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Die Toten von Norderney

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
256 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am12.03.2020
Ein facettenreicher Krimi mit einem ausgefeilten Plot und hintergründigem Humor - mehr Ostfriesland geht nicht. Ein Hobbyfotograf entdeckt bei dem alten Schiffswrack an der Ostspitze von Norderney eine skelettierte Hand, die aus dem Sand ragt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei der Toten um eine Norderneyerin handelt, die seit zwölf Jahren als vermisst gilt. Oberkommissar Gent Visser rollt den Fall neu auf - und setzt damit eine Reihe verhängnisvoller Ereignisse in Gang ...

Manfred Reuter, Jahrgang 1957, stammt aus der Eifel. Der gelernte Journalist arbeitet als freier Autor und Schriftsteller in Ostfriesland. Er lebt mit seiner Familie und den Shetlandponys Maxx und Willi in einem kleinen Dorf in der Nähe von Aurich.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,49

Produkt

KlappentextEin facettenreicher Krimi mit einem ausgefeilten Plot und hintergründigem Humor - mehr Ostfriesland geht nicht. Ein Hobbyfotograf entdeckt bei dem alten Schiffswrack an der Ostspitze von Norderney eine skelettierte Hand, die aus dem Sand ragt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei der Toten um eine Norderneyerin handelt, die seit zwölf Jahren als vermisst gilt. Oberkommissar Gent Visser rollt den Fall neu auf - und setzt damit eine Reihe verhängnisvoller Ereignisse in Gang ...

Manfred Reuter, Jahrgang 1957, stammt aus der Eifel. Der gelernte Journalist arbeitet als freier Autor und Schriftsteller in Ostfriesland. Er lebt mit seiner Familie und den Shetlandponys Maxx und Willi in einem kleinen Dorf in der Nähe von Aurich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960416012
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum12.03.2020
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3518 Kbytes
Artikel-Nr.5306540
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
ZWEI

Vor dem Surf-Café herrschte am frühen Nachmittag helle Aufregung. Alle in der Nähe flanierenden Touristen - und dies waren nicht gerade wenige - mussten sich dieses Spektakel ansehen. Es blieb ihnen gar keine andere Wahl. Zischend und fauchend pflügten mächtige Rotorblätter die Luft über dem Norderneyer Januskopf. Gemessen am Lärmpegel wirkte der im Anflug befindliche Polizeihubschrauber regelrecht filigran.

Visser und Neumann hatten ihre Dienstmützen abgenommen und unter die Arme geklemmt. Visser überlegte kurz, dann nahm er auch die Brille ab, weil er nicht riskieren wollte, dass sie ihm von der Nase flog. Er hatte den silber-blauen Dienstpassat auf der Promenade Richtung Georgshöhe geparkt und vom Personal des Surf-Cafés die kniehohen Schachfiguren der Außenanlagen sicherheitshalber wegräumen lassen. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sie den Schaulustigen um die Ohren fliegen und sie sogar verletzen würden. Und das alles nur wegen einer Marotte. Denn es war nicht das erste Mal, dass Visser sich diesen Auftritt seines Kollegen Carlo Faust mit ansehen musste.

Faust war Chef des Fachkommissariats eins bei der Polizeiinspektion Aurich und damit in der vorgesetzten Dienststelle zuständig für Mord und Totschlag. Immer wenn es um schwerwiegende Fälle ging, reiste Faust an, allerdings nicht wie die normalsterblichen Polizisten mit der Fähre, sondern mit dem Heli. Visser und Faust hatten sich über die Jahre kennen- und schätzen gelernt, gleichwohl nötigten Fausts Extravaganzen dem bodenständigen Insulaner Gent Visser immer wieder Kopfschütteln ab.

Bei seiner Ankunft auf dem Deckwerk vor dem Surf-Café setzte Faust dieses Mal noch einen drauf. Denn als er gesehen hatte, dass die lokale Presse mit gezückten Kameras komplett versammelt war, wartete er nicht ab, bis der Hubschrauber den Boden berührte. Nein. Kurz vorher schwang er sich auf die Kufen und nahm die letzten eineinhalb Meter bis zum Inselboden mit einem Sprung. Nach dieser filmreifen Einlage zeigte das ansonsten hochgradig relaxte Inselpublikum doch die eine oder andere Emotion. Faust hatte einmal mehr für eine willkommene Abwechslung im Urlaubsalltag gesorgt.

Als der Hubschrauber wieder aufgestiegen und mit elegantem Schwung in Richtung Festland davongeflogen war, richtete sich Faust die dunkelgraue Bomberjacke, schließlich war diese bei dem Landemanöver deutlich über die Hüften gerutscht. So konnte das nicht bleiben. Nach einem prüfenden Blick in Richtung seiner Schusswaffe drehte er diese Körperseite zum Café hin. Dort standen immerhin die meisten Touristen. Er kontrollierte zunächst, ob die P2000 noch fest im Holster saß. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich auch die Handfesseln und die Etuis für Pfefferspray und das Ersatzmagazin in korrektem Zustand befanden, strich er sich mit der mächtigen Hand über die Glatze und schlenderte auf Visser zu. Der hatte Brille und Dienstmütze inzwischen wieder aufgesetzt. Ein kräftiger Handschlag, eine kurze freundschaftliche Umarmung, dann gingen sie zum Auto. Mit Blaulicht und Sondersignal steuerte Neumann die beiden zum Parkplatz am Ostheller, wo der Pritschenbulli zur Weiterfahrt zum Wrack bereits auf sie wartete.

***

Er zog die Tür ins Schloss. Das Klicken war kaum zu hören. Er wusste, dass er nun mit sich und seiner Welt allein war. Wände als Schutz von allen Seiten. Boden unter den Füßen, Decke über dem Kopf. Raum ohne Fenster, Welt ohne Licht, Ort ohne Tag. Er öffnete die Augen und sah nichts.

Bis zur gegenüberliegenden Wand waren es genau viereinhalb Schritte. Je näher er ihr kam, desto deutlicher nahm er den süßlich bitteren Geruch der Holzvertäfelung wahr. Es war das Einzige, das man hier riechen konnte. Jeder weitere noch so leichte Duft hätte dem Raum die Bestimmung, den Zauber genommen. Längst musste er nicht mehr fühlen, nicht mehr tasten. Er kannte alles, jeden Millimeter, er sah alles, jedes Detail, jeden Gegenstand, mit geschlossenen Augen. Seine Hände folgten seinem Denken. Uneingeschränkt synchron.

Mit den Fingern der rechten Hand drehte er den Schlüssel. Auch hier ein nahezu geräuschloses Klicken, und die Tür sprang auf. Oben rechts das Gefäß. Edelchrom. Keine Ornamente, makellose Glätte, einundzwanzig Komma acht Zentimeter hoch, vierzig Komma drei Zentimeter Umfang an der breitesten Stelle, handgebürstet und poliert. Er griff mit beiden Händen danach und zog es fest an seine Brust. Die Augen blieben geschlossen, er drückte sie jetzt noch fester zu. Als er den kalten Behälter spürte, durchzog ihn ein Kribbeln.

Mit flackernden Lidern machte er nun zwei Schritte zurück, drehte sich nach links und ging zwei weitere Schritte nach vorn. Er hörte seinen Atem, sonst nichts. Er setzte sich auf den Stuhl und stellte das Gefäß auf dem Tisch ab. Der Filz unter dem Sockel sorgte dafür, dass auch dies lautlos geschah. Mit den Fingern der linken Hand schaltete er die Tischlampe an. Langsam, ja regelrecht irritiert, als würde er gerade aus einer Trance aufwachen, öffnete er seine Augen, sie sollten den dünnen, weichen Lichtschimmer nur stufenweise spüren. Auch diese Sinneskraft durfte nur behutsam zur vollen Entfaltung kommen. Jede noch so kleine Störung war zu vermeiden. Jedes Geräusch, jede abrupte Bewegung, alles Plötzliche würde der Handlung schaden.

Als sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, sah er im Spiegelbild des kühl glänzenden Chromgefäßes, wie seine Hände danach griffen und es in die Mitte des Tisches stellten. Erst als er den Deckel vorsichtig aufgedreht hatte, streifte er die eng anliegenden Handschuhe ab. Das hauchdünne Leder schimmerte im Schein der Lampe, während die dünnen weißen Finger aus dem mit Kaschmir ausgestatteten Innenfutter glitten.

Während er nun damit begann, sich über das geöffnete Gefäß zu beugen, spürte er, wie ihn Wärme durchzog und ihm Blut in den Kopf schoss. Das Pochen des Herzens spürte er in Brust und Hals. In den Ohren erhöhte sich der Druck, in die Augen trat Glanz, auf die Wangen Röte. Und nun, da er den ausströmenden Duft aufsog, umschlossen seine Hände das Gefäß erneut, so, als wollte er es sich einverleiben und ein Teil dessen werden, was seine Vorstellungskraft gerade in ihn hineinströmen ließ. Doch er besann sich. Er durfte nicht überreagieren. Trotz des Abtauchens in die andere Welt durfte er die Haltung nicht verlieren.

Er streifte sich die Handschuhe wieder über und drehte den Deckel zurück auf das Gefäß. Aus der Schublade nahm er ein schwarzes Poliertuch und wischte damit die Abdrücke, die seine Finger hinterlassen hatten, weg. Dann schob er die Urne an den äußersten Rand des Tisches, öffnete die Kladde und schrieb:

»4370. Manchmal denke ich, es geht zu Ende. Es fällt mir immer schwerer, die richtigen Worte zu finden. Und dann frage ich mich, ob das alles noch Sinn ergibt, und mir wird kalt. Ja, auch jetzt. Ich sitze hier an diesem Tisch und friere. Komisch. Vor einigen Minuten war mir noch siedend heiß. Aber das war, als ich dich an meine Brust gedrückt habe. Manchmal frage ich mich, ob du das bemerkst. Es passiert ja jeden Tag, dass ich deine Nähe suche. Ich kann gar nicht anders. Ich sehe dich dann vor mir. Ich fühle deine Haut. Ich sehe, wie du meinen Blick erwiderst und wie du mir in die Augen schaust. Und dann, ohne Vorankündigung, verlässt mich dieses Gefühl. Es ist, als ob ich aufwache. Aus einem wunderbaren, bunten Traum. Danach fühle ich mich schlecht. Von einer Sekunde auf die andere. Manchmal wird mir sogar übel. Trotzdem werde ich nicht damit aufhören, deine Nähe zu suchen und das Glück zu genießen. Auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Ich gebe nicht auf. Ich werde nie aufgeben. Denn die Liebe bleibt. Sie ist wie eine Sucht. So stelle ich mir Sucht vor. Meine Sucht ist das Verlangen nach dir. Nach deinem Lächeln, nach deinem Atem. Manchmal habe ich Angst davor, dass ich auch diesen Raum verlieren könnte, diese Welt, diesen Schatz. Es ist so viel und doch so wenig. Es ist alles, was ich habe. All das, was ich hier spüre, in den wenigen Momenten unserer Zweisamkeit, das ist mein Leben. Es ist auf diese wenigen Momente reduziert. Und ja, es ist ein Leben in der Versenkung, aber ich kann ihm nicht entrinnen. Vielleicht ist dieses Leben aber auch nicht mehr als eine Illusion, eine schlecht geschriebene Geschichte. Okay, Liebes, ich möchte dich mit diesen Gedanken nicht langweilen. Vor allem heute nicht. Denn sie werden unklar, sie verschwimmen wie dein Gesicht vor meinen Augen. Es ist besser, wenn ich gehe. Ich bringe dich zurück und mache mich wieder auf den Weg nach draußen. In die Kälte. In diesen gnadenlosen Alltag. Und trotzdem bin ich bei dir. Immer und überall. Morgen ist ein neuer Tag. Auch morgen zwitschern die Vögel in den Bäumen. Auch morgen rauscht die Brandung heran. Und auch morgen werde ich mich nach dir verzehren.«

Er löschte das Licht und griff nach dem Gefäß. Dann stand er auf. Schloss die Augen. Drehung nach rechts, zwei Schritte nach vorn. Drehung nach links, zwei Schritte nach vorn. Der Schrank war noch geöffnet. Er stellte die Urne an ihren Platz. Oben rechts. Er drückte die Tür ins Schloss und öffnete die Augen. Er sah nichts. Kein Licht. Kein Tag. So sollte es sein. Er drehte sich um, viereinhalb Schritte nach vorn. Halbe Armlänge bis zum Türknauf. Knappe Drehung nach links. Leises Klicken. Lichteinfall. Dann verließ er den Raum.

***

Faust stand mit verschränkten Armen vor dem Wrack. Sein ungläubiger Blick traf erst die Hand, dann Visser. Der hatte sich erneut in den Sand gekniet.

»Wenn wir mal davon ausgehen, dass es sich hier tatsächlich um die Hand eines Menschen handelt: Gibt es auf der Insel einen aktuellen Vermisstenfall?«

Vissers Miene verriet Erstaunen. »Wenn ich...
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