsche steht Lisbeth Schwarz, die mit ihrer Mutter und zwei kleinen Mädchen die Schlafplätze neben ihrem belegt. Weiter hinten weint ein Kind, eine Frau hustet, eine andere schnäuzt sich die Nase und eine dritte stöhnt. Vielleicht weil sie schlecht träumt, vielleicht weil sie bei all der Unruhe nicht schlafen kann.

»Habe ich geschrien?«, fragt Helene leise. Lisbeth Schwarz nickt, und erst jetzt bemerkt Helene, dass sie die Hand der Frau umklammert hält. Sofort will sie, peinlich berührt von dieser Intimität, ihre Hand zurückziehen. Doch blitzschnell umschließt Lisbeth Schwarz noch einmal ihre Finger und drückt sie, kurz und kräftig, eine Geste des Verstehens, die versichert, dass Helene sich ihrer Albträume nicht zu schämen braucht. An Bord der Marine Flasher ist sie weiß Gott nicht die Einzige, die davon heimgesucht wird. Zum ersten Mal fällt Helene die Nummer auf, die auf den linken Unterarm ihrer Mitpassagierin tätowiert ist. Rasch schaut sie weg, weil sie Lisbeth Schwarz das Erschrecken in ihrem Blick ersparen möchte. Diese beginnt, obwohl sie erst in einigen Stunden in New York einlaufen werden, ihren Seesack zu packen. Versehentlich stößt sie dabei gegen eine ihrer Töchter, die sich, ohne aufzuwachen, auf die andere Seite wälzt und die Decke von sich strampelt. Zu ihrem Entsetzen entdeckt Helene auch auf dem dünnen Kinderbein eine eingeritzte Nummer. Dieses Mal kann sie nicht wegsehen, zu verstörend ist die Vorstellung, dass jemand in diese zarte Kinderhaut gestochen und die Schmerzensschreie des Mädchens einfach ertragen hat. Ein Mädchen, das jung genug gewesen wäre, um zu vergessen, was ihm in seinen ersten Lebensjahren widerfahren ist, mit dieser Nummer jedoch zum ständigen Erinnern verdammt wurde.

»Sie ist kurz nach unserer Deportation im Lager geboren«, sagt Lisbeth Schwarz, während sie die zu Boden gerutschte Decke aufhebt und vorsichtig über das schlafende Kind ausbreitet. »Auf den Armen eines Babys ist zu wenig Platz für die Kennzeichnung. Da haben sie halt den Oberschenkel genommen.«

Ohne Helene noch einmal anzusehen, schiebt sie ihren gepackten Seesack an die Wand und streckt sich auf ihrer Pritsche aus. Ihre Augen verdeckt sie mit dem Unterarm, als wolle sie damit signalisieren, dass sie von Helene keine Reaktion erwartet. Auch Helene sinkt zurück in ihr Kissen und überlässt sich einen Moment lang dem Hin- und Herschaukeln des Schiffes.

Unfassbar, grauenhaft. Worte, die der Gewalt die man diesem Kleinkind angetan hat, nicht einmal annähernd gerecht werden. Ja, gar angesichts des rohen Schmerzes des Mädchens und der Mutter an Bedeutung verlieren. Deshalb schweigt Helene mit brennenden Augen. Wie so oft seit Kriegsende, seitdem die Alliierten immer mehr Einzelheiten über Auschwitz und andere Konzentrationslager zutage bringen. Millionenfache Anlässe zum Weinen. Und weinen würde sie, wenn sie noch könnte. Aber ihre Drüsen produzieren einfach keine Tränen mehr, als sei Helenes gesamter Vorrat bereits versiegt. Andererseits, wozu weinen? Selbst wenn die ganze Welt in ein Tränenmeer zerfließen würde, so würde auch dies niemals ausreichen, um die furchtbare Wahrheit zu verdünnen: dass sich das, was geschehen ist, nicht rückgängig machen lässt.

Welch ein unbeschreibliches Glück, dass ich Moritz fortgeschickt habe. Einen Schlag lang setzt ihr Herz aus, als müsse es bei diesem Gedanken noch immer nach Luft schnappen. Das nennst du Glück?, schreit ihr Herz wohl zum tausendsten Mal. Dass du dein achtjähriges Kind weggegeben hast, in ein fremdes Land, zu fremden Leuten, ohne zu wissen, ob du es jemals wiedersehen wirst? Die jahrelange Ungewissheit, ob es Moritz gut geht? Dass du nicht dabei sein durftest, als er aufwuchs, nicht erleben konntest, wie seine Stimme dunkler und männlicher wurde? Dass du nicht weißt, wie es sein wird, ihn nach fast neun Jahren wiederzusehen?

Mit aller Macht wehrt sich Helene gegen diese schmerzlichen Fragen. Im Schlaf mag sie ihren Gefühlen ausgeliefert sein, tagsüber aber führt ihr Kopf das Regiment. Und der sagt Ja, immer wieder Ja, es ist ein Glück, und sei es ein noch so verdrehtes. In friedlichen Zeiten hätte sie ihren Jungen niemals hergegeben, aber ihre Wirklichkeit hat nun einmal anders ausgesehen, und deshalb zählt nun nur eins: Moritz lebt und keiner hat ihm eine Nummer ins Fleisch gestanzt, weil er der Sohn einer jüdischen Mutter ist. Mit einem verstohlenen Blick auf die kleinen Töchter von Lisbeth Schwarz bringt Helene ihr wundes Herz zum Schweigen.

So rasch die gedrängt stehenden Pritschen es zulassen, steht sie auf und kleidet sich an. Bloß fort mit all diesen trüben Gedanken, die seit ihrem Aufbruch aus Deutschland durch ihren Kopf schwappen wie graue Atlantikwellen. Mächtiger als in den Jahren zuvor, in denen fast jede Minute damit ausgefüllt war, ihr Überleben zu organisieren: Nahrung, Papiere, Verstecke, nach Kriegsende dann ihre Emigration. An Bord der Marine Flasher jedoch gibt es kaum etwas anderes zu tun, als im Schlafsaal zu dösen oder aufs Meer zu starren, so dass sich die Tage scheinbar endlos hinziehen, sich ausdehnen wie unter der Augustsonne erwärmte Materie, und viel zu viel Raum für gefährliche Grübeleien bieten.

Über die noch leidlich saubere helle Bluse zieht sie ihre beige Strickjacke, die ihr nachts als zusätzliches Kopfkissen dient, schüttelt die Decke auf, faltet sie ordentlich zusammen und legt ihren braunen Lederkoffer abholbereit auf die Pritsche. Mit einem kleinen Metallkamm fährt sie durch ihre schulterlangen Haare, wobei einige zwischen den Zinken hängen bleiben, silbern schimmernd wie der Kamm. Bald wird sie komplett ergrauen, weshalb es keine Rolle mehr spielt, ob ihr Haar noch als blond oder schon als braun zu bezeichnen ist. Beim Ausfüllen der Einwanderungspapiere hat Helene sich für »hellbraun« entschieden, denn die Zeiten, in denen es ihr vielleicht hin und wieder den Hals gerettet hat, als Blondine durchzugehen, sind vorbei. Mit ein paar geübten Griffen und Nadeln steckt Helene ihr Haar zu einem Knoten zusammen, möglichst locker, um zu kaschieren, dass er seine einstige Fülle eingebüßt...
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Autor

Beate Rösler, 1968 in Essen geboren, studierte Rechtswissenschaft und romanische Sprachen in Berlin. Sie ist Übersetzerin und arbeitete viele Jahre als Deutschlehrerin am Goethe-Institut in Frankfurt am Main sowie in Neu-Delhi (Indien) und Hanoi (Vietnam).
Im Aufbau Taschenbuch sind bisher ihre Romane "Die Reise des Elefantengottes" und "Die Töchter des Roten Flusses" erschienen.