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Falsche Ursula

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am17.02.2020
Ursula ist unzufrieden. Zu hässlich, zu hungrig, zu allein - ihr Leben läuft überhaupt nicht so, wie sie es gern hätte. Die Schwester ist schöner, die Nachbarin glücklicher, und wer hält schon eine ewige Gemüsesuppen-Diät durch? Da kommt ihr der mysteriöse Erpresseranruf eigentlich ganz gelegen: Man habe ihren Ehemann entführt, eine Million Lösegeld. Nur: Ursula hat gar keinen Ehemann. Doch ihr unstillbarer Hunger auf das Leben der anderen verbietet ihr, die Verwechslung aufzudecken. Sie entdeckt ihr kriminalistisches Talent, das sie in ein abstrus herrliches Abenteuer führt.

Mercedes Rosende (*1958 in Montevideo, Uruguay) studierte Recht und Integrationspolitik. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist sie als Anwältin und Journalistin aktiv. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2005 erhielt sie den Premio Municipal de Narrativa für Demasiados Blues, 2008 den uruguayischen Nationalliteraturpreis für La Muerte Tendrá tus Ojos und 2014 den Código Negro für Falsche Ursula. 2019 wurde sie für ihren Roman Krokodilstränen mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Montevideo.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextUrsula ist unzufrieden. Zu hässlich, zu hungrig, zu allein - ihr Leben läuft überhaupt nicht so, wie sie es gern hätte. Die Schwester ist schöner, die Nachbarin glücklicher, und wer hält schon eine ewige Gemüsesuppen-Diät durch? Da kommt ihr der mysteriöse Erpresseranruf eigentlich ganz gelegen: Man habe ihren Ehemann entführt, eine Million Lösegeld. Nur: Ursula hat gar keinen Ehemann. Doch ihr unstillbarer Hunger auf das Leben der anderen verbietet ihr, die Verwechslung aufzudecken. Sie entdeckt ihr kriminalistisches Talent, das sie in ein abstrus herrliches Abenteuer führt.

Mercedes Rosende (*1958 in Montevideo, Uruguay) studierte Recht und Integrationspolitik. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist sie als Anwältin und Journalistin aktiv. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2005 erhielt sie den Premio Municipal de Narrativa für Demasiados Blues, 2008 den uruguayischen Nationalliteraturpreis für La Muerte Tendrá tus Ojos und 2014 den Código Negro für Falsche Ursula. 2019 wurde sie für ihren Roman Krokodilstränen mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Montevideo.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293310780
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum17.02.2020
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3112 Kbytes
Artikel-Nr.5251507
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe





2


In der Ferne taucht das altbekannte Schild vor mir auf, »Weight-Watchers-Treffen, Mittwoch, 18 Uhr« steht dort in dicken blauen Buchstaben.

Langsam gehe ich den Gang entlang, setze zögernd einen Fuß vor den anderen. Weiter, Ursula, jetzt bloß nicht umdrehen und abhauen, du schaffst das, nimm dich zusammen, tief durchatmen. Siehst du, ist doch ganz einfach. Ein Schritt noch, und schon stehst du vor der Tür. Los, Ursula, noch einmal tief durchatmen, dann legst du die Hand auf die Klinke, drückst runter und machst auf.

Und gehst rein.

Ich weiß genau, was jetzt passieren wird, ich weiß, dass ich mir auch diesmal beim Betreten des großen Versammlungsraums ganz hinten im Pfarrzentrum Punta Carretas sagen werde, dass sie lächerlich sind, einfach grotesk, und dass ich mich fragen werde, was ich hier zu suchen habe.

Das gleiche Fremdheitsgefühl wie immer - wo hats dich hin verschlagen, Ursula? Was sind das für Leute? Und der Eindruck, dass dieses ganze Ritual die Kopie einer Kopie einer Kopie ist, dass diese Treffen für andere Länder gedacht sind, nicht für meins, für andere Menschen, nicht für mich.

Noch bevor ich die Tür öffne, weiß ich, dass alle sich übertrieben begeistert umarmen werden, um sich anschließend an den Händen zu fassen und gegenseitig tief in die Augen zu sehen. Jedes Mal das gleiche fest einstudierte Wiedersehensritual, als hätten wir uns seit einer Ewigkeit nicht getroffen, dabei ist seit dem letzten Weight-Watchers-Treffen gerade einmal eine Woche vergangen. Die Begrüßungen, die Sitzverteilung, die Vorstellungen, Fragen und Antworten, alles läuft nach einem vorgeschriebenen Drehbuch ab, einem Drehbuch für Dicke aus anderen Ländern, nicht für Dicke von hier - für uns Dicke, verbessere ich mich, während ich, die Hand immer noch auf der Klinke, heftig atmend dastehe und gegen den Widerwillen ankämpfe, gegen die Verachtung, das Gefühl der Lächerlichkeit, den Wunsch, umzukehren, rauszugehen und hinter der nächsten Ecke zu verschwinden und diese Leute und alles, was mich mit ihnen verbindet, für immer zu vergessen.

Sobald ich den großen Versammlungsraum ganz hinten im Pfarrzentrum Punta Carretas betrete, werde ich mich in einen Ball verwandeln, der von der Straße hereinrollt, in einen Ballon, der sich auf andere Bälle und Ballons zubewegt, ich werde den Eindruck haben, dass der Boden unter meinen Füßen übertrieben laut knarrt und ich viel zu viel Luft ausatme und eine gigantische Menge Raum einnehme, aber ich werde trotzdem am Ritual teilnehmen, die anderen begeistert umarmen, ihnen so tief in die Augen sehen wie sie mir, ihre pummeligen Hände in meine pummeligen Hände nehmen. Und mir sagen, dass es gar nicht so schlecht wäre, in diesem Augenblick und inmitten von so viel schwärmerischer Begeisterung zu sterben - dann bräuchte ich nie mehr eine Diät anzufangen. Nie mehr. Und alles Leid hätte ein Ende.

Schließlich nehme ich meine ganze Kraft zusammen und drücke die Tür auf. Beim Hineingehen muss ich daran denken, dass Luz mich seinerzeit hierhergeschleppt hat, vor zwei, wenn nicht drei Jahren. Ich hatte dermaßen zugenommen, dass ich mich außerstande fühlte, mich aus eigener Kraft aus der Spirale zu befreien, die mit etlichen Portionen Eis um Mitternacht und einem Extra-Schnitzel zum Mittagessen begonnen hatte.

Als ich zum ersten Mal diese Tür durchquerte, war mir klar: Hier würde ich mich sicher fühlen, aber nicht vor Schokolade und Bier an Sommerabenden, und auch nicht vor Ungeheuern in Sahnetorten- oder Hamburgergestalt. Der große Raum ganz hinten im Pfarrzentrum Punta Carretas mit seinen euphorischen Umarmungen und dem überschwänglichen Händedrücken zur Feier des Wiedersehens nach sieben langen Tagen würde eine unsichtbare und dennoch feste Mauer zwischen Ursula und der Verachtung der Welt darstellen.

Wie ich sie manchmal hasse, diese lächerlichen Treffen, und jedes Mal sind sie mir peinlich. Trotzdem brauche ich sie.

Ich komme immer wieder, lasse die endlose Reihe von Umarmungen über mich ergehen, führe die unmöglichsten Gespräche und erfülle auch sonst sämtliche Vorgaben des Rituals, das es sich einmal in der Woche von sechs bis halb acht zur Aufgabe macht, mich wiederherzustellen. Mich und meine Schwestern und Brüder.

Als Erster begrüßt mich Aurelio. Er umfängt mich mit den Armen, schmiegt sich an mich, und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen kann, weiß ich, dass er die Augen schließt. Dazu gluckst er wie ein Säugling, den die Mutter aus der Wiege hebt, um gleich darauf seufzend auszuatmen wie jemand, der den Kopf erschöpft aufs Kissen sinken lässt. Ich lasse ihn gewähren, erschnuppere das Zedernholz und die Bergamotte in seinem Parfüm, dazu eine Spur Vanille, ich höre und spüre sein Atmen und frage mich, wo ich bin und was ich hier eigentlich tue, schon will der Hass aufflackern, doch stattdessen gebe ich mich ganz den zwei Armen hin, die mich umschließen und an eine duftende und schwer atmende Brust drücken, die allen Cormillot- und Atkins-Diäten zum Trotz mollig weich ist und mich liebevoll in sich aufnimmt. Wir verschmelzen unaufhaltsam, bis wir uns zuletzt in einer langsamen Wiedergeburt voneinander lösen, die die Demütigungen einer ganzen Woche verschwinden lässt.

Dann beginnt der allwöchentliche Tanz um die Waage, begleitet von den Geschichten derjenigen, die zum ersten Mal da sind, und den im Chor gesprochenen Antworten der Gruppe - warum, zum Teufel, geht es hier zu wie in einer griechischen Tragödie?

Schließlich ergreift eine Frau das Wort, die von keiner Fluggesellschaft an Bord gelassen würde, es sei denn, sie erwirbt vorher zwei Tickets für sich allein: »Am schlimmsten war die Weihnachtsfeier in der Firma, wo mein Mann arbeitet. Ich hatte zwölf Kilo abgenommen und fühlte mich imstande, auch noch die fünfzig Kilo zu schaffen, die ich weiterhin zu viel auf den Rippen hatte, kein Blick, kein spöttisches Lächeln konnte mir etwas anhaben. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich mir wieder etwas zum Anziehen genäht, ein Kleid aus dunkelblauem Taft, ich hatte mich im Spiegel betrachtet und geschminkt, mich in meinem herrlichen neuen Kleid von allen Seiten bewundert und war dann mit hocherhobenem Kopf im Festsaal erschienen. Dort lächelte ich alle an und hatte das Gefühl, endlich wieder wie eine Frau und nicht wie ein aus dem Aquarium entwichener Wal angesehen zu werden. Juan Carlos und ich unterhielten uns mit seinen Arbeitskollegen, diese stellten mir ihre Ehefrauen vor, und ich fühlte mich als Teil der Festgesellschaft, war wieder ein voll gültiges Mitglied der Gattung Mensch. Jemand machte eine bewundernde Bemerkung über meine Ohrringe mit den Türkisen und meine braune Haut, ich strich mir das Haar zurück, damit sie besser zu sehen waren, brachte sie mit einer Kopfbewegung zum Klimpern, stellte mich zur Schau. Ich wurde immer selbstbewusster, erzählte von meinen Gärtnerinnenkünsten und davon, dass ich vorhatte, noch einmal etwas zu studieren. Dann gingen wir zu den Tischen, mein Mann schob mir den Stuhl zurecht, auf dem ich mich lächelnd niederließ. Das Lächeln muss schlagartig aus meinem Gesicht verschwunden sein, als auf einmal die Stuhlbeine zu zittern anfingen, ich verspürte ein seltsames Beben, das meinen Körper durchlief, dann spreizten die Beine sich, und zu dem demütigenden Geräusch von splitterndem Plastik - alle konnten es hören, mein Gott, alle, die im Saal versammelt waren! - sank ich wie in Zeitlupe schreckensstarr geradewegs in die Hölle. Von danach erinnere ich bloß die Augen, die mich anstarrten, den Ausdruck auf den Gesichtern, die sich über mich beugten, die Blicke, die sich wie Spieße in die auf dem Boden liegende Walfischfrau bohrten. Und dann nicht mal mehr das, meine Augen füllten sich mit Tränen, die mir die Sicht verschleierten, mich nichts mehr erkennen ließen.«

Dass bei einem Weight-Watchers-Treffen einmal eine Weile nichts gesagt würde, kommt nicht vor. Sobald jemand seinen Bericht beendet hat, antwortet die Gruppe ganz im Stil eines griechischen Chores oder wie bei einer satanistischen Sekte. Manchmal habe ich das Gefühl, im nächsten Augenblick erscheint Bette Davis und versucht, mich zu bekehren, wie auch den Rest der Dorfbewohner, woraufhin ich die Flucht antrete, ich stürze mich in ein riesiges Maisfeld, was aber nichts nützt, ihre Augen erwarten mich schon, wo auch immer ich wieder herauskomme.

Sie sind lächerlich, ich hasse sie, manchmal habe ich Angst vor ihnen.

Umstandslos ergreift jemand anders das Wort. Wenn er weint, trösten die Übrigen ihn. Wenn er nicht weint, löchern sie ihn mit Fragen.

Pausen gibt es nicht, niemals.

Alle trösten wir jetzt Ada, arme Ada, sechs Monate Diät, nur um zu diesem Fest gehen zu können, eine sechsmonatige Ochsentour, um auf einem Stuhl zu landen, der zum Vergnügen der Leute unter ihr zusammenbricht.

»Möchte jemand Ada ein paar Tipps für die bevorstehende Woche mitgeben?«, fragt Susana.

Brav, Susana, man sieht, du hast deine Hausaufgaben gemacht und dir für jede Situation das entsprechende Verhalten aus dem Handbuch eingeprägt.

Alle unterstützen wir Ada, lassen ihr lautstark Ratschläge zukommen.

Man braucht die Anweisungen des Handbuchs nur konsequent umzusetzen, dann funktioniert die Sache, und deswegen sind wir ja hier. Auch ich trage irgendwann meinen Teil bei, empfehle und tröste, frage und...



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Autor

Mercedes Rosende (*1958 in Montevideo, Uruguay) studierte Recht und Integrationspolitik. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist sie als Anwältin und Journalistin aktiv. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2005 erhielt sie den Premio Municipal de Narrativa für Demasiados Blues, 2008 den uruguayischen Nationalliteraturpreis für La Muerte Tendrá tus Ojos und 2014 den Código Negro für Falsche Ursula. 2019 wurde sie für ihren Roman Krokodilstränen mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Montevideo.

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