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Aus der Zuckerfabrik

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Carl Hanser Verlagerschienen am17.08.20201. Auflage
Sollten die Zusammenhänge dieser Welt einmal aufgelöst sein, man wäre froh, das Buch 'Aus der Zuckerfabrik' von Dorothee Elmiger zu finden, um zu verstehen, was in der Vergangenheit vor sich ging.
'My skills never end' steht auf dem T-Shirt eines Arbeiters, der gerade seinen Lohn ausbezahlt bekommt. Am Strand einer karibischen Insel steht der erste Lottomillionär der Schweiz und blickt aufs Meer hinaus. Nachts drängen sich Ziegen am Bett der Autorin. Dorothee Elmiger folgt den Spuren des Geldes und des Verlangens durch die Jahrhunderte und die Weltgegenden. Sie entwirft Biographien von Mystikerinnen, Unersättlichen, Spielern, Orgiastinnen und Kolonialisten, protokolliert Träume und Fälle von Ekstase und Wahnsinn. Aus der Zuckerfabrik ist die Geschichte einer Recherche, ein Journal voller Beobachtungen, Befragungen und Ermittlungen. Ein Text, der den Blick öffnet für die Komplexität dieser Welt.

Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet in Zürich. 2010 erschien ihr Debütroman 'Einladung an die Waghalsigen', 2014 folgte der Roman 'Schlafgänger' (beide DuMont Buchverlag). Ihre Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Dorothee Elmiger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, dem Rauriser Literaturpreis, einem Werkjahr der Stadt Zürich, dem Erich-Fried-Preis und zuletzt dem Nicolas-Born-Preis. Für ihr neues Werk Aus der Zuckerfabrik (Hanser, 2020) erhielt sie den Franz-Hessel-Preis 2021 und war auf der Shortlist für den Schweizer und für den Deutschen Buchpreis 2020.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextSollten die Zusammenhänge dieser Welt einmal aufgelöst sein, man wäre froh, das Buch 'Aus der Zuckerfabrik' von Dorothee Elmiger zu finden, um zu verstehen, was in der Vergangenheit vor sich ging.
'My skills never end' steht auf dem T-Shirt eines Arbeiters, der gerade seinen Lohn ausbezahlt bekommt. Am Strand einer karibischen Insel steht der erste Lottomillionär der Schweiz und blickt aufs Meer hinaus. Nachts drängen sich Ziegen am Bett der Autorin. Dorothee Elmiger folgt den Spuren des Geldes und des Verlangens durch die Jahrhunderte und die Weltgegenden. Sie entwirft Biographien von Mystikerinnen, Unersättlichen, Spielern, Orgiastinnen und Kolonialisten, protokolliert Träume und Fälle von Ekstase und Wahnsinn. Aus der Zuckerfabrik ist die Geschichte einer Recherche, ein Journal voller Beobachtungen, Befragungen und Ermittlungen. Ein Text, der den Blick öffnet für die Komplexität dieser Welt.

Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet in Zürich. 2010 erschien ihr Debütroman 'Einladung an die Waghalsigen', 2014 folgte der Roman 'Schlafgänger' (beide DuMont Buchverlag). Ihre Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Dorothee Elmiger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, dem Rauriser Literaturpreis, einem Werkjahr der Stadt Zürich, dem Erich-Fried-Preis und zuletzt dem Nicolas-Born-Preis. Für ihr neues Werk Aus der Zuckerfabrik (Hanser, 2020) erhielt sie den Franz-Hessel-Preis 2021 und war auf der Shortlist für den Schweizer und für den Deutschen Buchpreis 2020.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446268487
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum17.08.2020
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5155144
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Plaisir

Immer scheint jetzt schon die Sonne, wenn ich aufwache.

Im Fernsehen ein Dokumentarfilm über eine Ananasfarm in der Nähe von Santo Domingo. Weiter, weiß bewölkter Himmel. In den Feldern werfen sich die haitianischen Arbeiter die reifen Früchte zu.

Dann tritt der Ananaskönig ins Bild, er steht auf dem Acker und redet in die Kamera. Bevor er die 180 Hektar in den Achtzigerjahren kaufte, war er Gemüsebauer im Zürcher Unterland.

Die Sembradores setzen die Setzlinge im Akkord in die Erde.

Der Ananaskönig misst für das Fernsehen den Zuckergehalt seiner Früchte.

Später zahlt er die Löhne aus.

Auf dem T-Shirt eines Arbeiters: MY SKILLS NEVER END

*

Ein zweiter Film: Der Schnapsbrenner Karl Feierabend aus Rotkreuz, der in die Tropen auswanderte, um Großbauer zu werden, treibt auf seinem Pferd vier Gänse vor sich her durch die grüne Landschaft. Gräser, Wiesen, Palmgewächse. Der Himmel ganz farblos.

*

Nachricht aus Frankreich: Ich soll im Winter an einer Schule in einem Pariser Vorort über meine Arbeit sprechen. Die Schulleiterin, teilt man mir mit, wolle mich mit dem Auto im Quartier Latin abholen und nach Plaisir fahren, wo sich das Collège Guillaume Apollinaire befindet, und anschließend auch wieder zum Hotel zurückbringen.

*

Die behelfsmäßigen Erklärungen, wenn jemand fragt, woran ich arbeite.

Der philadelphische Parkplatz (NEW WORLD PLAZA)

Das Begehren

Zucker, LOTTO, Übersee

Annette beim Abendessen: Sie habe vor zwei Jahren den Roman eines australischen Schriftstellers gelesen, in dem eine lange Reihe von plötzlich aufscheinenden Bildern beschrieben werde, Bilder, die sich gegenseitig hervorriefen, also in einer zumindest losen Verbindung stünden und so eine Art Pfad bildeten, einen leuchtenden Pfad, der durch die Dinge hindurchführe.

Wenn ich meine Hefte und Kopien durchblättere, die Abbildungen, Schemata und Fotografien, wenn ich die im Verlauf der vergangenen Monate erstellten Dateien öffne, sehe ich keinen Pfad, keine sich an den Rändern überlagernden, aufeinander hinweisenden Bilder, Illuminationen, sondern einen Platz, einen Punkt, von dem ich vor vier oder fünf Jahren ausgegangen bin; seither habe ich alles, was mir in die Hände fiel, alles, was ich so sah, das in einem Zusammenhang mit diesem ersten Ort zu stehen schien, dorthin zurückgetragen und vorläufig abgestellt auf diesem weitläufigen Platz.

So auch die Eiben aus dem Schlosspark von Plaisir, die wie Zuckerstöcke geschnitten sind. Das Einkaufszentrum im Norden der Stadt (GRAND PLAISIR), la mosquée de Plaisir.

Es gibt an diesem Ort keine feststehende Ordnung: Mit jedem Gang durch das Chaos, über die Ananasfelder von Monte Plata, durch die Pariser Vorstädte oder den längst verlassenen Garten eines Sanatoriums, über die sizilianischen Berge, vorbei an den Russischen Bädern von Philadelphia zu den Ufern des Swan River in Australien, scheinen die Dinge in neue Verhältnisse zueinander zu treten.

*

Durch die Landschaften, diese versuchsweise Anordnung der Dinge, diesen essai hindurch kehre ich immer wieder zurück zu jener einen Szene, in der sich mir damals, als ich sie zum ersten Mal sah, etwas zu zeigen schien, das ich nicht formulieren, sondern höchstens wiederfinden konnte in Verhältnissen von ähnlicher, von analoger Struktur, als Verwandtschaften, Wiederholungen, Parallelen.

1986: Die Männer, die dicht gedrängt im niedrigen Saal eines Gasthauses in Spiez, am südlichen Ufer des Thunersees, stehen, zwischen ihnen die Söhne, Jungen von zwölf, dreizehn Jahren vielleicht, und einige Frauen, Ehefrauen, Mütter. Das warme Licht, das die versammelte Bevölkerung des Ortes, die sich bis in den Flur hinaus drängt, beleuchtet. Jener schließlich, dem sich alle zuwenden in diesem Augenblick, als handelte es sich um den Prediger einer vulgären Messe: In seinen Händen zwei Figuren, die er über die Köpfe der Anwesenden streckt, zwei Frauenfiguren aus Holz oder aus blank poliertem, schwarzem Stein, dreißig Zentimeter hoch vielleicht. Die im Licht glänzenden Körper sind bis auf ein lose um die Hüfte, den Kopf gewundenes Tuch, bis auf eine goldene Halskette unbekleidet. Sie knien, scheinbar selbstvergessen. Dann erhebt der Versteigerer die Stimme: Wer macht ein Angebot Ich bitte um Ruhe Zwanzig Zwanzig Franken Mehr Angebote Ein Fünfliber Fünfundzwanzig Fünfundzwanzig Weitere Angebote Schaut nur diese Brüste an Fünfunddreißig Wer geht noch ein bisschen höher Fünfunddreißig Fränkli sind geboten Fünfunddreißig Franken zum ersten Fünfunddreißig zum zweiten und zum dritten Mal Dann sind diese alten N---- auch weg da

Je öfter ich zurückkehre in diesen Saal, den ich nur aus einem in den Achtzigerjahren gedrehten Dokumentarfilm kenne, desto deutlicher steht es mir vor Augen, dass mein Verlangen, diesen Ort immer wieder aufzusuchen, nichts damit zu tun hat, dass sich mir dort etwas in besonderer Klarheit zeigen würde. Im Gegenteil vermute ich mittlerweile, dass diese wiederkehrenden Besuche, meine neurotischen Pilgerfahrten ihren Grund in der Tatsache haben, dass es sich um eine gewissermaßen unlösbare Szene handelt, um eine wenige Augenblicke dauernde Konvergenz verschiedenster Stränge der Geschichte - so als kollidierten unterschiedliche Gesteinsobjekte, Himmelskörper, die sich zuvor lange Zeit scheinbar losgelöst voneinander um die Sonne bewegten, und als sorgte ihr Aufprall für eine sekundenlange Erleuchtung der Dinge, des Gerölls und des Staubs.

*

Eine Strophe aus John Berrymans Dream Song 311: »Hunger was constitutional with him, / women, cigarettes, liquor, need need need / until he went to pieces. / The pieces sat up & wrote. They did not heed / their piecedom but kept very quietly on / among the chaos.«

Was ich da tue, wenn ich mich aufhalte mit dieser seltsamen Ansiedelung, diesen geografischen Flicken und den mit ihnen verbundenen Zeugnissen, Artefakten und Phantasmen, scheint etwas zu tun zu haben mit diesem Hunger als Verfassung, mit dem »Drang«, wie es bei Ortega y Gasset heißt, »aus sich herauszugehen«, der allem Orgiastischen zugrunde liege (»Trunkenheit, Mystik, Verliebtheit usw.«): Vielleicht wäre es richtig zu sagen, dieser Hunger sei der eigentliche Gegenstand meiner Forschung, der Platz, auf dem der haitianische Arbeiter (MY SKILLS NEVER END) im Schatten der Bäume im Schlosspark von Plaisir schläft usw., und zur gleichen Zeit der Grund meiner Recherche, die Triebfeder dieser kleinen Produktion.

*

Mit dem letzten Zug zwischen den Bergen des Oberwallis hindurch nach Hause gefahren. Die noch immer schneebedeckten Flanken hell in der Nacht, darüber die dunklen, hohen Gipfel vor dem tiefblauen Himmel. Spiez, Thun, Bern. Unterwegs eingeschlafen, geträumt, ich hätte einen Band mit dem Titel »Das lyrische Maß der Maßlosigkeit« herausgegeben.

*

Wieder Chantal Akermans »J'ai faim, j'ai froid« (1984) angesehen. Éducation sentimentale der jungen Frau in zehn Minuten. Die schönen Haarschnitte der zwei Siebzehnjährigen. Hungrig gehen sie durch die französische Hauptstadt, ihr Appetit ist unermesslich und umfasst alles, denke ich, Dinge und Menschen und Landschaften.

Ihr Blick in die Auslagen der Imbisse und Geschäfte, durch die Fenster ins Innere der beleuchteten Speiselokale. Sie sind nicht hungrig, weil sie lange nichts gegessen haben, sondern weil ihnen das Essen ein so wahnsinniges Vergnügen bereitet.

- J'ai faim.

- Viens.

- Combien il reste d'argent?

- Rien.

- Bon, c'est maintenant que la vie commence.

- Qu'est-ce qu'on fait?

- On cherche de travail.

- Bon. Où c'est qu'on va?

- Je ne sais pas.

- Qu'est-ce que tu sais faire, toi?

- Je sais coudre, écrire, compter, lire, chanter.

- Moi aussi, mais j'aime pas coudre, écrire, compter, lire. J'aime que chanter.

- Moi, je chante faux et je cris quand je chante.

- Moi, j'aime crier, je chante juste.

- On va chanter alors.

Wie die zwei danach ein Restaurant betreten und zu singen beginnen, ohne richtig zu wissen, wie die Melodie verlaufen wird; wie sie mit weit offenen Mündern zwischen den Tischen stehen, linkisch und...
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Autor

Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet in Zürich. 2010 erschien ihr Debütroman "Einladung an die Waghalsigen", 2014 folgte der Roman "Schlafgänger" (beide DuMont Buchverlag). Ihre Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Dorothee Elmiger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, dem Rauriser Literaturpreis, einem Werkjahr der Stadt Zürich, dem Erich Fried-Preis und einem Schweizer Literaturpreis.