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Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am15.03.20211. Auflage
Eine Liebeserklärung an die wilde Welt des öffentlichen Nahverkehrs
Motorpanne am ersten Tag, Bombendrohungen, spontane Partys in ihrem Doppeldecker. Als Busfahrerin in Berlin hat Susanne Schmidt schon alles erlebt. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt. Man ist frei, immer unterwegs und Königin der ganzen Stadt.
'Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei' ist eine Liebeserklärung an alle Heldinnen und Helden des Nahverkehrs. Wo Wahn und Witz dicht beieinanderliegen, sich das soziale Mikroklima an jeder Haltestelle ändert und manchmal sogar ein Fuchs zusteigt. Nach der Lektüre werden Sie Ihre nächste Busfahrerin mit anderen Augen sehen.
'Die Neugier der Großstadt ist überall zu finden. Die Suche danach beginnt mit dem Warten auf den nächsten Bus.'

Susanne Schmidt wurde 1960 am Rande des Ruhrgebiets geboren und zog 1976 nach Berlin. Seitdem lebt sie in ihrer Wahlheimat. Hier arbeitete sie im Laufe der Jahre als Erzieherin, Drehbuchautorin, Stadtführerin, Pförtnerin und Social-Media-Managerin - und Busfahrerin. Und weil Frauen mittleren Alters die wenigsten Unfälle bauen, saß sie für einige Zeit hinter dem Steuer eines großen Gelben von der BVG. Ihr erstes Buch Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei wurde zum Stadtgespräch und stand auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextEine Liebeserklärung an die wilde Welt des öffentlichen Nahverkehrs
Motorpanne am ersten Tag, Bombendrohungen, spontane Partys in ihrem Doppeldecker. Als Busfahrerin in Berlin hat Susanne Schmidt schon alles erlebt. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt. Man ist frei, immer unterwegs und Königin der ganzen Stadt.
'Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei' ist eine Liebeserklärung an alle Heldinnen und Helden des Nahverkehrs. Wo Wahn und Witz dicht beieinanderliegen, sich das soziale Mikroklima an jeder Haltestelle ändert und manchmal sogar ein Fuchs zusteigt. Nach der Lektüre werden Sie Ihre nächste Busfahrerin mit anderen Augen sehen.
'Die Neugier der Großstadt ist überall zu finden. Die Suche danach beginnt mit dem Warten auf den nächsten Bus.'

Susanne Schmidt wurde 1960 am Rande des Ruhrgebiets geboren und zog 1976 nach Berlin. Seitdem lebt sie in ihrer Wahlheimat. Hier arbeitete sie im Laufe der Jahre als Erzieherin, Drehbuchautorin, Stadtführerin, Pförtnerin und Social-Media-Managerin - und Busfahrerin. Und weil Frauen mittleren Alters die wenigsten Unfälle bauen, saß sie für einige Zeit hinter dem Steuer eines großen Gelben von der BVG. Ihr erstes Buch Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei wurde zum Stadtgespräch und stand auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446270244
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum15.03.2021
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5422782
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2. Haltestelle


»Mädels, wir machen Männer aus euch!«


Am frühen Morgen des ersten Arbeitstages stehe ich erst lange vor dem Spiegel, dann noch länger vor der Wohnungstür. Die Wirkung meiner Arbeitskleidung ist verblüffend. Bisher war das Abenteuer BVG mein ganz privates Zukunftsprojekt. Aber nun kann alle Welt sehen, was ich werden will, mit dem Anziehen der grauen Hose, des weißen Hemds, der dunkelblauen Jacke verschwindet mein Individualismus, mein Ich-Sein. Ich muss mich meinen Mitmenschen offenbaren, es gibt jetzt nur alles zeigen oder nichts werden.

Ganz leise öffne ich die Wohnungstür, schleiche die Treppen auf Zehenspitzen hinunter, hoffe, dass die Nachbarn in meiner kleinen Straße noch schlafen, und eile so unauffällig wie möglich zur U-Bahn.

Den Kopf gesenkt, die Augen auf den Dreck am Boden gerichtet, quetsche ich mich in den vollen Waggon und fühle mich so nackt wie nie.

Doch dann plötzlich eine Bewegung, die Leute in der U-Bahn rücken zusammen, machen mir Platz! Als ich mich mit einem schüchternen Nicken bedanke, sehe ich in freundliche Gesichter! Manche lächeln sogar kurz. Die BVG-Klamotten, die mich so verunsichern, lösen bei anderen das genaue Gegenteil aus. Und schon nimmt mich ein älteres Ehepaar in Anspruch: »Guckense mal da, dit muss doch nich sein«, sagen sie und zeigen auf ein paar Schülerinnen, die sich mit ein bisschen Musik in dezenter Lautstärke das Morgengrauen vertreiben. »Könnense da nich was machen? Ob die überhaupt n Fahrschein haben, weeß man och nich , wissense. Wir haben jedenfalls einen. Wollense den mal sehen? Billig war der nich , warum ist der eijentlich so teuer, Sie können uns das ruhich verraten, wir sagens auch nich weiter.«

Diese Situation ist so fremd, ich möchte die Hände tief in die Hosentaschen versenken, die Schultern hochziehen und ein bisschen unsichtbar werden. Dumm nur, dass ich die zugenähten Taschen noch nicht aufgetrennt habe. An der nächsten Station steige ich spontan aus, um durchzuatmen. »Hilft ja alles nichts«, spreche ich mir Mut zu, hole tief Luft, strecke mich und steige dann in die nächste U-Bahn einfach so ein, als hätte ich mein liebstes Sommerkleid an. Ein paar Leute springen schnell aus den sich schließenden Türen - sie haben mein Blau verwechselt mit der Kleidung der Fahrkartenkontrolleure. Das ist lustig! Alle reden immer von der Wirkung der richtigen Kleidung im richtigen Moment, aber so deutlich wie hier zeigt sich die Wahrheit dieser Aussage nur selten.

Etwas später als geplant, aber immer noch zu früh, schreite ich die Auffahrt zur Verkehrsakademie hoch und bleibe vor der geschlossenen Tür stehen. Die Pförtnerloge ist voll besetzt. Ich stelle mich direkt vor das Fenster und weise auf das BVG-Logo an meiner Jacke. »Guten Morgen, ich komm jetzt öfters«, sage ich voller Elan. »Das kann ja jeder behaupten«, brummt es mir entgegen, und alle drei Pförtner nicken. »Name?«, fragt einer in unnachahmlicher Berliner Art. »Hab ich.« - »Und wie heißt der?« - »Da muss ich nachdenken.« So geht es noch ein Weilchen hin und her. Dann haben sie mich in der Liste gefunden, abgehakt und auf den Türöffner gedrückt. Das altehrwürdige Gebäude summt vor Aufregung. Vor den Türen zur Akademie stehen jede Menge Busfahrer und tun so, als ob sie immer da stünden. Mehr oder weniger diskret begutachten sie jede Frau und tuscheln. Ein paar ganz Mutige fragen die Frauen ihrer Wahl nach Feuer und bieten großzügig Zigaretten an. Schnelle Blicke werden hin und her geworfen, es wird erwartungsvoll gekichert.

Stufe für Stufe erklimme ich feierlich die Holztreppe in den ersten Stock. An den Wänden bezeugen große Gemälde den Werdegang des öffentlichen Verkehrswesen. Die ersten Wagen wurden von Pferden gezogen. Die aktuellsten Modelle werden demnächst von mir gelenkt.

Der Unterrichtsraum ist groß, mit einer Fensterfront an jeder Seite. Ich setze mich an einen Tisch, von dem aus ich sowohl die Tafel gut sehe als auch die Blicke aus dem Fenster schweifen lassen kann. Wir sind aufgeregt. Manche der Frauen kennen sich schon länger und sitzen zusammen, andere laufen geschäftig hin und her, auf der Suche nach möglichen Allianzen und Freundschaften.

Und dann rauscht der Leiter der Verkehrsakademie rein, im Schlepptau unsere zukünftigen Ausbilder und die Sekretärin.

Er begrüßt uns mit einem knappen »Guten Morgen, meine Damen. Da wären wir also«, fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Rolle. Die jahrelang vor hunderten von jungen Männern geübten Begrüßungsfloskeln passen hier nicht, das ist ihm klar, und dafür mag ich ihn. Er kennt sich einfach nicht aus mit so viel Weiblichkeit in einem Zimmer, weiß kaum, wohin mit seinen Augen, wischt sich immer wieder die Hände am Sakko ab. Ich hatte mich auf eine kleine Rede gefreut, auf ein paar besondere Begrüßungsworte, auf eine ausgesprochene Anerkennung unseres Mutes und der ungewöhnlichen Situation. Stattdessen flüchtet er sich in väterlich strenge Floskeln: »Und damit wir uns gleich richtig verstehen: Ich erwarte fleißiges Lernen und stete Beachtung der Hausregeln. Wem das nicht passt, der ist hier nicht richtig. Ich glaube, wir kommen alle gut miteinander aus, wenn ihr das beachtet.« Deutlich überfordert gibt er an die Ausbilder ab, während die Sekretärin noch schnell die Ausleiheformalitäten der Unterrichtsbücher und die Handhabung mit Krankschreibungen und sonstigen Fehlzeiten erklärt. Dann atmet er auf und verlässt eilig den Raum.

Wir sitzen weiterhin brav und ruhig auf unseren Stühlen. Der erste Ausbilder, Herr M., stützt sich schwer auf den mächtigen Lehrertisch, der ihn vor uns beschützt, und schaut wütend in die Runde. »Guten Tag also«, beginnt er und lässt ein paar Sekunden verstreichen. »Ihr glaubt wohl, nur weil ihr Frauen seid, kommt ihr her und schnappt uns unsere Jobs weg«, schnauft er. »Aber«, fährt er fort, und dieses »aber« ist sehr lang gezogen, »aber da habt ihr euch geschnitten!«

Ich bin begeistert. Mit so viel Offenheit hatte ich nicht im Traum gerechnet. »Das kann ja lustig werden«, denke ich und will mich schon melden, um zu versprechen, dass wir das nun wirklich nicht planen. Doch da hat er sich längst umgedreht und mit dem Unterricht begonnen. Wir sind die Schülerinnen und er ist unser Meister. Nun wissen wir das auch.

In der Pause suche ich die Solidarität der anderen, um gemeinsam über die Darbietung der Ausbilder lachen zu können. Doch diejenigen, die ich darauf anspreche, wiegeln ab, nehmen die Männer in Schutz und mir den Wind aus den Segeln. Wir sind ja auch zum Lernen hier, denke ich. Fortan sitze ich hoch konzentriert an meinem Platz, mache Notizen, stelle Fragen zu technischen Themen, lache mit meinen Tischnachbarinnen und habe zu Hause immer was zu erzählen.

Hinter mir sitzt Bibi. Sie hat die letzten zwanzig Jahre im gut gehenden Geschäft ihres Mannes gearbeitet - ohne Vertrag, »war ja alles Familie« - und sucht jetzt, nach einer ungerechten Trennung, eine Perspektive, etwas Solides. Bibi hat viel gearbeitet, zwei Kinder, aber nie eine weiterführende Schulbank gedrückt. Ihr fällt es schwer, wie vielen anderen Frauen auch, jetzt dem Unterricht zu folgen. Zumal der Unterricht keine Rücksicht darauf nimmt, dass die meisten Schülerinnen morgens schon Kinder versorgt haben und abends sehnsüchtig zur Hausarbeit, zum Kartoffelschälen und Essenkochen, zum Trösten und Knuddeln erwartet werden.

Das Lernen müssen wir neu lernen. Nach Jahrzehnten plötzlich wieder in einer Schulklasse zu sitzen, still sein zu müssen, sich Notizen zu machen, dem Unterricht zu folgen und die Inhalte zu verstehen oder mindestens bis zur Prüfung im Kopf zu behalten, ist eine Herausforderung, die viel zu oft als selbstverständlich vorausgesetzt wird. »Pssst, psst - was hat er gesagt? Hast du das kapiert?«, fragt Bibi mich alle paar Minuten im Flüsterton, und wenn ich mich nicht umdrehe, zupft und piekst sie an meinem Kragen: »Sag doch mal, was er meint, wie heißt dieses Wort, was bedeutet das? Kannst du es mir aufschreiben?« Alles ganz unauffällig natürlich. »Auf welcher Seite sind wir eigentlich? Psst, sag mal schnell, Seite siebenunddreißig?« Wir sind auf Seite zwölf, und ich muss schon wieder lachen, denn jetzt hat Bibi mir einen kleinen Zettel zugeworfen. »Hi Süße, was ist diese Kinematische Kette? Sag s mir schnell, dann schenk ich dir eine Flasche Dosenbier.« Dazu hat sie kleine Herzchen und ein lachendes Gesicht gemalt. Dieses Gespräch ist genauso schön wie früher in der Schule, vor über vierzig Jahren.

Neben mir sitzt Katja. Sie hat vor Jahren die...
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