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Wer hat Angst vorm BND?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am12.10.2020Auflage
Kriege, Konflikte, Terrorismus, Cyberangriffe, zunehmende Bedrohungen - die Welt wird immer unsicherer. Doch eine Debatte darüber, was das für unsere Sicherheitsbehörden bedeutet, hat bis heute nicht stattgefunden. Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), fordert eine breite öffentliche Diskussion darüber, was die Sicherheitsdienste dürfen sollen. In seiner aktiven Zeit hat erlebt, wie durch unzählige Verwaltungsvorschriften aus dem Geheimdienst eine Verwaltungsbehörde gemacht wurde, statt die Kompetenzen und Aufgaben des Dienstes den Herausforderungen der Zeit anzupassen. Denn bürokratische Vorgaben sind eine verzagte und die falsche Antwort der Politik auf die drängende Frage: Wie viel Freiheit und wie viel Sicherheit wollen wir?

Gerhard Schindler ist Volljurist und hat für den Bundgrenzschutz, das Bundeministerium des Inneren und den Verfassungsschutz gearbeitet, bevor er Ministerialdirektor für Öffentliche Sicherheit wurde. Somit war er für die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Von Januar 2012 bis Juni 2016 war Schindler Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Als erster BND-Chef lud er in einer Transparenzoffensive regelmäßig Journalisten zum Gespräch ein und ließ die Decknamen von BND-Standorten wie: 'Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr' oder 'Ionosphäreninstitut' gegen Klarnamen austauschen. Gerhard Schindler ist Mitglied der FDP und gilt als Fachmann für kriminelle und terroristische Netzwerke, IT-Sicherheit und Computerkriminalität.
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Produkt

KlappentextKriege, Konflikte, Terrorismus, Cyberangriffe, zunehmende Bedrohungen - die Welt wird immer unsicherer. Doch eine Debatte darüber, was das für unsere Sicherheitsbehörden bedeutet, hat bis heute nicht stattgefunden. Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), fordert eine breite öffentliche Diskussion darüber, was die Sicherheitsdienste dürfen sollen. In seiner aktiven Zeit hat erlebt, wie durch unzählige Verwaltungsvorschriften aus dem Geheimdienst eine Verwaltungsbehörde gemacht wurde, statt die Kompetenzen und Aufgaben des Dienstes den Herausforderungen der Zeit anzupassen. Denn bürokratische Vorgaben sind eine verzagte und die falsche Antwort der Politik auf die drängende Frage: Wie viel Freiheit und wie viel Sicherheit wollen wir?

Gerhard Schindler ist Volljurist und hat für den Bundgrenzschutz, das Bundeministerium des Inneren und den Verfassungsschutz gearbeitet, bevor er Ministerialdirektor für Öffentliche Sicherheit wurde. Somit war er für die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Von Januar 2012 bis Juni 2016 war Schindler Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Als erster BND-Chef lud er in einer Transparenzoffensive regelmäßig Journalisten zum Gespräch ein und ließ die Decknamen von BND-Standorten wie: 'Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr' oder 'Ionosphäreninstitut' gegen Klarnamen austauschen. Gerhard Schindler ist Mitglied der FDP und gilt als Fachmann für kriminelle und terroristische Netzwerke, IT-Sicherheit und Computerkriminalität.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843724395
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum12.10.2020
AuflageAuflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3359 Kbytes
Artikel-Nr.5156234
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
No risk, no fun
Sicherheit erfordert Mut

Als ich am 2. Januar 2012 meinen Dienst als Präsident des Bundesnachrichtendienstes antrat, fühlte ich mich unsicher. Natürlich hatte ich mich gründlich auf diese Aufgabe vorbereitet, viele Gespräche geführt, viele Berichte gelesen. Aber das änderte nichts an meinem Grundgefühl. Zu viel Kritik am damaligen Zustand des Dienstes wurde mir von aktiven und ehemaligen Angehörigen des BND, von Abgeordneten des Bundestags und von Journalisten teils sehr direkt, teils »durch die Blume« vor meinem Dienstantritt und in den ersten Wochen und Monaten danach übermittelt.

Ich hatte daher einen guten Grund, mich die obligatorischen ersten hundert Tage mit öffentlichen Aussagen zurückzuhalten, um mir selbst ein Bild von der Verfasstheit des BND zu machen. Am 5. April 2012 hatte ich meine ersten beiden Pressegespräche, mittags mit drei Redakteuren vom Spiegel und am Abend mit einem Journalisten von Focus. Das Gespräch mit den Spiegel-Redakteuren war auf eine Stunde begrenzt, während der Abendtermin »open end« war. Dieser zeitliche Unterschied erklärt, dass das Gespräch mit Focus wesentlich umfassender und detaillierter war.

Ich schilderte dabei sehr offen, dass ich einen Auslandsnachrichtendienst vorgefunden habe, in dem eine Null-Risiko-Mentalität weitverbreitet sei. Ich hätte, bildlich gesprochen, ein Atomkraftwerk erwartet, das man durch viele Sicherungsmaßnahmen unter Kontrolle halten müsse. Vorgefunden hätte ich dagegen eine Organisation, die eher einer Verwaltungsbehörde gleiche. Viel zu oft werde die nicht zu garantierende »operative Sicherheit« als Totschlag-Argument gegen gute Ansätze und Ideen gebraucht. Für mich sei aber klar, dass es einen Nachrichtendienst ohne jegliches Risiko nicht geben könne.

In meinem Gespräch mit dem Spiegel gipfelte dies mit Bezug auf den Einsatz in Krisenregionen in dem Satz: »Der BND muss als Erster rein und als Letzter raus.« In dem Abendtermin mit Focus wollte ich noch deutlicher werden und gebrauchte daher die Äußerung: »No risk, no fun«.

Für mich war klar, dass sich etwas ändern musste, dass der BND einen Neustart brauchte. Und da die meisten Probleme bekanntermaßen im Kopf beginnen, propagierte ich diese Art Leitspruch auch nach innen in den Dienst hinein. Heute bin ich von diesem Vorgehen überzeugter als je zuvor. Wenn man bei einer nachrichtendienstlichen Operation, etwa beim regelmäßigen Treffen mit einer menschlichen Quelle im Ausland, jegliches Risiko ausschließen will, dann ist es keine nachrichtendienstliche Operation mehr, sondern diese kann auch von den dortigen Botschaftsangehörigen oder von den Militärattachés übernommen werden. Dafür braucht man keinen teuren Auslandsnachrichtendienst. Die Frage kann daher nur lauten: Wie viel Risiko ist man bereit einzugehen in Anbetracht des zu erzielenden Erfolgs? Das Ziel, der mögliche Erfolg, kam damals aus meiner Sicht bei der entsprechenden Risikoabwägung viel zu kurz. Der Fußballtrainer Jürgen Klopp hat dies wenige Monate später in etwa so formuliert: Nicht die Angst vor dem Verlieren, sondern die Lust auf das Gewinnen bringt den Erfolg!

Natürlich ging es mir bei der Stärkung der »Lust auf das Gewinnen« nicht um ein unüberlegtes, dreistes Vorgehen, sondern um ein kluges, umsichtiges, aber auch mutiges Handeln. Ich wollte, dass der mögliche Erfolg und der daraus resultierende Nutzen mit in die Risikoabwägung einbezogen werden. Eine geringe Risikobereitschaft - um ein fiktives Beispiel anzuführen - ist angebracht für die Anwerbung eines einfachen Soldaten in einer fremden Armee als menschliche Quelle, da von diesem wenig wertvolle Informationen zu erwarten sind. Anders sieht es dagegen bei einem Viersternegeneral aus, bei dem man erwarten darf, dass er über Top-Informationen verfügt. Hier lohnt sich ein höheres Risiko, zum Beispiel die Enttarnung des Anwerbers als BND-Mitarbeiter.

Das Gute war, Beispiele für mutiges und erfolgreiches Vorgehen gab es im Bundesnachrichtendienst. Und zwar nicht wenige! Neben der Veränderung im Kopf, die ich mit »No risk, no fun« anstoßen wollte, war es daher wichtig, das vorhandene gute Methodenwissen auch denjenigen zu vermitteln, die ihre Aufgaben bislang »zaghafter« angingen. Ich habe diese Bemühungen daher zu einer meiner wichtigsten Leitlinien während meiner Amtszeit gemacht. »Der BND muss operativer werden!«, lautete meine Ansage. Unterlegt habe ich diese Forderung nicht nur mit der Vorbildfunktion von guten Beispielen, mit organisatorischen Änderungen und Pilotprojekten, sondern auch mit dem Hinweis auf eine Studie von Wissenschaftlern des Instituts zur Zukunft der Arbeit an der Universität Bonn und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin im September 2005. Demzufolge waren die Probanden der Studie, die sich als risikofreudig bezeichneten, im Durchschnitt mit ihrem Leben zufriedener als die anderen Versuchspersonen. Aufgrund meiner im BND gemachten Erfahrungen bin ich sicher, dass dieses Ergebnis der Studie zutrifft.

Nach der Veröffentlichung des Focus-Artikels am darauffolgenden Wochenende, in dem »No risk, no fun« im Text als mein zukünftiges Motto zur Erhöhung der »Schlagkraft der Auslandsspionage« zitiert wurde, brach allerdings erst einmal nicht unbedingt verhaltene Empörung in den Medien und der Politik aus. Auch später noch hat man mir immer wieder vorgehalten, dass man »so etwas« doch nicht öffentlich sagen könne. Von verantwortungslos bis flapsig und ungeschickt lauteten die Vorhaltungen. Eine inhaltliche Diskussion über mein Anliegen war kaum möglich, da die Losung »No risk, no fun« meist kategorisch abgelehnt wurde. Die Heftigkeit dieser Reaktionen hat mich überrascht. Ich konnte und kann sie mir nicht anders erklären als damit, dass wir Deutschen ein gestörtes Verhältnis zu unseren Nachrichtendiensten haben.

Mit einem gewissen Abstand bin ich heute der Auffassung, dass sich der fehlende Mut auf die gesamte deutsche Sicherheitsarchitektur ausweiten lässt. Wenn zum Thema Sicherheit in Deutschland diskutiert wird, dann meist mit einer negativen Konnotation. Da werden angebliche Pannen der Sicherheitsbehörden zelebriert, werden Fehler unterstellt. Behördenversagen zu behaupten, ist zu einer beliebten und beliebigen Routine unserer Debattenkultur geworden. Auch bei Fahndungserfolgen ist man vor dieser Haltung nicht geschützt. Die Frage, warum erst jetzt, ist noch harmlos gegenüber dem nicht selten geäußerten Verständnis für die Täter. Durchgreifende Sicherheitsbehörden greifen dann angeblich zu hart durch, sind instinkt- und rücksichtslos. Beispielhaft ist die Kritik am Vorgehen der Berliner Polizei gegen die dortige Clan-Kriminalität. Nach langer Zeit der Zurückhaltung hat die zugegebenermaßen schwierige Bekämpfung dieser Kriminalität in den letzten Monaten und Jahren endlich Fahrt aufgenommen. Großeinsätze mit mehreren Hundert Beamten - unter anderem in Shisha-Bars - oder die Beschlagnahme von etlichen Immobilien und deren Mieteinnahmen im Wert von mehreren Millionen Euro konnten diese Strukturen empfindlich stören. Für dieses entschlossene Handeln gab es nicht nur Lob. Das Vorgehen wurde von Vertretern der »Linken« als »rassistisch« bezeichnet, der Begriff »Clan-Kriminalität« sei stigmatisierend, da Muslime »kriminalisiert« würden. Wenn man diese Reaktionen einmal auf sich wirken lässt, muss man den Eindruck gewinnen, die größte Gefahr für unsere Gesellschaft ginge von den Sicherheitsbehörden aus.

Nur wenige Akteure haben bei diesen immer wiederkehrenden Debattenschemata, bei diesen sich stets wiederholenden Argumentationsmustern den Mut, sich klar und deutlich vor die Sicherheitsbehörden zu stellen. Wer heute um Verständnis für die Sicherheitsbehörden und deren Handeln wirbt, wird schnell in eine Ecke geschoben, in der man als Politiker oder Journalist nicht stehen möchte. Ich habe allzu oft im Vieraugengespräch Zuspruch und Zustimmung erfahren, während dieselben Personen sich öffentlich mit ähnlichen Aussagen vollkommen zurückhielten.

Ich glaube, niemand möchte heute als Hardliner gelten. Während es früher, von Franz Josef Strauß bis zum ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily, den anerkannten Typus des »Sheriffs« in der Politik gab, der unbeugsam für Recht und Ordnung eintrat, ist diese Haltung heute inzwischen verpönt und nicht mehr diskutabel. Otto Schily war wohl einer der Letzten seiner Art. Diese Sorte Politiker hatte Mut. Sie wurden nicht von Diskussionen oder Entwicklungen getrieben, sondern sie bestimmten diese. Sie setzten Veränderungen für mehr Sicherheit durch - gegen alle Widerstände. Sie stellten sich an die Spitze der Bewegung, argumentierten unermüdlich, hielten stand. Sie brachten Sachverhalte auf den Punkt, sprachen Klartext, wurden wahrgenommen und erreichten so meist ihr Ziel. Und wenn tatsächlich Fehler passierten, war dieser Typ Politiker bereit, sich schützend vor die betroffene Behörde zu stellen, weil es eben keine Organisation gibt, die gänzlich fehlerfrei ist....
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Gerhard Schindler war von Dezember 2011 bis Juni 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Er war der erste, der in einer Transparenzoffensive regelmäßig Journalisten zum Gespräch eingeladen hat und die Decknamen von bereits öffentlich bekannten BND-Standorten austauschen liess.Gerhard Schindler ist Mitglied der FDP und gilt als Fachmann für kriminelle und terroristische Netzwerke, IT-Sicherheit und Computerkriminalität.
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