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Die Katzen von Shinjuku

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am12.02.20211. Auflage
Shinjuku, ein Viertel in Tokio: Hier treffen sie aufeinander - Yama, ein gescheiterter Fernsehautor Mitte zwanzig, und Yume, eine wortkarge Kellnerin. Beide sind sie Außenseiter, beide haben sie die Hoffnung, ihren Platz im Leben zu finden, fast aufgegeben. Yume arbeitet in einer Bar namens Karinka, die schrägen Vögeln ebenso eine Heimat bietet wie streunenden Katzen. Als Yama diesen Ort das erste Mal betritt, ist er völlig fasziniert: von den Menschen, der Stimmung und der besonderen Rolle, die die Vierbeiner im Karinka spielen. Er fasst Vertrauen zu Yume, mit der er sich bald gemeinsam um die Straßenkatzen kümmert. Aus der Freundschaft der beiden scheint mehr zu werden, doch dann holt Yume ihre Vergangenheit ein ... >Die Katzen von ShinjukuKirschblüten und rote BohnenDie Insel der Freundschaft< (DuMont 2017).mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextShinjuku, ein Viertel in Tokio: Hier treffen sie aufeinander - Yama, ein gescheiterter Fernsehautor Mitte zwanzig, und Yume, eine wortkarge Kellnerin. Beide sind sie Außenseiter, beide haben sie die Hoffnung, ihren Platz im Leben zu finden, fast aufgegeben. Yume arbeitet in einer Bar namens Karinka, die schrägen Vögeln ebenso eine Heimat bietet wie streunenden Katzen. Als Yama diesen Ort das erste Mal betritt, ist er völlig fasziniert: von den Menschen, der Stimmung und der besonderen Rolle, die die Vierbeiner im Karinka spielen. Er fasst Vertrauen zu Yume, mit der er sich bald gemeinsam um die Straßenkatzen kümmert. Aus der Freundschaft der beiden scheint mehr zu werden, doch dann holt Yume ihre Vergangenheit ein ... >Die Katzen von ShinjukuKirschblüten und rote BohnenDie Insel der Freundschaft< (DuMont 2017).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832170844
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum12.02.2021
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5450433
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Wie soll ich anfangen, davon zu erzählen, was sich in jenen Tagen zugetragen hat?

Ich habe nur noch lose Erinnerungsfetzen in meinem Kopf. Das große Schlagwort »Wirtschaftsboom«, das jene Epoche umschreibt, war damals in aller Munde, aber streng genommen profitierte nur die reiche Allgemeinheit. Für jemanden wie mich, der ohnehin nicht genug Geld zur Verfügung hatte und es gewohnt war, sich nach der Decke zu strecken, war das kein passender Begriff, um eine Lebensphase zu charakterisieren.

Ich denke, es war eine Zeit, in der sich die Gesellschaft insgesamt in einem leichtfertigen Taumel befand. Die Grundstücke wurden teurer, je mehr ihr Wiederverkauf ins Rollen kam, und die Preise für Wohnungen in der City kletterten auf Millionensummen. Natürlich hielten auch in Shinjuku die Immobilienhaie alle Fäden in der Hand.

Wenn man durch dieses Viertel von Tokio spazierte, sprang einem die Vielzahl an geschlossenen Bars ins Auge. An den Türen verkündeten Schilder zwielichtiger Firmen, dass die Straßenzüge einer baldigen Sanierung entgegensahen. Es muss damals viele Leute gegeben haben, die durch den Erwerb von Immobilien und gewagte Spekulationen einen Reibach gemacht haben.

Für mich persönlich allerdings war es eine Zeit des Strauchelns. Mir war, als prallte ich ständig gegen Mauern in einem steinernen Labyrinth. Allein schon deshalb, weil alle an eine rosige Zukunft glaubten, fühlte ich mich als Einzelkämpfer und umso elender.

Aber in diesen tristen, chaotischen Tagen lag bereits der Keim einer Entwicklung verborgen, die mein späteres Leben beeinflussen sollte. Ein Spiel hatte damit zu tun, das ich zufällig in einer Kneipe beobachtete, in die ich ebenso zufällig geraten war. Lassen wir hier diese Geschichte ihren Anfang nehmen, die wahrscheinlich ziemlich lang werden wird.

Eine Katzenwette.

Als ich begriff, was die Männer am Tresen neben mir da veranstalteten, überkam mich ein längst vergessenes Gefühl. Es war das Ankämpfen gegen einen Lachanfall, als hüpften warme Bällchen in meinem Inneren.

Die Kneipe war eine abgeranzte Spelunke, lang und so schmal, dass man nicht einmal seine Tasche dort abstellen konnte. Es gab nur eine einzige Reihe von Barhockern, auf denen die Kunden wie Erbsen in einer Schote eng nebeneinanderhockten.

Hinter der Sitzreihe ragte gleich die Wand auf. Man konnte sich bequem anlehnen, aber sobald ein etwas beleibterer Besucher auf einem der Hocker saß, war nicht mehr genug Platz, um sich an ihm vorbeizuschieben. Wenn jemand aufstand, um zur Toilette zu gehen, mussten alle anderen aufspringen. Dann begann eine Turnerei, bei der man sich möglichst rücksichtsvoll erhob und verrenkte.

Doch gerade weil die Bar ein solch absurd enger Schlauch war, kam man mit den Sitznachbarn leicht ins Gespräch. Was ich ebenso genoss wie die Gesellschaft der Katzen an diesem Ort. Hier fanden für mich entscheidende Begegnungen statt, infolge derer ich mit Lebensgeschichten konfrontiert wurde, denen ich mich nicht mehr entziehen konnte.

In Shinjuku trieb ich mich seit meiner Studentenzeit herum. Es gab hier immer etwas zum Stöbern, Läden mit CDs und Antiquariate. Manchmal schlenderte ich auch einfach neugierig durch die Straßen mit den Love-Hotels. Natürlich kannte ich längst nicht alles in diesem Bezirk. Was zum Beispiel das Ausgehen betraf, so hielt ich mich an den Rat meines Japanischlehrers an der Oberschule, der uns empfohlen hatte, nur in einem ganz bestimmten Teil des Viertels trinken zu gehen. (Für gewöhnlich beschäftigte er sich mit philosophischen Fragen wie der, was der Mensch überhaupt ist. Aber er hatte auch den ein oder anderen praktischen Ratschlag für uns. »Wer auf eine Tokioter Uni geht, sollte die Bars hier aufsuchen«, empfahl er uns im Unterricht und schrieb mit weißer Kreide »Shinjuku Golden Gai« an die Tafel.)

Es ging zwar das Gerücht um, dass das Viertel bald den Grundstücksspekulationen zum Opfer fallen und ausgelöscht werden würde, aber dennoch herrschte in Golden Gai mit seinen über zweihundert kleinen Kneipen zu dieser Zeit noch ein recht lebhaftes Treiben.

Dieses Viertel besteht seit der Nachkriegszeit. Wenn ein Betrunkener von einer Kneipe genug hat, braucht er nur in die Bar nebenan und danach noch ein Haus weiterzutorkeln. Wie die Motte wird er vom Licht angezogen und geleitet. Ein ganzes Besäufnis lässt sich so auf ein kleines Areal beschränken.

Obwohl ich nicht viel Geld besaß, hielt ich es genauso, wenn ich in Golden Gai unterwegs war. Die Kneipenwirte und -wirtinnen in den Spelunken hier machten sich nie lustig über einen jungen Bengel wie mich, sondern redeten mit mir auf Augenhöhe. Erfreut darüber schweifte ich in einer Mini-Galaxie von etwa fünfzig Metern Radius zwischen roten, blauen und weißen Sternen umher. Insofern trieb ich mich so gut wie nie in den populären Vergnügungsvierteln Block zwei und drei rund um das Koma-Kabuki-Theater herum.

An diesem einen Tag aber wollte ich mich unbedingt betrinken. Ich war nämlich total niedergeschlagen. Vom Scheitel bis zur Sohle fühlte ich mich als Versager, verfluchte mich selbst. Für einen Selbstständigen wie mich, dessen zahlreiche Schüsse jedes Mal das Ziel verfehlten, gab es noch weniger Verwendung als für einen Becher ohne Boden.

Der Grund für meine Depression lag in einer Produktionssitzung des Fernsehsenders TV Akasaka, bei der ich von dem Direktor und dem Produzenten zusammengestaucht wurde, bis ich fast ganz vom Stuhl verschwand. Obwohl ich die ganze Nacht hindurch einen Katalog von fünfzig Quizfragen mit Antwortmöglichkeiten ausgetüftelt hatte, wurde am Ende bloß eine einzige Frage davon ausgewählt: Auf welche Art Tier beziehen sich die Bezeichnungen Hachiware, Sabatora und Kijitora?

»Aber der Rest ... Das ist doch alles Unsinn«, sagte der Direktor mit einem Stirnrunzeln und warf die übrigen neunundvierzig Bögen in den Papierkorb.

»Was wäre eine passende Beschreibung für eine unglückselige Lebensphase? Erstens: eine Phase, in der man für etwas nicht ausgewählt wird, aber auch nicht auserwählt ist. Zweitens: eine Phase, in der man für etwas ausgewählt wird, obwohl man nicht auserwählt ist. Drittens: eine Phase, in der man nur noch trinkt und schläft, weil man für etwas nicht auserwählt worden ist. Was soll das bedeuten? Hältst du das etwa für eine geeignete Quizfrage? Du hast da wohl etwas grundsätzlich missverstanden.«

Der Direktor verzog angewidert das Gesicht, als hätte er an Rost geleckt.

»Tut mir leid«, sagte ich und schaute betreten zur Seite.

Die Tatsache, dass so gut wie keine Quizfrage aus dem Katalog brauchbar war, würde garantiert an meinen Mentor weitergetragen. Diese Aussicht deprimierte mich noch mehr.

Ohne Aufmunterung zu finden, trottete ich bald wie eine leere Hülle unter dem trüben Aprilhimmel dahin. Als ich in den Toilettenspiegel der Station Akasa-Mitsuke schaute, blickte mir eine Wachspuppe aus Madame Tussauds Kabinett entgegen. Offenbar hatte ich nicht nur meine Energie, sondern sogar jegliche Fähigkeit zur Mimik in dem Besprechungszimmer eingebüßt. Da war keine Freundin, die mich hätte trösten können. Schließlich blieb mir nur der letzte Strohhalm: Alkohol. Ich hätte genauso gut in mein Apartment in Takadanobaba zurückkehren und schlafen können, aber stattdessen zog es mich magisch nach Shinjuku.

Wie betäubt stieg ich in die Marunouchi-Linie, die mich zur Station Shinjuku-Sanchôme brachte. Ausgespuckt ins Gewimmel, überquerte ich, noch immer Wachspuppe, den Yasukuni-Boulevard. Bis zum stockdunklen Abend war es jedoch noch ein Weilchen hin. In der Dämmerung, die den Himmel über Shinjuku lachsrot färbte, war Golden Gai noch nicht aus dem Nachmittagsschläfchen erwacht, um sich für den Abend bereit zu machen.

Eine Reihe matter Schilder ohne Beleuchtung. In unregelmäßigen Abständen geschlossene Bars, auffällig wie Mottenlöcher. Eine finstere Passage, menschenleer. Ich wusste nicht mehr weiter. Wahrscheinlich bin ich deshalb in Richtung des Kabuki-Viertels mit den Love-Hotels abgebogen: Ich wollte wohl dieser tristen Szenerie entkommen, die meine eigene düstere Gemütslage widerspiegelte.

Gegenüber eines verwaisten Love-Hotels entdeckte ich eine Kneipe mit einer roten Hängelaterne am Eingang. Die Laterne hatte ein Loch, und die dadurch sichtbare Birne glühte wie ein Leuchtfeuer im Reich der Dämonen. Als ich durch die Glastür ins Innere lugte, sah ich ein paar Gäste an einem lang gestreckten Tresen sitzen.

Auf der Laterne standen dicht gedrängt Zeichen, die das Wort »Karinka« zu ergeben schienen. Ich wusste nicht so recht, ob ich die Zeichen richtig las, dachte zunächst an das Wort für Quittenblüten, »Karinbana«. Aber dann kam mir der Gedanke, dass der Name wohl nach »Kalinka« klingen sollte. Es gab doch ein russisches Volkslied mit so einem Titel. Ob man da drinnen wohl auch russische Speisen servierte? Vielleicht spielten sie sogar Lieder des Alexandrow-Chors?

Mir kam die Idee, dass ein Besuch der Kaschemme verwertbares Material für das Nachrichtenmagazin, für das ich arbeitete, ergeben könnte, und so schob ich die gläserne Eingangstür auf.

Damit war eine schicksalhafte Wendung in meinem Leben quasi schon besiegelt. Was daran so schicksalhaft war, werde ich nun nach und nach erzählen.

Als ich den Laden betrat, hörte ich nicht den Chor der Roten Armee, sondern einen Blues, gesungen von einer heiser krächzenden Reibeisenstimme, die an einen gestrandeten Pottwal erinnerte. Tom Waits´ »Downtown Train«.

Aber davon wollte ich nicht erzählen.

Sondern von dem Katzen-Glücksspiel.

Da ich zum ersten Mal hier war, war ich ein wenig...
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Autor

Durian Sukegawa, geboren 1962, studierte an der Waseda-Universität in Tokio Philosophie. Er schreibt Romane und Gedichte, außerdem ist er in Japan als Schauspieler, Punkmusiker und Fernseh- sowie Radiomoderator bekannt. >Kirschblüten und rote BohnenDie Insel der Freundschaft