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Unziemliches Verhalten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am02.09.2020
Wie sich die eigene Stimme finden lässt, wenn die Gesellschaft Schweigen befiehlt Mit diesem Buch steigt Rebecca Solnit endgültig aufs Podest zu Joan Didion und Susan Sontag: Ihre Geschichte ist die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Stimme fand, während sie schweigen sollte. Im San Francisco der achtziger Jahre herrscht eine harsche Atmosphäre der Misogynie, Gewalt gegen Frauen ist an der Tagesordnung, wird hingenommen, nicht hinterfragt. Hier zieht eine junge Frau in ihre erste eigene Wohnung, schafft sich einen Freiraum zum Denken, Schreiben, Formulieren. Hier wird Rebecca Solnit eine andere, überwindet ihr Schweigen, die eigene Unsichtbarkeit. Vor dem Hintergrund von Punk, Gay Pride und der zweiten Welle des Feminismus wagt sie, ihre Stimme zu erheben gegen Unterdrückung und Unrecht. Sie wird zur Aktivistin, zur öffentlichen Person und zur wichtigen Intellektuellen.  Unziemliches Verhalten ist ein elektrisierender Bericht über vierzig Jahre gelebten Feminismus, über Rückschläge, Meilensteine und den Triumph des eigenen Ichs. 

Rebecca Solnit, Jahrgang 1961, ist eine der bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Sie ist Herausgeberin des Magazins Harper's und schreibt regelmäßig Kolumnen für den Guardian. Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Bei Hoffmann und Campe erschienen unter anderem ihre Bände Wenn Männer mir die Welt erklären (2015) und Die Dinge beim Namen nennen (2019). Rebecca Solnit lebt in San Francisco.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextWie sich die eigene Stimme finden lässt, wenn die Gesellschaft Schweigen befiehlt Mit diesem Buch steigt Rebecca Solnit endgültig aufs Podest zu Joan Didion und Susan Sontag: Ihre Geschichte ist die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Stimme fand, während sie schweigen sollte. Im San Francisco der achtziger Jahre herrscht eine harsche Atmosphäre der Misogynie, Gewalt gegen Frauen ist an der Tagesordnung, wird hingenommen, nicht hinterfragt. Hier zieht eine junge Frau in ihre erste eigene Wohnung, schafft sich einen Freiraum zum Denken, Schreiben, Formulieren. Hier wird Rebecca Solnit eine andere, überwindet ihr Schweigen, die eigene Unsichtbarkeit. Vor dem Hintergrund von Punk, Gay Pride und der zweiten Welle des Feminismus wagt sie, ihre Stimme zu erheben gegen Unterdrückung und Unrecht. Sie wird zur Aktivistin, zur öffentlichen Person und zur wichtigen Intellektuellen.  Unziemliches Verhalten ist ein elektrisierender Bericht über vierzig Jahre gelebten Feminismus, über Rückschläge, Meilensteine und den Triumph des eigenen Ichs. 

Rebecca Solnit, Jahrgang 1961, ist eine der bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Sie ist Herausgeberin des Magazins Harper's und schreibt regelmäßig Kolumnen für den Guardian. Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Bei Hoffmann und Campe erschienen unter anderem ihre Bände Wenn Männer mir die Welt erklären (2015) und Die Dinge beim Namen nennen (2019). Rebecca Solnit lebt in San Francisco.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455009545
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum02.09.2020
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1370 Kbytes
Artikel-Nr.5150500
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverVerlagslogoTitelseiteFoto von Rebecca Solnits SchreibtischSpiegelhausNebelhorn und GospelLeben im KriegszustandVom VerschwindenFrei in der NachtAuf der KanteZum Wrack hinuntertauchenHörbarkeit, Glaubwürdigkeit, GeltungNachwort: LebenslinienDankLiteraturFußnotenÜber Rebecca SolnitImpressummehr
Leseprobe
2

Mr. Young war im ländlichen Oklahoma aufgewachsen, und Mr. Ernest P. Teal, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte, aber in einer der Garagen bei uns im Haus einen langen, luxuriösen Wagen aus den Siebzigern stehen hatte, stammte aus Texas. Mr. Teal war stets elegant gekleidet, trug Variationen von Sakko mit Filzhut, oft Tweed und andere Stoffe mit Textur. Er war ein stilbewusster Mann, der mir Geschichten über die Blütezeit des Jazz im Fillmore District erzählte, und zugleich war er ein frommer Mensch, der eine ungemeine Güte und Herzlichkeit ausstrahlte, der lebende Beweis, dass Coolness und Wärme kein Widerspruch sein müssen.

Um die Ecke wohnte Mrs. Veobie Moss, in einem Haus, das ihre Schwester mit den Ersparnissen aus ihrer Arbeit als Hausangestellte gekauft und ihr vererbt hatte. Als Mrs. Moss alt und vergesslich wurde, saß sie oft auf ihren hölzernen Türstufen mit Blick nach Süden, und wenn ich stehen blieb, um mit ihr zu plaudern, erzählte sie mir gern von der Obstplantage in Georgia, auf der sie aufgewachsen war, und den wunderschönen Obstbäumen dort. Es war, als säße sie auf ihrer Treppe an zwei Orten und zu zwei Zeiten zugleich, sie beschwor in unseren Unterhaltungen ihre verlorengegangene Welt herauf, bis wir beide im Schatten ihrer geliebten Obstbäume saßen. Manchmal stellte ich mir nachts vor, dass all die alten Leute, die in den Häusern ringsum schliefen, gerade von den Orten ihrer Herkunft träumten und die Phantome jener Felder und Obstgärten, Schotterstraßen und flachen Horizonte in unseren nächtlichen Straßen schimmerten.

Mr. Young hatte im Zweiten Weltkrieg gekämpft, und der Krieg war es auch gewesen, der ihn seinem ländlichen Umfeld entrissen und hierhergebracht hatte. Seiner Militärakte zufolge war er Farmarbeiter und ledig, als er mit zweiundzwanzig Jahren in Choctaw County, Oklahoma, eingezogen wurde. Er war bei der Army geblieben, hatte lang genug gedient, um eine Pension zu beziehen. Er sagte mir, er sei einer jener schwarzen Soldaten gewesen, an denen man Giftgas testete. Er sprach von einer Lagerhalle oder einem Hangar voller Gas, durch das die Männer ohne Gasmasken hindurchrennen mussten. Einige seien dabei umgekommen.

Er fuhr einen großen braunen Pick-up mit Wohnkabine, der in der Garage gleich links neben unserem Hauseingang geparkt war. Oft stand er in der Garagentür, an den Torpfosten oder seinen Pick-up gelehnt, grüßte Passanten, plauderte mit dem einen oder der anderen, wies ein Kind zurecht, das Unfug trieb; im Sommer fuhr er häufig nach Vallejo, um eine Ladung Melonen zu besorgen, die er dann bei uns verkaufte. Manchmal erhaschte ich einen Blick auf eine Pistole, die er seitlich in seiner Latzhose stecken hatte. Er rauchte Pfeife, und der Geruch des süßen Tabaks stieg manchmal durch die Lüftungsschlitze in meine Küche auf, die über seinem Schlafzimmer lag. Wenn ich ihm begegnete, unterhielten wir uns immer ein bisschen oder tauschten zumindest ein paar Nettigkeiten aus, weshalb ich mich, wenn ich es eilig hatte, regelrecht davor fürchtete, ihm im Flur zu begegnen, denn alles unter fünf Minuten Plauderei erschien mir unhöflich.

Er erzählte mir, wie es gewesen war, im Südosten von Oklahoma als Sohn kleiner Farmpächter aufzuwachsen. Die Geschichte, an die ich mich am besten erinnere, handelte davon, wie er und seine Eltern in seiner frühen Jugend einmal vom Feld kamen und zu Hause die Barrow Gang vorfanden - Bonnie und Clyde und ihre Kumpane. Die Bankräuberbande war bei ihnen, weil in einer Gesellschaft, in der Rassentrennung herrschte, kein Mensch auf die Idee gekommen wäre, weiße Banditen bei einer schwarzen Familie zu suchen. Offenbar schlüpfte die Bande noch bei mindestens einer weiteren Farmpächterfamilie in Oklahoma unter, und später hörte ich, dass sich auch Pretty Boy Floyd, ein anderer legendärer Gangster jener Zeit, in der Bankräuber als eine Art Volkshelden galten, bei Schwarzen versteckte. Die Barrow Gang hinterließ eine Zehn-Dollar-Goldmünze bei den Youngs, sie lag auf dem Tisch, oder vielleicht war es die Anrichte. Die Mutter wollte kein gestohlenes Geld annehmen, aber der Vater sagte: »Die Kinder brauchen Schuhe für den Winter.« Die Bande kam zweimal, und einmal saßen sie am Tisch und aßen, als die Familie heimkam.

So viele Jahre nachdem ich diese Geschichte erzählt bekam, sehe ich immer noch das Bild vor mir, das in meinem Kopf entstand, während ich Mr. Young zuhörte, ein Holzhaus irgendwo auf dem Land, ein Tisch, eine Anrichte, vielleicht eine Veranda, ringsum vielleicht Maisfelder. Davor vielleicht eins der gestohlenen schnellen Autos, mit denen die Barrow Gang unterwegs war, Weiße im Lebensbereich einer schwarzen Familie. Und so etwas war auch ich in diesem Mietshaus, in das Mr. Young mich eingeladen hatte, in diesem Viertel, in das viele Schwarze gezogen waren, nachdem man sie - im Namen der Stadterneuerung, des urban renewal, damals spöttisch negro removal, Negerentfernung, genannt - aus dem Fillmore District vertrieben hatte, dieselben Familien, die gekommen waren, um den Südstaaten zu entfliehen, nun ein weiteres Mal verdrängt, an den westlichen Rand eines weitläufigen Gebiets, das sich Western Addition nannte.

Menschen werden auf so vielfältige Art und Weise gezwungen zu verschwinden, werden entwurzelt, ausgelöscht, der Erzählung und des Orts verwiesen. Diese Vorgänge überlagern einander wie geologische Schichten: Das Volk der Ohlone hatte jahrtausendelang auf der San-Francisco-Halbinsel gewohnt, bevor die Spanier einfielen und die ganze Küste in Besitz nahmen, später wurde sie zur dünnbesiedelten Randzone eines unabhängigen Mexiko. Nachdem die Vereinigten Staaten Kalifornien und den Südwesten erobert hatten, wurden die mexikanischen Einwohner ihrer weitläufigen ranchos beraubt und fortan als unterprivilegierte Klasse oder als Eindringlinge oder beides behandelt, auch wenn ihre Namen an vielen Orten überdauert haben, die Namen von Heiligen und Ranchern.

Gleich nördlich und westlich unseres Viertels hatte sich im neunzehnten Jahrhundert ein riesiger Friedhofsbezirk befunden, aus dem in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Toten zu Zehntausenden hatten weichen müssen, damit man das Land profitabler nutzen konnte. Die Skelette wurden in Massengräbern zusammengeworfen, die Grabsteine als Baumaterial oder zur Geländeauffüllung verwendet; in einer kleinen Parkanlage südlich von uns gab es Rinnsteine, die mit Bruchstücken von Grabsteinen eingefasst waren, auf denen die Inschriften zum Teil noch lesbar waren. Einen kurzen Spaziergang Richtung Osten entfernt lag Japantown, dessen japanischstämmige Bewohner*innen im Krieg fast alle in Internierungslager zwangsumgesiedelt worden waren; ihre leerstehenden Wohnungen wurden bald von schwarzen Arbeitern und Familien belegt, die wegen der Arbeitsplätze in den Werften und der Kriegsindustrie zugewandert waren. Dies alles gehörte zur Vergangenheit des Viertels, als ich dort hinzog, doch ich erfuhr erst viel später davon.

Als ich das Gebäude zum ersten Mal betrat und Mr. Young kennenlernte, lag die Amtseinführung von Ronald Reagan fünf Tage zurück. Nachdem das Land ein Maximum an ökonomischer Gleichheit erreicht hatte, war ein Präsident gewählt worden, der diese Entwicklung umkehren, den Fortschritt für die Schwarzen beenden, den Reichtum wieder in den Händen einiger weniger konzentrieren, die Programme, die so vielen den Aufstieg ermöglicht hatten, demontieren und Massenobdachlosigkeit verursachen würde. Nicht lange danach sollte Crack in den Städten Einzug halten, auch in unserem Viertel, unserem Block. Nach meinen eigenen damaligen Erfahrungen mit der Wirkung von Kokain - dem Gefühl von Stärke und der Überzeugung, zu Größerem bestimmt zu sein, die es hervorrufen kann - fragte ich mich, ob es als Gegenmittel gegen die Verzweiflung und das Elend, die durch Reagans Politik ausgelöst wurden, nicht eine ganz besondere Anziehungskraft hatte: die Droge der Wahl, wenn man gegen die Wand stieß, die eigens dazu gebaut worden war, einen draußen zu halten. Es gab noch andere Wände, Gefängnismauern, hinter denen einige Männer aus dem Viertel verschwanden, und Gräber für wieder andere. Die Western Addition war schwarz, aber Immobilienmakler lösten einzelne Bereiche heraus, verpassten ihnen neue Namen und unterminierten die Identität des Wohngebiets; so wurde Schritt für Schritt die schwarze Community aus der immer teurer und elitärer werdenden Stadt vertrieben. (Später sollte ich die Mechanismen von Gentrifizierung begreifen und erkennen, welche Rolle ich dabei wahrscheinlich spielte, indem ich als Hellhäutige dieses Viertel anderen, zahlungskräftigeren Hellhäutigen akzeptabler erscheinen ließ, aber damals hatte ich keine Ahnung, dass und auf welche Weise sich hier etwas verändern würde.)

Die schönen Holzhäuser waren Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden, mit all den üppigen Ausschmückungen jener Ära: Erkerfenster, Säulen, gedrechselte Geländer, plastische Ornamente, oft mit botanischen Motiven, Rundschindeln, von Bögen eingefasste Veranden, Türmchen, sogar das eine oder andere Zwiebeldach. Sie waren voller biomorpher Rundungen und exzentrischer Details, die ihnen etwas Organisches gaben, als wären sie nicht gebaut worden, sondern gewachsen. Eine Park-Rangerin aus den Muir Woods sagte mal zu mir, sie sehe in diesen Bauwerken die riesigen Redwood-Wälder, die für ihren Bau abgeholzt worden seien, und so konnte man die hochgewachsenen Wälder entlang der Küste im Viertel schemenhaft erahnen.

Die...
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Rebecca Solnit, Jahrgang 1961, ist eine der bedeutendsten Essayistinnen und Aktivistinnen der USA. Sie ist Herausgeberin des Magazins Harper's und schreibt regelmäßig Kolumnen für den Guardian. Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Bei Hoffmann und Campe erschienen unter anderem ihre Bände Wenn Männer mir die Welt erklären (2015) und Die Dinge beim Namen nennen (2019). Rebecca Solnit lebt in San Francisco.