Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Frauen von Kopenhagen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am01.04.2021
Kopenhagen 1885: Nelly und Marie arbeiten in der größten Weberei Kopenhagens. Bei einem Unfall am Webstuhl verletzt sich Marie schwer. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gibt das Verhalten der Verantwortlichen Rätsel auf. Nelly steht mit einem schweren Verdacht alleine da und erzählt nicht einmal ihrem Geliebten Johannes davon. Dessen Schwester Anna kommt zur selben Zeit aus Jütland nach Kopenhagen. Und ist schockiert, wie brutal und ungerecht das Leben in der großen Stadt ist. Furchtlos nimmt sie den Kampf auf und setzt einen Meilenstein in der Geschichte Dänemarks.

Gertrud Tinning hat an der Writers' School of Children Literatur studiert und für die UN in Kenia und Sri Lanka gearbeitet. Heute ist sie Dozentin an der International High School in Helsingör, Dänemark. Im Jahr 2013 erschien ihr erster Roman Wie kleine Soldaten, der von der dänischen Kritik wurde. Die Frauen von Kopenhagen ist ihr erster Roman im Diana Verlag.
mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextKopenhagen 1885: Nelly und Marie arbeiten in der größten Weberei Kopenhagens. Bei einem Unfall am Webstuhl verletzt sich Marie schwer. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gibt das Verhalten der Verantwortlichen Rätsel auf. Nelly steht mit einem schweren Verdacht alleine da und erzählt nicht einmal ihrem Geliebten Johannes davon. Dessen Schwester Anna kommt zur selben Zeit aus Jütland nach Kopenhagen. Und ist schockiert, wie brutal und ungerecht das Leben in der großen Stadt ist. Furchtlos nimmt sie den Kampf auf und setzt einen Meilenstein in der Geschichte Dänemarks.

Gertrud Tinning hat an der Writers' School of Children Literatur studiert und für die UN in Kenia und Sri Lanka gearbeitet. Heute ist sie Dozentin an der International High School in Helsingör, Dänemark. Im Jahr 2013 erschien ihr erster Roman Wie kleine Soldaten, der von der dänischen Kritik wurde. Die Frauen von Kopenhagen ist ihr erster Roman im Diana Verlag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641267971
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.04.2021
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1887 Kbytes
Artikel-Nr.5425285
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Kopenhagen, Rubens Tuchfabrik, Mittwoch, den 11. Februar

Schneite es?

Nelly legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben. Der Websaal hatte nur Fenster im Dach. Aber der Himmel da draußen war bleigrau, und es ließ sich nicht erkennen, ob Schnee auf den Scheiben lag. Sie nahm das letzte Stück Graubrot, kaute langsam und genoss den säuerlichen Geschmack, der sich mit dem salzigen Griebenschmalz mischte. Die Krümel auf dem Papier schüttelte sie in die Hand und kippte sie sich in den Mund. Dann strich sie ihre Schürze glatt und warf nochmals einen Blick auf die Uhr, die über der Tür hing. Die Mittagspause dauerte nur noch wenige Minuten. Ein paar kleine Jungen, die nachmittags arbeiteten, kamen herein. Sie hatten rote Wangen und brachten einen Schwall frischer Luft mit. Die Spuren einer Schneeballschlacht klebten noch an ihren Kleidern, und von ihren Holzschuhen fielen Klumpen schmutzigen Schnees. Einen Augenblick lang sah sie sich selbst mit nassen Zöpfen und blau gefrorenen Fingern mit den Kindern vom benachbarten Hinterhof in Christianshavn eine Schlacht liefern.

Nelly schob ihre Füße in die Stiefel, was nicht so einfach war, denn sowohl Füße als auch Knöchel waren wund und geschwollen. Viele Frauen hatten jetzt fertig gegessen, und Nelly nickte einigen von ihnen zu, als sie an ihr vorbeigingen. Sie kannte nicht alle, obwohl sie schon seit mehreren Jahren bei Rubens arbeitete. Es waren so viele, und es fand ein ständiger Wechsel statt. Mehrere Frauen verließen jetzt den Essraum, der hinter einer dünnen Trennwand lag. Er war recht klein, und man saß dort dicht gedrängt auf schmalen Bänken. Nelly hatte stattdessen auf einer Kiste in der Ecke des Websaals Platz genommen. Weder im Essraum noch hier in dem Saal, in dem sie saß, konnte man eine vernünftige Unterhaltung führen. Die Webstühle lärmten so ohrenbetäubend, dass man schreien musste und einander trotzdem kaum verstand.

Der Websaal war mit seinen fast fünfhundert Webstühlen, die von drei modernen Dampfmaschinen angetrieben wurden, der größte Nordeuropas. Nelly hatte noch die Beschreibungen Vormann Ottesens im Ohr. Obwohl der Saal sehr hoch war, verflüchtigte sich der Lärm nicht, im Gegenteil. Das Tosen der einzelnen Treibriemen und Achsen und die hämmernden Laute der Schäfte wirbelten wie Fäden ineinander und schwollen zu einem gewaltigen Lärmknäuel an.

Nelly schnürte ihre Stiefel auf halbe Höhe und knüllte das Zeitungspapier, in dem sie das Essen aufbewahrt hatte, zusammen. Dann erhob sie sich von der Kiste, füllte ihre Blechtasse am Wasserhahn und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. In ihrer Schürzentasche verwahrte sie ein angespitztes Streichholz. Während sie zu ihren Webstühlen zurückkehrte, pulte sie Graubrot aus einem kaputten Zahn. Sie blieb vor dem ersten Webstuhl stehen und betrachtete den dunkelroten Damast, der nach und nach in der Kette sichtbar wurde. Die roten Fäden bildeten in dem einfarbigen Stoff ein Blumenmuster. Dieser Stoff war für Tischtücher vorgesehen und würde bei den Menschen, die ihn sich leisten konnten, gut zu weißem Porzellan passen. Auf ihrem zweiten Webstuhl entstand grauer, dichter Twill für Herrenhemden. Nelly legte eine Hand auf das kalte Metall des Webstuhls und konzentrierte sich darauf, in das Getöse zu lauschen. Die Garnspulen änderten den Ton und pfiffen schriller, wenn ein Faden zur Neige ging. Es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, ein paar Spulen zuunterst am Webstuhl zu ersetzen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie Marie atemlos und mehr als zehn Minuten zu spät in den Saal hasten. Ihr Haarknoten hatte sich gelöst, und lange rote Strähnen hingen ihr in die Stirn. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Nase lief, ihr Umschlagtuch war schneebedeckt und ihr Blick unstet. Vormann Ottesen war sofort zur Stelle. Erbost brüllte er sie an, deutete auf die Uhr und schrieb dann etwas in sein kleines Notizbuch. Das Bußgeld, die Strafe, die von ihrem Lohn abgezogen werden würde. Marie fuchtelte abwehrend mit den Armen und erwiderte etwas, aber Vormann Ottesen starrte sie mit seinen ausdruckslosen Augen und schmalen Lippen nur starr an, während seine Finger auf dem Bußgeldbuch trommelten. Plötzlich drehte er sich um und ging. Marie sah ihm einen Augenblick hinterher, dann ließ sie die Arme sinken und eilte zu ihren Webstühlen.

Zu Hause auf dem Hinterhof in Christianshavn war Marie die kleine Marie gewesen, obwohl sie eigentlich zwei Jahre älter war als Nelly. Trotzdem hatten sie miteinander gespielt und waren in dieselbe Klasse gegangen. Später hatte sich Marie in Nellys großen Bruder Gustav verliebt, worüber sich Nelly eigentlich immer noch wunderte. Schließlich kannte sie Gustav. Später, als das erste Kind unterwegs war, hatten die beiden geheiratet. Seit Marie ebenfalls in der Tuchfabrik Ruben arbeitete, legten sie das erste Stück des Heimwegs gemeinsam zurück. Wenn etwas dazwischenkam und dieses Plauderstündchen ausfiel, war der Tag unvollständig.

Nelly tauschte eine weitere Spule aus und ging dann zum nächsten Webstuhl. Am schlimmsten war das Stillstehen, denn damit wollte sich ihr rechtes Bein nicht abfinden. Wenn sie sich zu lange nicht bewegt hatte, musste sie den Fuß schütteln, weil er sonst zu stechen und zu kribbeln begann. Aber jetzt war es ihr Kreuz, das ihr Kummer bereitete. Sie versuchte, es durch den Kleiderstoff zu massieren, was nicht so einfach war, denn das Kleid lag eng an, und ihre Hände fanden keinen Halt.

Marie arbeitete nur wenige Reihen von Nelly entfernt. Sie hatte ihre Haare noch nicht in Ordnung gebracht, und lange Locken tanzten vor ihren Augen. Nelly hob einen Arm, um ihr zuzuwinken, doch Marie sah sie nicht. Da hörte Nelly wieder diese leise Geräuschveränderung, die auf einen Fadenriss hindeutete, und stoppte sofort den Webstuhl. Nachdem sie ihn wieder in Gang gesetzt hatte, musste sie ins Lager, um neue Garnspulen zu holen. Statt den breiten Gang neben den Webstühlen zu benutzen, schlängelte sie sich zwischen diesen hindurch und blieb kurz bei Marie stehen. Maries Augen waren gerötet.

»Was ist passiert?«, rief Nelly.

»Valdemar ist nicht nach Hause gekommen«, antwortete Marie mit starr auf den Webstuhl gerichtetem Blick. »Das liegt an diesem verdammten Eis auf dem Ladegårdsåen. Alle Kinder spielen dort, und er vergisst die Zeit, obwohl er weiß, dass er sofort zu seinen kleinen Geschwistern nach Hause gehen soll. Ich mache mir Sorgen wegen dem Eis. Kann man sich darauf verlassen, dass es hält? Ich glaube, ich habe dort unten Wasser gesehen.«

»Eislöcher?«, hakte Nelly nach.

»Das weiß ich nicht, aber das Eis schien von Wasser überspült zu sein.« Marie sah Nelly an und strich sich eine Strähne aus den Augen.

»Hast du ihn dort unten gesucht?«

»Ja. Aber erst war ich noch zu Hause, um die Kleinen zu füttern. Das Feuer war erloschen, also musste ich ihnen Brote machen. Und dann musste ich Thyges Windeln wechseln. Er hat es wieder am Magen.«

»Hast du Valdemar gefunden?«, fragte Nelly.

»Nein, er war nirgends zu sehen, dann musste ich los, um nicht noch viel später zu kommen.«

»Die Kleinen sind also allein zu Hause?«, wollte Nelly wissen.

»Ja, ich weiß ... aber was soll ich machen? Ich habe ein paar Kinder auf dem Eis gebeten, Valdemar sofort nach Hause zu schicken, wenn sie ihn sehen.«

»Na, dann ist er bestimmt bald wieder da.« Nelly strich Marie über den Arm.

»Ich weiß, ich mache mir nur solche Sorgen. Stell dir vor, er ...« Marie schüttelte den Kopf. Ihre Lippen zitterten. Dann trat sie ein paar Schritte beiseite und beugte sich über ihren Webstuhl. Vormann Ottesen näherte sich. Seine schrille Stimme schnitt durch den Lärm. »Ist es nicht schlimm genug, dass Sie zu spät kommen? Sie wissen sehr wohl, dass alle Unterhaltungen während der Arbeit verboten sind.« Er deutete auf die Wand, an der eingerahmt und in schönen Buchstaben die Vorschriften der Tuchfabrik hingen.

Nelly setzte ihren Weg ins Lager fort. Es dauerte eine Weile, bis sie die richtigen Spulen gefunden hatte, und als sie wieder zurückkehrte, konnte sie Marie nirgends sehen. War sie draußen auf dem Abtritt? Seltsam, sie war ja gerade erst gekommen. Alle wussten, dass Vormann Ottesen genauestens beobachtete, wie oft die Frauen nach draußen gingen.

Nelly erreichte ihren Webstuhl gerade noch rechtzeitig, um die Spule auszuwechseln. Als sie damit fertig war, konnte sie Marie immer noch nirgends erspähen. So lange konnte sie einfach nicht auf dem Abort sein, es sei denn, ihr war schlecht geworden. Rasch kontrollierte Nelly die anderen Spulen. Beunruhigt ging sie dann zum Abtritt hinaus und öffnete die Tür. Der Gestank der Tonnen stach ihr in der Nase.

»Marie, bist du da?«

Alle Verschläge waren leer bis auf einen. Nelly klopfte. »Marie, bist du das? Bist du da drin?« In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und eine kräftige Frau trat heraus, eine der schwedischen Arbeiterinnen.

»Entschuldige bitte«, sagte Nelly. Die Frau nickte schweigend.

Sie kehrte in den Websaal zurück, wo sie Marie immer noch nicht entdecken konnte. Nelly zwängte sich durch den schmalen Gang zwischen den Webstühlen. Alle Frauen arbeiteten konzentriert, denn Fehler konnten Lohnkürzungen zur Folge haben. Hatte man Marie ins Büro geschleppt? Schließlich war sie nicht zum ersten Mal zu spät gekommen. Aber wenn jemand gefeuert wurde, dann geschah das meist freitags und so gut wie nie während der Arbeitszeit. War Valdemar doch etwas zugestoßen? Vielleicht hatte man ja nach Marie geschickt? Sie sah vor ihrem inneren Auge, wie der Junge unter dem Eis in der Dunkelheit versank. Schon seit mehreren...

mehr

Autor

Gertrud Tinning hat an der Writers' School of Children Literatur studiert und für die UN in Kenia und Sri Lanka gearbeitet. Heute ist sie Dozentin an der International High School in Helsingör, Dänemark. Im Jahr 2013 erschien ihr erster Roman Wie kleine Soldaten, der von der dänischen Kritik wurde. Die Frauen von Kopenhagen ist ihr erster Roman im Diana Verlag.
Weitere Artikel von
Tinning, Gertrud