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Lernort Auschwitz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
275 Seiten
Deutsch
Wallstein Verlagerschienen am04.01.20211. Auflage
Sind Gedenkstättenbesuche von Schülerinnen und Schülern in Auschwitz-Birkenau zielführend? Der Debatte um verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten für alle deutschen Schülerinnen und Schüler fehlt häufig etwas Grundsätzliches: Grundlegende Ergebnisse zum Lernerfolg solcher Schulfahrten. Auf Basis erstmals ausgewerteter Quellen untersucht Christian Kuchler schulische Auschwitz-Besuche der letzten vier Jahrzehnte. Deutlich wird dabei, wie Schülerinnen und Schüler ihre Zeit am historischen Ort wahrnehmen und bis in die Gegenwart reflektieren. Thematisiert werden beispielsweise die Ängste der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld ihrer Ankunft in O?wi?cim und der Umgang der Lernenden mit den von der Gedenkstätte ausgelösten Emotionen. Neben der Wahrnehmung der Gedenkstätte unmittelbar nach dem Besuch nimmt der Autor auch den langfristigen Lernerfolg des Aufenthalts am »Lernort Auschwitz« in den Blick. Ergänzt wird die Untersuchung zur Rezeption des historischen Orts um Überlegungen zur Einbeziehung von virtuellen Angeboten in den Schulunterricht: Können sie künftig sogar Besuche an Gedenkstätten wie Auschwitz-Birkenau ersetzen? Aus den Befunden für die weltweit größte Holocaust-Gedenkstätte werden Thesen abgeleitet, die künftige Schulexkursionen zu Orten des NS-Terrors anregen sollen.

Christian Kuchler, geb. 1974, ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen mit Schwerpunkt auf der Didaktik der Geschichte.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR28,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextSind Gedenkstättenbesuche von Schülerinnen und Schülern in Auschwitz-Birkenau zielführend? Der Debatte um verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten für alle deutschen Schülerinnen und Schüler fehlt häufig etwas Grundsätzliches: Grundlegende Ergebnisse zum Lernerfolg solcher Schulfahrten. Auf Basis erstmals ausgewerteter Quellen untersucht Christian Kuchler schulische Auschwitz-Besuche der letzten vier Jahrzehnte. Deutlich wird dabei, wie Schülerinnen und Schüler ihre Zeit am historischen Ort wahrnehmen und bis in die Gegenwart reflektieren. Thematisiert werden beispielsweise die Ängste der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld ihrer Ankunft in O?wi?cim und der Umgang der Lernenden mit den von der Gedenkstätte ausgelösten Emotionen. Neben der Wahrnehmung der Gedenkstätte unmittelbar nach dem Besuch nimmt der Autor auch den langfristigen Lernerfolg des Aufenthalts am »Lernort Auschwitz« in den Blick. Ergänzt wird die Untersuchung zur Rezeption des historischen Orts um Überlegungen zur Einbeziehung von virtuellen Angeboten in den Schulunterricht: Können sie künftig sogar Besuche an Gedenkstätten wie Auschwitz-Birkenau ersetzen? Aus den Befunden für die weltweit größte Holocaust-Gedenkstätte werden Thesen abgeleitet, die künftige Schulexkursionen zu Orten des NS-Terrors anregen sollen.

Christian Kuchler, geb. 1974, ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen mit Schwerpunkt auf der Didaktik der Geschichte.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783835346215
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum04.01.2021
Auflage1. Auflage
Seiten275 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4048 Kbytes
Artikel-Nr.5541084
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Geschichte
1 Vom größten NS-Lager zur internationalen Gedenkstätte

Bis zum Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen war OÅwiÄcim eine vergleichsweise »normale Stadt«[1], in der weniger als 15.000 Einwohner lebten. Erstmals schriftlich erwähnt im Jahr 1178, hatte die Gemeinde zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt, war sie als »Grenzort seit Jahrhunderten«[2] doch mehrfach wechselnden Mächten unterstellt gewesen. Bereits ihr Name zeugt von der wechselvollen Geschichte, schließlich hatte er sich zwischen 1772 und 1866 unter der Herrschaft der Habsburger in Auschwitz verändert, um danach dann wieder in die polnische Ursprungsform zurückzukehren. Derartige Transformationen waren freilich nicht ungewöhnlich für die Region zwischen Polen, Preußen, Russland und dem Habsburgerreich, weshalb die Geschichte OÅwiÄcims wohl kaum überregionale Beachtung errungen hätte, wenn nicht im Frühjahr 1940 die Entscheidung einer SS-Kommission die Situation fundamental verändert hätte. Unter dem deutschen Namen Auschwitz entstand in der Stadt das siebte Konzentrationslager innerhalb des NS-Terrorsystems, bis 1945 entwickelte es sich zum Zentrum des industriell abgewickelten Massenmords. Seither ist der deutsche Name der Stadt eindeutig konnotiert. Stellvertretend steht er für alle Verbrechen der NS-Zeit.[3]

Grundlage für die Standortentscheidung der SS-Kommission war nicht nur die verkehrstechnisch günstige Lage OÅwiÄcims, sondern vor allem die Existenz von kasernenartigen Gebäuden, die einst zur Unterbringung von Saisonarbeitern genutzt worden waren. Ursprünglich sollten dort vor allem politische Gefangene aus Polen inhaftiert werden.[4] Allerdings zeichnete sich bereits während der Rekrutierung jüdischer Personen zur Zwangsarbeit bei der Errichtung des erweiterten Lagerkomplexes ab, wer langfristig zu dessen Hauptopfern werden sollte.[5] Gleichwohl war im Jahr 1940 noch nicht abzusehen, dass OÅwiÄcim bzw. Auschwitz einmal zum Schauplatz eines Verbrechens dieser Dimension werden würde. Vielmehr fungierte das Lager zunächst als Durchgangs- und Quarantänestation, nahm Zwangsarbeiter, Straftäter und Kriegsgefangene auf. Doch schon unmittelbar nach der Einlieferung der ersten politischen Gefangenen im Juni 1940 wuchs das Lager schnell, weil das Chemieunternehmen IG Farben den Standort zur Herstellung von synthetischem Kautschuk vorgesehen hatte. Im September 1941 ordnete Heinrich Himmler deshalb den weiteren Ausbau des bestehenden Lagers an. Ergänzend zum bisherigen Stammlager in Auschwitz sollte rund um das nahe gelegene Dorf Brzezinka (dt.: Birkenau) ein weiterer Lagerkomplex entstehen. Zunächst auf bis zu 50.000 Personen ausgelegt, vervierfachte sich dessen Dimension im Verlauf der weiteren Planungen. Mit der Entstehung der Lager AuschwitzâII und AuschwitzâIII sowie seiner vielen Außenlager erhöhte sich die Zahl der Todesopfer schon lange vor dem Einsatz von Giftgas. Endgültig zum Ort des Massenmordes wurde der Lagerkomplex, als ab dem Spätsommer 1941 Zyklon B zunächst testweise und dann regelmäßig zur Ermordung von Opfern eingesetzt wurde. Ermordet wurden sowjetische Kriegsgefangene sowie kranke und schwache Zwangsarbeiter, unter ihnen auch erste Juden. Der Schauplatz des Mordens verlagerte sich dann jedoch schnell vom Stammlager nach Birkenau, wo die ersten Transporte europäischer Juden ab März 1942 eintrafen. In der Folge baute das NS-Regime die systematische Vernichtung von ankommenden Juden immer weiter aus, bis sie im Sommer 1944 einen letzten, grausamen Schlusspunkt erlebte, als etwa 430.000 ungarische Jüdinnen und Juden innerhalb weniger Monate in Birkenau ermordet wurden. Spätestens jetzt wuchs in Auschwitz-Birkenau ein Areal, das heute oftmals als der größte Friedhof der Welt bezeichnet wird,[6] zutreffender aber bestenfalls als »Verscharrungsort«[7] benannt werden sollte.

Lange Zeit blieb unklar, wie hoch die Zahl der Ermordeten genau war. Zumeist ging man von mehr als vier Millionen Toten aus - eine Angabe, die sich unhinterfragt in fast allen Nachkriegsdarstellungen finden lässt.[8] Erst Mitte der 1990er Jahre unterzog Franciszek Piper im Auftrag des Staatlichen Museums die Daten einer kritischen Überprüfung. Sein Schätzwert von etwa 1,1 Millionen Ermordeten gilt inzwischen als allgemein akzeptiert. Demnach sind Juden mit weitem Abstand die größte Opfergruppe, ihre Zahl liegt wohl bei 960.000. Daneben wurden etwa 75.000 nichtjüdische Polen, 21.000 Sinti und Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene und bis zu 15.000 politische Häftlinge aus unterschiedlichen Ländern in Auschwitz-Birkenau ermordet,[9] ehe die singuläre Gewaltgeschichte mit der Befreiung des verbliebenen Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 endete.

Allerdings hatten sich schon davor zahlreiche Häftlinge darüber Gedanken gemacht, wie das Grauen der Lager festgehalten und für die Nachwelt dokumentiert werden könnte. Auf keinen Fall wollten sie zulassen, dass das, was sich in Auschwitz-Birkenau ereignet hatte, in Vergessenheit geraten würde. Deshalb erwogen viele schon während ihrer Haftzeit die Möglichkeiten einer musealen Bewahrung des Ortes. Mit Ende der Kampfhandlungen erschien dies, anders als in den ausschließlich zur Massenvernichtung genutzten Lagern in BeÅżec, Kulmhof/CheÅmno, Sobibór oder Treblinka, durchaus möglich. Schließlich hatten wesentliche Teile des vormaligen Lagerkomplexes die Eroberung weitgehend unbeschädigt überstanden. Obgleich die deutschen Truppen bei ihrem Abzug ab dem Sommer 1944 einige zentrale Bauten, wie etwa Teile der Gaskammern und der Krematorien, zu zerstören versucht hatten, war es ihnen nicht gelungen, den gesamten Lagerkomplex dem Erdboden gleichzumachen - ganz im Gegenteil. In AuschwitzâI wie auch in Birkenau überdauerten viele Bauten das Ende des Schreckens. Zudem entdeckten die Befreier in den Magazinen des Lagers Unmengen von Kleidung, Schuhen und Koffern, sowie abgeschnittenes Frauenhaar, das bereits zum Transport verpackt war und nach zeitgenössischen Berechnungen wohl von etwa 140.000 Personen stammen musste.[10] Nach dem 27. Januar 1945 standen also der Großteil des Areals und einige besonders schreckliche Fundstücke der SS-Herrschaft für eine künftige museale Entwicklung zur Verfügung,[11] wenngleich Materialdiebstahl und Raubbau an den vorhandenen Lagerbauten während der unmittelbaren Nachkriegszeit einen schwerwiegenden Verlust historischer Bausubstanz nach sich zog.[12]

Mit dem Kriegsende ging das schwierige Erbe des früheren Lagerkomplexes Auschwitz-Birkenau auf die polnische Nachkriegsgesellschaft über, in der sich intensive Diskussionen entwickelten, wie mit dem Gelände künftig umzugehen sei. Ganz unterschiedliche Vorschläge aus dem politischen, religiösen und kulturellen Bereich standen einander gegenüber und mussten ausgelotet werden. Schließlich gab es, worauf zeitgenössisch Beteiligte noch Jahrzehnte später immer wieder hinwiesen,[13] kein historisches Vorbild für einen musealen Ort, der an ein ähnliches Grauen erinnern und Interessierte langfristig zum Besuch animieren sollte. Nachdem die provisorische Regierung noch vor der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erste Schritte zur Musealisierung einleitete,[14] gelang es innerhalb von nur zwei Jahren, die konzeptionellen Grundsatzentscheidungen dieses schwierigen Prozesses abzuschließen.[15] Bereits am 14. Juni 1947 eröffnete der damalige polnische Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz, der selbst als Gefangener in Auschwitz gewesen war, eine erste Ausstellung. Es begann die offizielle Gedächtnisgeschichte des Ortes. Sie legte die Basis für das Staatliche Museum in OÅwiÄcim, das das polnische Parlament, der Sejm, im Juli 1947 per Gesetz und auf ewige Zeit zum polnischen Nationaldenkmal erhob.[16]

Obwohl die erste Ausstellung des Jahres 1947 einen spezifischen Raum für das Gedenken an jüdische Opfer umfasste, zeigte sie bereits die Richtung des staatlich gewünschten Gedenkens an: Im Mittelpunkt sollte das Leid der polnischen Bevölkerung während der deutschen Besatzungszeit stehen. Die anderen Opfergruppen, insbesondere die jüdischen, wurden bestenfalls am Rande thematisiert.[17] Zudem beschränkte sich die Musealisierung fast ausschließlich auf das frühere Stammlager in Auschwitz. Derweil verfiel der eigentliche Ort der Massenmorde in Birkenau ab den späten 1940er Jahren immer mehr.[18] Zumeist war er nicht Teil von Besichtigungen, die sich fast ausschließlich auf das Lager AuschwitzâI konzentrierten.[19] Den zeitgenössischen Erwartungen in Polen entsprach dieses Konzept offenbar, da der Gedenkort schon früh von vielen Gästen besucht und gut angenommen wurde. Allein in den Monaten zwischen Januar und September 1948 reisten mehr als 10.000 Menschen zu der neu entstehenden Gedenkstätte. Der weit überwiegende Teil der Gäste stammte aus Polen. Die meisten von ihnen trauerten um Verwandte und Angehörige,[20] wohingegen internationale Gäste zunächst nur selten anreisten.[21] Noch im Jahr 1950 stammten lediglich sechs Prozent aller Besucher aus dem Ausland.[22]

Dem entspricht, dass zunächst die Debatten um die Gestaltung und Weiterentwicklung der Gedenkstätte primär innerhalb der polnischen Gesellschaft geführt wurden. Insbesondere in den ersten drei Nachkriegsjahren fand darüber eine breite und pluralistische Auseinandersetzung statt. Doch in der Folge zogen die staatlichen Stellen die konzeptionelle Entwicklung zunehmend an sich und unterbanden weitere...
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