Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Geteilte Träume

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
447 Seiten
Deutsch
Bastei Entertainmenterschienen am26.02.20211. Aufl. 2021
Eine junge Frau zwischen zwei Familien, zwischen Ost und West - ein großer DDR-Familienroman um das Glück im Kleinen und Existenzkämpfe im Großen




Berlin, 1992: Erst als junge Frau erfährt Ingke, dass sie als Säugling zu DDR-Zeiten adoptiert wurde. Wer sind ihre wahren Eltern? Warum haben sie sie einst weggegeben? Und was bedeutet das für ihr Leben heute? Sie macht sich auf die Suche und stößt auf die Geschichte ihrer Herkunftsfamilie, die nach einem gescheiterten Fluchtversuch ihre Tochter verlor. Auf einmal hat die junge Frau zwei Familien, die um sie ringen: Ihre leibliche Mutter, die irgendwann von der BRD freigekauft wurde und bisher nichts über Ingkes Verbleib weiß. Und ihre vermeintlichen Eltern, bei denen sie behütet und geliebt aufgewachsen ist. Doch muss sie sich tatsächlich entscheiden?




Ulla Mothes wirft in ihrem Debütroman einen intimen Blick auf die unterschiedlichen Facetten des Lebens in der DDR - respektvoll und authentisch.



Ulla Mothes, geb. 1964, wuchs in der Mark Brandenburg und in Ostberlin auf. Als Studentin stellte sie einen Ausreiseantrag, weil sie nicht wollte, dass ihre Kinder mit einem Maulkorb aufwachsen müssen. Es folgten Exmatrikulation, Arbeit als Garderobenfrau, Ausreise 1986. Heute lebt sie als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin. Ihre zwei erwachsenen Kinder dürfen noch immer sagen, was sie wollen.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine junge Frau zwischen zwei Familien, zwischen Ost und West - ein großer DDR-Familienroman um das Glück im Kleinen und Existenzkämpfe im Großen




Berlin, 1992: Erst als junge Frau erfährt Ingke, dass sie als Säugling zu DDR-Zeiten adoptiert wurde. Wer sind ihre wahren Eltern? Warum haben sie sie einst weggegeben? Und was bedeutet das für ihr Leben heute? Sie macht sich auf die Suche und stößt auf die Geschichte ihrer Herkunftsfamilie, die nach einem gescheiterten Fluchtversuch ihre Tochter verlor. Auf einmal hat die junge Frau zwei Familien, die um sie ringen: Ihre leibliche Mutter, die irgendwann von der BRD freigekauft wurde und bisher nichts über Ingkes Verbleib weiß. Und ihre vermeintlichen Eltern, bei denen sie behütet und geliebt aufgewachsen ist. Doch muss sie sich tatsächlich entscheiden?




Ulla Mothes wirft in ihrem Debütroman einen intimen Blick auf die unterschiedlichen Facetten des Lebens in der DDR - respektvoll und authentisch.



Ulla Mothes, geb. 1964, wuchs in der Mark Brandenburg und in Ostberlin auf. Als Studentin stellte sie einen Ausreiseantrag, weil sie nicht wollte, dass ihre Kinder mit einem Maulkorb aufwachsen müssen. Es folgten Exmatrikulation, Arbeit als Garderobenfrau, Ausreise 1986. Heute lebt sie als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin. Ihre zwei erwachsenen Kinder dürfen noch immer sagen, was sie wollen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751703871
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum26.02.2021
Auflage1. Aufl. 2021
Seiten447 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse627 Kbytes
Artikel-Nr.5420567
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Berlin, April 1992

Name: Beerenhain. Ingke stapfte über den Krankenhausflur, und der Name auf dem Formular brannte sich ein in ihren Blick. Das war sie, Ingke Beerenhain. Beerenhain wie der Name des Gutes, von dem ihre Familie stammte. Seit ein paar Minuten wusste sie, dass das Lug und Trug war. Sie war keine Beerenhain, sondern eine Schröder. Ihre schokoladenbraunen Augen schwammen in Tränen, als sie so schnell wie möglich dem Aufzug zustrebte. Glücklicherweise war niemand in der Kabine, als sie einstieg. Sie strich sich die dunklen Locken von den nassen Wangen.

Die ganze Beerenhainfamilie hatte ovale Gesichter, blaue oder zumindest helle Augen und mehr oder weniger sandblondes Haar, eine Farbe wie der karge Boden im nördlichen Brandenburg, woher sie stammte. Nur ihre Mutter Maren, die nicht ihre Mutter war, wie Ingke nun wusste, war brünett. Die Beerenhains waren alle groß und schlank, Maren war zierlich, sie selbst dagegen knuffig. Manchmal fühlte sie sich in diesem Körper deshalb ein wenig fremd. Kämpferisch wischte sie die Tränen weg. Sie hatte jedenfalls viel schönere Hände als alle Beerenhains zusammen: weich und rund, mit ovalen Fingernägeln. Und einen Kirschmund hatte sie auch. Einen so schönen Mund hatte höchstens noch Rosa, Onkel Pauls Tochter, von wem auch immer.

An diesem Vormittag war Ingke mit ihrem Arbeitsbuch fürs Matheabitur in den Krankenhauskomplex in Berlin-Buch gekommen, in dem ihre Eltern arbeiteten. Ihr Vater im Städtischen Klinikum, ihre Mutter in der Robert-Rössle-Klinik, in der sie jetzt auch lag. Maren Beerenhain war an Leukämie erkrankt und brauchte dringend eine Stammzellenspende. Einen Spender zu finden war nicht einfach, aber Familienangehörige kamen infrage. Deshalb hatte sich Ingke gleich nach ihrem achtzehnten Geburtstag testen lassen. Ihre Eltern waren dagegen gewesen. Dieses Verfahren sei noch recht neu, man wisse noch nicht, welche Schädigungen Spender davontrügen, und überhaupt sei das wegen des Abiturs jetzt keine gute Idee, hatten sie behauptet. Aber ihre Mutter hing zwischen Leben und Tod, und es fand sich einfach kein geeigneter Spender. Und da sollte sie gemütlich Abitur machen?

Vor einer Stunde war Ingke im Labortrakt der Robert-Rössle-Klinik eingetroffen. Ein strammer jovialer Mann im Kittel hatte sie begrüßt. »Na, da wollen wir mal sehen. Sie können stolz auf sich sein, dass Sie Ihrer Mutter das Leben retten wollen«, hatte er gesagt und auf den Besucherstuhl gewiesen. Dann zog er ihre Testergebnisse aus einem Umschlag und verglich sie mit denen aus der Patientenakte ihrer Mutter. Er blätterte und zog die Augenbrauen zusammen. Und blätterte und schwieg. Dann atmete er tief ein, entließ die Luft mit flappenden Lippen und sah sie an. »Entschuldigen Sie, dass ich das frage, aber haben Sie nicht mit Ihren Eltern vorher darüber gesprochen? Die sind ja Ärzte hier und wissen, dass so ein Test sehr teuer ist ...«

»Nein«, sagte Ingke und fügte spitz hinzu: »Das musste ich ja wohl auch nicht.«

Er gab ein unwirsches »Ach« von sich. »Schon bei Blutsverwandten ist die Trefferquote sehr klein. Aber in Ihrem Fall ist das wie Lotto.« Er klang vorwurfsvoll, als hätte sie sich hier eingeschmuggelt und ihm umsonst Arbeit gemacht.

»Wie bitte?«, fragte Ingke verwirrt und musste erst einmal einen Augenblick nachdenken. Wieso war das bei ihr »wie Lotto«? Aufgebracht sagte sie: »Seit wann ist eine Mutter nicht blutsverwandt mit ihrer Tochter?« Sie beugte sich vor und tippte mehrmals auf den Nachnamen Beerenhain, bei Maren und sich selbst.

Schweißperlen sammelten sich auf der Stirn des Laborarztes. Er zuckte vor Ingkes Zeigefinger zurück. »Oh. Das hätte ich jetzt nicht ... Ich rufe Dr. Beerenhain an.«

Das musste es sein! Ihr Vater hatte irgendwas manipuliert, damit sie »in Ruhe« ihr Abitur ablegen konnte.

»Ja, machen Sie das«, sagte Ingke patzig. Sie war achtzehn, und ihr Vater hatte ihr nicht zu sagen, ob sie für ihre Mutter Stammzellen spendete oder nicht. Dann lehnte sie sich zurück und sagte nichts mehr.

Zwanzig Minuten später betrat ihr Vater das Zimmer. Er hielt die Thermoskanne mit dem Melissentee aus Beerenhain in der Hand, den er sich jeden Tag zur Arbeit mitnahm.

»Ingke«, sagte er atemlos und winkte den Laborarzt mit den Augen aus dem Raum. Der Mann war ganz offensichtlich froh, dass er wegkam.

Dann setzte Kelle Beerenhain sich seiner Tochter gegenüber, goss den Becher voll und schob ihn ihr hin.

»Du spinnst wohl«, sagte sie. »Woher wusstest du überhaupt, dass ich mich habe testen lassen? Das dürfen die dir doch gar nicht sagen, oder?«

»Das haben sie mir auch nicht gesagt.«

Er sprach leise, klang müde. Dann legte er die linke Hand auf Ingkes Testergebnis, die rechte auf Marens Krankenakte und senkte den Kopf. Ingke starrte ihn an. Sie bemerkte zum ersten Mal, dass sein aschblondes Haar schon fast weiß war. Sie hatte im Vergleich zu ihren Mitschülern alte Eltern. Ihre Mutter war Mitte dreißig gewesen, als sie Ingke bekommen hatte, ihr Vater schon fast vierzig.

Das Schweigen dauerte an, und Ingke begriff, dass ihr Vater seine Finger nicht im Befund gehabt hatte. Das bedeutete, dass der Test entweder falsch war oder ihre Mutter nicht ihre Mutter. Dass der Becher Tee vor ihr stand, sagte ihr wiederum, dass die zweite der beiden Varianten die richtige war. Ihr Vater hatte ihr etwas Ernstes mitzuteilen. Ingke schob den Becher über den Tisch zurück.

Ihr Vater sah auf. Er lächelte dünn und nahm einen Schluck. »Maren ist nicht deine leibliche Mutter. Und ich bin nicht dein leiblicher Vater.«

Ingkes Schultern sackten herab.

»Wir haben dich adoptiert, als du noch ein Baby warst. Maren konnte keine Kinder kriegen. Sie hatte als junges Mädchen mal eine Eierstockentzündung, ihre Eileiter sind verklebt.«

Ingke horchte auf. »Spielt sie deswegen im Winter immer so verrückt, dass ich ja nicht ohne Unterhemd rausgehen soll?«

»Wahrscheinlich«, sagte Kelle.

»Aber warum habt ihr mir das nie gesagt?«, fragte Ingke. Vermutlich hatte ihre Mutter jedes Mal, wenn sie Terz machte, weil Ingke nicht warm genug angezogen war, daran gedacht, dass sie adoptiert war. Und hatte es verschwiegen und verschwiegen und verschwiegen.

»Zuerst warst du zu klein.« Ihr Vater rieb sich über die Stirn und lächelte sie an. »Du warst so ein süßes Baby!«

Ingke schlug ärgerlich mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Entschuldige«, sagte ihr Vater. »Aber das warst du. Wir waren und sind überglücklich, dass wir so eine wunderbare Tochter haben.«

»Und wessen Tochter bin ich wirklich?«

Ihr Vater, der nicht ihr Vater war, nahm einen Schluck Tee. »Geboren hat dich eine Frau namens Petra Schröder. In deiner Abstammungsurkunde ist der Vater als unbekannt verzeichnet. Du warst noch nicht mal ein Jahr alt, als sie mit dir in den Westen flüchten wollte. Sie kam ins Gefängnis und du in ein Heim. Und dann haben wir dich adoptiert. Du bist wirklich und richtig unsere Tochter.«

»Und was ist aus meiner echten Mutter geworden?« Ingke konnte es nicht fassen. Sie war dieser Petra weggenommen worden, einfach so.

Ihr Vater zuckte mit den Schultern.

»Ihr habt nie nachgeforscht?«

»Nein.«

Ein Tonfall voller Unschuld, registrierte Ingke, und ihre Wut loderte empor. »So tiefrot, wie ihr gewesen seid, habt ihr wahrscheinlich auch noch gedacht, es geschieht dieser Asozialen recht, die sich erdreistet hat, aus eurer tollen DDR verschwinden zu wollen.«

Sie musste an die Luft. Kurz schoss ihr durch den Kopf, dass Onkel Paul auch immer »an die frische Luft« musste, wenn er nachdenken oder ein Problem lösen wollte. Paul Beerenhain, nicht mein Onkel, korrigierte sie sich im Stillen. Sie merkte, wie ihr die Tränen kamen.

»Kelle, ich geh jetzt«, blaffte sie und sprach ihren Vater das erste Mal in ihrem Leben mit seinem Rufnamen an. »Ihr habt mich mein ganzes Leben lang hintergangen.« Als sie im Aufspringen eine Handbewegung machte, mit der sie ihm das ganze Gespräch vor die Brust wischen wollte, kippte die Thermoskanne um, und der Beerenhainer Melissentee ergoss sich über Kelles Kittel. Ingke kümmerte sich nicht darum. »Soll Maren doch verrecken.«

Damit war sie hinausgerauscht und hatte die Tür hinter sich zugeworfen. Sie wollte den Schreck spüren, der ihr bei jedem Türenknallen durch Mark und Bein fuhr.

Jetzt, Minuten später, stand Ingke vor der Klinik und wusste nicht, wohin. Bloß weg, war das Einzige, was sie denken konnte, nicht dass der Herr Chirurg Dr. Kelle Beerenhain ihr noch hinterherkam. Sie eilte zu ihrem Fahrrad. In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr Herz stach, und das kam nicht vom Rennen. Als sie ihr Fahrrad aufschloss, fühlte ihr Leib sich leer an, als wäre Ingke Beerenhain nicht mehr da.

»Und sonst gibt es niemanden«, flüsterte sie. Ingke Schröder war ein Phantom, mehr nicht. Ein ausradiertes Kind. Sie musste weg. Zu einer Freundin wollte sie aber nicht. Irgendwie war diese Nachricht zu viel für ihre Freundinnen. Sie hatte schon immer Probleme damit gehabt, sich ihren Schulkameradinnen anzuvertrauen, wenn ihr etwas naheging. Wenn die dann etwas Falsches sagten, fühlte sie sich sofort fremd, und das Ganze endete damit, dass sie sich in ihrem Zimmer gekränkt in die Bettdecke wickelte.

Sie trat so fest in die Pedalen, dass sie nur wenige Minuten bis zu ihrem Einfamilienhaus brauchte. Während sie ihr Rad in der Garage mehr an die Wand schmiss als stellte, fasste sie einen Entschluss. Sie würde ein paar Sachen zusammenpacken und zu...

mehr

Autor

Ulla Mothes, geb. 1964, wuchs in der Mark Brandenburg und in Ostberlin auf. Als Studentin stellte sie einen Ausreiseantrag, weil sie nicht wollte, dass ihre Kinder mit einem Maulkorb aufwachsen müssen. Es folgten Exmatrikulation, Arbeit als Garderobenfrau, Ausreise 1986. Heute lebt sie als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin. Ihre zwei erwachsenen Kinder dürfen noch immer sagen, was sie wollen.
Geteilte Träume

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt