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Listen To This

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.11.20201. Auflage
Alex Ross, der renommierteste Musikkritiker der USA, beschäftigt sich in «Listen to this» mit der Rezeption von klassischer und populärer Musik und deren Bedeutung für menschliches Empfinden - und mit seiner ganz persönliche «Hörgeschichte». In seinem Buch versammelt er Texte, die im New Yorker erschienen sind. Ein persönliches Werk, in dem Ross von seinen Hörerfahrungen berichtet, von Mozart, Schubert, Bach bis hin zu Bob Dylan, Björk und Radiohead. «Warum nur kann ein deutscher Autor nicht so erzählen wie Alex Ross?» Deutschlandfunk

Alex Ross, geboren 1968, ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. Davor schrieb er vier Jahre lang für die New York Times. Ross wurde ein Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters verliehen, der Belmont Prize, ein Guggenheim Fellowship und ein MacArthur Fellowship. Er war 2002 Fellow der American Academy in Berlin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextAlex Ross, der renommierteste Musikkritiker der USA, beschäftigt sich in «Listen to this» mit der Rezeption von klassischer und populärer Musik und deren Bedeutung für menschliches Empfinden - und mit seiner ganz persönliche «Hörgeschichte». In seinem Buch versammelt er Texte, die im New Yorker erschienen sind. Ein persönliches Werk, in dem Ross von seinen Hörerfahrungen berichtet, von Mozart, Schubert, Bach bis hin zu Bob Dylan, Björk und Radiohead. «Warum nur kann ein deutscher Autor nicht so erzählen wie Alex Ross?» Deutschlandfunk

Alex Ross, geboren 1968, ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. Davor schrieb er vier Jahre lang für die New York Times. Ross wurde ein Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters verliehen, der Belmont Prize, ein Guggenheim Fellowship und ein MacArthur Fellowship. Er war 2002 Fellow der American Academy in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644007307
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum17.11.2020
Auflage1. Auflage
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1528 Kbytes
Artikel-Nr.5348807
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil I Panorama

1. Listen to this: Überquerung der Grenze zwischen Klassik und Pop

Ich hasse «klassische Musik»: nicht die Sache als solche, nur den Begriff. Er verortet eine hartnäckig lebendige Kunst in einem Themenpark der Vergangenheit. Er schließt die Möglichkeit aus, dass Musik im Geiste Beethovens auch heute noch erschaffen werden kann. Der Ausdruck erzeugt eine Hängepartie für das Werk Tausender Gegenwartskomponisten, die im Grunde gebildeten Menschen Rede und Antwort stehen müssen, womit sie da eigentlich ihren Lebensunterhalt bestreiten. Der Begriff ist eine Glanzleistung an Negativ-Publicity, ein extrem gelungener Anti-Hype. Ich wünschte, es gäbe eine andere Bezeichnung. Wie sehr beneide ich die Jazzer, die einfach nur «die Musik» sagen.

Den Großteil des vergangenen Jahrhunderts war die Musik von einem Kult des mediokren Elitarismus getragen, der seinen Selbstwert dadurch zu steigern sucht, dass er sich an hohle Phrasen einer intellektuellen Überlegenheit klammert. Man höre sich einmal die anderen Bezeichnungen an, die so im Umlauf sind: «Kunst»-Musik, «ernste» Musik, «bedeutende» Musik, «gute» Musik. Natürlich kann die Musik bedeutend und ernst sein, aber Bedeutsamkeit und Ernsthaftigkeit sind nicht ihre entscheidenden Charakteristika. Sie kann genauso gut auch dumm, vulgär und krank sein. Komponisten sind Künstler und keine Kolumnisten für Etikettefragen; sie haben das Recht, jede Emotion, jede geistige Verfassung auszudrücken. Sie wurden von wohlmeinenden Liebhabern hintergangen, die finden, man müsse die Musik als Luxusartikel vermarkten - als eine Sache, die das schlechtere Produkt «Pop» ersetzen kann. Diese Schwellenhüter sagen letzten Endes: «Die Musik, die euch gefällt, ist Müll. Hört euch lieber unsere bedeutende, kunstvolle Musik an.» Dadurch erreichen sie wenig bei den vermeintlichen Ignoranten, denn sie haben vergessen, die Musik als etwas zu beschreiben, das zu lieben sich lohnt. Musik ist ein viel zu persönliches Medium, als dass sie für eine absolute Wertehierarchie taugen würde. Die beste Musik ist immer die, die uns glauben lässt, sie sei die einzige auf der Welt.

Wenn die Leute «klassisch» hören, denken sie automatisch an «tot». Die Beschreibung dieser Musik schließt immer ihre Distanz zur Gegenwart mit ein, ihren Unterschied zur Masse. Kaum verwunderlich also, dass jeder schon Geschichten von ihrem bevorstehenden Ende gehört hat. In den Zeitungen wird über die wohlbekannten Probleme berichtet: Orchester und Opernhäuser fahren Defizite ein; die Musik wird kaum noch an staatlichen Schulen unterrichtet, ist in den amerikanischen Medien so gut wie unsichtbar und wird von Hollywood ignoriert oder verhöhnt. Nur gab es diese Geschichte auch schon vor vierzig, sechzig oder achtzig Jahren. Im Jahr 1969 schrieb Stereo Review: «Es werden weniger Klassikplatten verkauft, weil die Menschen sterben (...) Der heutige Klassikmarkt ist, was er ist, weil vor fünfzehn Jahren niemand versucht hat, die Liebe zur klassischen Musik bei den Kindern zu wecken, die damals noch zu beeindrucken waren und heute den Markt darstellen.» Der Dirigent Alfred Wallenstein schrieb im Jahr 1950: «Die wirtschaftlichen Probleme, vor denen ein amerikanisches Sinfonieorchester steht, spitzen sich immer mehr zu.» Der Kritiker Karl Heinz Stuckenschmidt schrieb 1926 im Beitrag «Mechanische Musik»: «Konzerte sind schlecht besucht, und die Haushaltsdefizite werden von Jahr zu Jahr größer.» Die Klagen über den Niedergang oder gar Tod der Kunstform sind bis ins 14. Jahrhundert zurückzuverfolgen, als die gefühlvollen Melodien der Ars Nova das Ende der Zivilisation anzukündigen schienen. Der Pianist Charles Rosen hat den klugen Satz geäußert: «Der Tod der klassischen Musik ist vermutlich der älteste und beständigste Teil ihrer Tradition.»

Das Klassik-Publikum gilt allgemein als todgeweihte Versammlung der Alten, der Weißen, der Reichen und der Gelangweilten. Wie Statistiken des National Endowment for the Arts zeigen, ist die Situation nicht ganz so schlimm. Das Publikum ist hier tatsächlich älter als in anderen Sparten, aber das wohlhabendste ist es keineswegs. Musicals, Theater, Ballett und Museen bekommen im Einkommenssegment 55000 Dollar und darüber größere Stücke des Kuchens ab (wie auch der Sportsender ESPN übrigens). Das Parterre der Metropolitan Opera spielt den Gastgeber für Firmenchefs und die oberen Zehntausend, aber in den weniger teuren Bereichen - bei Abfassung dieses Textes kosteten die meisten Plätze in den oberen Rängen fünfundzwanzig Dollar - tummeln sich Lehrer, Textkorrektoren, Studenten, Rentner und viele andere, die keinen Eintrag im Who´s who haben. Wer echten, durch Schweizer Konten gestützten und auch zur Schau gestellten Reichtum sehen will, geht besser zu den Millionären, die bei einem Billy-Joel-Konzert in den Stadionlogen sitzen - so die Security das zulässt. Was das Ergrauen des Publikums betrifft, kann diese Tendenz nicht verleugnet werden, aber mit etwas Glück pendelt sich das ein. Paradoxerweise ist es nämlich so, dass trotz des zunehmenden Durchschnittsalters der Zuschauer das der Musiker immer mehr abnimmt. Die Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind durchschnittlich eine Generation jünger als die Rolling Stones.

Die Musik liegt ständig im Sterben, und das seit jeher. Sie ist wie eine alterslose Diva auf permanenter Abschiedstournee, die noch ein allerletztes Konzert gibt. Sie ist schwer zu benennen, weil sie im Grund nie wirklich existiert hat - also nicht in dem Sinn, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt oder an einem bestimmten Ort entstanden ist. Sie hat keine Genealogie, keine ethnische Herkunft: Die führenden Komponisten der Gegenwart kommen aus China, Estland, Argentinien oder Queens. Die Musik ist einfach das, was Komponisten erschaffen - eine lange Reihe niedergeschriebener Werke, an die sich verschiedene Aufführungstraditionen geheftet haben. Sie umfasst das Hohe, das Niedrige, Oberschicht, Untergrund, Tanz, Gebet, Stille, Lärm.

* * *

Bis ich zwanzig wurde, habe ich ausschließlich klassische Musik gehört. Im Rückblick betrachtet, wirkt das etwas seltsam, aber damals kam es mir völlig normal vor. In gewisser Hinsicht bin ich nicht in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen, sondern in den Dreißiger und Vierzigern, den Jugendjahren meiner Eltern. Weder meine Mutter noch mein Vater haben eine Musikausbildung genossen - beide wurden Mineralogen -, aber sie waren begeisterte Konzertgänger und Plattensammler. Sie wuchsen im «Goldenen Zeitalter» des amerikanischen Mittelstands auf, als die Musik in der Gesellschaft noch einen anderen Platz einnahm als heute. In diesen Jahren, die einem heute wie eine Traumwelt vorkommen, saß man zu Millionen vor den Radios und hörte zu, wie Toscanini das NBC Symphony Orchestra dirigierte. Walter Damrosch erklärte Schulkindern die Klassiker und erfand Liedchen, mit denen sie sich das Behandelte besser merken konnten. (Meine Mutter erinnert sich noch an eines: «This is / The sym-pho-nee / That Schubert wrote but never / Fi-nished (...)» - Das ist / Die Sin-fo-nie / Die Schubert schrieb, aber nie / vollen-dete.) Die NBC übertrug an einem Nachmittag ein College-Football-Spiel, am nächsten dann ein Konzert von Lotte Lehmann. Bei mir daheim kamen erst das Boston Symphony Orchestra und dann Football. Für mich klaffte dazwischen keine Lücke.

Schon früh stürzte ich mich auf die Plattensammlung meiner Eltern, gut bestückt mit Werken des Goldenen Zeitalters: Serge Koussevitzkys Sibelius, Charles Munchs Berlioz, das Thibaud-Casals-Cortot-Trio, das Budapest String Quartet. Wie die Platten aussahen und sich anfühlten, war untrennbar mit ihrem Klang verbunden. Es gab Otto Klemperers majestätische, in Zeitlupe vorgetragene Matthäus-Passion mit der schockierenden Illustration des Meisters von Delft. Toscaninis energische Interpretationen von Beethoven und Brahms waren von Robert Hupkas Fotos geziert, die den Maestro in Aktion zeigten, im Gesicht das gesamte Gefühlsspektrum von der Ekstase bis hin zum Ekel. Mozarts Divertimento in Es-Dur schmückte das berühmte Porträt, auf dem der Komponist nachdenklich den Blick senkt, wie ein General, der eine aussichtslose Schlacht vor sich hat. Während ich zuhörte, las ich die Begleittexte, die meist im leicht überkandidelten und deshalb fast schon platten Stil gehalten waren, wie er um die Mitte des 20. Jahrhunderts in den Medien vorherrschte. Über Tschaikowsky hieß es etwa, er zeige eine «Melancholie, die manchmal abyssale Tiefen erreicht». Nichts davon ergab Sinn für mich: So etwas wie Melancholie war mir unbekannt, von abyssalen Tiefen ganz zu schweigen. Wichtig war nur das abrupte Aufwallen des Gedankens, das meiner Reaktion auf die Musik entsprach.

Das erste Werk, das ich fast bis zum Wahnsinn verehrte, war Beethovens Eroica-Sinfonie. Bei einem Garagenflohmarkt fand meine Mutter eine Platte von Leonard Bernstein und dem New York Philharmonic Orchestra - aus der Reihe der Music-Appreciation Records des Book-of-the-Month-Clubs. Eine Begleitplatte enthielt Bernsteins Analyse der Sinfonie, eine Art Reiseführer zu ihrer fünfundvierzigminütigen Ausdehnung. Jetzt kannte ich die Bezeichnungen für die Konturen, die ich da wahrnahm. Bernstein bespricht etwas, das nach etwa zehn Sekunden passiert: Dem fanfarenähnlichen Hauptthema in Es-Dur wird von der Note Cis aufgelauert. «Hier gab es einen Stoß zudringlicher Andersartigkeit»,...

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Autor

Alex Ross, geboren 1968, ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. Davor schrieb er vier Jahre lang für die New York Times. Ross wurde ein Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters verliehen, der Belmont Prize, ein Guggenheim Fellowship und ein MacArthur Fellowship. Er war 2002 Fellow der American Academy in Berlin.