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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Westend Verlag GmbHerschienen am21.09.20201. Auflage
1990 gilt als das wichtigste Jahr der Nachkriegsgeschichte. Alles scheint gesagt. Die Tabus überdauern. Die renommierte Essayistin und Mitbegründerin des 'Demokratischen Aufbruchs' in der DDR Daniela Dahn und der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nehmen sie ins Visier mit einem Blick auf bislang unterschätzte Zusammenhänge. Daniela Dahn untersucht, wie in atemberaubend kurzer Zeit die öffentliche Meinung mit großem Tamtam in eine Richtung gewendet wurde, die den Interessen des Westens entsprach. Mit ihrer stringenten Zusammenschau reichen Materials aus den Medien wird das offizielle Narrativ über die Wende erschüttert. Rainer Mausfelds Analyse zeigt die Realität hinter der Rhetorik in einer kapitalistischen Demokratie. Die gemeinschaftlichen Analysen werden in einem grundlegenden Gespräch vertieft und liefern einen schonungslosen Befund des gegenwärtigen Zustands der Demokratie.

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig. Sie war Gründungsmitglied des "Demokratischen Aufbruchs" und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien. Daniela Dahn arbeitet als freie Schriftstellerin und Publizistin und ist Trägerin unter anderem des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

Klappentext1990 gilt als das wichtigste Jahr der Nachkriegsgeschichte. Alles scheint gesagt. Die Tabus überdauern. Die renommierte Essayistin und Mitbegründerin des 'Demokratischen Aufbruchs' in der DDR Daniela Dahn und der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nehmen sie ins Visier mit einem Blick auf bislang unterschätzte Zusammenhänge. Daniela Dahn untersucht, wie in atemberaubend kurzer Zeit die öffentliche Meinung mit großem Tamtam in eine Richtung gewendet wurde, die den Interessen des Westens entsprach. Mit ihrer stringenten Zusammenschau reichen Materials aus den Medien wird das offizielle Narrativ über die Wende erschüttert. Rainer Mausfelds Analyse zeigt die Realität hinter der Rhetorik in einer kapitalistischen Demokratie. Die gemeinschaftlichen Analysen werden in einem grundlegenden Gespräch vertieft und liefern einen schonungslosen Befund des gegenwärtigen Zustands der Demokratie.

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig. Sie war Gründungsmitglied des "Demokratischen Aufbruchs" und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien. Daniela Dahn arbeitet als freie Schriftstellerin und Publizistin und ist Trägerin unter anderem des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783864897221
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum21.09.2020
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5361725
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Dreißig Jahre deutsche Vereinigung - es ist vermeintlich alles gesagt. Denn das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden (Kierkegaard). Staatlich üppig finanzierte Forschungsstellen haben zu allen erwünschten Themen erwartbare Studien geliefert, Fernsehsender haben sich daran orientiert, Schulbücher wurden umgeschrieben, Lehrstühle an Universitäten gewendet, Bücher in Bibliotheken ausgetauscht, die zeitgenössischen Museen erneuert, Straßen umbenannt. Nicht wenige Verlage, Redaktionen, Autoren und Filmemacher haben dem verordneten, konservativen Geschichtsbild widersprochen oder es zumindest differenziert. Weltweit hat es viele Tausend Veröffentlichungen gegeben.

Dreißig Jahre gelten unter Historikern als der minimale Abstand dafür, eine Zeit der Geschichtsschreibung zu übergeben. Und die verdient ihren Namen nur, wenn darin auch Schuld oder zumindest Verantwortlichkeit nicht verschwiegen werden. Betrachtungen zur Deutschen Einheit räumen zunehmend ein, dass auf ihrem Weg Fehler gemacht wurden, auch gravierende. Doch dieses Eingeständnis wird meist reflexartig mit der Behauptung relativiert, angesichts von Maueröffnung, massenhafter Abwanderung, wirtschaftlichem Niedergang und dem Wunsch nach der D-Mark habe es keine Alternativen gegeben. Dem ist entgegenzuhalten: Wer Alternativen nie auch nur versucht hat, kann nachträglich schlecht glaubhaft machen, es hätte keine gegeben.

Zumal zu einer der interessantesten Fragen bis heute keine eigene Untersuchung bekannt ist. Wie war es möglich, das in vierzig Jahren gewachsene Selbstbewusstsein einer Bevölkerung in einem Vierteljahr auf den Kopf zu stellen? Im November 1989 sprachen sich 86 Prozent der DDR-Bürger für den »Weg eines besseren, reformierten Sozialismus« aus, nur fünf Prozent für einen »kapitalistischen Weg« (erhoben von den Leipziger Instituten für Jugend- und Marktforschung). Diese bemerkenswerte Einmütigkeit wurde von einer Ende Dezember 1989 veröffentlichten Spiegel-Umfrage bestätigt, in der trotz Maueröffnung immer noch knapp drei Viertel der Ostdeutschen wünschten, dass die DDR ein selbständiger souveräner Staat bleiben sollte.

Bei der Volkskammerwahl im März 1990 wählten ebenso viele den Weg einer Einheit im Kapitalismus. Zu diesem Phänomen ist nicht alles gesagt. Es ist sogar fast gar nichts dazu gesagt. Ahnt man, warum? Wer ein Tabu übertritt, wird selbst tabu. Denn das Übertreten ist ansteckend. Der- oder diejenige muss gemieden werden, wird zur sozialen Gefahr.

Nun sind Umfragen und Wahlen bekanntlich keine in Stein gemeißelten Überzeugungen, sondern Momentaufnahmen von im Wind schwankenden Stimmungen. Aber welche Winde waren es, die in so atemberaubend kurzer Zeit Stimmungen derart kippen ließen? Welche Tatsachen, welche Behauptungen, welche Propaganda, welche taktischen Winkelzüge der zu Wählenden haben die Wähler derart aufgeklärt oder manipuliert?

Wenn hier von Alternativen die Rede sein wird, so geht es nicht darum, nachträglich noch mal die Deutsche Einheit in Frage zu stellen. Die Nachkriegsgeschichte, in der die Teilung ihren Platz hatte, lief ab. Geblieben ist eine vom Zeitgeist ungeliebte Frage: Gab es (ohne die hier dokumentierten, massiven medialen Mittel von Halb- und Desinformation, von richtigen Enthüllungen und falschen Versprechen, von Angstkampagnen und Zermürbungsstrategien) nicht einen bedachteren Weg zu einer Einheit, die insbesondere im Osten nicht derart katastrophalen wirtschaftlichen und mentalen Schaden angerichtet hätte?

Erstmalig waren revolutionäre Aktionen, die die Massen ergriffen hatten, im Herbst 1989 weitgehend live im Fernsehen zu verfolgen. Die Wende schlüpfte auch in die Kinderschuhe der digitalen Revolution. Zahlen zur Sehbeteiligung, die das DDR-Fernsehen immer erhoben hatte, wurden nun, da sie so erfreulich waren, veröffentlicht. Zu den Spitzenreitern gehörten plötzlich die Nachrichtensendung »Aktuelle Kamera« und Live-Übertragungen von politischen Ereignissen. Die Massenkundgebung vor dem ZK-Gebäude wurde von 54 Prozent der Gesamtzuschauer gesehen, die Kundgebung am 4. November mit 44 Prozent und die Talk-Show »Warum wollt ihr weg?« mit 43 Prozent. Die sonst nicht unbeliebte Sendung »Schöne Melodien gefragt« kam auf 1,6 Prozent.

Da die meisten Menschen sich ihr Weltbild über das Fernsehen formen, wäre vorrangig die Berichterstattung dieser Monate in den Ost- und West-Sendern zu untersuchen. Aber dazu bedürfte es wohl mehrerer Dissertationen und Zuarbeiten von ganzen Jahrgängen von Journalistik-Studenten. In den Mediatheken sind vorerst nur ausgewählte Dossiers zu finden. Schwierig genug, sich während des Corona-Lockdowns von Bibliotheks-Lesesälen einen groben Überblick über die Printmedien von damals zu verschaffen. Längst nicht alles ist schon digitalisiert, auch nicht die Bild-Zeitung, der als auflagenstärkste dennoch einige Aufmerksamkeit zukommen muss. Insgesamt kann hier nur mit wenigen Spots angedeutet werden, was durch künftige Forschung zu vertiefen wäre.

Erinnern wir uns zuvor an dieses Jahr 1989. Anfang Januar löst US-Präsident George Bush sen. seinen Vorgänger Ronald Reagan ab und verspricht, den Kurs der »neuen Nähe« gegenüber der Sowjetunion fortzusetzen. Ende Januar gewinnen SPD und Grüne die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus, Walter Momper wird Regierender Bürgermeister. In der Sowjetunion ist die Perestroika in vollem Gange. Im Februar werden die letzten Soldaten aus Afghanistan abgezogen - neun Jahre nach dem Einmarsch. Beide Länder sind erheblich geschwächt. 1,2 Millionen Afghanen und 15.000 Rotarmisten haben ihr Leben verloren. Dennoch kann sich die linke Regierung von Mohammed NadschibullÄh militärisch und politisch halten. In Warschau beginnen im Februar Gespräche am Runden Tisch.

In der DDR finden im Mai Kommunalwahlen statt, wie immer nach der Einheitsliste der Nationalen Front. Schon bei der Vorstellung der Kandidaten vor den Wahlen gibt es Unmutsäußerungen, da man bei den letzten Wahlen zum Volksdeputiertenkongress in der Sowjetunion bereits zwischen verschiedenen Kandidaten wählen konnte. Kirchliche und oppositionelle Gruppen machen von ihrem Recht Gebrauch, die Auszählung der Stimmen zu beobachten. Dabei stellen sie in einzelnen Wahlkreisen Fälschungen fest. Das Vertrauen in die Regierung schwindet weiter, die Zahl der Ausreiseanträge steigt. Erich Honecker erkrankt an Krebs. In der DDR-Führung ist ein solcher Fall nicht vorgesehen, sie verfällt in den Sommer der Agonie.
Volkslektüre - eine Presseschau

»Welch ein Tag für Deutschland«, jubelt Bild am 2. Oktober auf dem Titel, mit Fotos von ausgereisten Besetzern der Prager Botschaft. »Menschen durften raus aus dem Schlamm, der Angst und einem geistigen Gefängnis, in dem sie zu ersticken drohten.« Zitiert wird ein Kfz-Elektriker aus dem Bezirk Halle: »Ich glaube, ich bin im Himmel. Endlich frei für immer.« Ein Ingenieur aus einer Brikettfabrik sagt es weniger pathetisch: »Wir haben eigentlich nicht schlecht gelebt. Es waren die vielen kleinen Dinge. Da willst du deinem Kind mal eine Banane oder Apfelsine mit in die Schule geben, aber die gibt es nur zweimal im Jahr. Richtige Butter gibt es im Delikat-Laden, aber da kostet sie sechs Mark.« Es sei ein Krisenmanagement zwischen New York und Oggersheim gewesen, die Ausreiseaktion sei in allen Einzelheiten von Kohl mitgesteuert worden. Bild macht selten ein Geheimnis daraus, wer ins rechte Licht gerückt und wer links liegen gelassen wird.

Frei für immer - wer wollte das nicht? Wie umkämpft der Weg dahin von Anfang an war, wie verschieden die Interessen und wie heillos verstrickt darin die Medien, dazu zunächst eine weitere Einstimmung.

Ab dem 4. Oktober, also lange vor dem Mauerfall, bietet Bild zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit täglich in einer ganzseitigen Anzeige »Arbeitsplätze für Flüchtlinge« an. Gesucht werden Raumpflegerinnen, Tischler, Schumacher, Omnibusführer, Krankenschwestern, Bäcker, Köchinnen, Autolackierer, Fliesenleger, landwirtschaftliche Helfer (der einstige Begriff Knecht wird vermieden). Die künftige Arbeitsteilung zeichnet sich ab, es ist keine einzige hochqualifizierte Arbeit dabei. Die vielen Ärzte, die die DDR verlassen, sind auf solche Anzeigen nicht angewiesen.

Am 7. Oktober, dem vierzigsten Jahrestag der DDR, fragt Bild: »Stammen wir alle von einem behinderten Affen ab?« Neue Erkenntnisse französischer Forscher legen dies nahe. Aber die Lektüre dieser Zeitung genügt schon als Beleg. Sie berichtet genüsslich, womit der Westen Übersiedler aus der DDR herüberlockt. Während überall auf der Welt Geflüchtete ein schweres Los haben, werden die aus der DDR kommenden gegenüber den Einheimischen privilegiert - das schaffen wir, wird der Eindruck vermittelt. Verteidigungsminister Stoltenberg verspricht, dass geflüchtete junge Männer zwei Jahre lang nicht zum Bund müssen, der Verband der Haus- und Grundeigentümer bietet Hilfe bei...
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