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Aufzeichnungen eines Krokodils

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Ulrike Helmer Verlagerschienen am02.03.2020
Die Studentin Lazi liebt Frauen. Das ist unerhört im Taiwan der 1980er-Jahre: Eine queere Szene erwacht, und das an der Elite-Uni in Taipeh! Nun, wo das Kriegsrecht aufgehoben ist, bricht die Jugend auf. Aber wie geht Freiheit? Lazis Liebe zu der älteren Shui Ling wird zur Obsession. Als Grenzen überschritten sind, flüchtet sich Lazi in eine Clique schillernder Außenseiter, doch auch die kämpfen mit sich und dem Leben. Und dann ist da noch ein Krokodil, das sich als Mensch tarnt ... Dieser leidenschaftliche, mit literarischen Formen wie Tagebuchnotizen, Aphorismen, allegorischen Einschüben sowie (Genre-)Grenzen spielende Roman ist voller Scharfsinn und skurrilem Witz, erzählt aber auch ganz offen vom Schmerz ihrer Zeit.

Qiu Miaojin (1969-1995) studierte in Taipeh, später in Paris Psychologie und Gender Studies, schrieb und filmte. Nachdem sie für ihre Kunst und ihre Sexualität Selbstmord beging und für die Hoffnung und die Liebe lebte, avancierte sie durch ihren posthum veröffentlichten Roman zur LGBTQ-Ikone. Inzwischen wird sie als eine große chinesischsprachige Autorin und visionäre Schriftstellerin der Moderne wiederentdeckt: •Die Los Angeles Review of Books verglich sie mit James Joyce, •die New York Times nannte die ?Aufzeichnungen eines Krokodils? ein 'spannendes transgressives Meisterwerk'. •Qui Miaojin erhielt mehrere Literaturpreise. MARTINA HASSE, 1961 geboren, studierte Sinologie, Kunstgeschichte und ostasiatische Kunstgeschichte in Hamburg und auf Taiwan und arbeitet als Übersetzerin und Dolmetscherin für Chinesisch. Sie übersetzte u. a. Li Ang, Lung Ying-tai, Liao Yiwu und den Literaturnobelpreisträger Mo Yan.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextDie Studentin Lazi liebt Frauen. Das ist unerhört im Taiwan der 1980er-Jahre: Eine queere Szene erwacht, und das an der Elite-Uni in Taipeh! Nun, wo das Kriegsrecht aufgehoben ist, bricht die Jugend auf. Aber wie geht Freiheit? Lazis Liebe zu der älteren Shui Ling wird zur Obsession. Als Grenzen überschritten sind, flüchtet sich Lazi in eine Clique schillernder Außenseiter, doch auch die kämpfen mit sich und dem Leben. Und dann ist da noch ein Krokodil, das sich als Mensch tarnt ... Dieser leidenschaftliche, mit literarischen Formen wie Tagebuchnotizen, Aphorismen, allegorischen Einschüben sowie (Genre-)Grenzen spielende Roman ist voller Scharfsinn und skurrilem Witz, erzählt aber auch ganz offen vom Schmerz ihrer Zeit.

Qiu Miaojin (1969-1995) studierte in Taipeh, später in Paris Psychologie und Gender Studies, schrieb und filmte. Nachdem sie für ihre Kunst und ihre Sexualität Selbstmord beging und für die Hoffnung und die Liebe lebte, avancierte sie durch ihren posthum veröffentlichten Roman zur LGBTQ-Ikone. Inzwischen wird sie als eine große chinesischsprachige Autorin und visionäre Schriftstellerin der Moderne wiederentdeckt: •Die Los Angeles Review of Books verglich sie mit James Joyce, •die New York Times nannte die ?Aufzeichnungen eines Krokodils? ein 'spannendes transgressives Meisterwerk'. •Qui Miaojin erhielt mehrere Literaturpreise. MARTINA HASSE, 1961 geboren, studierte Sinologie, Kunstgeschichte und ostasiatische Kunstgeschichte in Hamburg und auf Taiwan und arbeitet als Übersetzerin und Dolmetscherin für Chinesisch. Sie übersetzte u. a. Li Ang, Lung Ying-tai, Liao Yiwu und den Literaturnobelpreisträger Mo Yan.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783897419414
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum02.03.2020
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2719 Kbytes
Artikel-Nr.5266040
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
_1_
20. Juli 1991.
Durchs Fenster am Schalter der Universitätsverwaltung wurde mir mein BACHELOR OF ARTS überreicht. Die Urkunde war übertrieben groß, ich musste sie mit beiden Händen festhalten. Als ich damit über den Campus lief, fiel sie mir zweimal runter, einmal landete das Abschlusszeugnis am Wegrand im Matsch und ich wischte es an meinem Hemd ab, das andere Mal blies der Wind es mir aus der Hand. Peinlich berührt sprintete ich hinterher, alle vier Ecken hatten Knicke abgekriegt, ich musste mir ein Kichern verkneifen.

»Wenn du bei mir vorbeikommst, kannst du dann was zum Spielen mitbringen?«, fragte das Krokodil.

»Mache ich. Ich bringe dir schöne Dessous mit, die ich selbst genäht habe«, sagte Osamu Dazai.

»Und ich bringe dir den prächtigsten Bilderrahmen der Welt mit, wenn´s recht ist«, sagte Yukio Mishima.

»Und ich lasse für dich hundert Kopien von meinem Abschlusszeugnis der Waseda-Universität machen und tapezier dir damit dein Klo«, sagte Haruki Murakami.

Damit fing alles an.

Musik aus dem Off.

(Soundeffekte vom Schluss des Kinderlieds »Bruder Jakob«.)

Weil ich kein langes Hin und Her mit dem Abgeben meines Studenten- und des Bibliotheksausweises wollte, sagte ich einfach, ich hätte sie verloren. Das stimmte auch, ich hatte sie tatsächlich verloren. Neunzehn Tage später bekam ich in einem Einschreiben ohne Absender beide Ausweise zurückgeschickt und meine Verlustanzeige verwandelte sich in eine Falschaussage. Dabei war ich doch wirklich unschuldig und bei der Wahrheit geblieben! Was blieb mir anderes übrig, als die Ausweise weiter zu benutzen. (Außerdem war es praktisch.)

Um meine Führerscheinprüfung kümmerte ich mich auch nicht mehr. Obwohl ich schon viermal angetreten war, hatte ich immer noch nicht bestanden. Zweimal war die Prüfung allerdings aus Gründen schiefgelaufen, die nichts mit menschlichem Versagen zu tun hatten. In meinem Umfeld (ich spreche hier von meinem gesellschaftlichen Umfeld) ließ ich daher verlauten, ich sei bloß zweimal durchgefallen.

Aber Schluss, aus, keine Zeit mehr für so was ...

Ich verschloss Tür und Fenster, zog den Telefonstecker und setzte mich an den Tisch. So geht nämlich Schriftstellerei!

Als ich mich müde geschrieben hatte, rauchte ich zwei Zigaretten und verschwand ins Bad, um mich kalt abzuduschen.

Es war Taifun-Wetter, wir hatten Sturm und Sturzregenfälle. Ich war oben herum schon ausgezogen, als ich sah, dass im Bad die Seife fehlte. Also streifte ich mir schnell ein Hemd über, holte aus meinem Zimmer ein Stück Happy-Soap und huschte ins Bad zurück. So schreibt man einen »Bestseller«!

Während ich um ein Uhr nachts mit einem Ohr das Nachtprogramm des Polizeisenders hörte und mich dabei einseifte, gab es plötzlich einen Riesenknall. Im Elektrizitätswerk hatte sich eine Explosion ereignet. Im gesamten Umkreis war Funkstille und alles tintenschwarz; überall war der Strom ausgefallen.

Jetzt sah mich ja niemand, also kam ich nackt aus dem Badezimmer, um nach Kerzen zu suchen. Ich fand nur drei kleine Teelichte. Mein einziges Feuerzeug war leer, weswegen ich sie mit in die Küche nahm. Auf dem Weg rannte ich den Ventilator um. Ich hielt sie so lange zum Anzünden über die Flamme am Gasherd, bis die Halter zu heiß wurden und die Teelichte schmolzen; sie anzuzünden hatte ich nicht geschafft. Da wusste ich auch nicht mehr weiter.

Also öffnete ich die Balkontür und trat hinaus, um mich ein wenig abzukühlen. Ich hoffte, noch andere Exemplare der menschlichen Spezies zu entdecken, die nackt auf ihren Balkons standen. Auf diese Art entsteht »gehobene Literatur«!

Und falls es doch kein Besteller und auch keine gehobene Literatur wird, wird es eben ein aufsehenerregendes Buch. Fünf Cent pro Zeichen!

Es geht darum, einen Abschluss zu kriegen und zu schreiben.
_2_

Früher dachte ich immer, in jedem Mann schlummere ein Bild von seiner Traumfrau, und diejenige, die seinem »Urbild« der idealen Frau entspricht, wird dann seine große Liebe.

Obwohl ich eine Frau bin, trage auch ich das Idealbild einer Frau in meinem Herzen. Bisher ist mir diese Traumvorstellung von einer idealen Frau allerdings immer nur im Angesicht meines eigenen Todes erschienen, wenn sie als ultraschönes Hirngespinst sonnengleich über einem eisbedeckten Gipfel aufging. Aber sie zerstob jedes Mal sofort wieder.

Vier Jahre lang habe ich fest geglaubt, dies müsste das Urbild der absoluten menschlichen Schönheit sein ... Es war überhaupt das Einzige, an das ich während meiner Studienjahre glaubte, und das war noch die Zeit, in der ich die meiste Ehrlichkeit und den größten Lebensmut aufbrachte.

Heute glaube ich´s nicht mehr. Jetzt ist dieses Bild für mich nichts weiter als die kleine, spontan hingesetzte Pinselei irgendeines Straßenkünstlers, die ich bei mir an der Wand hängen hatte. Als das Ich-glaube-das-nicht-mehr wie ein linder Luftzug vorbeizog, verwehte das Bild allmählich, ich fing an zu vergessen. Fast für lau verkaufte ich die ganze Sammlung Straßenkünstler-Bilder, die mir einmal so teuer gewesen war und jeden freien Fleck an meinen vier Wänden eingenommen hatte. Mit einem Schlag, als hätte ihn ein Zen-Mönch mir auf den Kopf gegeben, begriff ich, dass ich sie doch alle in Erinnerung behalten durfte, denn mein Gedächtnis war wie ein Krug. Aber ein voller Krug ist, wie man weiß, im Handumdrehen wieder leer, und dann würde ich wach und wüsste nicht einmal mehr, wo die Liste mit den Bildern steckte, die ich gekauft und zu welchem Preis ich sie wieder verkauft hatte.

Als klebe da ein doppelseitig beschriftetes Transparent, ein Band, auf dem hinten »Ich glaube es nicht mehr« steht und vorne drauf ist eine brutale Axt. Eines Tages dämmerte mir - und es war so, als schriebe ich zum ersten Mal meinen eigenen Namen: Grausamkeit und Güte sind ein und dasselbe. Es ist wirklich wahr, dass in unserer Welt dem Bösen die gleiche Macht zukommt wie dem Guten! Brutalität und Bosheit sind nur allzu natürlich. In unsrer Welt bestimmen sie die Hälfte allen Nutzens und aller Tatkraft. Um Meisterin meines Schicksals zu werden, muss ich es an Brutalität also noch übertreffen. Dann machst du es wie dieser berühmte Koch aus dem Zhuangzi im Kapitel Pflege des Lebensprinzips, der mit gekonntem Schnitt den Ochsen zerlegt.

Die Axt schwingen ... um den Brutalitäten des Lebens beizukommen, brutal gegen sich selbst und gegen andere sein. Das ist das altbewährte Mittel, um den animalischen Instinkten, der Ethik, der Ästhetik und der Metaphysik beizukommen und dazu noch der Vierfaltigkeit.

22 Jahre alt. Punktum.
_3_

S h u i l i n g.

Wenzhou-Straße.

Die weiße Bank beim Eingang der französischen Bäckerei.

Die Buslinie 74.

Wir saßen ganz hinten im Bus, zwischen uns lag der Gang. Shuiling und ich hatten gegenüberliegende Fensterplätze in Beschlag genommen, sodass neben uns jeweils ein Sitz frei geblieben war. Auf den gegen die Dezemberkälte fest verschlossenen Busfenstern lag feuchter Beschlag. Es war am frühen Abend um sechs; in Taipeh eine Uhrzeit, zu der die tintenschwarze Nacht das Tageslicht längst geschluckt hat. Der Bus kroch im stockenden Verkehr die Heping East Road entlang, Haltestelle um Haltestelle. Über dem Kessel der Stadt, dort, wo sich Himmel und Erde berühren, legte der letzte Lichtschein ein faseriges Orangerot an den Horizont, wie ein strahlendes Band. Ein Welle von Glück überkam uns bei diesem ganz naturgegebenen, deshalb aber nicht minder mystischen Anblick und ergoss sich durchs Heckfenster in den Autostrom hinter uns.

Übermüdete, schweigende Menschen füllten den Mittelgang, mit hängenden Köpfen lehnten sie wie Holzpuppen an den Bussitzen. Durch einen Spalt zwischen den Mänteln der Fahrgäste hindurch linste ich vorsichtig zu Shuiling hinüber und gab mir Mühe, völlig unbeteiligt, ohne jeden Anflug von Sehnsucht dreinzublicken, um meine Aufregung zu dämpfen.

»Hast du das da draußen gesehen?«, fragte ich sie und versuchte einen etwas schmeichelhafteren Klang hineinzulegen.

»Mhhh«, hauchte sie mit einer Stimme, so zart wie Flaum.

Da war mir, als säße ich zusammen mit Shuiling in einer luft- und schalldicht verschlossenen Blechkapsel in einem geräuschlosen Raum - als trieben wir federleicht umher. Außerhalb des Busses tobte das abendliche Leben in den hell erleuchteten Straßen, durch die sich die Menschenmassen drängten. Bunt und ohne einen Laut strömten sie an den Fenstern vorbei. Wir waren beide glücklich und zufrieden. Lächelnd blickten wir uns...
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Autor

Qiu Miaojin (1969-1995) studierte in Taipeh, später in Paris Psychologie und Gender Studies, schrieb und filmte. Nachdem sie für ihre Kunst und ihre Sexualität Selbstmord beging und für die Hoffnung und die Liebe lebte, avancierte sie durch ihren posthum veröffentlichten Roman zur LGBTQ-Ikone. Inzwischen wird sie als eine große chinesischsprachige Autorin und visionäre Schriftstellerin der Moderne wiederentdeckt: .Die Los Angeles Review of Books verglich sie mit James Joyce, .die New York Times nannte die >Aufzeichnungen eines Krokodils