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Grand Union

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am10.06.20211. Auflage
»Zadie Smith eröffnet literarische Räume, in denen wir uns selbst und unsere Welt besser begreifen können« Die Welt. Dieser erste Erzählungsband von Zadie Smith vereint neunzehn auch formal sehr unterschiedliche Storys, die sich um die Themen drehen, mit denen Zadie Smith zur Ikone der Literatur geworden ist: Frau-Mann, schwarz-weiß, Macht-Ohnmacht - und zunehmend auch Politik und das Älterwerden. Von Leserinnen und Lesern geliebt und von der Kritik hochgeschätzt ist Zadie Smith seit ihrem Debüt »Zähne zeigen« als Romanautorin und Verfasserin brillanter Essays eine der wichtigsten Autorinnen überhaupt. In dieser ersten Erzählungssammlung nutzt sie ihre außergewöhnliche Beobachtungsgabe und ihre unverwechselbare Stimme, um die Komplexität des modernen Lebens auszuloten. Dabei bewegt sie sich scheinbar mühelos zwischen den Genres: von der historischen Erzählung über die aktuelle Story bis hin zur Dystopie - »Grand Union« ist eine kluge literarische Bestandsaufnahme, welche Ereignisse der Vergangenheit unsere Identität bestimmen und bis in die Zukunft wirksam werden.

Zadie Smith, wurde 1975 im Norden Londons geboren. Ihr erster Roman »Zähne zeigen«, 2001 erschienen, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ein internationaler Bestseller. Der Roman »Von der Schönheit«, 2006 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, war auf der Shortlist des Man Booker Prize 2005 und gewann den Orange Prize. Zadie Smith erhielt u.a. 2016 den Welt-Literaturpreis und 2018 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Sie lebt mit ihrer Familie in London.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Zadie Smith eröffnet literarische Räume, in denen wir uns selbst und unsere Welt besser begreifen können« Die Welt. Dieser erste Erzählungsband von Zadie Smith vereint neunzehn auch formal sehr unterschiedliche Storys, die sich um die Themen drehen, mit denen Zadie Smith zur Ikone der Literatur geworden ist: Frau-Mann, schwarz-weiß, Macht-Ohnmacht - und zunehmend auch Politik und das Älterwerden. Von Leserinnen und Lesern geliebt und von der Kritik hochgeschätzt ist Zadie Smith seit ihrem Debüt »Zähne zeigen« als Romanautorin und Verfasserin brillanter Essays eine der wichtigsten Autorinnen überhaupt. In dieser ersten Erzählungssammlung nutzt sie ihre außergewöhnliche Beobachtungsgabe und ihre unverwechselbare Stimme, um die Komplexität des modernen Lebens auszuloten. Dabei bewegt sie sich scheinbar mühelos zwischen den Genres: von der historischen Erzählung über die aktuelle Story bis hin zur Dystopie - »Grand Union« ist eine kluge literarische Bestandsaufnahme, welche Ereignisse der Vergangenheit unsere Identität bestimmen und bis in die Zukunft wirksam werden.

Zadie Smith, wurde 1975 im Norden Londons geboren. Ihr erster Roman »Zähne zeigen«, 2001 erschienen, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ein internationaler Bestseller. Der Roman »Von der Schönheit«, 2006 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, war auf der Shortlist des Man Booker Prize 2005 und gewann den Orange Prize. Zadie Smith erhielt u.a. 2016 den Welt-Literaturpreis und 2018 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Sie lebt mit ihrer Familie in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462320596
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum10.06.2021
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2340 Kbytes
Artikel-Nr.5425763
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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Éducation sentimentale


Damals wirkte sie verunsichernd auf Männer. Begriff aber nicht, wieso, und bemühte auf der Suche nach Antworten wenig verlässliche Quellen. Frauenzeitschriften - andere Frauen. Später, in der Lebensmitte, zog sie neue Schlüsse. Lag vor dem begrünten Pavillon über dem Serpentine-Café im Gras und bewunderte, wie ein Kleinkind, ihr Sohn, in den Planschbereich hinein und wieder heraus watete. Plötzlich stand ihre Tochter neben ihr: »Du guckst, als ob du verknallt in ihn bist. Als ob du ihn malen willst.« Besagte Tochter kam gerade aus dem See und war voller Entengrütze. Das Kleinkind trug eine dicke, durchnässte Windel, die hinten an ihm herunterhing und aushärtete wie Ton. Ein bemerkenswerter Anblick. Mitten in den See hatte Christo eine oben abgeflachte, zwanzig Meter hohe Mastaba gesetzt, erbaut aus lauter aufeinandergestapelten Ölfässern in Rot und Violett. Tretboote rangierten um sie herum. Wagemutige Frauen in Wetsuits schwammen daran vorbei. Möwen setzten sich darauf und kackten. Auch das war als bemerkenswerter Anblick gedacht. Die Wolken teilten sich, und die Spätsommersonne schloss Christos ewige Heimstatt in die Arme und alles andere auch, sogar das wütende, grünliche Gesicht ihrer Tochter. Sowohl die Frauenzeitschriften als auch die Frauen hatten den Hauptakzent auf Mangel und Irrtum gelegt. Ihr »fehle« etwas, das sei das Problem. Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, erkannte sie, dass es sich bei dem scheinbaren Mangel tatsächlich um eine Form von ungünstigem Überfluss gehandelt hatte. Überfluss wovon? Kann man Ich im Überfluss haben?

Aber es stimmte schon: Sie hatte Männer immer als Musen betrachtet. Und sie auch so behandelt.

 

Darryl war der Erste, dem das gefiel. Er war nicht sehr groß. Aber dermaßen schön! Er hatte den afrikanischen Hintern, den sie selbst gern gehabt hätte, war am ganzen Körper kompakt und muskulös. Hinreißender Schwanz, nicht übertrieben spektakulär, für alle Lebenslagen geeignet. Am meisten mochte sie es, wenn er sich flach an Darryls Bauch drückte und auf den wolligen Streifen aus Härchen deutete, der sich aufwärtsschlängelte und sich dann auf der symmetrischen Brust zu zwei weichen Flächen auffächerte. Seine Brustwarzen wirkten sehr weltoffen, ganz versessen darauf, wie die zitternden Fühler eines Insekts. Der einzige Teil ihres Körpers, der ähnlich reagierte, war das Gehirn. Besonders bewunderte sie sein Kopfhaar, weich und ebenmäßig, ohne harte Kanten. Sie selbst hatte sich nach Jahren des Missbrauchs von chemischen Keulen beim Friseur den Kopf kahl rasiert. Sie wollte noch einmal neu anfangen, es dichter nachwachsen lassen, in der Hoffnung, die afrikanischen Wurzeln wieder anzuregen, doch in dieser kleinen Universitätsstadt war ein solcher Anblick nie da gewesen, und sie wurde zur unfreiwilligen Sensation. Nur er wusste Bescheid.

 

»Kennst du Darryl schon?«

»Aber du musst Darryl kennenlernen! Oh mein Gott, unbedingt!«

Das College beharrte einhellig darauf, dass sie sich kennenlernten. Sie waren zwei von nur vier schwarzen Gesichtern auf dem Campus. »Darryl, Monica. Monica, Darryl! Endlich!« Sie wollten gekränkt sein, dabei waren sie, beide schüchtern, in Wahrheit dankbar für jede Hilfestellung. Sie ließen die Beine über dem Wasser baumeln und stellten fest, dass sie im selben Postleitzahlenbereich aufgewachsen waren, nur zehn Minuten voneinander weg, ohne sich je über den Weg gelaufen zu sein, und dass man ihnen ähnlich niedrige Notenziele gesteckt hatte - bei ihr meistens »Gut«, bei ihm meist »Befriedigend« -, um ihre Bedürftigkeit, die niedrigen Erwartungen an sie oder aber die Großzügigkeit des Colleges unter Beweis zu stellen. Schwer zu sagen, was es war. Sie nahmen die niedrigen Hürden jedenfalls problemlos, heimsten überall Bestnoten ein. Als soziales Experiment waren sie unangreifbar.

 

Allmählich merkten sie, dass sie für das College und überhaupt auf dem Papier kaum zu unterscheiden waren. Aber sie wussten es besser. Straßennamen, Schulen, die An- respektive Abwesenheit eines Vaters. Als sie zwischen Darryls Haltestelle und ihrer eigenen - sie hatte ihn seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen - in der Metro blätterte, las sie einen brutalen Bericht und dachte sich: Ja, meine Schule hat einen englischen Nationalspieler und zweieinhalb Popstars hervorgebracht und Darryls Schule diesen grinsenden Irren, der gerade im Irak jemanden enthauptet hat. Andererseits hatte der erste Junge, den Monica je geküsst hatte, später in einer Imbissbude einen Mann erstochen, etwa zur selben Zeit, als sie sich ihren Doktorhut aufsetzte. Zwischen Darryls Haltestelle und ihrer eigenen hing sie der trägen Überlegung nach, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie Darryl geheiratet hätte oder diesen mordlüsternen Jungen oder überhaupt niemanden. Vermutlich verfügte ihr Mann über seine eigene dröge Straßenkarte nicht genommener Abzweigungen. In der Lebensmitte wird man eben konventionell. Die Entscheidungen, die man im Lauf der Zeit getroffen hat, verkörpern sich in den Ästen der robusten Eichen entlang der oberirdischen Bahnstrecke nach Kensal Rise. Man wird grau und fester um die Hüften. Und doch sah sie an glücklicheren Tagen immer noch dieselben kleinen, festen Brüste, dieselben starken, langen Beine, blickte ihr noch das vertraute, wundersam braune Tier entgegen, das praktisch nie krank war und voller Kraft. Wie viel davon war Wirklichkeit? Wie viel Einbildung? Das war, soweit sie es beurteilen konnte, die altersgemäße Frage. Und der Unterschied zwischen Jetzt und Damals, mit zwanzig, lag darin, dass sie das vom einen Moment zum nächsten nie gleich beantworten konnte. Nächster Halt Canonbury. Nächster Halt Menopause und Abschied vom Jeanstragen. Oder doch nicht? Blinde Würmer, die im eigenen Körper Kompost erzeugen, sind eine viel bessere Metapher als nicht genommene Abzweigungen oder verdorrende Äste. Aber eigentlich bildet keine Metapher es wirklich ab. Es ist hoffnungslos.

 

Ein halbes Jahr bevor sie Darryl kennenlernte, als sie noch in London lebte, verbrachte sie einen hochinteressanten Sommer mit dem zwei Meter großen Assistenten eines Fotografen, einem Weißen aus Brixton, Ex-Skater, der früher eine große Nummer im Taggen gewesen war. Einer seiner lila Drachen zierte einen U-Bahn-Zug der Bakerloo-Line. Sie entdeckte bei sich eine völlig irrationale Verehrung für sehr große Menschen. Wenn sie vor ihm kniete, war das wie eine Art Anbetung. Eines Tages saßen sie in der Badewanne, und sie erzählte eine Menge Witze und brachte ihn zum Lachen, aber dann, wie ein Comedian, der auf immer noch mehr Lacher aus ist, wurde sie zunehmend bemühter und erntete immer weniger Lohn für ihre Anstrengungen: verhalteneres Lachen, Seufzer. Sie änderte die Taktik. Eine dreiseitige Abhandlung über seine eisblauen Augen, die Leni-Riefenstahl-Frisur und den fünfzehn Zentimeter langen, unbeschnittenen Penis. Versuchsweise tauchte sie unter und schob sich mit offenem Mund auf ihn zu. Er stieg aus der Wanne, ging nach Hause, rief ein paar Tage lang nicht an und schrieb ihr dann einen äußerst hochtrabenden Brief, dass er nicht mit einem Nazi verglichen werden wolle. Einen Brief! Bei der Ankunft im College behielt sie das als warnendes Beispiel im Kopf. Sprich nie von ihnen, als wären sie Objekte, das mögen sie gar nicht. Sie wollen in allen Lebenslagen das handelnde Subjekt sein. Versuch bloß nicht, dich selbst zum handelnden Subjekt zu machen. Versuch auch nicht, sie zum Lachen zu bringen, und sag ihnen keinesfalls, wie hübsch sie sind.

 

Für Darryl musste sie all diese Regeln abändern. Er lachte für sein Leben gern und freute sich an der Verehrung seines Körpers. Aggressionen kannte er nicht. Er legte sich einfach hin und ließ sich anbeten. Wie leicht, wie schmerzlos sie ihn beispielsweise in sich aufnahm, ihn eingemeindete, ihm kurzfristig Zuflucht gewährte, bis es an der Zeit war, ihn wieder freizugeben. Aber man schrieb die Neunziger: Die Sprache war nicht auf ihrer Seite. Männer wurden nicht »freigegeben«, sie »zogen sich zurück«. Sie waren das handelnde Subjekt. Längst war es normal, sie im Pub vom Leder ziehen zu hören, berauscht von der neuen Freiheit, laut über Sex reden zu dürfen: »Da hab ich ihn ihr so richtig reingerammt« oder »Ich hab sie in den Arsch gefickt«. Mit Darryl dagegen entdeckte Monica, dass das nur Gerede war, Machogehabe, und dass die Freigiebigkeit tatsächlich genau umgekehrt gelagert war. An einem Nachmittag, als sie die komplette Zeit, die den morgendlichen Kursen vorbehalten war, vervögelt hatten, probierte sie den Gedanken an ihm aus:

»In einem Matriarchat würden die Frauen vor ihren Freundinnen prahlen: Ich habe ihn ganz mit dem Anus umschlossen. Ich habe seinen Schwanz total verschwinden lassen. Ich habe ihn mir einfach geschnappt und tief in mir versteckt, bis er gar nicht mehr vorhanden war. «

Darryl wischte sich gerade mit einem Taschentuch ab, musterte stirnrunzelnd die braunen Flecken daran. Kurz unterbrach er sich und lachte, legte sich dann aber wieder auf ihren spermafleckigen blauen Futon und runzelte erneut die Stirn, nahm die Vorstellung ganz ernst (er studierte Sozialpolitik).

» Richtig verschluckt hab ich ihn «, fuhr Monica fort und wurde unwillkürlich lauter, » ich hab mir sein Fleisch geschnappt und es mit meinem Fleisch komplett ausgelöscht. «

»Tja ... Ich weiß ja nicht, ob sich das durchsetzt.«

»Sollte es aber! Das wäre doch TOLL!«

Darryl, nicht größer und nicht...
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Autor

Zadie Smith, wurde 1975 im Norden Londons geboren. Ihr erster Roman »Zähne zeigen«, 2001 erschienen, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ein internationaler Bestseller. Der Roman »Von der Schönheit«, 2006 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, war auf der Shortlist des Man Booker Prize 2005 und gewann den Orange Prize. Zadie Smith erhielt u.a. 2016 den Welt-Literaturpreis und 2018 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Sie lebt mit ihrer Familie in London.Tanja Handels, geboren 1971 in Aachen, übersetzt zeitgenössische britische und amerikanische Literatur, u.a. von Bernardine Evaristo, Toni Morrison, Nicole Flattery und Charlotte McConaghy. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis.