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Die Sterne und wir

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
112 Seiten
Deutsch
Arche Literatur Verlagerschienen am22.01.20211. Auflage
Seit Anbeginn der Menschheit sind wir fasziniert von den Sternen. Der Blick hinauf in den Nachthimmel bringt uns zum Staunen, Grübeln, Träumen. Wir projizieren unsere Ängste und Hoffnungen auf die Sterne, wähnen in ihnen den Geist von verstorbenen Angehörigen, werden uns der eigenen Vergänglichkeit bewusst und fühlen uns als Teil eines großen Ganzen. Carsten Kluth geht es nicht anders. Mit einem selbst gebauten Fernglas betrachtet er den Nachthimmel, hangt persönlichen Gedanken nach und wird sich immer wieder der kulturhistorischen Bedeutung der Sterne bewusst. Dieses Buch lädt ein zum Schwelgen, gleichzeitig enthält es erhellende Erkenntnisse - nicht zuletzt darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Carsten Kluth, geboren 1972, hat in Berlin und New York Politische Wissenschaften studiert.Er ist Berater für Politik und Wirtschaft und arbeitet u.a.für die Europäische Kommission.2019 wurde er zum ersten Nature-Writing-Seminar des Literaturhauses München und der Bayerischen Akademie des Schreibens eingeladen.Kluth lebt mit seiner Familie in Schleswig-Holstein auf dem Land, wo er über die Natur schreibt und in wolkenfreien Nächten immer wieder in den Garten geht, um die Sterne zu betrachten.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSeit Anbeginn der Menschheit sind wir fasziniert von den Sternen. Der Blick hinauf in den Nachthimmel bringt uns zum Staunen, Grübeln, Träumen. Wir projizieren unsere Ängste und Hoffnungen auf die Sterne, wähnen in ihnen den Geist von verstorbenen Angehörigen, werden uns der eigenen Vergänglichkeit bewusst und fühlen uns als Teil eines großen Ganzen. Carsten Kluth geht es nicht anders. Mit einem selbst gebauten Fernglas betrachtet er den Nachthimmel, hangt persönlichen Gedanken nach und wird sich immer wieder der kulturhistorischen Bedeutung der Sterne bewusst. Dieses Buch lädt ein zum Schwelgen, gleichzeitig enthält es erhellende Erkenntnisse - nicht zuletzt darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Carsten Kluth, geboren 1972, hat in Berlin und New York Politische Wissenschaften studiert.Er ist Berater für Politik und Wirtschaft und arbeitet u.a.für die Europäische Kommission.2019 wurde er zum ersten Nature-Writing-Seminar des Literaturhauses München und der Bayerischen Akademie des Schreibens eingeladen.Kluth lebt mit seiner Familie in Schleswig-Holstein auf dem Land, wo er über die Natur schreibt und in wolkenfreien Nächten immer wieder in den Garten geht, um die Sterne zu betrachten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037901274
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum22.01.2021
Auflage1. Auflage
Seiten112 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1802 Kbytes
Artikel-Nr.5611711
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Immer wieder Beteigeuze


Kopernikus hat vor vierhundert Jahren seine ungeheuren Gesetze erkannt, neue ungeheure Erkenntnisse folgten. Aber umsonst. Der Mensch denkt weiterhin so, als sei er die Mitte der Welt.



Erhart Kästner


Die Sterne und wir - das ist auch eine Verlustgeschichte. Inwiefern ist das eine Verlustgeschichte? Wissen wir nicht so viel mehr über den Sternenhimmel als frühere Generationen, ja als die Wissenschaft noch vor wenigen Jahren? Hat nicht heute jedes Kind am Tablet, Handy oder PC schon einen Blick in den Tiefen Raum, den Deep Space, getan, von dessen purer Existenz die Großen der mittelalterlichen Astronomie - Kopernikus, Kepler, Galilei - nichts ahnten? Werden uns nicht Bilder von galaktischen Nebeln in jeder Form präsentiert, kaum streichen wir über irgendein Display? Lesen wir nicht nebenbei von Leben unter kilometerdickem Eis auf Monden des Saturn? Kennen wir nicht längst die Rückseite des Mondes und werden über die Ankunft von Asteroidenschauern per Push-Nachricht rechtzeitig informiert? Wie kann man Verlust nennen, was so allgegenwärtig ist?

In der Frage liegt bereits ein Teil der Antwort. Um die Sterne zu sehen, müssen wir nicht mehr zum Sternenhimmel sehen. Wir müssen nicht mehr warten, bis es Nacht wird, und wir müssen auch nicht nach oben blicken. Wir können nach unten schauen, mitten am Tage, auf die Geräte in unseren Händen. Wir tragen den Sternenhimmel in unseren Taschen mit uns herum, in Form von Apps, Bildern und Satzfetzen auf Twitter und Instagram, erklärt von den Webseiten der Max-Planck-Institute, Spiegel Online oder auf anderen Nachrichtenseiten unseres Vertrauens. Nichts hindert uns daran, den Planeten zu folgen und die Sterne zu identifizieren, selbst wenn der gesamte gewaltige Körper der Erde sich zwischen ihnen und uns befindet. Das Einzige, was zwischen uns und ihnen noch steht, ist ein Gerät und eine Software, und ich glaube, das ist viel. Die Geschichte dieses Erfolges ist der Verlust der unperfekten und kaum zu kalkulierenden Unmittelbarkeit zugunsten einer ständigen Verfügbarkeit. Was der Mensch aber immer haben kann, das langweilt ihn bald.

Wie aufregend dagegen ist eine unverhoffte Begegnung, im Juli, kurz vor Mitternacht, mit dem im Südosten ungemein hell über der Weißdornhecke unseres Gartens stehenden Jupiter. Nur die Katze rauslassen wollte ich, jetzt hole ich das große Fernglas, mit dem wir sonst nach den Tieren sehen, die übers Feld streifen, und siehe da, ich kann zwei der Monde des Riesenplaneten erkennen, deren Entdeckung durch Galilei die Geschichte veränderte. Und wenige Grad weiter östlich (was wenigen Fingerbreit entspricht) strahlt deutlich Saturn und spannt den Raum unseres Systems vom südlichen Rand Lübecks in unvorstellbare Fernen auf. Für ein paar kostbare Momente kann ich spüren, was Blumenberg meinte.

Die Sterne und wir - das ist nicht nur die Geschichte einer Entfremdung, es ist auch die Geschichte eines Abschieds. Spüren wir, dass etwas zu Ende geht? Oder ist es mit den Sternen wie mit der Liebe? Wir merken nicht, dass sie verschwunden ist, und ahnen höchstens, wie ausschließlich wir einst geliebt haben. Oder ist es vielleicht mit den Sternen ähnlich wie mit den Wesen, die einmal in Fülle um uns waren und eine wirkliche Bedeutung hatten, den Vögeln, Fischen, Insekten, den Blumen und Kräutern, und die auf einmal verschwunden sind. Wir können kaum glauben, wie viel mehr einmal da waren, Sterne, Fische, Pflanzen und eigentlich von allem, was materiell ist oder so etwas wie eine Seele hat. Im Überfluss gibt es nur noch das Abstrakte, das Flüchtige und das Nichtige.

Wir bemerken kaum die Verarmung, weil wir den ursprünglich vorhandenen Reichtum ignoriert, vergessen oder nie kennengelernt haben. Die Forschung nennt das Shifting Baselines - für den heutigen Fischer ist die moderne Artenarmut selbstverständlich, während sein Vater oder Großvater noch im Überfluss lebten. Er aber weiß von dieser einstigen Fülle nichts mehr; ein Drittel der heute lebenden Menschen sieht selbst bei sternenklarer Nacht die Milchstraße nicht mehr und hält die paar Dutzend Sterne, die man aus der Mitte einer modernen Großstadt wahrnimmt, für die Normalität.

Eine Folge des Kampfes gegen den Klimawandel könnte das Verschwinden der Sterne sein. Viele Methoden des menschlichen Eingriffs in die Atmosphäre haben zur Grundlage, das Sonnenlicht zu spiegeln. Geoengineering, das zeigen vor allem Vulkanausbrüche, kann furchtbar effektiv sein, es kühlt den Planeten um mehrere Grad Celsius ab.

Am drastischsten war in jüngerer Zeit der berühmte Wintersommer von 1816, als sich eine milchige Dunstschicht um die Erde legte und zu Schnee im Sommer auf der Schwäbischen Alb führte, zu Hungersnöten, Aufständen und Fluchtbewegungen. Eine der vielen Folgen des Klimawandels könnte also eine solche, diesmal menschlich erzeugte, Nebelwand zwischen uns und dem All sein, künstliche Wolken, die uns Zeit kaufen würden. Künstliche Wolken, hinter denen der sichtbare Sternenhimmel endgültig verschwinden würde.

Hätten wir eine Art Schatzkästlein in unserem Kopf, in dem wir die wichtigsten Erinnerungen aufbewahren und dann und wann hervorholen könnten, um sie zu betrachten, dann würden wir möglicherweise nicht so unbesonnen und unbeschwert weitermachen. Aber wir erinnern uns ja nicht, sondern erzeugen das, was wir Erinnerung nennen, jedes Mal aufs Neue und verändern es. Jeder Mensch hat andere Erinnerungen an dasselbe Ereignis, und deshalb können wir nicht zum Himmel hinaufsehen und uns daran erinnern, wie es wirklich einmal war. Daran, dass es früher mehr Sterne gab und der Raum eine Tiefe hatte, von der wir heute kaum noch etwas ahnen. Und Farben. Und Geflimmer und Geglitzer. Wir könnten nur wieder anfangen, in die Nacht zu sehen, wie wir wieder anfangen können, eine Wiese zu betrachten oder einen Menschen anzuschauen.

Wir könnten das Staunen wieder lernen, das Schauen, ohne sofort nach einer Erklärung zu verlangen. Wir könnten den Dingen wieder Raum geben, in forschender Vorsicht und Rilkes Warnung ernst nehmend: »Bleibt fern. / Die Dinge singen hör ich so gern. / Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. / Ihr bringt mir alle die Dinge um.«

Im Dezember 2019 traf ich zufällig auf einen alten Bekannten, einen Stern, den ich in meiner Jugend jahrelang während des Winters beobachtet hatte. Dieser Stern war der Rote Riese Beteigeuze, und er sollte zum Weihnachtsstern des Jahres 2019 werden. Ich las von seiner eigentümlichen Verwandlung zuerst am 19. Dezember auf Twitter und auf verschiedenen Astroblogs. Beteigeuze (oder auch Betelgeuse, was auf einen sehr alten Übersetzungsfehler aus dem Arabischen zurückgehen soll), der die linke Schulter des Himmelsjägers Orion bildet, hat seit März 2019 knapp 60 Prozent seiner Helligkeit eingebüßt. Er ist einer der hellsten Sterne am Nachthimmel, sein orangefarbener Glanz ist unverkennbar, und wenn er auch am tatsächlich beobachtbaren Himmel deutlich dunkler wurde, so strahlte er im Netz umso heller - ist er doch schon lange ein Kandidat für eine Supernova. Und der Erde so nah! Aber nur wenige Astronomen gaben zu bedenken, dass man nicht genau sagen könne, ob Beteigeuze morgen oder in 200000 Jahren explodiere. Dass er eben auch schon zur Supernova geworden sein könnte, das Licht aber, das knapp 640 Jahre zu uns brauche, noch nicht angekommen sei. Die meisten Kommentare waren ernüchternd abgeklärt. Sarafina (!) Nance, Doktorandin der Astrophysik an der Universität Berkeley, erklärte uns Lesern am Tag vor Heiligabend ihre Sicht auf den Stern in einer Kaskade von Tweets. Sie betonte, dass die Helligkeitsschwankungen absolut zu früheren Beobachtungen passen und dass wir alle wohl nicht Augenzeugen einer solch spektakulären Explosion werden würden. Die gegenwärtig beobachtbaren Helligkeitsschwankungen rührten von Ereignissen her, die unvorstellbar groß waren. Gegen die Ausmaße dieses rötlich leuchtenden Pünktchens am Nachthimmel nimmt sich unsere Sonne wie ein Joghurtbecher in einem Familienkühlschrank aus. Eine Theorie besagt, dass Beteigeuzes Strahlungsintensität von sogenannten Konvektionszellen beeinflusst wird, das sind von der Rotation des Sternes erzeugte heiße Ausstülpungen, die aus dem Inneren des Sterns bis zur Außenhülle reichen und ihm die Form einer von Geschwülsten bedeckten Knolle geben.

Zwei Erklärungen für die geringe momentane Helligkeit mag ich besonders: Es könnten riesige Staubwolken sein, die der Stern in unsere Richtung ausgestoßen hat und die sein Licht verschlucken. Staubwolken, aus denen Leben wie das unsere entstehen könnte. Eine zweite Theorie rückt mir Beteigeuze noch näher: Bei einer Abkühlung der äußeren Gase entstehen manchmal molekulare Verbindungen, wie sie auch in Sonnencremes verwendet werden - Titanoxid. Beteigeuze hat im Moment vielleicht einfach eine zu dicke Schicht...
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Autor

Carsten Kluth, geboren 1972, hat in Berlin und New York Politische Wissenschaften studiert.Er ist Berater für Politik und Wirtschaft und arbeitet u.a.für die Europäische Kommission.2019 wurde er zum ersten Nature-Writing-Seminar des Literaturhauses München und der Bayerischen Akademie des Schreibens eingeladen.Kluth lebt mit seiner Familie in Schleswig-Holstein auf dem Land, wo er über die Natur schreibt und in wolkenfreien Nächten immer wieder in den Garten geht, um die Sterne zu betrachten.