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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Christoph Links Verlagerschienen am18.09.20191. Auflage
In fast allen europäischen Ländern sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch, in manchen regieren sie sogar. Und sie arbeiten zunehmend länderübergreifend zusammen. Ihr gemeinsamer Feind: die Europäische Union, wie wir sie kennen. Nicht nur verstehen sie sich als Gegenspieler des Brüsseler Establishments, sie lehnen auch zentrale Werte des europäischen Projekts ab: Offenheit, Pluralismus, Minderheitenschutz, Multilateralismus. Schon jetzt blockieren sie eine gemeinsame Migrationspolitik. Wie gefährlich ist die Rechtsfront nach den Europawahlen für die EU?
Seit 2018 recherchieren Fachjournalistinnen und -journalisten aus Deutschland, Ungarn, Polen, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz gemeinsam zu den rechten Parteien in Europa. Was verbindet diese, was trennt sie, wo lernen sie voneinander? Und welche Rolle spielt Russland als Vorbild und Förderer? Das Buch deckt auf, wie die Rechtspopulisten kooperieren, um in den Einzelstaaten ihre Agenda durchzusetzen - etwa die Verschärfung des Abtreibungsrechts -, wie sie NGOs und etablierte Medien bekämpfen und den Klimaschutz blockieren.


Jahrgang 1979, ist Genderredakteurin im Inland-Ressort der tageszeitung.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextIn fast allen europäischen Ländern sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch, in manchen regieren sie sogar. Und sie arbeiten zunehmend länderübergreifend zusammen. Ihr gemeinsamer Feind: die Europäische Union, wie wir sie kennen. Nicht nur verstehen sie sich als Gegenspieler des Brüsseler Establishments, sie lehnen auch zentrale Werte des europäischen Projekts ab: Offenheit, Pluralismus, Minderheitenschutz, Multilateralismus. Schon jetzt blockieren sie eine gemeinsame Migrationspolitik. Wie gefährlich ist die Rechtsfront nach den Europawahlen für die EU?
Seit 2018 recherchieren Fachjournalistinnen und -journalisten aus Deutschland, Ungarn, Polen, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz gemeinsam zu den rechten Parteien in Europa. Was verbindet diese, was trennt sie, wo lernen sie voneinander? Und welche Rolle spielt Russland als Vorbild und Förderer? Das Buch deckt auf, wie die Rechtspopulisten kooperieren, um in den Einzelstaaten ihre Agenda durchzusetzen - etwa die Verschärfung des Abtreibungsrechts -, wie sie NGOs und etablierte Medien bekämpfen und den Klimaschutz blockieren.


Jahrgang 1979, ist Genderredakteurin im Inland-Ressort der tageszeitung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862844562
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum18.09.2019
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5609503
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Deutschland.
AfD: Von der Eurokritik zum Islamhass

Es ist ein früher Samstagabend Anfang Dezember 2017, als in der Eilenriedehalle im Hannover Congress Centrum Doris von Sayn-Wittgenstein ans Redepult tritt. Die AfD hat sich hier zum Bundesparteitag versammelt. Sayn-Wittgenstein ist damals 63 Jahre alt und Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein. Inzwischen läuft ein Parteiausschlussverfahren gegen sie: Sie soll einen rechtsextremen Verein unterstützt haben.

An diesem Abend aber wäre Sayn-Wittgenstein beinahe AfD-Chefin an der Seite von Jörg Meuthen geworden. Als Nachfolgerin von Frauke Petry. Die radikal rechte Parteiströmung, die sich selbst Der Flügel nennt, hat Sayn-Wittgenstein überraschend ins Rennen geschickt. Ob dessen AnhängerInnen die Norddeutsche wirklich für eine gute Kandidatin gehalten haben, darf bezweifelt werden. Aber Sayn-Wittgenstein soll vor allem eins: verhindern, dass der Berliner Landeschef Georg Pazderski, der innerhalb der AfD als gemäßigt gilt, den Posten bekommt. Pazderski steht für vieles, was die extrem Rechten in der Partei gar nicht mögen: Der ehemalige Soldat, der auch für die NATO gearbeitet hat, gilt vielen als Transatlantiker; er will die AfD in die Regierung führen und sich dafür auch moderat vom rechten Rand abgrenzen.

Jetzt also hebt Sayn-Wittgenstein zu ihrer Rede an. Die hellblaue Bluse trägt sie bis zum letzten Knopf geschlossen, die blonden Haare streng zusammengebunden, dazu Perlenohrringe. »Ich bin erst seit 2016 in dieser Partei, nachdem die Partei eine mehr patriotische Richtung genommen hat«, sagt sie.1 Applaus brandet unter den 550 Delegierten auf. »Das ist nicht unsere Gesellschaft«, fährt sie fort, sagt, dass nur der Nationalstaat die Demokratie am Leben erhalte und sie in erster Linie deutsch fühle. Dazu äußert sie scharfe Kritik an der Antifa, die sie im rechtsextremen Jargon »Antifanten« nennt, und Verständnis für Russland. Am Ende schallen »Doris, Doris«-Rufe durch den Saal. Für Pazderski, dessen künftige Rolle in der Nacht zuvor im kleinen Kreis ausgekungelt worden ist, wird es eng.

Was folgt, ist ein Wahlkrimi. In der ersten Abstimmung liegt Sayn-Wittgenstein mit wenigen Stimmen vorn, bei der zweiten Pazderski. Beide Male reicht die Mehrheit nicht. Die Partei ist gespalten. Und die Abstimmungen zeigen: Der Flügel ist in der AfD keine Randerscheinung mehr. Noch hat er zwar keine Mehrheit, aber gegen ihn ist in der AfD auch nichts mehr durchsetzbar.

Auf dem Parteitag in der Eilenriedehalle bricht Chaos aus. Schließlich ergreift Alexander Gauland, damals noch AfD-Vizechef, das Mikrofon und beantragt eine Unterbrechung. Am Ende wird er selbst zum Co-Vorsitzenden von Meuthen gewählt.

Gauland, Jahrgang 1941 und gesundheitlich angeschlagen, gilt als einer der wenigen, die die FunktionärInnen und auch die große Mehrheit der gut 33 000 AfD-Mitglieder zusammenhalten können. Die AfD, die Gauland selbst gern einen »gärigen Haufen«2 nennt, ist keine homogene Partei, sie ist eine Sammlungsbewegung, die aus verschiedenen Strömungen besteht. Inzwischen ist Der Flügel um den Thüringer Landeschef Björn Höcke die einflussreichste. Die gemäßigteren AfDler, die dazu ein Gegengewicht bilden wollen und sich deshalb in der Alternativen Mitte organisiert haben, waren nie stark und haben zuletzt noch weiter an Bedeutung verloren. Daneben gibt es nach wie vor Konservative, die sich die alte CDU zurückwünschen, evangelikale Christen, Neoliberale und Libertäre in der Partei.

Alexander Gauland, der seit dem Parteitag in Hannover neben der Bundestagsfraktion auch noch die Partei führt, ist vom ersten Tag an dabei. Das gilt für niemanden sonst, der heute bei der AfD in der ersten Reihe steht. Zuvor war Gauland 40 Jahre lang in der CDU, als Beamter hat er mit der Partei Karriere gemacht: Er hat das Büro des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann geleitet, und als dieser hessischer Ministerpräsident wurde, die dortige Staatskanzlei. Lange galt Gauland, der nach der Wende Herausgeber der in Potsdam erscheinenden Märkischen Allgemeinen war, als aufgeschlossener Konservativer; auch Grüne und Linke diskutierten mit ihm - mitunter gewinnbringend. Heute steht Gauland auf Markplätzen, ruft »Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land«3, ein NPD-Slogan, vergleicht die Bundesregierung mit dem Politbüro der DDR und den Nationalsozialismus mit einem »Vogelschiss«4, hält seine Hand über Rechtsaußen Höcke und fordert, dass man auf die Soldaten der Wehrmacht wieder stolz sein dürfen müsse. Eine atemberaubende Radikalisierung.

Im Februar 2013 treffen sich Gauland und 17 andere Männer in einer Kirchengemeinde im hessischen Oberursel und beschließen, eine Partei mit dem Namen Alternative für Deutschland zu gründen. Es wird eine rechtspopulistische Partei, wie es sie in anderen europäischen Ländern längst gibt. Bis dahin hat man in Deutschland gedacht, gegen solche Entwicklungen sei die Bevölkerung durch die Erfahrung des Nationalsozialismus immunisiert.

Anfangs prägen vor allem Wirtschaftsprofessoren das Bild der Partei. Ihr Thema: die Kritik am Euro und der Eurorettungspolitik der Bundesregierung. Ihr Aushängeschild: Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke aus Winsen an der Luhe in Niedersachsen, ein evangelisch-reformierter Christ, Vater von fünf Kindern, der zu Hause die Wollpullover seines Vaters aufträgt. Lucke ist damals auf allen Kanälen präsent, trotzdem scheint er zu ahnen, dass das Eurothema vielleicht nicht reicht, um am 22. September 2013 in den Bundestag gewählt zu werden. Ende Juli schreibt er in einer Mail an Vorstandskollegen: »Wir müssen noch einmal einen Tabubruch begehen, um Aufmerksamkeit zu kriegen. Das machen wir, indem wir Herrn Sarrazin vereinnahmen. Das kann uns viel Aufmerksamkeit, Kritik der linken Presse und viel Zuspruch in der Bevölkerung einbringen.«5 Der SPD-Politiker Thilo Sarrazin hat mit seinem Buch Deutschland schafft sich ab, das ein rassistischer und muslimfeindlicher Grundton durchzieht, einen Besteller geschrieben. »Fest steht, dass Lucke im Sommer der Parteigründung den Schritt vom Professor zum Populisten vollzieht«, urteilte rückblickend Spiegel-Redakteurin Melanie Amann, eine ausgewiesene AfD-Kennerin.6

Doch es reicht trotzdem nicht. Die AfD scheitert mit 4,7 Prozent der Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde. Noch in der Wahlnacht spricht ein sichtlich angeschlagener Lucke von »Entartungen von Demokratie«7, die die AfD bekämpfe; später bezeichnet er gering qualifizierte MigrantInnen als »sozialen Bodensatz«8. Lucke blinkt nach rechts außen. In dieser Zeit treten Tausende in die AfD ein, viele davon sind radikal rechts. Zwar werden schon damals laut Satzung keine ehemaligen Mitglieder von NPD und DVU aufgenommen, doch einige finden trotzdem den Weg in die Partei. Für ehemalige Republikaner oder Ex-Mitglieder der islamfeindlichen Kleinstpartei Die Freiheit, für Identitäre und Burschenschaftler gilt die Regelung ohnehin nicht. Lucke wird gewarnt, dass Rechtsextreme die Partei unterwandern könnten. Doch er unternimmt nichts dagegen.9 Viele der damals neu Eingetretenen sind - trotz weiterer Unvereinbarkeitsbeschlüsse und vereinzelter Parteiausschlussverfahren - bis heute Mitglied der AfD.

Im Frühjahr 2014 zieht die AfD mit 7,1 Prozent und sieben Abgeordneten ins Europaparlament ein, Lucke weilt nun fernab in Brüssel und Straßburg. Im Herbst schafft die Partei in Sachsen, Brandenburg und Thüringen aus dem Stand den Sprung ins Parlament - jeweils mit um die zehn Prozent, in Brandenburg sind es sogar zwölf: ein Riesenerfolg. Die Sieger heißen Petry, Gauland, Höcke - allesamt Kritiker von Luckes aus ihrer Sicht zu moderatem Kurs und seinem autoritären Führungsstil. Der Wahlerfolg stärkt ihre Position in der Partei, auch die Medien sind nun stark an diesen drei interessiert.

Als im Oktober erstmals Pegida10, eine islam- und flüchtlingsfeindliche Bewegung, in Dresden aufmarschiert, gibt Lucke die Parole aus, die AfD solle sich davon fernhalten. Gauland aber fährt hin, spricht von »natürlichen Verbündeten«11, Höcke sieht das ähnlich. Längst sägen sie gemeinsam mit Petry an Luckes Stuhl. Im Vorfeld des Essener Parteitags Anfang Juli 2015, bei dem es schließlich zum Showdown kommt, verfassen Höcke und sein damaliger Verbündeter André Poggenburg, zu dieser Zeit AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, mithilfe des neurechten Vordenkers und Verlegers Götz Kubitschek die »Erfurter Resolution« - ein Frontalangriff auf Lucke und seine Mitstreiter. Das Ziel: die Beschränkungen durch Lucke hinter sich zu lassen, und die AfD nicht nur als parlamentarische Kraft, sondern auch als »Widerstandsbewegung« auf der Straße und Partei des »wirklich freien Worts« zu positionieren.12 In den ersten Tagen unterschreiben bereits mehr als 1000...
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