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Die kanadische Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
200 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am13.02.2021Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Shortlist Buch des Jahres des Jahres 2021 Belletristik-Couch.de »Jörg Magenau hat einen modernen, einen klugen Künstlerroman geschrieben, einen Roman einer unruhigen Biografie in einer unruhigen Familie.« Sa?a Stani?ic Ein tief berührendes Buch über Abschiede und den Trost des Neubeginns. In seinem ersten Roman blickt Jörg Magenau auf das Leben eines Mannes, der erzählend zu sich selbst reist. Aus einer inneren Enge in ein weites, wildes Land. In Kanada liegt der Vater im Sterben. Die Nachricht trifft seinen Sohn in einer Krise. Hinter ihm liegt ein gescheitertes Buchprojekt. Seit Jahrzehnten hat er den fernen Vater nicht gesehen, nun überquert er Atlantik und Rocky Mountains, um ihn hoffentlich noch lebend anzutreffen. Doch was ist überhaupt ein Leben? Was weiß man von einem fremd gebliebenen Vater, von der Liebe der anderen und der eigenen? Und wie schreibt man darüber? Die Fahrt durch die kanadische Nacht führt den Erzähler immer tiefer in die eigene Herkunft und hinaus ins Offene. Als er den Vater erreicht, geht etwas zu Ende, aber etwas Neues beginnt auch: die Suche nach dem, was trotz aller Vergänglichkeit bleibt.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextShortlist Buch des Jahres des Jahres 2021 Belletristik-Couch.de »Jörg Magenau hat einen modernen, einen klugen Künstlerroman geschrieben, einen Roman einer unruhigen Biografie in einer unruhigen Familie.« Sa?a Stani?ic Ein tief berührendes Buch über Abschiede und den Trost des Neubeginns. In seinem ersten Roman blickt Jörg Magenau auf das Leben eines Mannes, der erzählend zu sich selbst reist. Aus einer inneren Enge in ein weites, wildes Land. In Kanada liegt der Vater im Sterben. Die Nachricht trifft seinen Sohn in einer Krise. Hinter ihm liegt ein gescheitertes Buchprojekt. Seit Jahrzehnten hat er den fernen Vater nicht gesehen, nun überquert er Atlantik und Rocky Mountains, um ihn hoffentlich noch lebend anzutreffen. Doch was ist überhaupt ein Leben? Was weiß man von einem fremd gebliebenen Vater, von der Liebe der anderen und der eigenen? Und wie schreibt man darüber? Die Fahrt durch die kanadische Nacht führt den Erzähler immer tiefer in die eigene Herkunft und hinaus ins Offene. Als er den Vater erreicht, geht etwas zu Ende, aber etwas Neues beginnt auch: die Suche nach dem, was trotz aller Vergänglichkeit bleibt.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608120820
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum13.02.2021
AuflageDie Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Seiten200 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5492159
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Hinter mir lag ein schlechtes Ende und vor mir ein Abschied. Dazwischen nur noch die Berge. Seit einer Stunde fuhr ich meinem sterbenden Vater entgegen, auf dem Highway 1 westwärts, wo am Horizont als graublauer Streifen die Rocky Mountains zu erkennen waren, doch ich hatte nicht den Eindruck, ihnen wenigstens schon ein kleines bisschen näher gekommen zu sein. Schmutzige Schneereste lagen rechts und links der Fahrbahn, die sich sanft gehügelt durch eine braune, trostlose Prärielandschaft zog. Ab und zu ein paar Pferde auf unermesslichen Weiden. Hin und wieder geduckte Häuser mit rauchendem Schornstein oder kleine, weit verstreute Siedlungen. Kein Grün, nirgends. Der Winter hatte die Erde verwüstet, und er hatte noch lange nicht genug. Mit Schnee und Eis könnte er in diesen Höhen bis in den Mai hinein jeden Tag zurückkehren, grimmig wie eine marodierende Soldatenhorde.

Natürlich hätte mir klar sein müssen, dass mein Buch nie erscheinen wird. Man schreibt nicht ungestraft über zwei Liebende, ob tot oder lebendig, sei es eine Tragödie wie bei Romeo und Julia, ein Idealbild wie bei Hyperion und Diotima, ein Politikum wie bei John Lennon und Yoko Ono oder Hollywood wie bei Richard Burton und Liz Taylor. Auch wenn sich das irdische Leben und Lieben nicht in solchen Götterhimmeln abspielt, findet sich eine Sehnsuchtsprise davon in jeder Geschichte. Ich war naiv genug gewesen, mich darauf einzulassen, obwohl es immer ein Gewaltakt ist, Menschen in Figuren, ihr Leben in Text und ihre Liebe in etwas so Fragwürdiges wie eine Erzählung zu verwandeln. Wer über jemanden schreibt, nimmt ihm etwas weg, nicht zuletzt seine Wahrheit. Dass meine Malerin sich dringend eine Biographie ihres Dichters wünschte, um ihn dem Vergessen zu entreißen, änderte daran nichts. Ich benutzte ihrer beider Leben als Stoff, und schon das war unredlich, verkehrt. Ich hatte mit dem Buch Schiffbruch erlitten und mit ihr, der Malerin, erst recht.

Die Zeit drängte, ich hatte mindestens sechs Stunden Fahrt vor mir und war schon jetzt so müde, wie ich es auch zu Hause mitten in der Nacht gewesen wäre. Der Flughafenzubringer in Frankfurt hatte auf dem Display »Calgary. Letzter Bus« angekündigt, als ob man vor dem Weltuntergang noch rasch die ganze Strecke stehend in diesem unförmigen Vehikel zubringen müsste, auf langer Fahrt übers Meer und den angrenzenden Kontinent. Der Flug war um 15 Uhr Ortszeit in Calgary gelandet, die Uhr war einfach stehen geblieben unterwegs, auch die Sonne hatte sich hinter den Fenstern der Maschine kaum bewegt, bis die Crew auf künstliche Nacht umschaltete und alle Scheiben schwarz anliefen. Die Übergabe des Mietwagens hatte nicht lange gedauert, nachdem ich all die Upgrade-Vorschläge des Verleihers abgelehnt hatte, der dringend zu einem Jeep mit Vierradantrieb riet, indem er nachdrücklich auf die Unberechenbarkeit der Witterung und den Zustand der Gebirgsstraßen verwies. Kurz nach 16 Uhr saß ich in einem schwarzen Golf mit landesüblichem Automatikgetriebe und fuhr aus dem Flughafengelände auf den Highway, der mit seinem Betonband die letzten Ausläufer der Stadt, triste Wohnblocks und Reihenhäuser, vom leeren Umland abschnitt.

Ich hatte mich als Außenstehender in die Geschichte gedrängt, nur um mich jetzt, zwei Jahre später, über das finale Veto der Malerin zu wundern, nachdem sie mein fertiges Manuskript so lange mit ihren Anmerkungen, Korrekturen, Umschriften und Streichungen traktiert hat, bis nichts mehr übriggeblieben ist. Traumsegler sollte das Buch heißen, doch der Traum schien ausgeträumt, ich musste befürchten, dass zwei Jahre Arbeit mit Gesprächen, Lektüren, Archivbesuchen und der Zeit des Schreibens schließlich umsonst geblieben sein würden. Dabei hatte sie ein paar Wochen zuvor noch bei mir angerufen, um mir zu sagen, wie glücklich sie jetzt sei mit dem Text. Sie spüre die grundsätzliche Sympathie, mit der ich mich dem Dichter nähere. So war ich guter Dinge und umso erstaunter darüber, wie entschieden sie das Manuskript plötzlich ablehnte. Irgendetwas, das ich nicht verstand, musste in diesen Wochen bei wiederholter Lektüre in ihr vorgegangen sein, so dass sie nun glaubte, ich hätte den Dichter nieder-, ja, verächtlich machen wollen, indem ich mich ganz und gar und die Wirklichkeit verzerrend auf fragwürdige Teilaspekte fixiert hätte, auf dessen angebliche Erfolglosigkeit, seinen Alkoholismus, seine Armut und seine Vorliebe für weibliche Formen.

An ihren Randbemerkungen ließ sich ablesen, wie sie vergeblich versucht hatte, sich den Text zu eigen zu machen und ihm ihre Perspektive einzupflanzen, da sich die Bedeutungen zwangsläufig verschieben, wenn das eigene Leben mit fremden Augen betrachtet wird. Ihre Schrift zitterte geradezu vor Empörung, wenn sie an den Rand schrieb: »Herr Biograph, woher wissen Sie das?« Sie verweigerte sogar Einzelheiten die Zustimmung, die sie mir selbst berichtet hatte und worin ich fast wörtlich ihrer Erzählung gefolgt war. Jedes kleinste Detail nahm sie wichtig, doch es ging ihr ums große Ganze, um die Würde des Dichters, die zu behüten sie als ihre kostbarste Aufgabe begreift. »Gesperrt!«, schrieb sie über Passagen, die ihr besonders missfielen, sogar über Verse des Dichters, die ich zitierte, die sie aber, obwohl längst in der Werkausgabe veröffentlicht, nicht zitiert wissen wollte. In einem dieser Gedichte stand die Malerin nackt vor dem Spiegel für sich selbst Modell, malte die Brüste und den schimmernden Leib, als der Dichter sich ihr näherte, seine Jacke und seine Hose öffnete und sie miteinander schliefen. Es roch nach Melone und süßem Fisch, im Hinterhof wurden ein paar türkische Worte geschrien, doch der Akt diente zugleich der Vollendung des Gemäldes, das so aussehen sollte, wie es sich anfühlte. Liebe und Körper und Kunst wurden eins. Der Dichter beschrieb den intimsten Moment, in dem das Paar ganz bei sich ist und Obszönitäten stammelt, die niemanden etwas angehen, bis sie endlich nichts mehr sagen können als bloß »Ja!«. Und das ist das Heiligste, was sie haben. Er setzte es ins Wort und sie ins Bild.

Es waren jedoch immer die falschen Gedichte, die ich zitierte, als hätte ich sie nur ausgesucht, um zu zeigen, dass sie nichts taugen. Oder als gehe es mir dabei immer nur um Sex. Die Malerin übertrug die Obsessionen des Dichters auf mich, als wären es meine Lüste, die in seinen hymnischen Anrufungen von Brüsten und Geschlechtsteilen zum Ausdruck kamen. So war er gereinigt, indem sie mir vorwarf, ich wolle etwas Schmutziges, Zwanghaftes aus ihm machen. Dabei hatte sie ihn mir mehrfach als »sexuell unerzogen« geschildert, jedenfalls hatte ich ihre Schilderungen so gedeutet, eine Unerzogenheit, die er sich aus der Kindheit bewahrt habe, wo er alle Freiheit genossen und sich kaum jemand um ihn gekümmert habe, und ich fand gerade seine unverklemmte Direktheit attraktiv - vielleicht, weil sie mir selber fehlt, der ich »erzogen« worden bin, was bei uns zu Hause hieß, dass man über sexuelle Dinge nur raunend und hinter verschlossenen Türen sprach. Meine Mutter nahm mich dann in der Küche ins Gebet, um mir besorgt nahezulegen, dass dieses rothaarige Mädchen aus der 7 b, das ich nachmittags auf der Straße traf, um es schüchtern zu küssen, nichts für mich sei.

Sicher kann man Fakten so zusammensetzen, dass aus lauter Richtigem etwas Fragwürdiges entsteht und aus lauter Einzelheiten kein Ganzes. Doch wer entscheidet darüber, was richtig ist und was falsch? Welchen Fakten darf man folgen? Welcher Blick wäre frei von Projektionen? Welche Lebensgeschichte wäre keine nachträgliche Konstruktion? Viel zu wenig hatte ich darüber nachgedacht, woraus sich das Bedürfnis speist, den Lebensgefährten postum in eine Ikone zu verwandeln. Oder ist diese Verschönerungsarbeit der Erinnerung ein ganz natürlicher Vorgang, der das Weiterleben und gelassenes Altern ermöglicht? Dabei hatte ich den Dichter durchaus geschönt, die Liebesgeschichte überhöht und war darin weitgehend den Darstellungen der Malerin gefolgt, weil es mir nicht um eine wie auch immer geartete Wahrheit ging. Ich wollte nichts enthüllen und nichts beweisen, sondern vom Leben dieses Künstlerpaares erzählen - und war deshalb so gutgläubig gewesen.

Ihr entsetzter, zehnseitiger Brief, auf den sie einen Vogel mit traurigem Blick und hängenden Flügeln getuscht hatte und der mit dem Satz begann: »Wie enttäuscht ich bin!«, hatte mich am selben Tag erreicht wie die Nachricht aus Kanada mit der Mitteilung, mein 91 Jahre alter Vater sei in seinem Haus auf der Treppe gestürzt, ins Krankenhaus gebracht, dann aber wieder entlassen worden - oder vielmehr habe er sich selbst entlassen, weil er es nicht ertrug und nie ertragen hatte, krank in einem Bett neben fremden Menschen zu liegen. Nichts war ihm je so zuwider wie Hilflosigkeit. Ein paar Tage später sei er...
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Autor

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Zuletzt erschien von ihm »Bestseller: Bücher, die wir liebten ...« und bei Klett-Cotta die literarische Reportage »Princeton 66«. »Die kanadische Nacht« ist sein erster Roman.