Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Wunderland

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am01.04.2021
'Ein süchtig machender Pageturner, mit solcher Kunstfertigkeit geschrieben, dass man gar nicht anders kann, als ihm zu erliegen. Selten hat das Alltägliche so geschillert.' The Guardian  Nora Eldridge, 42, Grundschullehrerin, ist eine verlässliche Freundin und Nachbarin und eine geschickte Unterdrückerin ihrer eigenen künstlerischen Ambitionen. Sie hat sich damit abgefunden, dass das große Leben woanders stattfindet. Doch dann betritt ein so liebenswerter wie charmanter Schüler ihre Klasse, und als auch dessen weltgewandte, glamouröse Eltern - eine erfolgreiche italienische Künstlerin und ein angesehener libanesischer Wissenschaftler - Nora in ihrer Welt willkommen heißen, weckt das alte Sehnsüchte und Hoffnungen. Bald liebt und lebt sie mit der Familie, wächst in diesem unerwarteten Glück über sich selbst hinaus. Bis ein gründlicher Verrat ihr Selbstwertgefühl umso grausamer erschüttert.

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

Klappentext'Ein süchtig machender Pageturner, mit solcher Kunstfertigkeit geschrieben, dass man gar nicht anders kann, als ihm zu erliegen. Selten hat das Alltägliche so geschillert.' The Guardian  Nora Eldridge, 42, Grundschullehrerin, ist eine verlässliche Freundin und Nachbarin und eine geschickte Unterdrückerin ihrer eigenen künstlerischen Ambitionen. Sie hat sich damit abgefunden, dass das große Leben woanders stattfindet. Doch dann betritt ein so liebenswerter wie charmanter Schüler ihre Klasse, und als auch dessen weltgewandte, glamouröse Eltern - eine erfolgreiche italienische Künstlerin und ein angesehener libanesischer Wissenschaftler - Nora in ihrer Welt willkommen heißen, weckt das alte Sehnsüchte und Hoffnungen. Bald liebt und lebt sie mit der Familie, wächst in diesem unerwarteten Glück über sich selbst hinaus. Bis ein gründlicher Verrat ihr Selbstwertgefühl umso grausamer erschüttert.

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455006155
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.04.2021
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5429383
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteWidmungMottoErster TeilZweiter TeilDritter TeilDanksagungZitatnachweiseBiographienImpressummehr
Leseprobe

Erster Teil

1

Wie wütend ich bin? Das wollen Sie gar nicht wissen. Niemand will das wissen.

Ich bin ein liebes Mädchen, ich bin ein nettes Mädchen, ich bin die strebsame, sittsame, brave Tochter, ich gehe fleißig zur Arbeit, ich habe nie einer anderen den Freund ausgespannt und nie eine Freundin im Regen stehenlassen, ich habe den ganzen Mist mit meinen Eltern und den ganzen Mist mit meinem Bruder ausgehalten, und außerdem bin ich überhaupt kein Mädchen, ich bin verdammt noch mal über vierzig, ich mache meinen Job gut, und ich kann gut mit Kindern, ich habe meiner Mutter die Hand gehalten, als sie starb, nachdem ich vier Jahre lang ihre Hand gehalten hatte, während sie am Sterben war, ich telefoniere jeden Tag mit meinem Vater, jeden Tag wohlgemerkt - und, was habt ihr für Wetter da drüben am anderen Ufer?, hier bei uns ist es nämlich ganz schön grau und auch ein bisschen schwül. Auf meinem Grabstein hätte eigentlich mal »große Künstlerin« stehen sollen, aber wenn ich jetzt sterben würde, stünde dort stattdessen »eine ganz tolle Lehrerin/Tochter/Freundin«; und was ich wirklich laut schreien und auch in großen Lettern auf meinem Grabstein lesen will, ist: IHR KÖNNT MICH ALLE MAL.

Geht es nicht allen Frauen so? Der einzige Unterschied ist, inwieweit uns bewusst ist, dass es uns so geht, wie sehr wir mit unserer Wut im Einklang sind. Wir alle sind Furien, bis auf diejenigen, die einfach zu blöd dazu sind, und meine jetzige Sorge ist, dass wir sie von Geburt an einer Gehirnwäsche unterziehen, und am Ende werden selbst die Schlauen zu blöd sein. Wen ich damit meine? Ich meine die Zweitklässlerinnen an meiner Schule, Appleton Elementary, manchmal sogar die Erstklässlerinnen, und wenn sie dann schließlich bei mir in der Dritten landen, sind sie schon nicht mehr zu gebrauchen - haben nur noch Lady Gaga und Katy Perry im Kopf, Maniküren und süße Klamotten, und sie machen sich verrückt wegen ihrer Frisur! In der dritten Klasse. Haare und Schuhe sind ihnen wichtiger als Galaxien oder Raupen oder Hieroglyphen. Wie hat uns das ganze revolutionäre Gerede der Siebziger dahin bringen können, dass Weiblichkeit bedeutet, sich blöd zu stellen und gut auszusehen? Schlimmer noch, als »pflichtbewusste Tochter« auf dem Grabstein stehen zu haben, wäre »Sie sah gut aus«; früher war uns das ganz klar. Aber heute irren wir durch eine Welt von Äußerlichkeiten.

Deshalb bin ich eigentlich so wütend - nicht wegen der vielen Aufgaben, des Schönwettermachens und der Pflichten einer Frau oder besser der Pflichten des Ichseins -, denn das ist vielleicht die Last, die wir alle als Menschen tragen. Eigentlich wütend bin ich, weil ich mir solche Mühe gegeben habe, diesem Spiegelkabinett zu entkommen, dieser Farce und diesem Theater von der Welt oder meiner Welt, an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika im ersten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Und hinter jedem Spiegel tut sich wieder ein verfluchter Spiegel auf und am Ende jedes Korridors wieder ein Korridor, und das Gruselkabinett ist nicht mehr gruselig und nicht mal lustig, aber es scheint keine Tür zu geben, über der AUSGANG steht.

Jeden Sommer auf dem Jahrmarkt, als ich ein Kind war, gingen wir ins Gruselkabinett mit seinem unheimlich grinsenden Gipsgesicht, zwei Etagen hoch. Man ging hinein durch den Mund, zwischen gigantischen Zähnen hindurch, über die leuchtend rosa Zunge. Das Gesicht sagte eigentlich schon alles. Es sollte ein Spaß sein, aber es machte einem Angst. Der Fußboden wackelte oder schlingerte, die Wände waren schief und die Räume so gestrichen, dass die Perspektiven sich verzerrten. Es blitzte und tutete in den engen vibrierenden Gängen mit den Spiegeln, die einen in die Breite zogen und in die Länge zogen, und den Spiegeln, die einen zugleich auf links drehten und auf den Kopf stellten. Manchmal senkte sich die Decke herab, oder der Boden hob sich oder beides auf einmal, und ich fürchtete, zerquetscht zu werden wie ein Käfer. Das Gruselkabinett war viel gruseliger als das Geisterhaus, nicht zuletzt weil ich es lustig finden sollte. Ich wollte immer nur den Ausgang finden. Aber die Türen, über denen AUSGANG stand, führten nur in noch verrücktere Zimmer, in endlos wackelnde Korridore. Es gab nur einen Weg durchs Gruselkabinett, gnadenlos bis zum Ende.

Inzwischen bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass das Leben selbst ein Gruselkabinett ist. Man will eigentlich nur diese eine Tür, den Ausgang, finden, um dorthin zu gelangen, wo das wahre Leben stattfinden wird; und man kann sie einfach nicht finden. Nein, lassen Sie mich das korrigieren. In den letzten Jahren gab es eine Tür, es gab Türen, und ich öffnete sie, ich glaubte fest an sie und glaubte eine Zeit lang, ich hätte es geschafft, in die echte Welt zu entkommen - mein Gott, was für eine Wonne war das, was für ein Schrecken, es ging mir durch und durch: Es fühlte sich so anders an -, bis mir plötzlich dämmerte, dass ich die ganze Zeit im Gruselkabinett festgesessen hatte. Ich war ausgetrickst worden. Die Tür, über der AUSGANG stand, war überhaupt kein Ausgang gewesen.

 

Ich bin nicht verrückt. Wütend, ja; verrückt, nein. Ich heiße Nora Marie Eldridge, und ich bin zweiundvierzig Jahre alt - was dem mittleren Alter schon sehr viel näher kommt als vierzig oder einundvierzig. Ich bin weder alt noch jung, weder dick noch dünn, weder groß noch klein, weder blond noch brünett, weder hübsch noch hässlich. Es gibt Augenblicke, da sehe ich ganz nett aus, so lautet wohl der Konsens, ein bisschen wie die Heldinnen der Groschenromane, die ich in meiner Jugend verschlungen habe. Ich bin weder verheiratet noch geschieden, sondern alleinstehend. Früher nannte man so jemanden eine alte Jungfer, aber heute nicht mehr, weil es bedeutet, dass du vertrocknet bist, und das wollen wir ja alle nicht. Bis zum vergangenen Sommer habe ich an der Appleton Elementary School in Cambridge, Massachusetts, eine dritte Klasse unterrichtet, und vielleicht fange ich dort wieder an, ich kann s einfach noch nicht sagen. Vielleicht jage ich alles in die Luft. Ja, gut möglich.

Es sei Ihnen gesagt, dass ich trotz meines losen Mundwerks niemals vor den Kindern fluche - mit ein oder zwei Ausnahmen, wo mir mal das Wort »Scheiße!« rausgerutscht ist, aber nur ganz leise und weil es nicht anders ging. Wenn Sie jetzt denken, wie kann man als ein so wütender Mensch kleine Kinder unterrichten, seien Sie versichert, wir alle sind imstande, Zorn zu empfinden, manche von uns haben einen regelrechten Hang dazu, aber um eine gute Lehrerin zu sein, muss man ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung haben, und die habe ich. Sogar mehr als ein gewisses Maß. Ich bin so erzogen worden.

Zweitens bin ich keine Frau aus dem Untergrund, die gegen die ganze Welt einen Groll hegt, weil sie so unglücklich ist. Besser gesagt, es ist nicht so, dass ich nicht in gewisser Weise eine Frau aus dem Untergrund wäre - sind wir das nicht alle, die wir ständig andere vorlassen und anderen Platz machen und für andere zur Seite treten, ohne Anerkennung, Bewunderung oder Dank? In unseren Zwanzigern und Dreißigern sind wir schon zahlreich vertreten, in unseren Vierzigern und Fünfzigern bilden wir geradezu eine Legion. Allerdings sollte die Welt verstehen, ginge es ihr nicht am Arsch vorbei, dass Frauen wie wir nicht im Untergrund dümpeln. Für uns gibt es keinen Glühbirnenkeller wie bei Ralph Ellison, kein Kellerloch wie bei Dostojewski. Wir sind immer oben. Wir sind nicht die Verrückte auf dem Dachboden - die Verrückten können sich austoben, auf die eine oder andere Weise. Wir sind die ruhige Frau im Obergeschoss, am Ende des Flurs, letzte Tür, die mit den ordentlichen Mülltüten, die im Treppenhaus strahlend lächelt und fröhlich grüßt, die hinter ihrer Tür nie einen Laut von sich gibt. In unserem Leben stiller Verzweiflung sind wir genau das: die Frau von oben, ob nun mit getigerter Katze oder nervig tapsigem Labrador oder ohne, und keine Menschenseele kriegt mit, dass wir wütend sind. Wir sind vollkommen unsichtbar. Ich habe es nie für wahr gehalten, zumindest nicht in meinem Fall, aber inzwischen habe ich erkannt, dass ich kein bisschen anders bin. Die Frage jetzt ist: Wie geht man damit um, wie nutzt man diese Unsichtbarkeit, um Feuer zu legen?

 

Im Leben geht es darum zu entscheiden, worauf es ankommt. Es geht um die Phantasie, die die Realität bestimmt. Haben Sie sich jemals gefragt, ob Sie lieber fliegen können oder lieber unsichtbar sein möchten? Ich stelle den Leuten diese Frage seit Jahren und dachte immer, ihre Antwort würde verraten, wer sie sind. Ich bin umgeben von Fliegern. Kinder sind fast immer Flieger. Und die Frau von oben, auch sie ist eine Fliegerin. Die Gierigen fragen manchmal, ob nicht beides ginge; und ein paar wenige - ich habe sie immer für die Gehässigen, die Machthungrigen, die Kontrollfreaks gehalten - entscheiden sich fürs Verschwinden. Die meisten von uns aber wollen fliegen.

Erinnern Sie sich an diese Träume? Ich selbst habe sie nicht mehr, aber sie waren die Freude meiner Jugend. In einer Notlage - Hunde sind mir auf den Fersen oder ein wütender Mann mit erhobener Faust oder Keule - einfach mit den Armen schlagen und mich langsam in die Luft erheben, senkrecht wie ein Hubschrauber oder eine Apotheose, und dann schwebte ich in Freiheit. Ich streifte über die Dächer, nahm große Schlucke Wind, glitt auf dem Luftstrom dahin wie ein...

mehr

Autor

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.