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Zeitreise

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am31.05.20211. Auflage
Berühmte Recherchen, die RAF und Zeitgeschichte aus der ersten Reihe - der große Journalist erzählt Berühmte Recherchen, die RAF und Zeitgeschichte aus der ersten Reihe - der große Journalist erzählt »Es wurde mir von Tag zu Tag deutlicher bewusst, welches Privileg es war, als ?so eine Art Journalist?, wie ich immer gern gesagt hatte, am Straßenrand der Geschichte zu stehen.« Wenige Menschen waren bei den großen zeitgeschichtlichen Ereig­nissen der letzten Jahrzehnte so oft mittendrin wie Stefan Aust. Seine Autobiografie ist auch ein Rückblick auf seine journalistische Arbeit, hier folgt man nicht nur den Stationen eines ereignisreichen Lebens, sondern erhält auch tiefere Einblicke in seine Recherchen. So entsteht ein Panorama bundesdeutscher und internationaler Politik; es ist zugleich Zeitzeugnis, Hintergrundbericht und die Abenteuergeschichte eines hoch spannenden Lebens. »Ich hatte durchaus meine Positionen zu bestimmten Dingen und Ereignissen, aber ich habe mich nie mit einer Sache, auch wenn ich sie für richtig hielt, gemein gemacht. Ich war bei vielen Demonstrationen dabei, habe aber meistens ganz buchstäblich am Straßenrand gestanden, weil ich als junger Journalist - ich war ja gerade Anfang 20 - Abstand zu den politischen Aktivisten der damaligen Zeit halten wollte. Manche Meinungen, wie etwa die Kritik am Vietnamkrieg, habe ich geteilt - ohne aber mit ?Ho-Ho-Ho-Chi-Minh? auf den Lippen für den Sieg der nordvietnamesischen Kommunisten und ihres Vietcong Partei zu ergreifen. Und doch steckte man mittendrin, in den Ereignissen der Zeit. Ich war skeptisch. Das war meine Grundhaltung. Skeptisch gegenüber den Regierenden, aber auch skeptisch gegenüber deren Gegnern.«

Stefan Aust, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er begann bei der Zeitschrift konkret und arbeitete dann viele Jahre bei Panorama, wo sein Bericht über ein verschwiegenes Todesurteil, das der Marinerichter Filbinger im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte, zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident führte. Er gründete Spiegel TV und war 12 Jahre lang Chefredakteur des Spiegel, später Mitinhaber des Fernsehsenders N24 und Herausgeber der Welt. Er ist Autor zahlreicher Dokumentationen und Bu?cher. Sein Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, erstmals 1985 erschienen, gilt als »Klassiker« (Frankfurter Allgemeine Zeitung).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextBerühmte Recherchen, die RAF und Zeitgeschichte aus der ersten Reihe - der große Journalist erzählt Berühmte Recherchen, die RAF und Zeitgeschichte aus der ersten Reihe - der große Journalist erzählt »Es wurde mir von Tag zu Tag deutlicher bewusst, welches Privileg es war, als ?so eine Art Journalist?, wie ich immer gern gesagt hatte, am Straßenrand der Geschichte zu stehen.« Wenige Menschen waren bei den großen zeitgeschichtlichen Ereig­nissen der letzten Jahrzehnte so oft mittendrin wie Stefan Aust. Seine Autobiografie ist auch ein Rückblick auf seine journalistische Arbeit, hier folgt man nicht nur den Stationen eines ereignisreichen Lebens, sondern erhält auch tiefere Einblicke in seine Recherchen. So entsteht ein Panorama bundesdeutscher und internationaler Politik; es ist zugleich Zeitzeugnis, Hintergrundbericht und die Abenteuergeschichte eines hoch spannenden Lebens. »Ich hatte durchaus meine Positionen zu bestimmten Dingen und Ereignissen, aber ich habe mich nie mit einer Sache, auch wenn ich sie für richtig hielt, gemein gemacht. Ich war bei vielen Demonstrationen dabei, habe aber meistens ganz buchstäblich am Straßenrand gestanden, weil ich als junger Journalist - ich war ja gerade Anfang 20 - Abstand zu den politischen Aktivisten der damaligen Zeit halten wollte. Manche Meinungen, wie etwa die Kritik am Vietnamkrieg, habe ich geteilt - ohne aber mit ?Ho-Ho-Ho-Chi-Minh? auf den Lippen für den Sieg der nordvietnamesischen Kommunisten und ihres Vietcong Partei zu ergreifen. Und doch steckte man mittendrin, in den Ereignissen der Zeit. Ich war skeptisch. Das war meine Grundhaltung. Skeptisch gegenüber den Regierenden, aber auch skeptisch gegenüber deren Gegnern.«

Stefan Aust, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er begann bei der Zeitschrift konkret und arbeitete dann viele Jahre bei Panorama, wo sein Bericht über ein verschwiegenes Todesurteil, das der Marinerichter Filbinger im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte, zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident führte. Er gründete Spiegel TV und war 12 Jahre lang Chefredakteur des Spiegel, später Mitinhaber des Fernsehsenders N24 und Herausgeber der Welt. Er ist Autor zahlreicher Dokumentationen und Bu?cher. Sein Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, erstmals 1985 erschienen, gilt als »Klassiker« (Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492999045
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum31.05.2021
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse23816 Kbytes
Artikel-Nr.5413454
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Schock des 2. Juni

In diesem Frühling 1967 erwartete die Bundesrepublik Deutschland den Besuch des Schahs von Persien Reza Pahlavi und seiner Frau, der Schahbanu. Die Regenbogenpresse schwelgte in märchenhaften Geschichten über den Glanz des Pfauenthrons. Kaiserin Farah Diba schilderte in einem »persönlichen« Beitrag für die Illustrierte Neue Revue ihr Familienleben. In Berlin bereiteten sich die Studenten auf Demonstrationen gegen den iranischen Potentaten vor.

Ulrike Meinhof schrieb in konkret einen »Offenen Brief an Farah Diba«:

»Sie erzählen da: Der Sommer ist im Iran sehr heiß, und wie die meisten Perser reiste ich auch mit meiner Familie an die Persische Riviera am Kaspischen Meer. Wie die meisten Perser - ist das nicht übertrieben? Die meisten Perser sind Bauern mit einem Jahreseinkommen von weniger als 100 Dollar. Und den meisten persischen Frauen stirbt jedes zweite Kind - 50 von 100 - vor Hunger, Armut und Krankheit. Und auch die Kinder, die im 14stündigen Tagwerk Teppiche knüpfen, fahren auch - die meisten? - im Sommer an die Persische Riviera am Kaspischen Meer? Sie schreiben: In diesem Punkt ist das iranische Grundgesetz sehr strikt. Der Schah von Persien muß einen Sohn haben. Merkwürdig, daß dem Schah ansonsten die Verfassung so gleichgültig ist, daß keine unzensierte Zeile in Persien veröffentlicht werden darf, daß nicht mehr als drei Studenten auf dem Universitätsgelände von Teheran zusammenstehen dürfen, daß Mossadeghs Justizminister die Augen ausgerissen wurden, daß Gerichtsprozesse unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, daß die Folter zum Alltag der persischen Justiz gehört ... Wir wollen Sie nicht beleidigen: Wir wünschen aber auch nicht, daß die deutsche Öffentlichkeit durch Beiträge wie den Ihren in der Neuen Revue beleidigt wird.

Hochachtungsvoll Ulrike Meinhof«

konkret-Herausgeber Röhl beauftragte mich, den Kommentar als Flugblatt drucken zu lassen, sodass er bei der anstehenden Demonstration verteilt werden konnte. Eine Lesung aus diesem Flugblatt, vorgenommen von Ulrike Meinhof selbst bei einer Party auf Sylt, gehörte gut 40 Jahre später zu den Einstiegsszenen des Filmes Der Baader Meinhof Komplex, den Bernd Eichinger und Uli Edel aus meinem gleichnamigen Buch machten.

Die durch ihre Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg erprobten Studenten wollten dem Schah von Persien einen möglichst unfreundlichen Empfang bereiten. Am 2. Juni flog Reza Pahlavi nach Berlin. Anhänger des Schahs durften ihren Kaiser mit Jubel und Fahnen auf dem Flughafen begrüßen. Am Abend rollte das Kaiserpaar im Mercedes 600 am Eingang der Deutschen Oper neben der abstrakten Skulptur, in Berlin der »Schaschlikspieß« genannt, an. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, kaum 30 Meter von den Staatsgästen entfernt, hatten sich die ersten Demonstranten versammelt. Sie riefen: »Schah, Schah, Scharlatan« und »Mörder, Mörder«. Dann flogen Tomaten, Farbeier und Mehltüten auf die Straße, verfehlten aber das kaiserliche Ziel. Auch einzelne Steine wurden geworfen, doch auch sie trafen niemanden. Schah und Schahbanu konnten unversehrt das Opernhaus betreten.

Als die Zielscheibe des Protestes wohlbehalten in der Oper gelandet war, kühlte sich die Atmosphäre langsam ab. Die Demonstranten begannen sich auf die umliegenden Kneipen zu verteilen, um sich gegen 22 Uhr, nach dem Ende der »Zauberflöte«, zu einer erneuten Demonstration zu versammeln. Die Polizei verfolgte die abrückenden Demonstranten und knüppelte auf sie ein. In der Dunkelheit war kaum noch auszumachen, wer Polizist, wer Zivilbeamter und wer Agent des persischen Geheimdienstes Savak war. Einer der Nichtuniformierten war der 39 Jahre alte Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras aus der Abteilung 1, Politische Polizei, der zusammen mit seinen Kollegen einen Greiftrupp bildete. Gegen 20.30 Uhr hielten sich die Beamten in der Nähe des Grundstücks Krumme Straße 66/67 auf. Auf der einen Seite stand eine Kette von Polizisten, ihnen gegenüber ein letzter Pulk von Demonstranten. Sie riefen »Mörder« und »Notstandsübung«. Steine flogen in Richtung der Polizisten. Einer der Beamten meinte, einen Rädelsführer zu sehen: Er trug einen Schnurrbart, ein rotes Hemd und Sandalen ohne Socken. Der Kriminalbeamte stürzte auf ihn zu. Karl-Heinz Kurras folgte seinem Kollegen. Sie stellten den Verdächtigen und rissen ihn zu Boden. Uniformierte Beamte kamen ihnen zur Hilfe. Demonstranten liefen dazu, umringten die Polizisten, es kam zum Handgemenge. Der niedergeworfene Student riss sich los, versuchte zu entkommen. Schutzpolizisten setzten nach, erreichten ihn, traktierten ihn mit Schlägen. Regungslos hing der Student in ihren Armen, sackte langsam zu Boden.

In diesem Augenblick war auch Karl-Heinz Kurras zur Stelle, in der Hand seine entsicherte Pistole vom Kaliber 7,65 Millimeter. Die Mündung war kaum einen halben Meter vom Kopf des Demonstranten entfernt, so jedenfalls erschien es Augenzeugen. Plötzlich löste sich ein Schuss. Die Kugel traf über dem rechten Ohr, drang in das Gehirn und zertrümmerte die Schädeldecke. Einer der Polizeibeamten hörte den Knall, drehte sich um und sah Kurras mit der Waffe in der Hand. »Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen?«, schrie er. Kurras antwortete: »Die ist mir losgegangen.«

Die Schlacht vor der Deutschen Oper wurde für unseren Film Der Baader Meinhof Komplex 2007 fast bildgenau nachgespielt. Dabei kam sogar der originale Wasserwerfer vom 2. Juni zum Einsatz, gesteuert von demselben Mann, der ihn auch 1962 gelenkt hatte.

Der Demonstrant wurde in das städtische Krankenhaus Moabit gebracht, die Wunde zugenäht und als Todesursache zunächst Schädelbruch diagnostiziert. Rechtsanwalt Horst Mahler übernahm noch in der Nacht die Vertretung der Witwe des toten Studenten. Am Morgen war er bei der Obduktion dabei: »Ich hab halt die Kugel in die Schale klicken hören, die da unter seiner Kopfschwarte stecken geblieben war. Also, es war klar: Das war ein Schuss.«

Der Name des Toten war Benno Ohnesorg, 26 Jahre alt, Student der Romanistik, ein Pazifist und aktives Mitglied der evangelischen Studentengemeinde. Er hatte das erste Mal in seinem Leben an einer Demonstration teilgenommen. Der 2. Juni 1967 wurde zum historischen Datum, zum Wendepunkt im Denken und Fühlen vieler.

Geschlagen, verzweifelt und voller Hass trafen sich viele der Demonstranten noch in der Nacht im Berliner SDS-Zentrum am Kurfürstendamm. Erregt wurde hin und her diskutiert, wie man auf den Tod Benno Ohnesorgs reagieren könnte. Eine junge Frau, schlank, mit langen blonden Haaren, weinte hemmungslos und schrie: »Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz - mit denen kann man nicht argumentieren!« Es war Gudrun Ensslin, und neben ihr stand Bommi Baumann, später ein Mitglied der Terroristengruppe »Bewegung 2. Juni«. Er hörte damals auch, wie sie sagte: »Diesmal trifft´s uns, darum müssen wir uns bewaffnen.« Jahre später schilderte er mir seine Erinnerungen in einem Interview.

Es war ein langer Weg der Tochter eines evangelischen Pfarrers aus der Ortschaft Bartholomä am Rande der Schwäbischen Alb. Gudrun Ensslin hatte kurz vor Beginn der Studentenbewegung das Pfarrhaus verlassen. Sie war eingetaucht in das Leben der revoltierenden Studenten - nicht anders als viele, für die die antiautoritäre Bewegung der Sechzigerjahre gleichbedeutend war mit Befreiung - politischer und persönlicher.

Niemand kam damals auf den Gedanken, dass der West-Berliner Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras Agent des Ministeriums für Staatssicherheit in Ost-Berlin und dazu auch noch Mitglied der SED sein könnte. Das kam erst im Mai 2009, 42 Jahre nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg, eher zufällig heraus. Weder bei den Ermittlungen zum Tod Benno Ohnesorgs noch bei den zwei Gerichtsverfahren gegen Kurras kam jemals der Verdacht auf, der Polizeibeamte könnte für den Osten gearbeitet haben. Kurras wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, eine Anklage wegen Mordes oder Totschlags nicht zugelassen. Auch bei einem zweiten Prozess konnten die Richter keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung Benno Ohnesorgs feststellen. Kurras wurde erneut freigesprochen.

Wenn damals klar gewesen wäre, dass Kurras als Agent für den Osten arbeitete, wäre der Prozess wahrscheinlich anders verlaufen. Vielleicht hätte sich die Geschichte der Studentenbewegung auch anders entwickelt, vielleicht wären manche den Weg vom Protest zum Widerstand, von der Gewalt auf der Straße zum Terrorismus nicht mitgegangen.

Die Militanz der studentischen Protestbewegung, die später in Gewalt und Terror umschlug, nahm an diesem Tag ihren Ausgang. Am Tage nach dem Tod Benno Ohnesorgs war Gudrun Ensslin dabei, als eine Gruppe von acht Studenten und Studentinnen auf dem Kurfürstendamm eine Protestaktion unternahm, obwohl ein generelles Demonstrationsverbot verhängt war. Peter Homann, der in Hamburg Kunst studierte und 1962 nach Berlin gezogen war, hatte eine Idee, wie das Verbot, Transparente zu zeigen, unterlaufen werden konnte. Er malte Großbuchstaben auf weiße T-Shirts. Jeder trug auf seinem Hemd einen Buchstaben. Nebeneinanderstehend ergab dies den Namen des Regierenden Bürgermeisters: A - L - B - E - R - T - Z, dazu ein Ausrufezeichen. Auf ein Signal hin drehten sich einige um die...
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