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Zwischen uns tausend Bilder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Thienemann-Esslingererschienen am23.02.2021Auflage
Dicht und ergreifend: Ein Jugendbuch über Einsamkeit und den Mut auszubrechen, ab 12 Jahren Seit ihre Mutter gestorben ist, muss die 14-jährige Sanna dabei zusehen, wie ihr Vater immer mehr in sich selbst verschwindet. Sanna sucht Trost in der Fotografie. Die Bilder helfen dir, die Welt zu sehen, hat ihre Mutter gesagt. Auch wenn die Welt manchmal hässlich ist und die frühere beste Freundin dem Jungen näher kommt, mit dem Sanna ihre Leidenschaft teilt. Doch genau dadurch findet sie schließlich den Mut, sich der Realität zu stellen und eine eigene Perspektive zu entwickeln.

Neda Alaei, geboren 1991, wuchs in Moss auf und lebt heute in Oslo. Sie ist Absolventin des Norwegischen Kinderbuchinstituts und arbeitet als Sozialarbeiterin. Zwischen uns tausend Bilder ist ihr erster Roman.
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Produkt

KlappentextDicht und ergreifend: Ein Jugendbuch über Einsamkeit und den Mut auszubrechen, ab 12 Jahren Seit ihre Mutter gestorben ist, muss die 14-jährige Sanna dabei zusehen, wie ihr Vater immer mehr in sich selbst verschwindet. Sanna sucht Trost in der Fotografie. Die Bilder helfen dir, die Welt zu sehen, hat ihre Mutter gesagt. Auch wenn die Welt manchmal hässlich ist und die frühere beste Freundin dem Jungen näher kommt, mit dem Sanna ihre Leidenschaft teilt. Doch genau dadurch findet sie schließlich den Mut, sich der Realität zu stellen und eine eigene Perspektive zu entwickeln.

Neda Alaei, geboren 1991, wuchs in Moss auf und lebt heute in Oslo. Sie ist Absolventin des Norwegischen Kinderbuchinstituts und arbeitet als Sozialarbeiterin. Zwischen uns tausend Bilder ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783522621830
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum23.02.2021
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse2892 Kbytes
Artikel-Nr.5432788
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Das Päckchen muss fast ein ganzes Jahr hinter Mamas Klamotten gelegen haben. Es ist mit einem kleinen Zettel versehen, darauf steht »Sanna, 14«. Während ich das Geschenkpapier abreiße, spielt mein Herz ein Schlagzeugsolo. Einen Moment später halte ich eine funkelnagelneue Kamera in der Hand.

Sie ist schwarz und silbern, mit einem großen Objektiv und einem schwarzen Umhängeband. Ich schalte sie ein und öffne den Wiedergabemodus. Auf dem Display erscheint ein Bild, offenbar das einzige, das mit der Kamera aufgenommen wurde: ein Selfie von Mama. Mit dunklen Schatten unter den Augen und einem Lächeln, das mich an die Zeit vor ihrer Krankheit erinnert. Sie hält ein Blatt Papier vor sich:

Herzlichen Glückwunsch, Sannalein! Mama liebt dich, für immer

Ich muss schlucken und schalte die Kamera schnell wieder aus. Mein Herzschlag füllt das ganze Zimmer, und ich spüre ein Ziehen im Magen. Es ist, als würde ich Anlauf nehmen, um in einen Abgrund zu springen, hundert Meter in die Tiefe.

Ich erinnere mich an die Kamera, die Mama sich etwa ein Jahr vor ihrem Tod gekauft hat. Sie war ziemlich teuer, zu teuer, fand Papa, aber Mama war anderer Meinung.

»Du darfst nie vergessen, die Schönheit der Welt zu sehen, Sanna.«

Ich war gerade von einem Wochenende bei Mie zurückgekommen, saß in der Küche und verdrückte einen ganzen Berg Pfannkuchen. Mama schwirrte um mich herum, sie hatte bestimmt schon hundertfünfzigtausend Bilder von mir geknipst.

»Alles klar. Hauptsache, du hörst jetzt endlich auf«, sagte ich und hielt mir die Hände vors Gesicht, nachdem sie genau ein Foto zu viel gemacht hatte. Ich holte mein Handy aus der Tasche und zeigte ihr Bilder vom Wochenende, Selfies mit Mie.

Mama schüttelte nur den Kopf.

»Ich meine eher was anderes«, sagte sie zögernd. »Ich will, dass du die Welt siehst. Und dich an sie erinnerst.«

»Ich sehe die Welt, Mama«, antwortete ich und zeigte demonstrativ auf meine Augen. Dann warf ich einen schnellen Blick auf meinen letzten Instagram-Post und freute mich über die ersten Likes. »Ich bin ja nicht blind.«

Mama lachte. Sie setzte sich hin, schlug die Beine übereinander, und während ich noch mehr Pfannkuchen mit Blaubeermarmelade in mich hineinschlang, erzählte sie mir von der Welt, die sie aus dem Wohnzimmerfenster sah.

Von dem vierjährigen Nachbarsmädchen mit den roten Gummistiefeln, das selbst in die kleinsten Pfützen hüpfte und lauthals lachte, wenn das Wasser an ihr hochspritzte.

Von dem Briefträger, der jeden Tag bei uns im Innenhof Pause machte. Einmal hatte er sich mit einem Softeis mit Lakritzstreuseln auf eine Bank gesetzt und übers Handy Musik gehört, erschöpft, aber zufrieden.

Ich weiß noch, dass ich es ein bisschen komisch fand, dass Mama sich solche Sachen merkte. Komisch und, ja, irgendwie überflüssig. Wen kümmerten schon der Briefträger und das kreischende Nachbarsmädchen?

Aber Mama erzählte weiter, von Dingen, die sie jetzt wahrnahm und die ihr früher nie aufgefallen waren. Erst dachte ich mir nichts dabei, aber nach einer Weile fing ich auch an, die Welt um mich herum mit anderen Augen zu sehen. Vor allem Mama. Ihre Haut war plötzlich blass und nicht mehr so sonnengebräunt wie früher, die Haare hingen ihr schlaff auf die Schultern.

Mama in ihrer roten Jacke, mit Thermoskanne und Hotdog bei einer Bergwanderung.

Mama mit einem Kranz aus Huflattich, grasgrünen Fingern und lachenden Augen.

Mama am Strand, mit einem dicken Buch im Schoß unter einem Sonnenschirm.

Mama mit geschlossenen Augen auf dem Sofa, in eine Decke eingekuschelt, im Hintergrund Musik vom Plattenspieler.

Vorsichtig nahm ich ihr die Kamera aus den Händen und knipste selbst ein paar Bilder.

Klick, klick, klick.

Ich fotografierte. Bis wir die Kamera wieder verkaufen mussten. Papa hatte recht, sie war zu teuer. Und Mama würde sie bald eh nicht mehr benutzen können.

Mama, meine Mama. Ich seufze. Hatte sie mir tatsächlich eine Kamera gekauft? Eine Kamera nur für mich? Ich glaube, sie wollte, dass ich die Welt weiterhin sehe, auch ohne sie.

Plötzlich gibt Papa im Schlaf ein Brummen von sich und reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich falte Mamas Sachen zusammen, aber bevor ich sie in den Schrank räume, schnuppere ich an jedem einzelnen Teil. Sie riechen immer noch nach ihr.

Am nächsten Tag nehme ich die Kamera mit in die Schule. Zwischen den Stunden hole ich sie aus dem Rucksack, wiege sie einen Moment lang in den Händen und überlege, was ich fotografieren will, bei welchem Motiv meine ganz eigene Kamera das erste Mal Klick machen soll. Ich schaue zum Fenster, sehe unzählige Motive dort draußen, Dinge, die ich sonst nie wahrnehme, aber als ich in der großen Pause mit der Kamera in die klare Herbstluft hinausgehe, bin ich wie erstarrt.

Ich kann einfach nicht auf den Auslöser drücken.

Gesellschaftslehre findet heute in der Bibliothek statt. Ich fange mit einem Aufsatz über die Menschenrechtserklärung an, aber dann starre ich die meiste Zeit vor mich hin. Zu Yousef, der mit Marius und Henrik zusammensitzt. Zu Mitra, Mie und Helena am Tisch daneben, die immer wieder in seine Richtung schielen.

Dann fällt mein Blick auf das Regal neben den Jungs. Kunst, Architektur und Fotografie, steht da unter den Zahlen 18.29-4. Leise gehe ich rüber und fange an, in den Fotografiebüchern zu blättern. Plötzlich steht der Bibliothekar neben mir.

»Brauchst du vielleicht Hilfe?«, flüstert er. Unter den kurzen Ärmeln seines Ringelshirts schauen tätowierte Arme hervor. Dafür, dass er kaum Haare auf dem Kopf hat, ist sein Bart umso buschiger. Mama hätte jetzt gesagt, er sei in einem früheren Leben bestimmt Seemann gewesen. Dann hätte sie ein Foto von ihm gemacht.

»Ja«, sage ich und merke dann, dass ich überhaupt nicht weiß, wonach ich suche.

Also erkläre ich ihm, ich hätte eine Kamera bekommen und würde gern lernen, wie man sie richtig benutzt.

»Oh, spannend!«, sagt er, fährt sich mit der Hand über den Bart und geht dann mit mir das Regal durch.

Als ich mich kurz zu den anderen umdrehe, schaut Yousef zu mir herüber, und ich werde sofort knallrot.

»Wie wär´s mit dem?«, fragt der Bibliothekar und zieht ein dickes Buch aus dem Regal. Die Kunst der Fotografie - Finden Sie Ihren fotografischen Ausdruck steht in großen Buchstaben auf dem schwarzen Umschlag.

Er reicht mir das Buch, aber als ich es aufschlage, verstehe ich nur Bahnhof. Blende, Verschluss, ISO, Histogramm, Outdoor-Fotografie, kreative Belichtung ... hat Mama das mit »die Welt sehen« gemeint?

Der Bibliothekar schaut mir neugierig über die Schulter und liest mit.

»Das ist perfekt, danke«, sage ich, obwohl ich so meine Zweifel habe, dass das stimmt.

Er nickt und schlurft mit seinem Bücherwagen weiter.

Yousef sieht immer noch in meine Richtung. Als sich unsere Blicke treffen, bin ich fest davon überzeugt, dass er jeden Moment wegschaut, aber das tut er nicht, und da drehe ich mich schnell weg.

Ich blättere weiter in dem Buch, in dem jede Menge hübsche Bilder von Tieren, Gebäuden und Menschen abgedruckt sind, aber viel schlauer werde ich daraus trotzdem nicht. Vielleicht mache ich mir viel zu viele Gedanken. Mama hätte jetzt bestimmt gesagt, ich solle einfach nach draußen, auf den Auslöser drücken und drauflos fotografieren. Keine Ahnung, was mich blockiert. Ich hab es doch früher hinbekommen - mit Mama als Motiv.

Erst als es klingelt, fällt mir wieder der Aufsatz über die Menschenrechtserklärung ein. Alle fangen an, ihre Sachen zusammenzupacken, und gerade als ich meine Kamera in den Rucksack stecke, höre ich hinter mir eine Stimme.

»Coole Kamera«, sagt Yousef.

Ich drehe mich um und begegne den braunsten Augen im Universum.

»Hey ... ja«, stammele ich, mein Mund ist plötzlich ganz trocken. »Oder ... keine Ahnung. Ich hab nicht ... also, ich hab sie noch nicht ausprobiert.«

Ich merke, dass ich schon wieder rot werde.

»Echt? Warum nicht?«, fragt er und legt den Kopf schief.

»Ich hab das richtige Motiv noch nicht gefunden«, antworte ich und weiß nicht, wo die Wörter herkommen. Aber es stimmt ja. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich fotografieren soll.

»Ah«, sagt er und nickt nachdenklich. »Suchst du deshalb einen Fotoratgeber?«

Er nimmt mir das Buch aus der Hand und blättert darin.

»Äh, ja, ein bisschen albern, ich weiß. Aber ich stecke irgendwie fest.«

»Du kannst doch fotografieren, was du willst«, sagt Yousef. »Was. Du. Willst. Aber egal, das ist nicht das richtige Buch für dich.«

Er legt es auf den Tisch.

»Nicht?«, frage ich zögernd.

»Nee, viel zu theoretisch. Ich hab ein richtig gutes Buch zu Hause. Wenn du willst, bring ich´s dir mit.«

Ich merke, wie meine Hände feucht werden.

»Fotografierst du auch?«, frage ich und bereue es sofort. Natürlich tut er das. Warum sonst hätte er dieses Buch , das er mir leihen will!?

Yousef lächelt. Mit den Augen, den Lippen, mit dem ganzen Gesicht.

»Na klar. Kannst mir ja auf Insta folgen, vielleicht inspiriere ich dich«, sagt er mit einem Zwinkern.

Ich schaue zu ihm hoch, senke aber sofort wieder den Blick. Wie kann er dermaßen braune Augen haben?

Bevor ich gehe, stelle ich das Bibliotheksbuch ins Regal zurück.

In Mathe hole ich unterm Tisch mein Handy aus der Tasche. Ich will Yousef bei Instagram suchen, aber noch bevor ich dazu komme, schickt er mir eine Nachricht über den Messenger und eine...
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