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Sicherheitszone

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am18.08.20201. Auflage
Hamburg, 2017, kurz vor dem umstrittenen G20-Gipfel. Scheinbar unberührt geht das Leben der Familie Koschmieder seinen Gang, man wohnt in Hamburg-Marienthal, geordnete Verhältnisse. Doch je näher der Gipfel rückt, desto weiter ziehen sich die Risse, die eben noch irgendwo an den Rändern klafften, in die Familie hinein. Die Tochter Imke, engagiert bei der «Jugend gegen G20», denkt immer radikaler, mitgezogen von Freunden. Ihr Bruder Alexander ist Polizist und überzeugt von einer klaren Linie; vielleicht will er auch nur sein geheimes inneres Chaos bändigen. Die Geschwister, die sich eigentlich nahe sind, stehen in der sommerheißen, explosiven Stadt plötzlich auf verschiedenen Seiten. Als die Mutter an einer politischen Kunstaktion teilnimmt, der Vater in ein Gerangel gerät und Imke ganz unerwartete Erfahrungen mit Gewalt, Ohnmacht und Freundschaft macht, verwischen alle Fronten. Die Situation wird für jeden zur Prüfung. Katrin Seddigs Familienroman beleuchtet die Ereignisse um den G20-Gipfel - und zeichnet eine erschütterte Gesellschaft, in der alle Gewissheiten ins Wanken geraten. Wer erzählt die richtige Geschichte? Und ist das eigentlich die Frage, auf die es ankommt?

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextHamburg, 2017, kurz vor dem umstrittenen G20-Gipfel. Scheinbar unberührt geht das Leben der Familie Koschmieder seinen Gang, man wohnt in Hamburg-Marienthal, geordnete Verhältnisse. Doch je näher der Gipfel rückt, desto weiter ziehen sich die Risse, die eben noch irgendwo an den Rändern klafften, in die Familie hinein. Die Tochter Imke, engagiert bei der «Jugend gegen G20», denkt immer radikaler, mitgezogen von Freunden. Ihr Bruder Alexander ist Polizist und überzeugt von einer klaren Linie; vielleicht will er auch nur sein geheimes inneres Chaos bändigen. Die Geschwister, die sich eigentlich nahe sind, stehen in der sommerheißen, explosiven Stadt plötzlich auf verschiedenen Seiten. Als die Mutter an einer politischen Kunstaktion teilnimmt, der Vater in ein Gerangel gerät und Imke ganz unerwartete Erfahrungen mit Gewalt, Ohnmacht und Freundschaft macht, verwischen alle Fronten. Die Situation wird für jeden zur Prüfung. Katrin Seddigs Familienroman beleuchtet die Ereignisse um den G20-Gipfel - und zeichnet eine erschütterte Gesellschaft, in der alle Gewissheiten ins Wanken geraten. Wer erzählt die richtige Geschichte? Und ist das eigentlich die Frage, auf die es ankommt?

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644006898
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum18.08.2020
Auflage1. Auflage
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5485 Kbytes
Artikel-Nr.5168943
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Natascha Koschmieder faltet die Wäsche zusammen, während sie im Fernsehen einen Jacques-Tati-Film zeigen. Weihnachten ist vorbei. Er wollte warten, bis Weihnachten vorbei ist, hat er gesagt, weil er es Weihnachten nicht tun wollte, die Familie zerstören. Er wollte ihnen allen das Fest nicht verderben. Das ist rührend von ihm, denkt sie, dass er ihnen das Fest nicht verderben wollte. Sie stellt das Bügelbrett hinter dem Sofa auf und legt sein hellblaues Hemd darauf. Sie stellt mehr Dampf ein. Es zischt. Kalkiges Wasser tropft auf den Stoff. Sie wischt einen kleinen, braunen Krümel Kalk mit der Fingerspitze weg. Dann sieht sie durch das tiefe Fenster über den Hof hinüber. Aus dem kleinen Schornstein qualmt es ein paar Minuten lang, dann hört es wieder auf. Er kriegt das Feuer nicht an, denkt sie. Es ist so lächerlich, dass er drüben eingezogen ist. So lächerlich. Den Raum über der Garage haben sie vor ein paar Jahren als Gästewohnung ausgebaut. Es war ihre Idee gewesen, ihr Projekt. Sie hatte so eine Idee von einer Wohnung gehabt, die ganz anders als ihr Haus war. Ihr Haus, das Haus, in dem sie wohnt, ist gar nicht ihr Haus. Es gehört Helga. Aber es ist ihr Zuhause. Sie haben die Kinder hier aufgezogen. An den Wänden hängen Fotografien aus Helgas und Walthers Leben, neuere Fotos aus ihrem und Thomas´ Leben und natürlich die Kunst der Kinder. Die Kinder haben zu den üblichen Anlässen Dinge für sie angefertigt, die Bilder haben sie stets an der Wand aufgehängt, anderes in die Regale gestellt. Das Haus ist immer voller geworden. Sie haben nicht versucht, ein anderes, moderneres Haus daraus zu machen. Sie haben es sich immer voller gestellt, und sie hat sich immer wieder gesagt, dass sie es so mag, so voller Erinnerungen, so warm. Nur manchmal hat sie eine kühle Sehnsucht bekommen, nach Leere, nach einer weißen Wand, nach Design und nach der Frische eines Neuanfanges. Sie hätte Geschmack gehabt, sie hätte gewusst, wie man einen leeren Raum einzurichten gehabt hätte. Und aus diesem Grund, und nicht dem vorgeschobenen, hatte sie die Gästewohnung haben wollen. Ein anderes Leben in einer hellen, klaren Wohnung, darum ging es. Eine Option. Einen eigenen Raum, jungfräulich, von ihr erschaffen.

Während der vorletzten Sommerferien hatten ihre Nichten Karla und Marie zwei Wochen dort gewohnt, dann ihre Mutter, als sie sich im letzten März in Eppendorf im Krankenhaus behandeln ließ. Im Oktober dann ein Freund von Thomas, der bei seiner Frau rausgeflogen war. Ronald Park war ein unangenehmer Mensch gewesen, und sie hatte nicht verstanden, wie Thomas ihn bei ihnen hatte wohnen lassen können. Er dankte es ihnen viel zu wenig, dass er in ihrem Haus schlafen konnte. Karla und Marie hatten der Wohnung mehr Schaden zugefügt, das ist schon wahr, in nur zwei Wochen hatten sie eine Kerbe in die Schlafzimmertür gehauen und einen Fleck auf die Armlehne des Sofas gemacht, den man, ganz blass, immer noch sehen konnte. Aber das waren unschuldige Sachen, sie waren jung, die Nichten, sie waren unbesonnen und lebten wie die Pflanzen. Sie breiteten sich aus, nahmen sich Raum und kannten keine Verfeinerung. Aber sie bedankten sich, sie buken Natascha Muffins und schenkten ihr eine Schürze. Die Schürze war schrecklich, aber sie meinten es lieb. Die Schürze hat sie dann tatsächlich angefangen zu tragen. «Koch dich glücklich!», steht darauf. Es macht ihr gar nichts mehr aus, eine Schürze beim Kochen zu tragen, im Fernsehen tun sie es auch, und es schützt ja wirklich vor Flecken.

Ronald Park allerdings hatte, in ihren Augen, die Wohnung entweiht. Eines Abends hatte er eine Frau mitgebracht. Sie hatte von ihrem Schlafzimmer aus gesehen, als sie beim Schlafengehen das Fenster kippte, wie er mit einer Frau in Trenchcoat die Treppen hochschlich, sie hörte sie leise reden. Sie schauspielerten, wie sie übertrieben vorsichtig die Treppe emporstiegen, als könnten sie ertappt werden, und sie kam sich verhöhnt vor, von diesem Schauspiel gegenüber ihrem Haus, gegenüber ihrem Fenster. Sie kicherte in ihrem Trenchcoat, die blöde Kuh, und Ronald Park küsste sie oben vor der Tür, bevor er aufschloss. Natascha beobachtete, barfuß und frierend in ihrem gebügelten Schlafanzug hinter dem Vorhang stehend, wie sie innen das Licht anschalteten, wie sie sich als schwache Schatten bewegten. Dann ging das Licht irgendwann aus.

«Was gibt´s denn da zu sehen?»

«Er hat wen mitgebracht.»

Sie hatte sich umgedreht und das Licht ausgeschaltet. Dann hatte sie nicht schlafen können. Sie hatte immer nur daran denken müssen, was dieser Mann dort in ihrer Wohnung, in ihrer Bettwäsche, wohl mit dieser Frau tat, während sie hier in ihrem eigenen Leben neben ihrem eigenen Mann lag, der schon lange schlief. Es war ihr vorgekommen, als würde dieser Ronald Park ihr ihr Leben wegnehmen, das von ihr vorbereitete, von ihr entworfene Leben.

Aber dann zog er wieder aus, und sie ging hinüber und putzte die Wohnung, die gar nicht dreckig war. Er war sorgfältig mit ihr umgegangen, anders als Karla und Marie, die sie aber liebte und denen sie alles verzieh. Sie lüftete durch, sie bezog die Betten neu, und am liebsten hätte sie die Bettdecke weggeworfen. Im Laufe der folgenden Monate erhielt die Wohnung etwas von ihrer Jungfräulichkeit zurück. Sie wurde nicht benutzt. Manchmal, wenn Thomas nicht da war, ging sie hinüber und setzte sich auf das Sofa. Es war eine schöne Wohnung. Sie saß auf dem Sofa und atmete die saubere, die neue Luft ein. Es gab kaum Erinnerungen in diesem Raum. Nur ein paar Besuche, die keine Bedeutung mehr hatten. Es war alles fast noch so, wie sie es bestimmt hatte. Es war ihre Wohnung. Ihr unbekanntes Leben.

Sie hängt das hellblaue Hemd auf einen Bügel und trägt es hoch ins Schlafzimmer. Hängt es in seinen Schrank, zu seinen anderen Hemden. Alle von ihr gebügelt. Jedes einzelne dieser Hemden hat sie in der Hand gehabt. Sie hat es aus der Waschmaschine geholt, es unten im Wäschekeller aufgehängt, denn er mag sie aus dem Wäschetrockner nicht. Die Nähte ziehen sich im Trockner zusammen, und sie werden weich. Weich mag er seine Hemden nicht, sie sollen etwas steif sein, und gebügelt. Sie bügelt seit vielen Jahren seine Hemden. Sie bügelt sie nicht, weil er es verlangt, es ihr jemals gesagt hätte. So ein Mann ist er nicht, denkt sie. So ein Mann - ist er nicht. Sie setzt sich auf die Kante des Bettes, ihrer beider Bettes. Aber, denkt sie, was für ein Mann ist er? Was für ein Mann? Sie zwingt sich, nicht durchs Fenster auf die Garagenwohnung zu schauen. Sie sitzt auf der Kante des Ehebettes und schaut auf den Fußboden. Vor ihr der geöffnete Schrank mit seinen verschiedenen Hemden, hinter ihr das Fenster und der Hof, und dahinter, irgendwo in diesem Raum, da ist er. Wenn der ganze Hof und alles drum herum als eine Wohnung zählen würde, denkt sie, dann würden sie immer noch zusammenwohnen, in gemeinsamen Räumen. Dann wäre es gar nicht so weit weg, wo er jetzt ist. In Schlössern, denkt sie, muss es so gewesen sein. In Schlössern haben sie sehr weit auseinandergewohnt, damals. Sie haben sich manchmal kaum gesehen. Wenn sie sich nicht sehen wollten, dann haben sie sich nicht gesehen. Sie haben ja damals auch aus anderen Gründen geheiratet, denkt sie. Nicht aus Gründen wie wir, denkt sie, und denkt eine Weile über diese Gründe ihrer Heirat nach und kommt zu keinem Ergebnis. Dann steht sie auf, im Schlafzimmer ist es ganz dunkel geworden, und sieht jetzt doch hinüber, sie stellt sich hinter den Vorhang und sieht hinüber zu den Lichtvierecken. Es sind drei Fenster, dicht nebeneinander. Das Licht ist warm. Er wird es schön haben, denkt sie. Und dann wird sie endlich wütend. Wie kann er es wagen, in diese Wohnung zu ziehen? Wie kann er es wagen, dieses von ihr eingerichtete Leben zu betreten? Wie kann er es wagen, sie hier zurückzulassen, während er dieses neue Leben beginnt, in ihrer Wohnung. Sie ist so wütend, dass sie knurrt.

Natürlich hat sie es vermieden, an die Frau zu denken. Sie weiß nichts über sie. Es ist nur irgendeine Frau. Sie war vielleicht zu schockiert gewesen, um Fragen zu stellen. Was ist das für eine Frau? Liebst du sie? Willst du zu ihr ziehen? Habt ihr Pläne? Solche Fragen hätte sie vielleicht stellen sollen. Aber sie hat gar keine Fragen stellen wollen. Sie hat gedacht, dass sie diese Frau nicht interessiert. Sie ist ja noch gar nicht richtig existent. Sie ist ein Phantom. Sie hat gar keinen Namen.

Und dann sieht sie von hinterm Vorhang aus, dass er drüben telefoniert. Er läuft im Raum herum, die Hand am Ohr, und telefoniert. Und da ist die Frau plötzlich da, ist in ihrem Schloss, in ihren weiten Räumen, da läuft sie herum, ist da, ohne von ihr bemerkt worden zu sein. Sie ist ein Eindringling, eine Kammerzofe, die sich in ihrer Schönheit, mit ihrem jugendlich unschuldigen Körper, ihren dicken Zöpfen und ihrer weißen Haube in ihr Leben gedrängt hat. So ein Biest, denkt sie. Und da redet er mit ihr und denkt, sie merkt es nicht. Jetzt ist diese Schlampe auch noch in meinen eigenen Räumen, denkt sie, und dass sie nicht Schlampe denken möchte, sie ist doch gar nicht so ein Mensch. Was hat er aus mir gemacht?, denkt sie - eine Frau, die Schlampe denkt über eine andere Frau, das hat er aus mir gemacht. So eine bin ich jetzt geworden. Eine bemitleidenswerte Frau, der man vielleicht verzeihen muss, dass sie Schlampe über eine andere denkt. Eine Frau mit Schürze, die im Wohnzimmer vor dem Fernseher seine Hemden bügelt. Seine Hemden bügelt, während er drüben in meiner Wohnung mit seiner Schlampe telefoniert. Schlampe, denkt sie, schon wieder, über diese Frau, die sie gar nicht kennt. Dieses unschuldige, junge Ding. Und wenn sie gar nicht jung ist? Sie will...
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Autor

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.